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Beschluss des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 14/94 Entscheidungsart: Beschluss Entscheidung vom: 10.06.1994
Verfahrensart Verfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften LSA-Verf Art. 7 Abs 1
LSA-Verf Art. 8 Abs 1
LSA-Verf Art. 42 Abs 1
LSA-Verf Art. 75 Nr 6
LSA-Verf Art. 89
LSA-Verf Art. 91 Abs 2
LSA-VerfGG § 2 Nr 7
LSA-VerfGG § 31 Abs 1
LSA-VerfGG § 41
LSA-VerfGG § 47
LSA-VerfGG § 49
LSA-VerfGG § 50
LSA-GO § 31
LSA-GO § 40 Abs 1 Nr 1 c
LSA-GO § 40 Abs 1 Nr 2 a
LSA-GO § 40 Abs 1 Nr 2 b
LSA-GO § 59 Abs 1 S 3
LSA-GO §§ 75 ff
LSA-GO § 86 Abs 3 S 1
LSA-LKO § 29 Abs 1 Nr 2
LSA-LKO § 31 Abs 4
LSA-LKO § 48 Abs 1
Schlagworte Verfassungsrecht, verletztes - Ineligibilität - Unvereinbarkeit - Wählbarkeit - Gleichheitssatz, individueller - Gleichheitssatz, staatsbürgerlicher - Gruppe - Kommunalwahl - System - Gemeindeverwaltung - Verwaltung im gemeinsamen Verwaltungsamt - Verwaltungsgemeinschaft - Teil-Nichtigkeit - Übergangsregelung - Folgenabwägung
Stichworte Beschluss
Leitsatz Zur Folgenabwägung beim Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Fundstellen nicht veröffentlicht
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Beschluss vom 10.06.1994 - LVG 14/94 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Beschluss

in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 14/94

Tenor:

Der Vollzug des § 40 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a) und des § 59 Absatz 1 Satz 3 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVBl, S. 568) i. d. F. des Art. 4 Nrn. 7 und 10 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl, S. 164 [167]) wird vorläufig ausgesetzt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Dem Antragsteller werden die notwendigen Auslagen erstattet, die für dieses Anordnungsverfahren entstanden sind.

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(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
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Gründe

I

{RN:1}
Der Beschwerdeführer ist als Angestellter der Kreisverwaltung ... Hauptsachbearbeiter im Sozialamt - Amt für Ausbildungsförderung -. Er ist (ehrenamtlicher) Bürgermeister in seiner Wohnsitzgemeinde, die zum Landkreis ... gehört, und kandidiert bei den Kommunalwahlen vom 12.6.1994 erneut, wie sich auf Rückfrage ergeben hat.

{RN:2}
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt er, §§ 40, 59 LSA-GO verletzten ihn in seinem Wahlrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfassungsbeschwerde Bezug genommen.

{RN:3}
§ 59 Abs. 1 S. 3 LSA-GO erklärt unter Hinweis auf § 40 Abs. 1 LSA-GO die Ausübung des Amts als Bürgermeister für unvereinbar mit bestimmten Tätigkeiten u. a. in den Gemeinden, Verwaltungsämtern und Landkreisen; § 40 Abs. 1 LSA-GO regelt die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Gemeinderat mit Tätigkeiten u. a. in der Gemeinde- und Kreisverwaltung.

{RN:4}
Der Minister des Innern hat sich am 9.6.1994 geäußert; auf seine Stellungnahme wird verwiesen.

{RN:5}
II
Der Beschluss beruht auf § 31 Abs. 1 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes vom 23.8.1993 (LSA-GVBl, S. 441) - LSA-VerfGG -; denn der Verfassungsbeschwerde ist zu entnehmen, dass der Antragsteller eine vorläufige Klärung nicht nur für seine Kandidaturentscheidung, sondern auch noch gegenwärtig - für den Fall seiner Wiederwahl - erreichen will.

{RN:6}
Als schwerwiegender Nachteil i. S. dieser Vorschrift hat zu gelten, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Wahl mit Rücksicht auf die Bedeutung seines Berufs gezwungen sein könnte, das Amt nicht anzunehmen, ohne diese Entscheidung später rückgängig machen zu können, falls sich die Verfassungswidrigkeit der §§ 40, 59 LSA-GO herausstellen sollte. Umgekehrt kann er seine Entscheidung für Amt oder Mandat jederzeit noch treffen, wenn sich die Verfassungsbeschwerde als unbegründet herausstellen sollte oder wenn der Gesetzgeber bei Änderung der Vorschriften eine ähnliche Regelung trifft.

{RN:7}
Der Beschwerdeführer ist durch die gesetzliche Regelung unmittelbar betroffen; die Entscheidung des Gesetzgebers entfaltet Vorwirkungen. Bereits für die Kandidatenaufstellung wird von Gewicht sein, dass sich der Bewerber wegen seiner hauptberuflichen Tätigkeit in der Verwaltung entscheiden muss, ob er sich überhaupt der Wahl stellt; denn es ist von politischer Bedeutung, die Wahl nicht anzunehmen, wenn man das Vertrauen der Wähler(innen) gefunden hat.

