Urteil des Gerichtes
Entscheidungsvorblatt
Aktenzeichen: LVG 146/08 | Entscheidungsart: Urteil | Entscheidung vom: 21.04.2009 |
Verfahrensart | Kommunalverfassungsbeschwerde | |
entscheidungserhebliche Vorschriften | ||
Schlagworte | ||
Stichworte | Urteil | |
Leitsatz | 1. Durch ein Organstreitverfahren kann - anders als bei einem abstrakten Normenkontrollverfahren - keine objektive Klärung der Rechtslage erreicht werden. Deshalb setzt die Zulässigkeit voraus, dass die Verletzung in eigenen Rechten des Antragstellers wenigstens möglich erscheint. 2. Werden einzelne Maßnahmen oder Unterlassungen im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens in einem Organstreitverfahren gerügt, läuft die sechsmonatige Frist des § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA vom Zeitpunkt der jeweiligen Maßnahme oder Unterlassung ab. Der Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes ist nur maßgebend, wenn die behauptete Verletzung des Antragstellers gerade durch den Inhalt des Gesetzes selbst erfolgt und dann auch nur für diese Rüge. 3. Das Prinzip zweier Lesungen nach Art. 77 Abs. 3 LVerf kann nur dann erfordern, ein Gesetzgebungsverfahren gewissermaßen neu beginnen zu lassen, wenn durch Änderungsanträge der Gesetzesgegenstand ein anderer würde. Alle sonstigen Änderungen, selbst wesentlicher Art, erfordern dies nicht. Veränderungen eines eingebrachten Gesetzesentwurfes im Laufe eines Gesetzgebungsverfahrens sind vielmehr einem solchen immanent. | |
Fundstellen | - | |
Sonstiges | - | |
Zitiervorschlag |
VerfGSA, Urteil vom
21.04.2009 - LVG 146/08 -, www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de |
Urteil
in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren
LVG 146/08
Urteil vom 21.04.2009
(wegen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform)
Die Anträge werden als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen den Antragsgegner zu 1) richten und Vorgänge rügen, die vor der 33. Sitzung des Landtages am 24. Januar 2008 liegen und soweit sie sich gegen die Antragsgegnerin zu 2) richten. Im übrigen werden sie zurückgewiesen.
Das Verfahren ist kostenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Tatbestand
{RN:1}
Die Antragstellerin ist die Fraktion der Freien Demokratischen Partei, FDP, im Landtag des Landes Sachsen-Anhalt und befindet sich in der Opposition. Das von ihr eingeleitete Organstreitverfahren betrifft das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt (Gesetz über die Grundsätze der Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetz- GemNeuglGrG vom 14. Februar 2008 GVBl LSA S. 40).
Die Antragstellerin rügt, dass der Antragsgegner zu 1), der Landtag von Sachsen-Anhalt, ihre Rechte als Oppositionsfraktion auf Chancengleichheit verletzt habe. Weiterhin rügt sie für den den Landtag, dass die Antragsgegnerin zu 2), die Landesregierung, dessen Rechte vor und während des Gesetzgebungsverfahrens umfassend über den Gesetzentwurf informiert zu werden, verletzt habe, sowie versäumt habe darauf hinzuwirken, dass das in der Verfassung verankerte Prinzip zweier Lesungen eines Gesetzes beachtet werde.
{RN:2}
Im Zuge der Wiedervereinigungwurde den zu diesem Zeitpunkt im Gebiet von Sachsen-Anhalt existierenden Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung verliehen und zugleich die Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben und übertragenen staatlichen Aufgaben übertragen. Bereits 1991 erachtete der Landesgesetzgeber angesichts der überkommenen, in vielen Bereichen sehr kleinteiligen Gemeindestrukturen eine kommunale Gebietsreform als notwendig. Deshalb wurden 1992 zur Stärkung der Verwaltungskraft vor allem der kleineren Gemeinden Verwaltungsgemeinschaften eingeführt, wobei eine Mindesteinwohnerzahl ihrer Mitgliedsgemeinden von 5.000 normiert war. 2005 wurde diese Zahl auf 10.000 verdoppelt. Nach der Gebietsinformation des Statistischen Landesamtes von Sachsen – Anhalt vom 02.07.2008 gab es mit Stand vom 01.07.2008 im Land Sachsen – Anhalt insgesamt 1013 Gemeinden. Inklusive der drei kreisfreien Städte waren davon 40 Einheitsgemeinden sowie 90 Verwaltungsgemeinschaften mit 973 Mitgliedsgemeinden.
Die in der fünften Wahlperiode die Regierung tragenden Parteien des Landes Sachsen-Anhalt vereinbarten in der Koaltionsvereinbarung vom 24.04.2006 die Bildung einheitlicher, leistungsfähiger Gemeindestrukturen. Dabei verständigten sich beide Parteien auf das Ziel, im Rahmen einer Freiwilligkeitsphase bis zu den Kommunalwahlen 2009 flächendeckend Einheitsgemeinden zu bilden. Komme es dazu nicht, solle noch im Laufe dieser Legislaturperiode die gesetzliche Einführung von Einheitsgemeinden zum 01.07.2011 vorgenommen werden.
Der Landtag von Sachsen-Anhalt fasste in seiner Sitzung am 19.10.2006 unter dem Tagesordnungspunkt 14 einen Beschluss (Drs. 5/8/298 B vom 19.10.2006), worin die Landesregierung gebeten wurde, unter enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden bis zum Ende des zweiten Quartals 2007 dem Landtag ein Leitbild zur Gemeindegebietsreform vorzulegen.
Aufgrund eines weiteren Landtagsbeschlusses vom 17.11.2006 (LTg.-Drs. 5/11/355) wurden von der Landesregierung zunächst Eckpunkte zur Gemeindegebietsreform erarbeitet. Diese hatten die Ausgangssituation, das Ziel und den Inhalt der Reform zum Gegenstand. In einer Fassung vom 05.04.2007 wurden sie auf der Homepage des Ministeriums des Innern eingestellt.
Am 26.01.2007 beauftragte der Landtag (LTg.-Drs 5478 B v. 26.01.2007) die Landesregierung, ein unabhängiges Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften einzuholen. Der Gutachtenauftrag wurde dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht erteilt. Die Kurzfassung des erstellten Gutachtens „Zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt“ vom 09.06.2007 wurde am 13.06.2007 und die Langfassung des Abschlussberichtes vom 19.06.2007 am 26.06.2006 auf der Homepage des Innenministeriums veröffentlicht.
Aufgrund unterschiedlicher Auslegungen zum Begriff der Einheitsgemeinde sowie zahlreich geäußerter Bedenken, insbesondere durch kommunale Repräsentanten, gegen die ausnahmslose flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden hatte sich die Regierungskoalition am 30.03.2007 darauf verständigt, in der freiwilligen Phase der Gebietsreform bis 2009 neben der Einheitsgemeinde im Sinne von § 10 Abs. 1 GO LSA, die bei bestimmten Konstellationen zwingend bleiben sollte, auch die Bildung von sogenannten Verbandsgemeinden als Ausnahmemodell zu ermöglichen. Gleichzeitig hatte sie die wichtigsten Grundsätze für die Einführung der Einheitsgemeinden festgelegt.
Auf Antrag der FDP-Fraktion führte der Landtag am 14.06.2007 eine aktuelle Debatte zum Thema „Konsequenzen der Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt“ durch (Plenarprotokoll der 22. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt). In der Begründung ihres Antrages hatte die FDP-Fraktion darauf hingewiesen, dass neben dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten ein weiteres Gutachten der Fachhochschule Harz mit dem Titel „Ist die Einheitsgemeinde wirtschaftlicher als die Verwaltungsgemeinschaft oder die Verbandsgemeinde?“ vorliege. In der Landtagsdebatte wurden von den Rednern aller Fraktionen und von der Landesregierung die vorliegenden Gutachten bewertet.
Nachdem die Landesregierung am 07.08.2007 die endgütige Fassung eines Leitbildes der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt beschlossen hatte, wurde von ihr der Landtag darüber informiert. Es behandelte in zehn Abschnitten Anlass, Ziele und Einzelheiten der Durchführung der beabsichtigten Gemeindegebietsreform sowie den vorgesehenen Zeitplan. Am 04.09.2007 billigte die Landesregierung eine Kurzfassung des Leitbildes, auf deren Grundlage ein Flyer erstellt wurde, der im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeriums allen Gemeinden auf dem Postweg übermittelt wurde. Sowohl das Leitbild, wie auch dessen Kurzfassung und der Flyer wurden auf der Homepage des Ministeriums des Innern eingestellt.
Im Rahmen seiner Information über die bevorstehende Gemeindegebietsreform hat das Ministerium des Inneren darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber das Leitbild noch normativ umsetzen müsse, dass aber freiwillige Reformschritte bereits möglich seien. Gemeinden könnten sich durch den Abschluss von Gebietsänderungsverträgen freiwillig zu Einheitsgemeinden zusammenschließen, wenn sie über mindestens 8.000 Einwohner verfügten (§ 10 Abs. 1 S.3 und § 17 Abs. 1 S. 5 GO LSA a F.). Bei einem Zusammenschluss mehrerer Gemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft ohne Bildung einer Einheitsgemeinde blieb seinerzeit die größere Gemeinde als verwaltungsgemeinschaftsangehörige Gemeinde bestehen (§ 10 Abs. 1 S.2 GO LSA a F.). Ein Zusammenschluss zu einer Verbandsgemeinde durch Abschluss einer Verbandsgemeindevereinbarung war in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage noch nicht möglich.
