Beschluss des Gerichtes
Entscheidungsvorblatt
Aktenzeichen: LVG 4/08 | Entscheidungsart: Beschluss | Entscheidung vom: 30.06.2008 |
Verfahrensart | Verfassungsbeschwerde | |
entscheidungserhebliche Vorschriften | ||
Schlagworte | ||
Stichworte | Beschluss | |
Leitsatz | Zur Folgenabwägung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Vollzug des Nichtraucherschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (Ein-Raum-Schankwirtschaften) | |
Fundstellen | - | |
Sonstiges | - | |
Zitiervorschlag |
VerfGSA, Beschluss vom
30.06.2008 - LVG 4/08 -, www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de |
Beschluss
in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
LVG 4/08
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------
(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------
{T:Gründe:}
{T:I.}
{RN:1}
Die Antragstellerin wendet sich im Hauptsacheverfahren als Betreiberin einer Ein-Raum-Schankwirtschaft mit einer noch nicht beschiedenen Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzliche Verbot des Tabakrauchens in Gaststätten. Mit dem am 23.06.2008 gestellten Eilantrag erstrebt sie eine vorläufige Aussetzung des Verbots, soweit es den Betrieb einer Ein-Raum-Schankwirtschaft betrifft.
{RN:2}
§ 3 des Gesetzes zur Wahrung des Nichtraucherschutzes im Land Sachsen-Anhalt (Nicht¬raucherschutzgesetz - NSG) vom 19.12.2007 (GVBl. LSA S. 464) sieht zum Zweck des Schutzes der Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren des Passivrauchens (§ 1 NSG) ein zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenes (§ 9 Abs. 1 NSG) Verbot des Tabakrauchens in Gebäuden und sonstigen vollständig umschlossenen Räumen von Gaststätten im Sinne des § 2 Nr. 9 NSG vor. § 4 Satz 2 NSG erlaubt Gaststättenbetreibern abweichend von § 3 NSG in der Gaststätte abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist. Voraussetzung hierfür ist nach § 4 Satz 3 NSG eine derartig räumlich wirksame Abtrennung, dass eine Gefährdung durch passives Rauchen verhindert wird und diese Räume ausdrücklich als Raucherräume gekennzeichnet werden. Abweichend von vergleichbaren Regelungen anderer Bundesländer steht es dabei den Betreibern frei, welchen Raum sie als Raucherraum deklarieren.
{RN:3}
Gemäß § 7 NSG stellen Verstöße gegen das Rauchverbot, gegen Hinweispflichten bezüglich des Verbots und die u. a. den Gaststättenbetreiber treffende Pflicht, Verstöße gegen das Verbot zu unterbinden bzw. zu verhindern, mit Wirkung zum 1. Juli 2008 (§ 9 Abs. 2 NSG) bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten dar.
{RN:4}
Die Antragstellerin sieht sich hierdurch in ihrer Freiheit der Berufsausübung, dem Eigentumsgrundrecht und dem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Die von ihr betriebene Ein-Raum-Gaststätte wird nach ihren Angaben zu ca. 90 % von Stammgästen besucht, die zu 90 % Raucher sind.
{RN:5}
Die Antragstellerin macht geltend, dass eine Umfrage der IHK Halle/Dessau im ersten Quartal 2008, an der sich 100 Gastwirte beteiligt haben, einen Umsatzrückgang von mehr als 10% ergeben habe. Für sie, die bislang das Rauchverbot gegenüber ihren Gästen nicht durchgesetzt habe, bedeute bereits ein Umsatzrückgang in einer solchen Größenordnung den Ruin. Sie wäre dann nicht mehr in der Lage, ihre vertraglichen Pflichten aus Miet- und Bierlieferverträgen zu erfüllen. In der näheren Umgebung der Gaststätte bestünden etwa 20 Gaststätten, die die Möglichkeit hätten, durch Umbau Raucherräume einzurichten. Zudem verfüge sie als einzige Gaststätte in der kleinen Ulrichstraße nicht über einen Biergarten.