{RN:8}
An der Verfassungsmäßigkeit des gegenwärtigen § 40 Abs. 1 LSA-GO, auf den sich § 59 Abs. 1 LSA-GO in seiner geänderten Fassung bezieht, bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

{RN:9}
Art. 89 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-Verf - vom 16.7.1992 (LSA-GVBl, S. 600) verlangt entsprechend dem Gebot des Art. 28 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes - GG -, dass die Volksvertretung in den Kommunen aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgegangen ist. Ausnahmen hiervon sind entsprechend Art. 137 Abs. 1 GG nach Art. 91 Abs. 2 LSA-Verf nur insoweit zulässig, als die Wählbarkeit von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes sowie von Richtern durch Gesetz beschränkt werden kann.


{RN:10}
Wie das Bundesverfassungsgericht für die bundesrechtlichen Vorschriften klargestellt hat, ist der Gestaltungsraum des Gesetzgebers für Ausnahmeregelungen eng; grundsätzlich hat jeder Gemeindebürger, welcher die Grundvoraussetzungen der Wählbarkeit erfüllt, das Recht, sich wählen zu lassen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 4.4.1978 - 2 BvR 1108/77 -, BVerfGE 48, 64 [81]). Die Ausnahmeregelungen dürfen demnach nur den Zweck verfolgen, Interessenkollisionen auszuschließen, die mit anderen Mitteln nicht oder nur schwer zu vermeiden sind (BVerfGE 48, 64 [89]; BVerfG, Beschl. v. 6.10.1981 - 2 BvR 384/81 -, BVerfGE 58, 177 [193]). Unabhängig von dieser Zweckbestimmung dürfen sie in der Sache den Grundsatz der Wahlgleichheit nicht verletzen (BVerfGE 58, 177 [193]).

{RN:11}
Überwiegendes spricht dafür, diese bundesrechtlichen Grundsätze als bindenden Inhalt auch der Landesverfassung anzusehen. Dem Grundsatz der Wahlgleichheit wird nicht mehr genügt, weil die Differenzierungen des § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a) und b) LSA-GO in der Sache gleiche Sachverhalte ungleich behandeln. Indem § 40 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) LSA-GO auf § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) LSA-GO verweist, erstreckt die Vorschrift die ungleiche Behandlung von Gemeinde- und Verwaltungsamts-Bediensteten auf das Verhältnis zwischen Verwaltungsamt und Kreisverwaltung.

{RN:12}
Bei einer Verwaltungsgemeinschaft übernimmt diese durch ihr gemeinsames Verwaltungsamt die Verwaltungsaufgaben der Gemeinde im übertragenen und - soweit dies bestimmt ist - auch im eigenen Wirkungskreis (vgl. gegenwärtig §§ 5 und 9 des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit - GKG-LSA - [= Art. I des Gesetzes vom 9.10.1992 <LSA-GVBl, S. 730>, geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 3.2.1994 <LSA-GVBl, S. 164>; vgl. ferner künftig §§ 77, 81 LSA-GO). Die Stellung der Mitarbeiter "in der Verwaltung" und das Verhältnis zur Vertretungskörperschaft der Mitgliedsgemeinde ist aber im Fall eines Verwaltungsamts nicht gravierend anders als im Fall der eigenständigen Gemeindeverwaltung. Unterschiede bestehen allein dann, wenn das Verwaltungsamt ausschließlich Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises erfüllt, weil in solchen Fällen die Kollisionen geringer erscheinen mögen; denn die staatlichen Aufgaben werden weitgehend ohne Beteiligung der Vertretungskörperschaft wahrgenommen.

{RN:13}
§ 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) LSA-GO erklärt (übergangsweise, aber mit Bedeutung für diese Wahlperiode) nur die Tätigkeit von Leitern der Verwaltungsämter für unvereinbar mit Ehrenämtern in der Gemeinde, während § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und dementsprechend auch Nr. 2 Buchst. a) LSA-GO alle Mitarbeiter der Verwaltung einbeziehen und Ausnahmen nur für Beamte und Angestellte in bestimmten Einrichtungen und in den Eigenbetrieben der Kommunen zulassen.

{RN:14}
§ 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) LSA-GO differenziert nicht danach, in welchem Umfang der Verwaltungsgemeinschaft Aufgaben des eigenen Wirkungskreises übertragen worden sind, sondern lässt Verwaltungstätigkeit und Mitgliedschaft in der Gemeindevertretung sogar dann zu, wenn sämtliche Aufgaben des eigenen Wirkungskreises vom Verwaltungsamt wahrgenommen werden und damit gleiche Verhältnisse bestehen wie im Fall des § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) LSA-GO.

{RN:15}
Indem § 40 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) LSA-GO die für Gemeinden geltende Regelung auf die unteren Kommunalaufsichtsbehörden und damit die Angestellten der Kreisverwaltung überträgt, differenziert er ungleich zwischen einerseits Gemeinde- und Kreisverwaltungen und andererseits Verwaltungen der Verwaltungsgemeinschaften im gemeinsamen Verwaltungsamt.

{RN:16}
Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 LSA-VerfGG.
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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.