Im Leitbild zur Gemeindegebietsreform fand sich bereits ein Hinweis auf die Möglichkeit, dass Gemeinden, die einer Verwaltungsgemeinschaft nach dem Modell eines gemeinsamen Verwaltungsamtes angehören und weitere Voraussetzungen erfüllen, ausnahmsweise an Stelle einer Einheitsgemeinde eine Verbandsgemeinde bilden könnten (Leitbild zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt, 2007, S. 110 f.). Weiter wurde dort darauf verwiesen (S. 156 f.), dass das Land die Gebietsreform im Rahmen der freiwilligen Phase mit voraussichtlich insgesamt 45 Millionen Euro unterstützen werde. Im Nachtragshaushalt des Jahres 2007 seien bereits 10 Millionen Euro an zusätzlichen Finanzmitteln eingestellt worden, um sie an diejenigen Kommunen auszureichen, die sich dem 1. August 2007 zu leitbildgerechten Einheitsgemeinden zusammenschließen würden. In den Jahren 2008 bis 2010 sollten nochmals insgesamt 35 Millionen Euro als finanzielle Anreize im Haushalt des Landes bereitgestellt werden. Die im Ausnahmefall möglichen Zusammenschlüsse zu Verbandsgemeinden würden in den Jahren 2008 bzw. 2009 in die Förderung einbezogen werden.
In der Zeit der Vorbereitung der Gemeindegebietsreform bildete sich in Sachsen-Anhalt die Volksinitiative „Sachsen-Anhalt 2011 — Bürger gegen die flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden und Zwangseingemeindungen in Ober- und Mittelzentren“. Der Antrag der Volksinitiative wurde am 24.02.2007 der Vizepräsidentin des Landtags übergeben. Nach Beratung im Petitionsausschuss und stattgefundener öffentlicher Anhörung der Volksinitiative fand am 13.07.2007 im Landtag eine Aussprache über deren Vorbringen statt. In namentlicher Abstimmung erklärte der Landtag die Volksinitiative sodann für erledigt (LTg.- Plenarprotokoll 5/24 vom 13.07.2007, S. 1557).
{RN:3}
Am 02.10.2007 übersandte die Landesregierung dem Landtag den von ihr am gleichen Tag beschlossenen Entwurf eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform (LTg.-Drs. 5/902). Zugleich wurde der Entwurf auf der Homepage des Ministeriums des Innern eingestellt.
Die erste Lesung des Entwurfs eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform fand am 11.10.2007 im Landtag statt (LTg.-Plenarprotokoll 5/27, vom 11.10.2007, S. 1786 ff.). Der Landtag überwies den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Inneres (LTg.-Plenarprotokoll 5/27, v.11.10.2007, S.1794).
In seiner Sitzung am 25.10.2007 beschloss der Ausschuss für Inneres, am 29.11.2007 eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchzuführen. In einer Sitzung am 20.12.2007 sollte eine Beschlussempfehlung für die Plenarsitzung im Januar 2008 erarbeitet werden. Der Vorsitzende des Innenausschusses bat die Fraktionen, der Geschäftsstelle des Ausschusses bis zum Montag, 05.11.2007, 16:00 Uhr, die Anzuhörenden zu benennen (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der Sitzung am 25.10.2007, S. 39).
In seiner Sitzung am 29.11.2007 hörte der Ausschuss für Inneres im Rahmen einer öffentlichen Anhörung Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, die Gutachter Prof. Dr. Rosenfeld (IWH) und Dr. Wiegand (Fachhochschule Harz) sowie mehrere Bürgermeister und Leiter von Verwaltungsgemeinschaften an. Zu Beginn der Sitzung rügten Vertreter der Opposition, dass die beiden Regierungsfraktionen in gleich lautenden Pressemitteilungen vom Vortag bekanntgegeben hätten, dass sie sich über weitere Änderungen am Gesetz geeinigt hätten, die dem Ausschuss aber noch nicht vorlägen; es handle sich dabei um wesentliche Änderungen (Beiträge der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen Kosmehl und Tiedge in: LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der öffentlichen Anhörung im Rahmen der Sitzung am 29.11.2007, S. 5 ff.). Dieser Einschätzung widersprach der Abgeordnete Stahlknecht (CDU). Es handele sich nicht um eine substantielle Änderung des Gesetzes, sondern nur um die Übernahme von sinnvollen Anregungen zahlreicher Beteiligter, die in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden sollten (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der öffentlichen Anhörung im Rahmen der Sitzung am 29 November 2007, S. 6 f.). Den Ausschussmitgliedern und den weiteren Beteiligten der öffentlichen Anhörung wurde sodann eine Tischvorlage überreicht, die den Entwurf eines beabsichtigten Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen ohne Begründungstext wiedergab, dessen Überschrift „Entwurf, Stand 27.11.2007“ lautete.
In seiner 31. Sitzung am 05.12.2007 befasste sich der Ausschuss für Inneres erneut mit dem Entwurf eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform. Er beschloss mit Mehrheit, dem Landtag zu empfehlen, gemäß § 29 Abs. 1 der Geschäftsordnung den Gesetzentwurf in der 2. Beratung anzunehmen, ohne eine Schlussabstimmung durchzuführen und den Gesetzentwurf am Ende der 2. Beratung gemäß § 33 Abs. 1 der Geschäftsordnung ganz wieder an den Ausschuss für Inneres zu überweisen. Weiter heißt es, der Ausschuss nehme zur Kenntnis, dass ein Änderungsantrag von den Fraktionen der CDU und der SPD angekündigt sei und empfehle, diesen sowie gegebenenfalls andere Änderungsanträge gemäß § 32 Abs. 2 der Geschäftsordnung an den Ausschuss für Inneres zu überweisen.
Am 13.12.2007 brachten die Fraktionen der CDU und der SPD ihren angekündigten Änderungsantrag ein (LTg.- Drs. 5/1028 v.13.12. 2007). Dieser Änderungsantrag war überwiegend, aber nicht vollständig inhaltsgleich mit dem Entwurf vom 27.11.2007. Ebenfalls unter diesem Datum brachten die Fraktion DIE LINKE einen Änderungsantrag ein (LTg.-Drs. 5/1026). Dieser thematisierte u.a. den Zusammenhang der geplanten Gemeindeneugliederung mit einer interkommunalen Funktionalreform an und hatte insbesondere die Wahlfreiheit der Gemeinden zwischen dem Modell der Einheitsgemeinde und dem der Verbandsgemeinde zum Gegenstand.
Der Landtag erörterte in seiner Sitzung am 13.12.2007 das Gesetzgebungsverfahren kontrovers. Sowohl der Berichterstatter des Innenausschusses wie auch Sprecher verschiedener Fraktionen stimmten allerdings darin überein, dass der Entwurf in drei Lesungen behandelt werden solle. Deshalb überwies der Landtag den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge abschließend einstimmig zur weiteren Beratung an den Innenausschuss (LTg.-Plenarprotokoll 5/31 v.13.12.2007, S. 2063 ff.).
Am 20.12.2007 führte der Ausschuss für Inneres in seiner 32. Sitzung die zweite öffentliche Anhörung zu dem Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform sowie zu den beiden Änderungsanträgen durch. Die Einladungen an die Anzuhörenden waren mit Schreiben vom 14.12.2007 versandt worden. Dabei war darauf hingewiesen worden, dass auch eine schriftliche Stellungnahme bis zum 07.01.2008 eingereicht werden könne, von welcher Möglichkeit zwei Anzuhörende Gebrauch machten. An der Anhörung selbst nahmen der Gutachter Wiegand, Vertreter kommunaler Spitzenverbände, der Sprecher der Volksinitiative Sachsen-Anhalt 2011 sowie Bürgermeister und Repräsentanten von Verwaltungsgemeinschaften teil (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der Öffentliche Sitzung am 20. 12.2007).
Am 10.01.2008 erörterte der Ausschuss für Inneres den Entwurf des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform sowie die beiden Änderungsanträge auf der Grundlage einer vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages (GBD) erstellten Synopse mit Empfehlungen zu einer Reihe von Vorschriften. Weiter lagen dem Ausschuss Stellungnahmen des Landkreistages und des Städte- und Gemeindebundes vor. Während die Änderungsanträge der Fraktion DIE LINKE abgelehnt wurden, beschloss der Ausschuss die Artikel 1 bis 8 sowie die Gesetzesüberschrift auf der Grundlage der Synopse des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes. Er empfahl dem Landtag, den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss erarbeiteten Fassung anzunehmen (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der Sitzung am 10. 01. 2008, S. 9 ff. sowie LTg.-Drs. 5/1078).
Am 24.01.2008 führte der Landtag eine dritte Beratung des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres durch. Vertreter der Oppositionsfraktionen rügten wiederum das Gesetzgebungsverfahren. Nachdem ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE ( LTg.-Drs, LSA 5/1096) abgelehnt worden war, stimmte das Plenum der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres zu. In namentlicher Abstimmung wurde das Gesetz mit 55 gegen 32 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen angenommen (LTg.- Plenarprotokoll 5/33 vom 24.01.2008, S. 2175 ff).
Das am 24.01.2008 beschlossene Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform wurde am 20.02.2008 im Gesetzblatt des Landes Sachsen-Anhalt verkündet und trat am 21.02.2008 in Kraft (GVBI LSA 2008, S.40 ff.).
{RN:4}
Die Beschwerdeführerin hat am 24. Juli 2008 vor dem Landesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren eingeleitet.