{RN:6}
Die Beteiligten haben gemäß § 31 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über das Landes¬ver¬fassungsgericht vom 23.08.1993 (GVBl. LSA S. 441), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung der Organisation der Gerichte an die Kreisgebiets¬neuregelung vom 19.04.2007 (GVBl. LSA S. 142) – LVerfGG –, Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
{T:II.}
{RN:7}
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
{RN:8}
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum inhaltsgleichen § 32 BVerfGG, die das Landesverfassungsgericht auch für § 31 LVerfGG-LSA teilt (LVerfG, Beschl. v. 04.07.1995 - LVG 8/95 - LVerfGE 3, 257 [260]; Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 390 f.) ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein stren¬ger Maßstab anzulegen; das gilt besonders, wenn das Inkrafttreten eines vom Lan¬desparlament beschlossenen Gesetzes verhindert werden soll.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in einem solchen Verfassungsrechtsstreit bedeutet einen Eingriff des Gerichts in die Funktionen der Legislative und Exekutive, bevor die mit dem Antrag zur Hauptsache anhängig gemachte Rechtsfrage ent¬schieden ist. Ein Verfassungsgericht darf deshalb von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (LVerfG Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 391); BVerfG, Urt. v. 10.07.1990 - 2 BvR 470, 650, 707/90 -, BVerfGE 82, 310 [313]), ist doch der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetz¬gebers. Nur dann darf deshalb ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seinem Inkrafttreten bei späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfas¬sungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten. Die Anrufung eines Verfassungsge¬richts darf nicht zu einem Mittel werden, mit dem im Gesetzgebungsverfahren unter¬legene Beteiligte das Inkrafttreten des Gesetzes verzögern können (BVerfG, Urt. v. 11.07.2001, - 1 BvQ 23/01 -, Absatz-Nr. (1-36) http://www.bverfg.de).
{RN:9}
Dabei haben die Gründe, welche die Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften anführen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 391; BVerfG, Beschl. v. 24.07.1957 - 1 BvL 23/52 -, BVerfGE 7, 89, [104]). Die einstwei¬lige Anordnung kann gerade deshalb nötig werden, weil dem Gericht die zur gewis¬senhaften und umfassenden Prüfung der für die Entscheidung der Hauptsache er¬heblichen Rechtsfragen erforderliche Zeit fehlt. Es wäre dann nicht angängig, den Erlass einer einstweiligen Anordnung von etwas Ungewissem, der summarischen Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.04.1983 - 1 BvQ 866, 890/82 -, BVerfGE 64, 46 [70]).
{RN:10}
Bei offenem Ausgang eines noch möglichen Verfahrens in der Hauptsache muss das Landesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
{RN:11}
Wirtschaftliche Einbußen selbst empfindlichen Ausmaßes, die ein von der gesetzlichen Regelung Betroffener erleidet, stellen regelmäßig keinen solchen qualifizierten Nachteil dar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.1956 – 1 BvR 190/56 - BVerfGE 6, 1 <4>; Urt. v. 13.11.1957 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 175, <179>). Eine Aussetzung kommt bei Eingriffen in die Berufsfreiheit nur in Betracht, wenn diese ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in ihrem Kern bedroht ist. Das ist nur der Fall, wenn eine existentielle Gefährdung bereits für die Zeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren unmittelbar droht. Dafür trägt der Antragsteller die Darlegungslast; er muss drohende, existenzvernichtende Einbußen – soweit ihm möglich – bereits im Eilverfahren glaubhaft machen (siehe auch VerfGH Bln, Beschl. v. 11.06.2008, - 65 A/08 - nach juris).
{RN:12}
Gemessen hieran kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen.
{RN:13}
Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen nicht. Insbesondere ist die Antragstellerin, wie bei gegen Akte der Rechtssetzung gerichteten Verfassungsbeschwerden erforderlich (vgl. LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 390), durch die angegriffene gesetzliche Regelung als Gastwirtin selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
{RN:14}
Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Das gesetzliche Verbot des Tabakrauchens in Gaststätten greift in die von Art. 16 der Verfassung von Sachsen-Anhalt – LVerf - vom 16.07.1992 (GVBl.LSA S. 600) zuletzt geändert durch § 1 ÄndG vom 27.01.2005 (GVBl. LSA S. 44) - geschützte Freiheit der Berufsausübung (vgl. hierzu LVerfG Urteil vom 26.06.2007 – LVG 9/06 – Rz. 51, 98 ff.) der Gastwirte ein. Eine solche Regelung muss durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, geeignet und erforderlich sein sowie bei einer Gesamtabwägung zwischen Eingriffsintensität und -rechtfertigung die Grenze der Zumutbarkeit wahren. Ob das Nichtraucherschutzgesetz diesen Anforderungen unter Berücksichtigung der Ausnahmemöglichkeiten nach § 4 S. 2 NSG in Bezug auf Ein-Raum-Gaststätten, die wie diejenige der Antragstellerin nur über einen Gast- und Schankraum verfügen, gerecht wird, bedarf der näheren Prüfung im anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren.
