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Beschluss des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 10/08 Entscheidungsart: Beschluss Entscheidung vom: 13.01.2009
Verfahrensart Verfahrensrecht
entscheidungserhebliche Vorschriften LVerf Art. 75 Nr.6
LVerfGG § 21 (1)
Schlagworte
Stichworte Beschluss
Leitsatz Zulässiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 75 Nr. 6 der Landesverfassung kann nur ein gesetzgeberisches Tun, nämlich der Erlass eines (förmlichen) Landesgesetzes sein.
Fundstellen -
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Beschluss vom 13.01.2009 - LVG 10/08 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Beschluss

in dem Verfahrensrechtverfahren

LVG 10/08

Beschluss vom 13.01.2009
(Landesjagdgesetz für Sachsen-Anhalt (JagdG-LSA) vom 23.07.1991 (GVBl. LSA S. 186).

Die gegen gesetzgeberisches Unterlassen gerichtete Verfassungsbeschwerde ist nicht zu-lässig und deshalb gem. § 21 Abs. 1 LVerfGG zu verwerfen.

{RN:1}
Der Beschwerdeführer zielt mit seiner Verfassungsbeschwerde darauf ab, den Landesge-setzgeber zu einer „Nachbesserung“ der Regelungen im Landesjagdgesetz zu verpflichten, um auf diese Weise die Freistellung von in seinem Eigentum stehenden Grundstücken von der Einbeziehung in eine Jagdgenossenschaft zu ermöglichen. Zur Begründung beruft er sich dabei auf die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-rechte, die bei der Auslegung und Anwendung der Grundrechte der Landesverfassung zu berücksichtigen sei.
{RN:2}
Die durch Art. 75 Nr. 6 der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt in Verbindung mit §§ 47 ff. des Landesverfassungsgerichtsgesetzes geregelte Verfassungsbeschwerde ist an-ders als die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG vor dem Bundesverfas-sungsgericht auf die Geltendmachung der Verletzung in Grundrechten und grundrechtsglei-chen Rechten durch ein Landesgesetz beschränkt. Dieser Wortlaut legt es nahe, dass nur gesetzgeberisches Tun, nämlich der Erlass eines (förmlichen) Landesgesetzes, zulässiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht sein kann (LVerfG, Beschluss v. 02.03.2003 - LVG 9/03 – Rdnr. 12 f.).
Die Entscheidung des Verfassungsgebers von Sachsen-Anhalt, die Individualverfassungs-beschwerde auf die Fälle der unmittelbaren Beeinträchtigung von Grundrechten durch förm-liche Landesgesetze zu beschränken und damit insbesondere die so genannte Urteilsverfas-sungsbeschwerde auszuschließen, die bei den Verfahren vor dem Bundesverfassungsge-richt die weitaus größte Zahl der Individualverfassungsbeschwerden ausmacht, war durch die Überlegung geleitet, die Arbeitsbelastung des Landesverfassungsgerichts zu begrenzen und damit seinem Charakter als einem Gericht mit nebenamtlich tätigen Richtern gerecht zu werden (Kilian, Das Landesverfassungsgericht, in: ders. Hrsg., Verfassungshandbuch Sachsen-Anhalt. 2004, S. 450 486; von Pestalozza, Das Landesverfassungsgericht von Sachsen-Anhalt, LKV 1994, S. 11 14). Zudem sollte dem Bürger in Fällen, in denen Lan-desgesetze ohne Zwischenschaltung von weiteren Maßnahmen der Exekutive in Grundrech-te eingreifen, der direkte Weg zum Landesverfassungsgericht eröffnet werden. Nur so konn-te auf Landesebene ein wirksamer und umfassender Rechtsschutz gegenüber grundrechts-beschränkenden Landesgesetzen gewährleistet werden. In allen anderen Fällen, in denen die Anwendung des Gesetzes auf konkretisierende Maßnahmen der Exekutive angewiesen ist, steht dem Bürger nach Art. 21 Abs. 1 LVerf gerichtlicher Rechtsschutz gegenüber diesen Akten offen, der im Wege der konkreten Normenkontrolle gem. Art. 75 Nr. 5 LVerf auch die Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen des Verwaltungshandelns auf ihre Vereinbarkeit mit der Landesverfassung einschließt (Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 75, Rdnr. 6; Kilian, a.a.O., S. 450 484; siehe zu den Vorau-setzungen auch LVerfG, Urteil v. 15.01.2002 – LVG 3, /5/01 – Rdnr. 21 ff.). Vor diesem Hin-tergrund erscheint es naheliegend, dass auch die Fälle, in denen vor dem Bundesverfas-sungsgericht ein gesetzgeberisches Unterlassen mit der Individualverfassungsbeschwerde angegriffen werden kann, von Art. 75 Nr. 6 LVerf nicht erfasst sind. Zwar wäre damit nach den entsprechenden Erfahrungen mit der Individualverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG keine deutliche Steigerung der Arbeitsbelastung verbunden, da nur in sel-tenen Ausnahmefällen ein gesetzgeberisches Unterlassen Anlass für eine Individualverfas-sungsbeschwerde bietet. Da in diesen Fällen der bestehende Rechtsschutz vor dem Bun-desverfassungsgericht in Anspruch genommen werden kann, so dass es nicht zu einer Rechtsschutzlücke kommt, besteht insoweit aber kein Anlass, über den deutlich auf eine Be-schränkung auf positives gesetzgeberisches Handeln verweisenden Wortlaut hinauszuge-hen. Es ist dem Beschwerdeführer überdies unbenommen, sich mit seinem Begehren an das Bundesverfassungsgericht zu wenden.
{RN:3}
Aber auch dann, wenn man davon ausgehen würde, dass eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 6 Verf-LSA sich gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen richten kann, wäre die Verfassungsbeschwerde im vorliegenden Fall nicht zulässig.
{RN:4}
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine auf die mögliche Verletzung von Grundrechten gestützte Verfassungsbeschwerde, mit der ein gesetzgeberi-sches Unterlassen geltend gemacht wird, voraus, dass ein subjektives öffentliches Recht auf gesetzgeberisches Handeln unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden kann (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 706 ff.). Dies ist ausnahmsweise nur dann der Fall, wenn sich aus der Verfassung ein expliziter Handlungs-auftrag ergibt, wie im Falle des Art. 6 Abs. 5 GG, oder ein grundrechtlicher Schutzanspruch besteht (BVerfG, Beschluss v. 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 [214] - C-Waffen; Beschluss v. 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174, [201 f.] - Verkehrslärm; zum Verhältnis von grundrechtlichen Schutzanspruch und grundrechtlicher Schutzpflicht vgl. Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem herausgearbeitet, dass eine grundsätzlich bestehende Schutzpflicht nur dann verletzt wird, wenn der Gesetzgeber völlig untätig geblieben ist oder die getroffenen Maßnahmen offensichtlich gänzlich ungeeignet oder unzureichend sind (BVerfG, Beschluss v. 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174, [202]).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Es ist bereits zweifelhaft ob im vor-liegenden Fall überhaupt eine grundrechtliche Schutzpflicht besteht, die über den normalen abwehrrechtlichen Gehalt des Eigentumsgrundrechts und des Grundrechts der Gewissens-freiheit hinausgeht. Selbst wenn man eine solche Schutzpflichtenkonstellation unterstellt, weil durch die Ausübung des gesetzlich eingeräumten Jagdrechts durch die Jagdberechtig-ten die Gewissensfreiheit des Beschwerdeführers tangiert wird, so liegt weder ein Fall voll-ständiger Untätigkeit vor, noch ist von einer völligen Untauglichkeit oder Unwirksameit der Maßnahmen auszugehen.