{RN:5}
Zur Begründung trägt sie vor, sie selbst sei durch den Landtag, den Antragsgeger zu 1), in ihren Rechten als Oppositionsfraktion auf Chancengleichheit sowie Mitwirkung und Kontrolle verletzt. Entsprechende Rechte ergäben sich für sie aus Art. 48 i.V.m. 41, 47,51 LVerf i.V.m. §§ 2, 13,14,23,36 GO-LTg-LSA.
Diese Verletzung sei durch den Verlauf des Gesetzgebungsverfahren erfolgt. Sie könne dies rügen, auch wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst schon Gegenstand anderer, nämlich kommunaler Verfassungsbeschwerden sei.
{RN:6}
Auch könne sie als Teil des Landtages in Prozeßstandschaft dessen Rechte gegenüber anderen Verfassungsorganen geltend machen. Insoweit rüge sie die Verletzung der Informationsrechte des Landtages aus Art. 62 Abs. 1 S. 1, Art. 77 LVerf durch die Landesregierung, die Antragsgegnerin zu 2).
{RN:7}
Ihr Feststellungsbegehren sei fristgerecht nach § 36 Abs. 3 LVerfGG-LSA und zwar sowohl wenn man auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt am 20. Februar 2008 abstelle als auch dann, wenn man auf den Zeitpunkt des Normbeschlusses am 24. Januar 2008 abstelle.
{RN:8}
Im Einzelnen seien mit den gerügten Verhaltensweisen das Prinzip der Ermöglichung von Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten der parlamentarischen Opposition in Gestalt der FDP und damit Art. 48 LVerf verletzt worden:
{RN:9}
Während des Gesetzgebungsverfahrens seien notwendige Anhörungen nach Art. 90 S. 2 LVerf unterblieben. Diese seien Teil eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens, dessen Einhaltung der parlamentarischen Kontrolle durch die Oppositionsfraktionen unterliege.
Weder seien alle Anzuhörenden angehört worden noch seien die Anhörungen im Innenausschuss, soweit sie erfolgt seien, nach den für Anhörungen entwickelten Grundsätzen vorgenommen worden.
Sie habe keine eigenen Benennungen von Betroffenen, Bürgermeistern und Verwaltungsleitern vornehmen können, um deren Anhörung zu veranlassen. Von einem eigenen Antrag auf Anhörung bestimmter Personen habe sie abgesehen, weil dieser voraussichtlich mehrheitlich abgelehnt worden wäre.
Bei der Anhörung im Ausschuss für Inneres am 29.11.2007 sei den Beteiligten erstmals ein Entwurf eines beabsichtigten Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen ohne Begründung vorgelegt worden, mit dem aufgrund dessen keine fundierte Auseinandersetzung möglich gewesen sei. Aufgrund der in ihrer Substanz wesentlichen Änderungen hätte ein neuer Anhörungstermin bestimmt werden müssen, um den Anzuhörenden ausreichend Gelegenheit zu geben, sich darauf einzulassen.
{RN:10}
Der Änderungsentwurf der Regierungsfraktionen zum Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform sei weder in den zuständigen Ausschuss für Inneres noch in das Plenum des Landtages ordnungsgemäß eingebracht worden. Es sei weder ein spezifischer Änderungsantrag erfolgt noch sei dieser Antrag mit einer entsprechenden Begründung versehen worden.
Die Änderungen der letzten Fassung des Gesetzes in der Sitzung des Ausschusses für Inneres am 10. Januar 2008 hätten ebenfalls Rechte der Oppositionsfraktionen verletzt. Durch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages seien in einer Art Schlussredaktion zahlreiche Formulierungsänderungen vorgenommen worden, die teilweise auch inhaltlichen Charakter gehabt hätten. Den Oppositionsfraktionen seien diese Änderungen nicht eigens unterbreitet worden. Vielmehr sei nur - ohne Beauftragung durch den Innenausschuss – durch den GBD eine Synopse erstellt worden. Da sie an den redaktionellen wie inhaltlichen Änderungen des Gesetzentwurfs nicht beteiligt worden sei, habe die Oppositionsfraktion FDP ihre verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Kontrollrechte am Gesetzgebungsverfahren nicht wahrnehmen können.
{RN:11}
Ihre Oppositionsrechte auf Mitwirkung und Kontrolle aus Art. 48 LVerf seien weiterhin dadurch verletzt worden, dass bereits vor Inkrafttreten des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform die Gemeinden aufgefordert worden seien, sich im Sinne des Leitbildes zu verändern, auch soweit es die Gründung von Verbandsgemeinden anbelangt, wofür die gesetzliche Grundlage noch gefehlt habe. Diese faktische Vorverlagerung der Gebietsänderung durch die Förderung von Zusammenschlüssen zu einer Verbandsgemeinde am Landtag vorbei stelle auch einen Verstoß gegen Art. 90 LVerf dar.
{RN:12}
Mit den weiteren nach ihrer Ansicht verfassungswidrigen Vorgängen seien die Kontrollrechte der Opposition und damit wiederum Art. 48 LVerf verletzt worden:
{RN:13}
Eine zweite vollständige Lesung, wie es die Verfassung und die Geschäftsordnung des Landtags als Mindestbefassung mit einem Gesetzentwurf verlangten, habe beim Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform nicht stattgefunden. Dies beruhe auf den Änderungen, die als Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen zuerst im Entwurf und sodann wiederum verändert in den eigentlichen Anträgen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden seien. Dabei habe es sich um wesentliche Änderungen gehandelt. Somit habe eine zweite „richtige“ nach Parlamentsrecht ordnungsgemäße Lesung nicht stattgefunden, in welcher das gesamte Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung wie in seinen späteren, oft mehrfach geänderten Einzelbestimmungen hätte behandelt werden sollen.
Die Zeiträume zur Vorbereitung auf Ausschuss- und Plenarsitzungen seien - insbesondere aufgrund der Änderungsanträge - zu kurz gewesen. In der letzten Sitzung des Innenausschusses sei wieder ein „nagelneuer Gesetzentwurf“ vorgelegt worden. Dann sei fünfzehn Minuten nicht debattiert, sondern abgestimmt worden.
{RN:14}
Eine inhaltliche Beratung des gesamten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform und seiner einzelnen Bestimmungen sei nicht vorgenommen worden. In keiner der Lesungen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform, auch nicht in der abschließenden, sei es zu einer eingehenden Einzelberatung der Bestimmungen des Gesetzes gekommen. Eine solche umfassende Beratung habe von der FDP-Fraktion als Oppositionsfraktion nicht durchgesetzt werden können.
{RN:15}
Die Mitwirkungs- und Einflußnahmemöglichkeiten ebenso wie die Kontrollrechte der Oppositionsfraktion der FDP seien unter Verletzung von Art. 48 LVerf dadurch nicht gewahrt worden, dass zum geänderten Gesetzentwurf 5/902 i.V.m. Drs.5/1028 kein neuer Gesetzesbeschluss ergangen sei. Dies habe gegen § 34 Abs. 4 i.V.m. § 33 Abs. 2 S. 1 GO-LTg-LSA verstoßen.
{RN:16}
Ein weiterer Verstoß gegen Art. 48 LVerf liege darin, dass die amtliche Begründung des Gesetzes Lücken aufweise, indem wichtige Vorschriften nicht eigens und nicht in der gebotenen Ausführlichkeit begründet würden.
{RN:17}
Eine Verletzung von Art. 48 LVerf durch Mißachtung des Vertrauensprinzips der parlamentarischen Opposition und des Gebots der Verfassungsorgantreue bestehe in folgendem:
{RN:18}
Wesentliche Gesetzesmaterialien seien nicht in das laufende Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden. Es sei im Gesetzgebungsverfahren nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die letzte Reform der Verwaltunsgemeinschaften noch nicht evaluiert wurde, obwohl eine Evaluierung wesentliche und für das Gesetzgebungsverfahren entscheidende Aufschlüsse über Wert und Unwert dieser Gemeindeverbandsform hätte geben können. Hierdurch und durch den stillschweigenden Austausch des von der Landesregierung durch das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt beauftragten IWH/MLU-Gutachtens durch das FH-Harz-Gutachten seien die Rechte der Opposition aus Art. 48 LVerf verletzt worden.
{RN:19}
Die Informationsrechte des Landtages gegenüber der Landesregierung und deren korrespondierende Informationspflicht aus Art. 62, 77 LVerf seien durch die bereits unter RN 9 angesprochenen Vorgänge verletzt worden.
Art. 62 Abs. 1 S. 1 LVerf beinhalte die Pflicht zur rechtzeitigen Unterrichtung des Landtags und seiner Mitglieder bzw. Fraktionen über die Vorbereitung von Gesetzen. Diese Pflicht werde durch die §§ 1 ff. LIG konkretisiert. Aus diesen Vorschriften resultiere nicht allein die Pflicht zu einer umfassende und ausreichende Vorbereitungszeit wahrenden Information im vorparlamentarischen Verfahren, sondern gemäß Art. 77 LVerf in Verbindung mit dem Statusrecht der Landtagsabgeordneten und im Erst-Recht-Schluss auch ihrer Organe auch im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren. Konkret bedeute dies, dass die informationsverpflichtete Landesregierung dort, wo im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens eine Anhörung nur unzureichend stattgefunden habe oder nicht stattzufinden drohe, zu eigenem Handeln verpflichtet sei, was sie hier unterlassen habe.