{RN:15}
Die danach gebotene Folgenabwägung fällt indes schon deshalb zu Ungunsten der Antragstellerin aus, weil sie derart schwere Nachteile, die den Erlass der einstweiligen Anordnung bei Anlegung des - wie aufgezeigt - besonders strengen Prüfungsmaßstabs unabweisbar erscheinen ließen, in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt bis zum Erlass der Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht hinreichend dargelegt und belegt hat.
{RN:16}
Hierzu genügt es nicht, dass die Antragstellerin lediglich Absichtbekundungen von Gästen sowie allgemeine Darlegungen der Betriebskosten geltend macht und auf landesweit ermittelte Zahlen (hier der IHK Halle/Dessau) verweist. Das gilt umso mehr, als die kürzlich veröffentlichen Daten des Statistischen Bundesamtes zur Umatzentwicklung im Gaststättengewerbe (Pressemitteilung Nr. 207 des Statistischen Bundesamtes vom 06.06.2008) einen bereits vor Verabschiedung der Nichtraucherschutzgesetze beobachtbaren Umsatzrückgang ausweisen, der in besonderer Art und Weise die Schankwirtschaften betrifft. Es ist deshalb äußerst schwierig, festgestellte Umsatzrückgänge im ersten Quartal 2008 ausschließlich oder vorrangig auf den Nichtraucherschutz zurückzuführen. Vielmehr könnten auch die bekannten Steigerungen der allgemeinen Lebenshaltungskosten auf Grund gestiegener Mehrwertsteuer und Energiekosten den Ausschlag dafür gegeben haben. In einer solchen Situation gebietet es der Respekt vor dem Gesetzgeber umso mehr, dessen Entscheidung nur dann in Frage zu stellen, wenn der behauptete schwerwiegende Nachteil so konkret und verlässlich, wie im Eilverfahren möglich, glaubhaft gemacht ist. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der in wenigen Wochen zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache eine drohende Existenz¬vernichtung gerade in diesem kurzen Zeitraum nicht festgestellt werden kann.
{RN:17}
Das Landesverfassungsgericht kann daher nicht feststellen, dass die von der Antragstellerin behaupteten schwerwiegenden Nachteile tatsächlich eingetreten sind und ihr die Vernichtung der beruflichen Existenz – gerade als Folge des gesetzlichen Rauchverbots – bis zur in Kürze anstehenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde droht.
{RN:18}
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 32 LVerfGG.
{RN:19}
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 31 Abs. 3 S. 2 LVerfG).
« zurückDer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
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(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
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{T:Gründe:}
{T:I.}
{RN:1}
Die Antragstellerin wendet sich im Hauptsacheverfahren als Betreiberin einer Ein-Raum-Schankwirtschaft mit einer noch nicht beschiedenen Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzliche Verbot des Tabakrauchens in Gaststätten. Mit dem am 23.06.2008 gestellten Eilantrag erstrebt sie eine vorläufige Aussetzung des Verbots, soweit es den Betrieb einer Ein-Raum-Schankwirtschaft betrifft.
{RN:2}
§ 3 des Gesetzes zur Wahrung des Nichtraucherschutzes im Land Sachsen-Anhalt (Nicht¬raucherschutzgesetz - NSG) vom 19.12.2007 (GVBl. LSA S. 464) sieht zum Zweck des Schutzes der Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren des Passivrauchens (§ 1 NSG) ein zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenes (§ 9 Abs. 1 NSG) Verbot des Tabakrauchens in Gebäuden und sonstigen vollständig umschlossenen Räumen von Gaststätten im Sinne des § 2 Nr. 9 NSG vor. § 4 Satz 2 NSG erlaubt Gaststättenbetreibern abweichend von § 3 NSG in der Gaststätte abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestattet ist. Voraussetzung hierfür ist nach § 4 Satz 3 NSG eine derartig räumlich wirksame Abtrennung, dass eine Gefährdung durch passives Rauchen verhindert wird und diese Räume ausdrücklich als Raucherräume gekennzeichnet werden. Abweichend von vergleichbaren Regelungen anderer Bundesländer steht es dabei den Betreibern frei, welchen Raum sie als Raucherraum deklarieren.
{RN:3}
Gemäß § 7 NSG stellen Verstöße gegen das Rauchverbot, gegen Hinweispflichten bezüglich des Verbots und die u. a. den Gaststättenbetreiber treffende Pflicht, Verstöße gegen das Verbot zu unterbinden bzw. zu verhindern, mit Wirkung zum 1. Juli 2008 (§ 9 Abs. 2 NSG) bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten dar.
