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Beschluss des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 3/08 Entscheidungsart: Beschluss Entscheidung vom: 30.06.2008
Verfahrensart Verfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften
Schlagworte
Stichworte Beschluss
Leitsatz Zur Folgenabwägung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Vollzug des Nichtraucherschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt
Fundstellen -
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Beschluss vom 30.06.2008 - LVG 3/08 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Beschluss

in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 3/08


Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


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(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
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{T:Gründe}
{T:I.}
{RN:1}
Die Antragsteller wenden sich im Hauptsacheverfahren als Betreiber von Diskotheken mit einer noch nicht beschiedenen Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzliche Verbot des Tabakrauchens in Diskotheken. Mit dem am 23.06.2008 gestellten Eilantrag erstreben sie eine vorläufige Aussetzung des Verbots, soweit es den Betrieb einer Diskothek betrifft.
{RN:2}
§ 3 des Gesetzes zur Wahrung des Nichtraucherschutzes im Land Sachsen-Anhalt (Nicht-raucherschutzgesetz - NSG) vom 19.12.2007 (GVBl. LSA S. 464) sieht zum Zweck des Schutzes der Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren des Passivrauchens (§ 1 NSG) ein zum 01.01.2008 in Kraft getretenes (§ 9 Abs. 1 NSG) Verbot des Tabakrauchens in Gebäu-den und sonstigen vollständig umschlossenen Räumen von Gaststätten im Sinne des § 2 Nr. 10 NSG vor. Während § 4 Satz 2 NSG Gaststättenbetreibern abweichend von § 3 NSG er-laubt, in der Gaststätte abgeschlossene Räume einzurichten, in denen das Rauchen gestat-tet ist, sieht das Gesetz für Diskotheken eine solche Gestaltungsmöglichkeit nicht vor.
{RN:3}
Gemäß § 7 NSG stellen Verstöße gegen das Rauchverbot, gegen Hinweispflichten bezüglich des Verbots und die u. a. den Gaststättenbetreiber treffende Pflicht, Verstöße gegen das Verbot zu unterbinden bzw. zu verhindern, mit Wirkung zum 01. 07.2008 (§ 9 Abs. 2 NSG) bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten dar.
{RN:4}
Die Antragsteller sehen sich hierdurch in ihrer Freiheit der Berufsausübung, dem Eigentums-grundrecht und dem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Die von ihnen betriebenen Disko-theken werden nach ihren Angaben, die sich auf eine dokumentierte Umfrage unter den Be-suchern der Diskotheken stützen, zu ca. 80 % von Stammgästen besucht, die Raucher sind. Etwa 80 % der befragten Raucher und ca. 40 % der befragten Nichtraucher haben bei der Befragung erklärt, dass sie die jeweilige Diskothek im Falle eines Rauchverbotes nicht mehr besuchen werden.
{RN:5}
Die Antragsteller machen geltend, dass sich aus den von ihnen vorgelegten Übersichten zur Umsatzentwicklung bei der Antragstellerin zu 2 im Jahr 2008 im Vergleich zum gleichen Zeit-raum des Vorjahres ein Umsatzrückgang in einer Größenordnung von 25% abzulesen sei. Für die beiden anderen Betriebe liegen entsprechende Zahlen nicht vor. Die Einbußen resul-tierten zum einen aus der Abwanderung der Gäste in andere Bundesländer, bei denen in Diskotheken kein absolutes Rauchverbot statuiert sei. Hinzu komme, dass durch das Rauch-verbot viele Gäste einen Teil der Zeit im Freien verbringe, wodurch der Umsatz ebenfalls vermindert werde. Der Rückgang der Besucherzahlen habe schließlich einen Sogeffekt, da eine halbleere Diskothek nicht mehr attraktiv sei. Insgesamt drohten den Antragstellern damit erhebliche wirtschaftliche Nachteile.
{RN:6}
Die Beteiligten haben gemäß § 31 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über das Landesverfassungs-gericht vom 23.08.1993 (GVBl. LSA S. 441) zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung der Organisation der Gerichte an die Kreisgebiets¬neuregelung vom 19.04.2007 (GVBl. LSA S. 142) – LVerfGG – Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