{RN:20}
Die Verfahrensbeteiligten stellen folgende Anträge:
Die Antragstellerin beantragt,
1. festzustellen, dass der Antragsgegner zu 1) die Rechte der Antragstellerin als Oppositionsfraktion und Teil des Landtags aus Art. 48 Abs. 2 i.V.m. Art. 47, 41 LVerf i.V.m. §§ 2, 13, 14, 23 - 34, 36 GO-LTg-LSA dadurch verletzt hat, dass er das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform v. 21.02.2008 (GVBl.-LSA 2008, S. 40) beschloss und verkündete, ohne die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Antragstellerin durch verfahrensfehlerfreie Anhörungen und deren ordnungsgemäße Vorbereitung, ohne Verstoß gegen das Zwei-Lesungs-Prinzip des Art. 77 Abs. 3 LVerf, ohne fehlerhafte Gesetzesberatungen, ohne nicht ordnungsgemäße Einbringung von Änderungsentwürfen während des Gesetzgebungsverfahrens und ohne deren mangelhafte Erörterung, ohne einen fehlerhaften Gesetzesbeschluss, ohne eine unvollständige Gesetzesbegründung und schließlich ohne eine fehlende gesetzliche Grundlage der Verbandsgemeinde zu Beginn der sog. „Freiwilligenphase" hinreichend zu achten und zu wahren und
2. festzustellen, dass der Antragsgegner zu 2) die Rechte des Landtags aus Art. 62 Abs. 1 und Art. 77 LVerf, vor und während eines Gesetzgebungsverfahrens durch die Landesregierung rechtzeitig und umfassend über den Gesetzesentwurf informiert zu werden, dadurch verletzt hat, dass er nicht für eine ordnungsgemäße Anhörung der vom Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform v. 21.02.2008 (GVBl.-LSA 2008, S. 40) Betroffenen gesorgt hat sowie die von ihm in Auftrag gegebene gutachterliche Grundlage des Gesetzesentwurfs (Rosenfeld/Kluth, Zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt vom 19.06.2007) ohne Erörterung im Landtag verwarf und durch ein weder von ihm beauftragtes noch offen in das Gesetzgebungsverfahren eingeführtes Gutachten (Wiegand/Grimberg, Ist die Einheitsgemeinde wirtschaftlicher als die Verwaltungsgemeinschaft oder die Verbandsgemeinde? vom 25.05.2007) ersetzte.
Der Antragsgegner zu 1) beantragt,
den Antrag zu 1) abzulehnen.
Die Antragsgegnerin zu 2) beantragt,
den Antrag zu 2) als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise zurückzuweisen.
{RN:21}
Der Antragsgegner zu 1) macht geltend, die Antragstellerin könne sich nicht auf die behauptete Verletzung der in Art. 90 Satz 2 LVerf vorgesehenen Anhörung der von einer Gebietsänderung betroffenen Kommunen und Einwohner berufen, eben so wenig wie auf die behauptete Verletzung von Vorschriften der Geschäftsordnung des Landtages.
Im übrigen sei der Antrag zum größten Teil unzulässig, da verfristet, nämlich soweit er sich auf Vorgänge beziehe, die vor dem Zeitraum von sechs Monaten vor Antragseinreichung beim Landesverfassungsgericht lägen, also vor dem 24. Januar 2008.
{RN:52}
Soweit er zulässig sei, sei der Antrag aber nicht begründet. Das Recht der Antragstellerin als Oppositionsfraktion auf Chancengleichheit begründe schon kein subjektives Recht darauf, dass der Landtag alle Rechtmäßigkeitsanforderungen eines Gesetzgebungsverfahrens beachte. Im weiteren verkenne die Antragstellerin auch den normativen Gehalt des Art. 77 Abs. 3 LVerf. Aus dem Zwei-Lesungs-Prinzip ergebe sich kein Verbot, während des Gesetzgebungsverfahrens den Inhalt der geplanten gesetzlichen Regelungen zu verändern.
Abgesehen davon, dass die Antragstellerin die behauptete Verletzung kommunaler Anhörungsrechte nicht rügen könne, lägen derartige Verletzungen auch gar nicht vor. Unbeschadet der Verfristung der entsprechenden Rüge, sei der Vorwurf, sie habe keine anzuhörenden Bürgermeister oder Verwaltungsamtsleiter benennen können, schon deshalb unbegründet, weil sie gar nicht behaupte, dass sie einen diesbezüglichen Antrag gestellt oder Wunsch geäußert habe, welcher abgelehnt worden sei. Alle im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgenommenen Änderungen seien sowohl ordnungsgemäß eingebracht als auch beraten und erörtert worden. Statt nur in zwei Lesungen sei der Gesetzesentwurf sogar in drei Lesungen behandelt worden. Auch verbiete die Vorschrift des Art. 77 Abs. 3 LVerf nicht, Änderungen in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen solange diese nicht den Gegenstand des Gesetzentwurfes an sich austauschten.
Die Vorwürfe gegen den Antragsgegner zu 1) wegen der Inhalte der Beratung im Plenum seien schon deswegen unbegründet, weil es Ausfluss des freien Mandats der Mitglieder des Landtages sei, welche Beiträge sie bei der Beratung eines Gesetzentwurfes leisten wollten. Soweit die Antragstellerin behaupte, dass zum geänderten Gesetzentwurf kein neuer Gesetzesbeschluss ergangen sei, treffe dies nicht zu.
Schließlich liege keine Unvollständigkeit der Gesetzesbegründung des am 24. Januar 2008 beschlossenen Gesetzes vor, denn auch der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sei ausführlich begründet worden.
{RN:53}
Die Antragsgegnerin zu 2) hält den gegen sie gerichteten Antrag für unzulässig. Insoweit mangele es der Antragstellerin bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis, denn es obliege allein dem Landtag, sich in jedem Gesetzgebungsverfahren Gewissheit über den für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu verschaffen, mithin habe er erforderliche Anhörungen gegebenenfalls selbst durchzuführen und die so ermittelten Grundlagen zum Gegenstand seiner Abwägung zu machen.
Für Ihren Antrag liege kein Rechtsschutzbedürfnis vor, denn sie hätte sowohl als Fraktion den Ältestenrat des Landtages mit ihrem Anliegen befassen können wie auch ihre einzelnen Abgeordneten die Kontrollrechte aus Art. 52, 53 und 56 LVerf hätten in Anspruch nehmen können.
Die Antragstellerin habe die sechsmonatige Frist zur Antragstellung des Art. 36 Abs. 3 LVerf nicht eingehalten. Soweit sie auf den Gesetzesbeschluss des Landtages abstelle, könne darin als dem Handeln eines anderen Verfassungsorgans keine Verletzung von Pflichten der Landesregierung gesehen werden.
Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gegenüber dem Antragsgegner zu 1), dem Landtag, durch die Antragsgegnerin zu 2). die Landesregierung, könne die Antragstellerin nicht geltend machen, da nicht ersichtlich sei, im Verhältnis zu welchem anderen Verfassungsorgan hier eine Ungleichbehandlung des Antragsgegners zu 1) vorliegen können sollte.
{RN:54}
Eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des Landtages durch die Landesregierung liege nicht vor, da diese die ihr aus Art. 62 Abs. 1 LVerf bzw. nach Art. 77 Abs. 2 LVerf in Verbindung mit dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue zukommenden Informationspflichten erfüllt habe, insbesondere durch die Information über den Referentenentwurf, durch die Auseinandersetzung mit beiden vorliegenden Gutachten in der Begründung des Gesetzentwurfes der Landesregierung und durch ein Schreiben an den Präsidenten des Landtages.
Die Landesregierung habe die beiden von ihr in ihre Überlegungen einbezogenen Gutachten bekannt gegeben und damit zur Erörterung gestellt. Auf den weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens im Landtag, insbesondere darauf, was dort im allgemeinen und im speziellen erörtert werde, könne sie keinen Einfluss nehmen.
Dadurch, dass das Ministerium des Innern als oberste Kommunalaufsichtsbehörde die Gemeinden über die bevorstehende Gemeindegebietsreform und die Inhalte des Leitbildes nach dem Beschluss der Landesregierung informierte und auf die benötigten Zeiträume für freiwillige Zusammenschlüsse hinwies, könnten Rechte des Landtages nicht verletzt worden sein. Insbesondere sei nicht angeregt worden, tatsächliche Gemeindezusammenschlüsse , die erst nach dem Inkrafttreten des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform eine Rechtsgrundlage gehabt hätten, schon vorher vorzunehmen. Solche seien auch tatsächlich nicht erfolgt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
{RN:54}
Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung über die „Organklage“ berufen. Beide Anträge sind als sog. „Organklagen“ statthaft . Die Antragstellerin macht mit dem Antrag zu 1) eine denkbare Verletzung ihrer Verfassungsrechte geltend. Mit dem Antrag zu 2) rügt sie in zulässiger Prozeßstandschaft die Verletzung von Verfassungsrechten des Antragsgegners zu 1) durch die Antragsgegnerin zu 2). Die übrigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit sind erfüllt , mit Ausnahme der Einhaltung der Frist für eine Organklage. Deshalb erweisen sich die Anträge als teilweise verfristet . Soweit der Antrag zu 1) nicht unzulässig ist, erweist er sich mangels Verfassungsverstoßes als nicht begründet .
{RN:55}
Die Befugnis des Landesverfassungsgerichts, über das Begehren der Antragstellerin zu entscheiden, folgt aus Art. 75 Nr. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt (LVerf).
{RN:56}
Es handelt sich um einen „Organstreit“ i. S. des Art. 75 Nr. 1 LVerf und § 2 Nr. 2 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - LVerfGG LSA-. An diesem können der Antragsgegner zu 1) nach § 35 Nr. 1 LVerfGG LSA und die Antragstellerin nach § 35 Nr. 3 LVerfGG LSA als „Fraktion“, also als ein von der Verfassung selbst mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Landtags (Art. 47 LVerf), i. S. des § 2 Nr. 2 LVerfGG LSA beteiligt sein. Die mögliche Beteiligtenstellung der Antragsgegnerin zu 2) ergibt sich aus § 35 Nr. 2 LVerfGG LSA.