{RN:4}
Die Antragstellerin sieht sich hierdurch in ihrer Freiheit der Berufsausübung, dem Eigentumsgrundrecht und dem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Die von ihr betriebene Ein-Raum-Gaststätte wird nach ihren Angaben zu ca. 90 % von Stammgästen besucht, die zu 90 % Raucher sind.
{RN:5}
Die Antragstellerin macht geltend, dass eine Umfrage der IHK Halle/Dessau im ersten Quartal 2008, an der sich 100 Gastwirte beteiligt haben, einen Umsatzrückgang von mehr als 10% ergeben habe. Für sie, die bislang das Rauchverbot gegenüber ihren Gästen nicht durchgesetzt habe, bedeute bereits ein Umsatzrückgang in einer solchen Größenordnung den Ruin. Sie wäre dann nicht mehr in der Lage, ihre vertraglichen Pflichten aus Miet- und Bierlieferverträgen zu erfüllen. In der näheren Umgebung der Gaststätte bestünden etwa 20 Gaststätten, die die Möglichkeit hätten, durch Umbau Raucherräume einzurichten. Zudem verfüge sie als einzige Gaststätte in der kleinen Ulrichstraße nicht über einen Biergarten.
{RN:6}
Die Beteiligten haben gemäß § 31 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über das Landes¬ver¬fassungsgericht vom 23.08.1993 (GVBl. LSA S. 441), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung der Organisation der Gerichte an die Kreisgebiets¬neuregelung vom 19.04.2007 (GVBl. LSA S. 142) – LVerfGG –, Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
{T:II.}
{RN:7}
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
{RN:8}
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum inhaltsgleichen § 32 BVerfGG, die das Landesverfassungsgericht auch für § 31 LVerfGG-LSA teilt (LVerfG, Beschl. v. 04.07.1995 - LVG 8/95 - LVerfGE 3, 257 [260]; Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 390 f.) ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein stren¬ger Maßstab anzulegen; das gilt besonders, wenn das Inkrafttreten eines vom Lan¬desparlament beschlossenen Gesetzes verhindert werden soll.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in einem solchen Verfassungsrechtsstreit bedeutet einen Eingriff des Gerichts in die Funktionen der Legislative und Exekutive, bevor die mit dem Antrag zur Hauptsache anhängig gemachte Rechtsfrage ent¬schieden ist. Ein Verfassungsgericht darf deshalb von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (LVerfG Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 391); BVerfG, Urt. v. 10.07.1990 - 2 BvR 470, 650, 707/90 -, BVerfGE 82, 310 [313]), ist doch der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetz¬gebers. Nur dann darf deshalb ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seinem Inkrafttreten bei späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfas¬sungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten. Die Anrufung eines Verfassungsge¬richts darf nicht zu einem Mittel werden, mit dem im Gesetzgebungsverfahren unter¬legene Beteiligte das Inkrafttreten des Gesetzes verzögern können (BVerfG, Urt. v. 11.07.2001, - 1 BvQ 23/01 -, Absatz-Nr. (1-36) http://www.bverfg.de).
{RN:9}
Dabei haben die Gründe, welche die Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften anführen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 391; BVerfG, Beschl. v. 24.07.1957 - 1 BvL 23/52 -, BVerfGE 7, 89, [104]). Die einstwei¬lige Anordnung kann gerade deshalb nötig werden, weil dem Gericht die zur gewis¬senhaften und umfassenden Prüfung der für die Entscheidung der Hauptsache er¬heblichen Rechtsfragen erforderliche Zeit fehlt. Es wäre dann nicht angängig, den Erlass einer einstweiligen Anordnung von etwas Ungewissem, der summarischen Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.04.1983 - 1 BvQ 866, 890/82 -, BVerfGE 64, 46 [70]).
{RN:10}
Bei offenem Ausgang eines noch möglichen Verfahrens in der Hauptsache muss das Landesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
{RN:11}
Wirtschaftliche Einbußen selbst empfindlichen Ausmaßes, die ein von der gesetzlichen Regelung Betroffener erleidet, stellen regelmäßig keinen solchen qualifizierten Nachteil dar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.1956 – 1 BvR 190/56 - BVerfGE 6, 1 <4>; Urt. v. 13.11.1957 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 175, <179>). Eine Aussetzung kommt bei Eingriffen in die Berufsfreiheit nur in Betracht, wenn diese ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in ihrem Kern bedroht ist. Das ist nur der Fall, wenn eine existentielle Gefährdung bereits für die Zeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren unmittelbar droht. Dafür trägt der Antragsteller die Darlegungslast; er muss drohende, existenzvernichtende Einbußen – soweit ihm möglich – bereits im Eilverfahren glaubhaft machen (siehe auch VerfGH Bln, Beschl. v. 11.06.2008, - 65 A/08 - nach juris).