{T:II.}
{RN:7}
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
{RN:8}
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum inhalts-gleichen § 32 BVerfGG, die das Landesverfassungsgericht auch für § 31 LVerfGG-LSA teilt (LVerfG, Beschl. v. 04.07.1995 - LVG 8/95 - LVerfGE 3, 257 [260]; Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 390 f.) ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein stren¬ger Maßstab anzulegen; das gilt besonders, wenn das Inkrafttreten ei-nes vom Landesparlament beschlossenen Gesetzes verhindert werden soll.
{RN:9}
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in einem solchen Verfassungsrechtsstreit bedeutet einen Eingriff des Gerichts in die Funktionen der Legislative und Exekutive, bevor die mit dem Antrag zur Hauptsache anhängig gemachte Rechtsfrage ent¬schieden ist. Ein Verfas-sungsgericht darf deshalb von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 391); BVerfG, Urt. v. 10.07.1990 - 2 BvR 470, 650, 707/90 -, BVerfGE 82, 310 [313]), ist doch der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetz¬gebers. Nur dann darf deshalb ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seinem Inkrafttreten bei späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfas¬sungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten. Die Anrufung eines Verfas-sungsge¬richts darf nicht zu einem Mittel werden, mit dem im Gesetzgebungsverfahren unter¬legene Beteiligte das Inkrafttreten des Gesetzes verzögern können (BVerfG, Urt. v. 11.07.2001, - 1 BvQ 23/01 -, Absatz-Nr. (1-36) http://www.bverfg.de).
{RN:10}
Dabei haben die Gründe, welche die Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegrif-fenen Vorschriften anführen, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 391]; BVerfG, Beschl. v. 24.07.1957 - 1 BvL 23/52 -, BVerfGE 7, 89, [104]). Die einstweilige Anordnung kann gerade deshalb nötig wer-den, weil dem Gericht die zur gewis¬senhaften und umfassenden Prüfung der für die Ent-scheidung der Hauptsache er¬heblichen Rechtsfragen erforderliche Zeit fehlt. Es wäre dann nicht angängig, den Erlass einer einstweiligen Anordnung von etwas Ungewissem, der summarischen Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13. 04.1983 - 1 BvQ 866, 890/82 -, BVerfGE 64, 46 [70]).
{RN:11}
Bei offenem Ausgang eines noch möglichen Verfahrens in der Hauptsa¬che muss das Landesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anord-nung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachtei-len abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
{RN:12}
Wirtschaftliche Einbußen selbst empfindlichen Ausmaßes, die ein von der gesetzlichen Re-gelung Betroffener erleidet, stellen regelmäßig keinen solchen qualifizierten Nachteil dar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.1956 – 1 BvR 190/56 - BVerfGE 6, 1 <4>; Urt. v. 13.11.1957 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 175, <179>). Eine Aussetzung kommt bei Eingriffen in die Berufsfreiheit nur in Betracht, wenn diese ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in ihrem Kern bedroht ist. Das ist nur der Fall, wenn eine existentielle Gefährdung bereits für die Zeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren unmittelbar droht. Dafür trägt der Antragsteller die Darlegungslast; er muss drohende, existenzvernichtende Einbußen – soweit ihm möglich – bereits im Eilverfahren glaubhaft machen (siehe auch VerfGH Bln, Beschl. v. 11.06.2008, - 65 A/08 - nach juris).
{RN:13}
Gemessen hieran kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen.
{RN:14}
Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen nicht. Insbesonde-re sind die Antragsteller, wie bei gegen Akte der Rechtssetzung gerichteten Verfassungsbe-schwerden erforderlich (vgl. LVerfG, Beschl. v. 24.07.2001 – LVG 7/01 – LVerfGE 12, 387 &#61531;390&#61533;), durch die angegriffene gesetzliche Regelung als Betreiber von Diskotheken selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
{RN:15}
Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Das gesetzli-che Verbot des Tabakrauchens in Diskotheken greift in die von Art. 16 der Verfassung von Sachsen-Anhalt – LVerf - vom 16.07.1992 (GVBl.LSA S. 600) zuletzt geändert durch § 1 ÄndG vom 27.01.2005 (GVBl. LSA S. 44) - geschützte Freiheit der Berufsausübung (vgl. hierzu LVerfG, Urt. v. 26.06.2007 – LVG 9/06 – Rz. 51, 98 ff.) der Gastwirte ein. Eine solche Regelung muss durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, geeignet und erforderlich sein sowie bei einer Gesamtabwägung zwischen Eingriffsintensität und -rechtfertigung die Grenze der Zumutbarkeit wahren. Ob das Nichtraucherschutzgesetz die-sen Anforderungen gerecht wird, bedarf der näheren Prüfung im anhängigen Verfassungs-beschwerdeverfahren.
{RN:16}
Die danach gebotene Folgenabwägung fällt indes schon deshalb zu Ungunsten der Antragsteller aus, weil sie derart schwere Nachteile, die den Erlass der einstweiligen Anord-nung bei Anlegung des - wie aufgezeigt - besonders strengen Prüfungsmaßstabs unab-weisbar erscheinen ließen, in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt bis zum Erlass der Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht hinreichend dargelegt und belegt haben.
{RN:17}
Hierzu genügt es nicht, auf durch Umfragen ermittelte Absichtsbekundungen sowie allge-meine Zahlen zur Umsatzentwicklung bei einem Betreiber zu verweisen. Es ist schon äu-ßerst schwierig, die vorgetragenen Umsatzrückgänge beim Betrieb der Antragstellerin zu 2. im ersten Quartal 2008 ausschließlich oder vorrangig auf den Nichtraucherschutz zurückzu-führen. In einer solchen Situation gebietet es der Respekt vor dem Gesetzgeber umso mehr, dessen Entscheidung nur dann in Frage zu stellen, wenn der behauptete schwerwiegende Nachteil so konkret und verlässlich, wie im Eilverfahren möglich, glaubhaft gemacht ist. Hin-zu kommt, dass ein Umsatzrückgang in der vorgetragenen Höhe nicht mit einer Existenzver-nichtung gleichzusetzen ist, was die Antragsteller deshalb in der Antragsschrift auch nicht geltend gemacht haben. Es ist daher auch nicht damit zu rechnen, dass im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache ein irreversibler wirtschaftlicher Schaden droht.
{RN:18}
Das Landesverfassungsgericht kann daher nicht feststellen, dass die von den Antragstelle-rinnen behaupteten schwerwiegenden Nachteile tatsächlich eingetreten sind und ihnen die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz – gerade als Folge des gesetzlichen Rauchverbots – bis zur in Kürze anstehenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde droht.
{RN:19}
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 32 LVerfGG.
{RN:13}
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 31 Abs. 3 S. 2 LVerfGG).


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