Soweit § 36 Abs. 1 LVerfGG LSA auf verfassungsrechtliche „Zuständigkeiten“ und nicht auf Verfassungsrechte abstellt kommt dieser Formulierung keine andere, insbesondere keine weitergehende Bedeutung zu als der der in § 2 Nr. 2 LVerfGG LSA und in Art. 75 Nr. 1 LVerf verwandten Formulierung „Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten“.
{RN:57}
Die Antragstellerin kann aus der Antragsbefugnis in einem Organstreitverfahren – anders als dies bei einem abstrakten Normenkontrollverfahren der Fall ist – als Verfahrenspartei nicht eine gleichsam „objektive Klärung der Rechtslage“ verlangen. Die Zulässigkeit des Antrags setzt vielmehr voraus, dass die „Verletzung in eigenen Rechten“ wenigstens möglich erscheint. Das ist für den bundesverfassungsrechtlichen Organstreit ohne weiteres anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 09.02.1982, - 2 BvK 1/81 -, BVerfGe 60, 53 [63]) und gilt auch für den Organstreit nach Landesverfassungsrecht (LVerfG, Urteil vom 22.02.1996, - LVG 8/95 -, LVerfGE 3, 261 [269]). Dies ergibt sich nicht nur aus der Landesverfassungsnorm des Art. 75 Nr. 1 LVerf sonder diese Zulässigkeitsvoraussetzung ergibt sich notwendig schon aus dem Wesen des Organstreits als eines kontradiktorischen Verfassungsstreits (BVerfG, a.a.O.).
Als solches „eigenes“ Recht, dass durch eine gegenwärtige Maßnahme verletzt sein könnte, kommt hier das ihr durch Art. 48 Abs. 2 LSA-Verf und durch den allgemeinen Gleichheitssatz garantierte Recht auf „Chancengleichheit“ (vgl. hierzu LVerfG a.a.O., 270) in Betracht. Dass eine solche Rechtsverletzung möglich erscheint, reicht für die Zulässigkeit des Antrages 1) aus.
{RN:58}
Die Antragstellerin handelt mit ihrem Antrag 2) in Prozeßstandschaft für den Antragsgegner zu 1). Sie ist als Fraktion ein Organteil, eine nach der Geschäftsordnung ständig vorhandene Gliederung des Landtages. Sie ist als solche berechtigt, Rechte des Landtages selbst geltend zu machen,. Die ausdrückliche gesetzliche Zulassung hierfür findet sich in § 36 Abs. 1 LVerfGG LSA.
{RN:59}
Die Antragsschrift erfüllt die formellen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 LVerfGG LSA.
Die Bezeichnung des Art. 48 LVerf als verletzte Verfassungsnorm im Antrag 1) reicht auch dann aus, wenn tatsächlich nicht diese, sondern nur der allgemeine Gleichheitssatz verletzt sein sollte; denn § 36 Abs. 2 LVerfGG LSA verlangt nur die Bezeichnung der „Vorschrift, die verletzt sein soll“, und lässt damit ausreichen, dass die Anwendung dieser Bestimmung über-haupt in Erwägung zu ziehen ist.
Ebenso reicht im Antrag 2) die Bezeichnung der Artikel 62 und 77 LVerf als verletzte Normen aus.
{RN:60}
Die Anträge im Organstreitverfahren sind jedoch unzulässig soweit sie sich gegen den Antragsgegner zu 1) richten und Vorgänge rügen, die vor der 33. Sitzung des Landtages am 24. Januar 2008 liegen. Insoweit sind sie mangels Einhaltung der Sechsmonatsfrist des § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA verfristet (1.6.2.). Die Rüge der Verletzung des Art. 90 LVerf wäre unabhängig davon unzulässig (1.6.3.) Verfristet ist auch insgesamt der gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichteten Antrag (1.7.1.). Es bedarf keiner Erörterung, ob die Anträge - ihre Zulässigkeit unterstellt - auch unbegründet wären.
{RN:61}
Gemäß § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA muss der Antrag zur Einleitung des Organstreitverfahrens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden. Die landesverfassungsrechtliche Regelung entspricht der des § 64 Abs. 3 BVerfGG, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vergleichend herangezogen werden muss. Ebenso wie im Bundesverfassungsrecht ist diese Frist eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können (zur dortigen Rechtslage: Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, Rdn. 150 zu §§ 63,64; st. Rspr., z.B. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20.01.1999, - 2 BvG 2/95 -, BVerfGE 99, 361 [366] m.w.N.). Mit dieser Ausschlussfrist sollen im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 13.06.1989, - 2 BvE 1/88 -, BVerfGE 80, 188 [210]).
Sowohl der Antrag 1) als auch der Antrag 2) sind am 24. Juli 2008 bei dem Landesverfassungsgericht eingegangen. Damit fallen nur Maßnahmen oder Unterlassungen des Antragsgegners zu 1) in die gesetzliche sechs-Monats-Frist, die am 24. Januar oder später erfolgt sind. Maßnahmen oder Unterlassungen von ihm vor dem 24. Januar 2008 können mit den verfahrensgegenständlichen Anträgen wegen Verfristung nicht mehr gerügt werden. Am 24. Januar 2008 erfolgte die dritte Beratung des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform unter namentlicher Abstimmung über den Gesetzentwurf. Nur Verstöße im Zusammenhang damit können Rügegegenstand dieses Verfahrens sein. Zu Recht weist der Antragsgegner zu 1) darauf hin, dass sich demgegenüber die Antragstellerin nicht auf einen unmittelbaren Zusammenhang der von ihr im Einzelnen gerügten Verfahrensverstöße mit dem Gesetzesbeschlusss berufen kann. Zwar besteht ein Zusammenhang zwischen dem vorherigen Geschehen in Vorbereitung des Gesetzesbeschlusses und diesem selbst. Dies ändert aber nichts daran, dass eventuelle Verfahrensverstöße ob durch Maßnahmen oder Unterlassen begangen jeweils für sich genommen die Frist des § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA in Lauf setzen. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist als gesetzlicher Ausschlussfrist ist im Organstreitverfahren ebenso wenig zulässig wie im Verfahren über Verfassungsbeschwerden (zu § 64 Abs. 3 BVerfGG: BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17.10.1968, - 2 BvE 2/67 -, BVerfGE 24, 252 [258]).
Sowohl nach § 36 Abs. 3 LVerfGG als auch nach § 64 Abs. 3 BVerfGG muss ein Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens sechs Monate nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist gestellt werden.
In der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts wird als Zeitpunkt an dem die Frist des § 64 Abs- 3 BVerfGG zu laufen beginnt, immer derjenige angesehen, an dem die Rechte des Antragstellers erstmals möglicherweise beeinträchtigt werden. Insbesondere werden nicht erst später auftretende konkrete Auswirkungen dieser Beeinträchtigung, beispielsweise die tatsächliche Anwendung der 5%-Klausel des Kommunalwahlrechtes auf eine Partei, für den Fristbeginn herangezogen. Vielmehr ist in solchen Fällen eines fortdauernden Unterlassens auf den Zeitpunkt der endgültigen Weigerung zur Vornahme der geschuldeten Handlung abzustellen (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08.03.2001, - 2 BvK 1/97 -, BVerfGE 103, 164). Wollte man dies anders sehen, würde dies im Ergebnis auch die Rechtssicherheitsfunktion des § 64 Abs. 3 BVerfGG unterlaufen, da dann ein jederzeitiger Neubeginn der Frist möglich wäre. Entscheidend ist die erstmalige aktuelle Betroffenheit bei Verletzung durch aktives Tun oder die erstmalige Erkenntnis der Nichtvornahme bei Unterlassen. Diese Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich z.B. in seiner Entscheidung vom 13.06.1989 (a.a.O.), da hier erst dann die Frist zu laufen begann, als die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslöste. Diese Konsequenz zeigt sich auch bei Entscheidungen über ein Unterlassen des Antragsgegners (z.B. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17.12.1985, - 2 BvE 1/85 -, BVerfGE 71, 299 [304]). Durchgehend wurde auf den Zeitpunkt abgestellt, indem klar wurde, dass der Antragsgegner die begehrte Maßnahme nicht durchführen werde (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28.07.1955, - BvH 1/54 -, BVerfGE 4, 250 [269]; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11.04.1967, - 2 BvG 1/62 -, BVerfGE 21, 312 [319]; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats, - 2 BvE 1/03 -, NJW 2008, 2018 [2019]). Soweit für den Fristlauf auf den Erlass gesetzlicher Vorschriften abgestellt wird, womit die Sechsmonatsfrist mit der Verkündung des Gesetzes zu laufen beginnt, handelt es sich um Fälle, in denen erst und gerade die gesetzliche Regelung die Rechte des Antragstellers verletzt, also die unmittelbare rechtliche Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers schon durch den Erlass der Vorschriften z.B. eines Wahlgesetzes bei einer Partei besteht, weil ein Wahlgesetz unmittelbar den verfassungsrechtlichen Status einer Partei betrifft (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17.10.1968, - 2 BvE 2/67 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23.01.1995, - 2 BvE 6/7/94 -, BVerfGE 92, 80 [89]; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08.03.2001, - 2 BvK 1/97 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08.06.2004, - 2 BvE 1/04 -, NVwZ 2004, 1224). Auch die Rechtsprechung zum erneuten Fristbeginn, wenn eine bestehende Norm erst durch eine Gesetzesänderung eine neue und nunmehr verfassungswidrige Bedeutung gewinnt (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26.10.2004, -2 BvE 1,2/02 -, BVerfGE 111, 382) fügt sich in diese Linie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nahtlos ein, weil auch sie auf den Zeitpunkt abstellt, in dem der Träger einer subjektiven Rechtsposition erstmals beschwert worden ist.