{RN:12}
Gemessen hieran kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen.
{RN:13}
Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen nicht. Insbesondere ist die Antragstellerin, wie bei gegen Akte der Rechtssetzung gerichteten Verfassungsbeschwerden erforderlich (vgl. LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 390), durch die angegriffene gesetzliche Regelung als Gastwirtin selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
{RN:14}
Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Das gesetzliche Verbot des Tabakrauchens in Gaststätten greift in die von Art. 16 der Verfassung von Sachsen-Anhalt – LVerf - vom 16.07.1992 (GVBl.LSA S. 600) zuletzt geändert durch § 1 ÄndG vom 27.01.2005 (GVBl. LSA S. 44) - geschützte Freiheit der Berufsausübung (vgl. hierzu LVerfG Urteil vom 26.06.2007 – LVG 9/06 – Rz. 51, 98 ff.) der Gastwirte ein. Eine solche Regelung muss durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, geeignet und erforderlich sein sowie bei einer Gesamtabwägung zwischen Eingriffsintensität und -rechtfertigung die Grenze der Zumutbarkeit wahren. Ob das Nichtraucherschutzgesetz diesen Anforderungen unter Berücksichtigung der Ausnahmemöglichkeiten nach § 4 S. 2 NSG in Bezug auf Ein-Raum-Gaststätten, die wie diejenige der Antragstellerin nur über einen Gast- und Schankraum verfügen, gerecht wird, bedarf der näheren Prüfung im anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren.
{RN:15}
Die danach gebotene Folgenabwägung fällt indes schon deshalb zu Ungunsten der Antragstellerin aus, weil sie derart schwere Nachteile, die den Erlass der einstweiligen Anordnung bei Anlegung des - wie aufgezeigt - besonders strengen Prüfungsmaßstabs unabweisbar erscheinen ließen, in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt bis zum Erlass der Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht hinreichend dargelegt und belegt hat.
{RN:16}
Hierzu genügt es nicht, dass die Antragstellerin lediglich Absichtbekundungen von Gästen sowie allgemeine Darlegungen der Betriebskosten geltend macht und auf landesweit ermittelte Zahlen (hier der IHK Halle/Dessau) verweist. Das gilt umso mehr, als die kürzlich veröffentlichen Daten des Statistischen Bundesamtes zur Umatzentwicklung im Gaststättengewerbe (Pressemitteilung Nr. 207 des Statistischen Bundesamtes vom 06.06.2008) einen bereits vor Verabschiedung der Nichtraucherschutzgesetze beobachtbaren Umsatzrückgang ausweisen, der in besonderer Art und Weise die Schankwirtschaften betrifft. Es ist deshalb äußerst schwierig, festgestellte Umsatzrückgänge im ersten Quartal 2008 ausschließlich oder vorrangig auf den Nichtraucherschutz zurückzuführen. Vielmehr könnten auch die bekannten Steigerungen der allgemeinen Lebenshaltungskosten auf Grund gestiegener Mehrwertsteuer und Energiekosten den Ausschlag dafür gegeben haben. In einer solchen Situation gebietet es der Respekt vor dem Gesetzgeber umso mehr, dessen Entscheidung nur dann in Frage zu stellen, wenn der behauptete schwerwiegende Nachteil so konkret und verlässlich, wie im Eilverfahren möglich, glaubhaft gemacht ist. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der in wenigen Wochen zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache eine drohende Existenz¬vernichtung gerade in diesem kurzen Zeitraum nicht festgestellt werden kann.
{RN:17}
Das Landesverfassungsgericht kann daher nicht feststellen, dass die von der Antragstellerin behaupteten schwerwiegenden Nachteile tatsächlich eingetreten sind und ihr die Vernichtung der beruflichen Existenz – gerade als Folge des gesetzlichen Rauchverbots – bis zur in Kürze anstehenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde droht.
{RN:18}
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 32 LVerfGG.
{RN:19}
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 31 Abs. 3 S. 2 LVerfG).