Der Landesgesetzgeber hat im Rahmen des durch den Bundesgesetzgeber eröffneten Ges-taltungsspielraums bei der Ausgestaltung der Vorschriften über die befriedeten Bezirke in § 7 JagdG LSA die Interessen der Grundstückseigentümer berücksichtigt. Damit liegt jedenfalls kein Fall vollständiger gesetzgeberischer Untätigkeit vor. Die getroffenen Regelungen sind auch nicht völlig ungeeignet, um den besonderern Interessen einzelner Grundstückseigen-tümer Rechnung zu tragen. Wie das Bundesverfassungsgericht in einem Kammerbeschluss vom 13.12.2006 (BVerfG, 1 BvR 2084/05, DVBl. 2007, 489) festgestellt hat, können weder aus dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG bzw. Art. 18 LVerf) noch aus dem Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 GG bzw. Art. 9 LVerf) weiter gehende Ausnahmen der Einbezie-hung von Grundstücken in Jagdgenossenschaften abgeleitet werden, da ansonsten die ge-setzgeberische Grundkonzeption und die mit ihr verfolgten gemeinwohlbezogenen Zielset-zungen (Schutz vor Wildschäden durch Ausgestaltung der Hege unter gleichzeitiger Berück-sichtigung der Belange des Tierschutzes) in Frage gestellt würden. Diese Würdigung des bundesgesetzgeberischen Interessenausgleichs, die den gesetzlichen Rahmen für die Rege-lungen des Landesgesetzgebers darstellt, ist auch für die Beurteilung durch das Landesver-fassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 3 GG maßgeblich.
1.2.2. Die neuere Rechtsprechung des EGMR, mit der sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 13.12.2006 in der Sache bereits ausführlich befasst hat (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 21 ff.), obwohl die Entscheidung des EGMR in der Sache Schneider ./. Luxemburg erst zu einem späteren Zeitpunkt ergangen ist, hat nicht die Begründung einer neuen, weiter reichenden gesetzgeberischen Schutz- und Handlungspflicht zur Folge.
Eine Berufung auf die Berücksichtigung der EMRK bzw. der diese interpretierenden Recht-sprechung des EGMR bei der Auslegung von Landesgrundrechten kann nicht isoliert, son-dern nur im Rahmen einer ansonsten zulässigen Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die geltend gemachte Grundrechtsbeein-trächtigung des Beschwerdeführers durch die Einbeziehung seiner Grundstücke in die Jagd-genossenschaft Schierke auf Grund des § 8 BJagdG i.V.m. § 7 Abs. 2 JagdG-LSA kann we-gen Fristablaufs von ihm nicht mehr durch eine Gesetzesverfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht angegriffen werden.
Diese Frist kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass eine Pflicht zur Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die Vorgaben der neueren Rechtsprechung des EGMR geltend gemacht wird. Zwar trägt der Beschwerdeführer unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR zu vergleichbaren Regelungen in Frankreich und Luxemburg Argumente vor, die auch nach Ansicht einiger Stimmen des wissenschaftlichen Schrifttums (vgl. Ditscherlein, Zur Rechtmäßigkeit der Zwangsvereinigung in Jagdgenossenschaften, NuR 2005, S. 305 ff; Sai-ler, Blattschuss aus Karlsruhe, NuR 2007, 186 ff.) geeignet sind, Zweifel an der Vereinbarkeit der bisherigen Regelungen mit der EMRK zu begründen und eine Gesetzesänderung nahe legen. Solche Zweifel reichen alleine aber nach den aufgezeigten Kriterien für die Geltend-machung einer gesetzgeberischen Handlungspflicht nicht aus, um eine Antragsbefugnis im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu begründen.
{RN:5}
Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 1 und 2 LVerfGG-LSA.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (Absatz 1). Das Land ist nicht verpflichtet, dem Be-schwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten (Absatz 2).
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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.