Das Landesverfassungsgericht wendet dieselben Grundsätze auf die Auslegung des § 36 Abs. 3 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes an. Dabei sei noch einmal hervorgehoben, dass die Antragstellerin mittels ihrer Antragsbefugnis im Organstreitverfahren nicht eine gleichsam „objektive Klärung der Rechtslage“ verlangen und erreichen kann. Sie kann nur die Verletzung in eigenen Rechten rügen, wie oben unter 1.3. dargestellt. Solche Verletzungen behauptet sie aber durch einzelne Handlungen, bzw. Unterlassungen im Gesetzgebungsverfahren. Dass sie in eigenen Rechten durch das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt an sich verletzt sein könnte ist weder ersichtlich noch behauptet sie es selbst. Wenn aber die einzelnen - nach Meinung der Antragstellerin ihre Rechte verletzenden - Handlungen oder Unterlassungen maßgeblich sind, ist auch auf den Zeitpunkt ihrer Vornahme, bzw. ihres Unterlassens abzustellen. Dafür sprechen der Wortlaut des § 36 Abs. 3 LVerfGG sowie der Sinn der Regelung, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Rechtssicherheit zu schaffen.
{RN:62}
Der Antrag ist, soweit er einen Verstoß gegen das Gebot, betroffene Kommunen und Einwohner anzuhören (Art. 90 LVerf) rügt, auch deshalb unzulässig, weil dieses Recht keines der Antragstellerin sein kann, sie somit insoweit nicht rügebefugt ist. Dies sind nur die betroffenen Gemeinden und Einwohner.
{RN:63}
Die Ausführungen oben unter 1.6.2. zugrunde gelegt erweist sich der in an sich zulässiger Prozessstandschaft für den Antragsgegner zu 1), den Landtag, gegen die Antragsgegnerin zu 2), die Landesregierung, gestellte Antrag zu 2) insgesamt als verfristet, denn die Antragstellerin selbst trägt in keiner Weise vor, dass etwa die Landesregierung auf den Verlauf der am 24. Januar 2008 erfolgten Beratung im Landtag und auf die dann dort erfolgte Abstimmung irgendeinen unzulässigen Einfluss genommen hätte, bzw. welches pflichtwidrige Unterlassen in diesem Zusammenhang von ihr begangen worden sein soll.
Soweit sich die beiden Anträge als unzulässig erwiesen haben, bedarf es keiner, auch nicht hilfsweisen, Erörterungen darüber, ob sie bei unterstellter Zulässigkeit, auch unbegründet wären.
{RN:64}
Soweit sich der Antrag 1) gegen den Antragsgegner zu 1) richtet und Verfassungsverletzungen aus dem Geschehen in der 33. Sitzung des Landtages am 24. Januar 2008 behauptet, ist er zwar zulässig, jedoch unbegründet. Diesbezüglich behauptet die Antragstellerin, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gegen das in Art. 77 Abs. 3 LVerf vorgesehene und sodann in den §§ 25, 31 Abs. 2 GeschO LTg konkretisierte Zwei-Lesungs-Prinzip verstoßen worden sei (2.2.). Außerdem habe in keiner der Lesungen eine inhaltliche Beratung des gesamten Normtextes und seiner einzelnen Bestimmungen stattgefunden (2.3.). Zum geänderten Gesetzentwurf 5/902 i.V.m. Drs. 5/1028 sei kein neuer Gesetzesbeschluss ergangen (2.4.). Schließlich sei die amtliche Begründung des Gesetzes lückenhaft (2.5.). Sämtliche Rügen sind unbegründet.
{RN:65}
Die Landesverfassung schreibt vor, dass Gesetzentwürfe in mindestens zwei Beratungen, zwischen denen mindestens zwei Tage liegen müssen, zu behandeln sind. Das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform ist in drei Lesungen am 11. Oktober 2007, am 13. Dezember 2007 und am 24. Januar 2008 behandelt worden. In der zweiten Lesung, an deren Ende die Überweisung des Gesetzentwurfes und der gestellten Änderungsanträge an den Ausschuss für Inneres stand, was einstimmig beschlossen worden ist, sprachen sich Redner aller Parteien - auch die der Antragstellerin - für eine weitere Beratung aus und benutzten für diese den Ausdruck „3. Lesung“(LTg-Plenarprotokoll 5/31 v. 13.12.2007, S. 2063 ff.). Soweit die Antragstellerin meinen sollte, dass die inhaltlichen Veränderungen des Gesetzentwurfs durch die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen gewissermaßen einen Neubeginn des Gesetzgebungsverfahrens erfordert hätten, ist dies unzutreffend. Nur wenn durch die Änderungsanträge der Gegenstand des Gesetzentwurfes in der zweiten Beratung vollständig ausgetauscht worden wäre, könnte ein Verstoß gegen Art. 77 Abs. 3 LVerf erwogen werden, wobei selbst dann noch im konkreten Gesetzgebungsverfahren durch die dritte Lesung zwei Lesungen des veränderten Gesetzentwurfs erfolgt wären. Änderungen, selbst wesentlicher Art, reichen hingegen hierfür nicht aus. Schließlich gehört es zum Wesensmerkmal einer Befassung mit einem Gesetzentwurf durch das Parlament, dass dieses in Ausübung seines ihm - sofern nicht das Volk durch Volksentscheid selbst entscheidet - allein zukommenden Gesetzgebungsrechts (Art. 77 Abs. 1 LVerf) Änderungen beschließen kann und vielfach auch vornimmt. Erst wenn diese so weit gehen, dass dadurch der Gesetzesgegenstand ausgetauscht wird, vermag dies die Notwendigkeit eines Neubeginns des Gesetzgebungsverfahrens zu begründen. Dies war hier nicht der Fall. Tatsächlich hatten die Änderungsvorschläge nicht einen den Gesetzesgegenstand verändernden Charakter. Der Gesetzentwurf war geprägt durch die beabsichtigte Einführung von Einheitsgemeinden verbunden mit der Möglichkeit während der freiwilligen Phase teilweise auch Verbandsgemeinden zu bilden. Die Verwaltungsgemeinschaften sollten in eine der beiden Gemeindeformen überführt werden. An diesem Gegenstand des Gemeindegebiets¬reformgesetzes haben die Änderungsanträge nichts verändert. Sie beinhalteten Änderungen einzelner Detailregelungen. Dabei handelte es sich im wesentlichen um die Modifizierung der notwendigen Mindesteinwohnerzahlen und die Schaffung einer Möglichkeit, dass eine qualifizierte Mehrheit von Gemeinden und Einwohnern, die in der freiwilligen Phase eine Vereinbarung abschließen wollen, nicht durch einzelne Gemeinden darin gehindert werden können. Die Grundsätze der Neugliederung der gemeindlichen Ebene und die Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Mittelzentren sollte konkretisiert werden, ebenso wie der Zeitpunkt des Wirksamwerdens freiwilliger Vereinbarungen. Die Wahlperiode für Gemeinderäte, deren Gemeinden an der Bildung einer Verbandsgemeinde beteiligt sind, sollte um ein halbes Jahr verlängert werden. Weiterhin wurden Einzelheiten der Eigentumsübertragung an die Verbandsgemeinden behandelt. Der Termin für die Umstellung auf das neue kommunale Rechnungswesen sollte hinausgeschoben werden, um die Gemeinden zu entlasten (Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD, LTg-Drs. 5/1028 v. 13.12.2007).
Ob man diese Regelungen als wesentlich betrachtet oder nicht, kann dahinstehen, denn jedenfalls wird durch sie nicht der Gesetzesgegenstand ausgetauscht so dass nicht die Notwendigkeit bestand, das Gesetzgebungsverfahren neu beginnen zu lassen. Das für diese Notwendigkeit maßgebliche Kriterium kann angesichts der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments nur die Veränderung des Gesetzesgegenstandes sein. Im Rahmen dieser Kompetenz muss es dem Parlament hingegen erlaubt sein Änderungen auch wesentlicher Art an dem eingebrachten Gesetzentwurf im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu beschließen (so auch Bull, DVBl. 2006, 302 ff. in Anmerkung zu den Urteilen des LVerfG MV v. 7.7.2005 (LVerfG 8/04 und 7/04), DVBl. 2005, 1578 und 1597 (nur LS); a.A. offenbar Landesverfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern, LVerfG MV, Urteil vom 07.07.2005, - LVerfG 8/04 -, DVBl. 2005, 1578 ff.).
{RN:66}
Unbegründet ist der Antrag auch insoweit als gerügt wird, dass eine inhaltliche Beratung des gesamten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform und seiner einzelnen Bestimmungen nicht erfolgt sei. Die Plenarprotokolle der drei Sitzungen des Landtages weisen aus, dass sich alle im Landtag vertretenen Parteien jeweils zum Gesetzentwurf äußerten. Auch die Antragstellerin hat sich daran beteiligt. Dabei hat sie in keiner der drei Beratungen geltend gemacht, sie erhalte nicht ausreichend Gelegenheit, ihre Positionen vorzutragen. Im übrigen ist es nicht verfassungsrechtlich vorgegeben, welchen Umfang die Beratungen des Landtages haben müssen. Dies ist vielmehr eine politische Entscheidung der Mitglieder des Landtages. Es gibt keine verfassungsrechtliche Pflicht, jede einzelne Norm eines Gesetzentwurfes zu erörtern, selbst wenn § 31 GeschO LTg dies nahelegt. Die Geschäftsordnung des Landtages ist eine vorher festgelegte Absprache der Mitglieder des Landtages, wie zu verfahren ist. Der Landtag ist nicht gehindert, hiervon einvernehmlich abzuweichen. Die Mitglieder des Parlaments entscheiden selbst wie detailliert oder allgemein sie einen Gesetzentwurf erörtern und worauf sie den Schwerpunkt ihrer Argumentation legen. Im vorliegenden Fall weist das Plenarprotokoll 5/33 des Landtags vom 24.01.2008 aus, dass der Landtagspräsident das beabsichtigte Verfahren der Abstimmung mitteilte und sich dagegen kein Widerspruch erhob. Damit ist nicht erkennbar, wie durch das auch von der Antragstellerin unwidersprochen hingenommene Abstimmungsverhalten, ihre Oppositionsrechte in verfassungswidriger Weise verkürzt worden sein sollen.
{RN:67}
In der Schlussberatung am 24.01.2008, der 3. Lesung, lag dem Plenum der Gesetzentwurf in der zuletzt unter Einbeziehung der Änderungsanträge der KoaIitionsfraktionen und redaktioneller Überarbeitungen erstellten Fassung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages vom Ausschuss für Inneres mit einer Beschlussempfehlung dem Plenum überwiesenen Form vor. Hierüber wurde der Gesetzesbeschluss gefasst. Das Gesetz ist demzufolge ordnungsgemäß zustande gekommen.
{RN:68}
Sofern die Beschwerdeführerin schließlich die fehlende Begründung des GemNeuglGrG rügt, weist die Landesregierung zutreffend daraufhin, dass nach der Rspr. des erkennenden Gerichts und des Bundesverfassungsgerichts eine fehlende Gesetzesbegründung nicht zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führt. Aus materiellrechtlichen Bindungen des Gesetzgeberskönnen keine verfahrensrechtlichen Erfordernisse im Sinne spezifischer Begründungsanforderungen abgeleitet werden. Vielmehr kommt es nur darauf an, ob die gesetzgeberische Entscheidung im Ergebnis diesen Anforderungen genügt (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, z.B. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 27.05.1992, - 2 BvF 1, 2,/88, 1/89 und 1/90 -, BVerfGE 86, 148 [212]; st. Rspr. des Landesverfassungsgerichts, z.B. LVerfG, Urteil vom 31.05.1994, - LVG 1/94 -, LVerfGE 2, 273 [305 f]; LVerfG, Urteil vom 09.03.2007, - LVG 7/06 -, Rdn.65). Hieran wird festgehalten.
Für das GemNeuglGRG läßt sich eine besondere rein formelle Begründungspflicht auch nicht daraus herleiten, dass ein Gebietsänderungsbeschluss "planerische Elemente" (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12.05.1992, - 2 BvR 470, 650, 707/90 -. BVerfGE , 90 [108]) trägt; denn konkrete Gebietsänderungsbeschlüsse enthält des GemNeuglGRG nicht. Im übrigen gäbe es selbst dann keine formelle Begründungspflicht, wenn dies anders wäre. Soweit für Planungsergebnisse auch eine Planbegründung verlangt wird, beruht dies auf jeweils ausdrücklicher Anordnung und ergibt sich nicht schon aus dem Wesen des Planungsrechts. Solche Sondervorschriften finden sich allgemein für Planfeststellungsverfahren im Verwaltungsverfahrensrecht (§§ 72, 39 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes - VwVfG - und auf dieses bezugnehmend § 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Sachsen-Anhalt vom 18.8.1993 - VwVfG-LSA -) und speziell für die Satzungen des Bauplanungsrechts im § 9 Abs. 8 BauGB. Aus diesen - auf einfachem Gesetz beruhenden - Regelungen lässt sich kein Verfassungsrecht auf besondere formelle Begründung herleiten (LVerfG, Urt, v. 31.05.1994- - LVG 1/94, a.a.O.).
{RN:69}
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Das Organstreitverfahren bleibt in vollem Umfang erfolglos, so dass die Erstattung der Auslagen der Antragstellerin nach § 32 Abs. 2 LVerfGG nicht in Betracht kommt. Gründe im Sinne des § 32 Abs. 3 LVerfGG gleichwohl die Erstattung der Auslagen der Antragstellerin anzuordnen sind nicht ersichtlich.
« zurück(wegen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform)
Die Anträge werden als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen den Antragsgegner zu 1) richten und Vorgänge rügen, die vor der 33. Sitzung des Landtages am 24. Januar 2008 liegen und soweit sie sich gegen die Antragsgegnerin zu 2) richten. Im übrigen werden sie zurückgewiesen.
Das Verfahren ist kostenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Tatbestand
{RN:1}
Die Antragstellerin ist die Fraktion der Freien Demokratischen Partei, FDP, im Landtag des Landes Sachsen-Anhalt und befindet sich in der Opposition. Das von ihr eingeleitete Organstreitverfahren betrifft das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt (Gesetz über die Grundsätze der Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetz- GemNeuglGrG vom 14. Februar 2008 GVBl LSA S. 40).
Die Antragstellerin rügt, dass der Antragsgegner zu 1), der Landtag von Sachsen-Anhalt, ihre Rechte als Oppositionsfraktion auf Chancengleichheit verletzt habe. Weiterhin rügt sie für den den Landtag, dass die Antragsgegnerin zu 2), die Landesregierung, dessen Rechte vor und während des Gesetzgebungsverfahrens umfassend über den Gesetzentwurf informiert zu werden, verletzt habe, sowie versäumt habe darauf hinzuwirken, dass das in der Verfassung verankerte Prinzip zweier Lesungen eines Gesetzes beachtet werde.
{RN:2}
Im Zuge der Wiedervereinigungwurde den zu diesem Zeitpunkt im Gebiet von Sachsen-Anhalt existierenden Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung verliehen und zugleich die Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben und übertragenen staatlichen Aufgaben übertragen. Bereits 1991 erachtete der Landesgesetzgeber angesichts der überkommenen, in vielen Bereichen sehr kleinteiligen Gemeindestrukturen eine kommunale Gebietsreform als notwendig. Deshalb wurden 1992 zur Stärkung der Verwaltungskraft vor allem der kleineren Gemeinden Verwaltungsgemeinschaften eingeführt, wobei eine Mindesteinwohnerzahl ihrer Mitgliedsgemeinden von 5.000 normiert war. 2005 wurde diese Zahl auf 10.000 verdoppelt. Nach der Gebietsinformation des Statistischen Landesamtes von Sachsen – Anhalt vom 02.07.2008 gab es mit Stand vom 01.07.2008 im Land Sachsen – Anhalt insgesamt 1013 Gemeinden. Inklusive der drei kreisfreien Städte waren davon 40 Einheitsgemeinden sowie 90 Verwaltungsgemeinschaften mit 973 Mitgliedsgemeinden.
Die in der fünften Wahlperiode die Regierung tragenden Parteien des Landes Sachsen-Anhalt vereinbarten in der Koaltionsvereinbarung vom 24.04.2006 die Bildung einheitlicher, leistungsfähiger Gemeindestrukturen. Dabei verständigten sich beide Parteien auf das Ziel, im Rahmen einer Freiwilligkeitsphase bis zu den Kommunalwahlen 2009 flächendeckend Einheitsgemeinden zu bilden. Komme es dazu nicht, solle noch im Laufe dieser Legislaturperiode die gesetzliche Einführung von Einheitsgemeinden zum 01.07.2011 vorgenommen werden.
Der Landtag von Sachsen-Anhalt fasste in seiner Sitzung am 19.10.2006 unter dem Tagesordnungspunkt 14 einen Beschluss (Drs. 5/8/298 B vom 19.10.2006), worin die Landesregierung gebeten wurde, unter enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden bis zum Ende des zweiten Quartals 2007 dem Landtag ein Leitbild zur Gemeindegebietsreform vorzulegen.
Aufgrund eines weiteren Landtagsbeschlusses vom 17.11.2006 (LTg.-Drs. 5/11/355) wurden von der Landesregierung zunächst Eckpunkte zur Gemeindegebietsreform erarbeitet. Diese hatten die Ausgangssituation, das Ziel und den Inhalt der Reform zum Gegenstand. In einer Fassung vom 05.04.2007 wurden sie auf der Homepage des Ministeriums des Innern eingestellt.
Am 26.01.2007 beauftragte der Landtag (LTg.-Drs 5478 B v. 26.01.2007) die Landesregierung, ein unabhängiges Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften einzuholen. Der Gutachtenauftrag wurde dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht erteilt. Die Kurzfassung des erstellten Gutachtens „Zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt“ vom 09.06.2007 wurde am 13.06.2007 und die Langfassung des Abschlussberichtes vom 19.06.2007 am 26.06.2006 auf der Homepage des Innenministeriums veröffentlicht.
Aufgrund unterschiedlicher Auslegungen zum Begriff der Einheitsgemeinde sowie zahlreich geäußerter Bedenken, insbesondere durch kommunale Repräsentanten, gegen die ausnahmslose flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden hatte sich die Regierungskoalition am 30.03.2007 darauf verständigt, in der freiwilligen Phase der Gebietsreform bis 2009 neben der Einheitsgemeinde im Sinne von § 10 Abs. 1 GO LSA, die bei bestimmten Konstellationen zwingend bleiben sollte, auch die Bildung von sogenannten Verbandsgemeinden als Ausnahmemodell zu ermöglichen. Gleichzeitig hatte sie die wichtigsten Grundsätze für die Einführung der Einheitsgemeinden festgelegt.
Auf Antrag der FDP-Fraktion führte der Landtag am 14.06.2007 eine aktuelle Debatte zum Thema „Konsequenzen der Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt“ durch (Plenarprotokoll der 22. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt). In der Begründung ihres Antrages hatte die FDP-Fraktion darauf hingewiesen, dass neben dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten ein weiteres Gutachten der Fachhochschule Harz mit dem Titel „Ist die Einheitsgemeinde wirtschaftlicher als die Verwaltungsgemeinschaft oder die Verbandsgemeinde?“ vorliege. In der Landtagsdebatte wurden von den Rednern aller Fraktionen und von der Landesregierung die vorliegenden Gutachten bewertet.
Nachdem die Landesregierung am 07.08.2007 die endgütige Fassung eines Leitbildes der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt beschlossen hatte, wurde von ihr der Landtag darüber informiert. Es behandelte in zehn Abschnitten Anlass, Ziele und Einzelheiten der Durchführung der beabsichtigten Gemeindegebietsreform sowie den vorgesehenen Zeitplan. Am 04.09.2007 billigte die Landesregierung eine Kurzfassung des Leitbildes, auf deren Grundlage ein Flyer erstellt wurde, der im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeriums allen Gemeinden auf dem Postweg übermittelt wurde. Sowohl das Leitbild, wie auch dessen Kurzfassung und der Flyer wurden auf der Homepage des Ministeriums des Innern eingestellt.
Im Rahmen seiner Information über die bevorstehende Gemeindegebietsreform hat das Ministerium des Inneren darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber das Leitbild noch normativ umsetzen müsse, dass aber freiwillige Reformschritte bereits möglich seien. Gemeinden könnten sich durch den Abschluss von Gebietsänderungsverträgen freiwillig zu Einheitsgemeinden zusammenschließen, wenn sie über mindestens 8.000 Einwohner verfügten (§ 10 Abs. 1 S.3 und § 17 Abs. 1 S. 5 GO LSA a F.). Bei einem Zusammenschluss mehrerer Gemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft ohne Bildung einer Einheitsgemeinde blieb seinerzeit die größere Gemeinde als verwaltungsgemeinschaftsangehörige Gemeinde bestehen (§ 10 Abs. 1 S.2 GO LSA a F.). Ein Zusammenschluss zu einer Verbandsgemeinde durch Abschluss einer Verbandsgemeindevereinbarung war in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage noch nicht möglich.
Im Leitbild zur Gemeindegebietsreform fand sich bereits ein Hinweis auf die Möglichkeit, dass Gemeinden, die einer Verwaltungsgemeinschaft nach dem Modell eines gemeinsamen Verwaltungsamtes angehören und weitere Voraussetzungen erfüllen, ausnahmsweise an Stelle einer Einheitsgemeinde eine Verbandsgemeinde bilden könnten (Leitbild zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt, 2007, S. 110 f.). Weiter wurde dort darauf verwiesen (S. 156 f.), dass das Land die Gebietsreform im Rahmen der freiwilligen Phase mit voraussichtlich insgesamt 45 Millionen Euro unterstützen werde. Im Nachtragshaushalt des Jahres 2007 seien bereits 10 Millionen Euro an zusätzlichen Finanzmitteln eingestellt worden, um sie an diejenigen Kommunen auszureichen, die sich dem 1. August 2007 zu leitbildgerechten Einheitsgemeinden zusammenschließen würden. In den Jahren 2008 bis 2010 sollten nochmals insgesamt 35 Millionen Euro als finanzielle Anreize im Haushalt des Landes bereitgestellt werden. Die im Ausnahmefall möglichen Zusammenschlüsse zu Verbandsgemeinden würden in den Jahren 2008 bzw. 2009 in die Förderung einbezogen werden.
In der Zeit der Vorbereitung der Gemeindegebietsreform bildete sich in Sachsen-Anhalt die Volksinitiative „Sachsen-Anhalt 2011 — Bürger gegen die flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden und Zwangseingemeindungen in Ober- und Mittelzentren“. Der Antrag der Volksinitiative wurde am 24.02.2007 der Vizepräsidentin des Landtags übergeben. Nach Beratung im Petitionsausschuss und stattgefundener öffentlicher Anhörung der Volksinitiative fand am 13.07.2007 im Landtag eine Aussprache über deren Vorbringen statt. In namentlicher Abstimmung erklärte der Landtag die Volksinitiative sodann für erledigt (LTg.- Plenarprotokoll 5/24 vom 13.07.2007, S. 1557).
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Am 02.10.2007 übersandte die Landesregierung dem Landtag den von ihr am gleichen Tag beschlossenen Entwurf eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform (LTg.-Drs. 5/902). Zugleich wurde der Entwurf auf der Homepage des Ministeriums des Innern eingestellt.
Die erste Lesung des Entwurfs eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform fand am 11.10.2007 im Landtag statt (LTg.-Plenarprotokoll 5/27, vom 11.10.2007, S. 1786 ff.). Der Landtag überwies den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Inneres (LTg.-Plenarprotokoll 5/27, v.11.10.2007, S.1794).
In seiner Sitzung am 25.10.2007 beschloss der Ausschuss für Inneres, am 29.11.2007 eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchzuführen. In einer Sitzung am 20.12.2007 sollte eine Beschlussempfehlung für die Plenarsitzung im Januar 2008 erarbeitet werden. Der Vorsitzende des Innenausschusses bat die Fraktionen, der Geschäftsstelle des Ausschusses bis zum Montag, 05.11.2007, 16:00 Uhr, die Anzuhörenden zu benennen (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der Sitzung am 25.10.2007, S. 39).
In seiner Sitzung am 29.11.2007 hörte der Ausschuss für Inneres im Rahmen einer öffentlichen Anhörung Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, die Gutachter Prof. Dr. Rosenfeld (IWH) und Dr. Wiegand (Fachhochschule Harz) sowie mehrere Bürgermeister und Leiter von Verwaltungsgemeinschaften an. Zu Beginn der Sitzung rügten Vertreter der Opposition, dass die beiden Regierungsfraktionen in gleich lautenden Pressemitteilungen vom Vortag bekanntgegeben hätten, dass sie sich über weitere Änderungen am Gesetz geeinigt hätten, die dem Ausschuss aber noch nicht vorlägen; es handle sich dabei um wesentliche Änderungen (Beiträge der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen Kosmehl und Tiedge in: LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der öffentlichen Anhörung im Rahmen der Sitzung am 29.11.2007, S. 5 ff.). Dieser Einschätzung widersprach der Abgeordnete Stahlknecht (CDU). Es handele sich nicht um eine substantielle Änderung des Gesetzes, sondern nur um die Übernahme von sinnvollen Anregungen zahlreicher Beteiligter, die in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden sollten (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der öffentlichen Anhörung im Rahmen der Sitzung am 29 November 2007, S. 6 f.). Den Ausschussmitgliedern und den weiteren Beteiligten der öffentlichen Anhörung wurde sodann eine Tischvorlage überreicht, die den Entwurf eines beabsichtigten Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen ohne Begründungstext wiedergab, dessen Überschrift „Entwurf, Stand 27.11.2007“ lautete.
In seiner 31. Sitzung am 05.12.2007 befasste sich der Ausschuss für Inneres erneut mit dem Entwurf eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform. Er beschloss mit Mehrheit, dem Landtag zu empfehlen, gemäß § 29 Abs. 1 der Geschäftsordnung den Gesetzentwurf in der 2. Beratung anzunehmen, ohne eine Schlussabstimmung durchzuführen und den Gesetzentwurf am Ende der 2. Beratung gemäß § 33 Abs. 1 der Geschäftsordnung ganz wieder an den Ausschuss für Inneres zu überweisen. Weiter heißt es, der Ausschuss nehme zur Kenntnis, dass ein Änderungsantrag von den Fraktionen der CDU und der SPD angekündigt sei und empfehle, diesen sowie gegebenenfalls andere Änderungsanträge gemäß § 32 Abs. 2 der Geschäftsordnung an den Ausschuss für Inneres zu überweisen.
Am 13.12.2007 brachten die Fraktionen der CDU und der SPD ihren angekündigten Änderungsantrag ein (LTg.- Drs. 5/1028 v.13.12. 2007). Dieser Änderungsantrag war überwiegend, aber nicht vollständig inhaltsgleich mit dem Entwurf vom 27.11.2007. Ebenfalls unter diesem Datum brachten die Fraktion DIE LINKE einen Änderungsantrag ein (LTg.-Drs. 5/1026). Dieser thematisierte u.a. den Zusammenhang der geplanten Gemeindeneugliederung mit einer interkommunalen Funktionalreform an und hatte insbesondere die Wahlfreiheit der Gemeinden zwischen dem Modell der Einheitsgemeinde und dem der Verbandsgemeinde zum Gegenstand.
Der Landtag erörterte in seiner Sitzung am 13.12.2007 das Gesetzgebungsverfahren kontrovers. Sowohl der Berichterstatter des Innenausschusses wie auch Sprecher verschiedener Fraktionen stimmten allerdings darin überein, dass der Entwurf in drei Lesungen behandelt werden solle. Deshalb überwies der Landtag den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge abschließend einstimmig zur weiteren Beratung an den Innenausschuss (LTg.-Plenarprotokoll 5/31 v.13.12.2007, S. 2063 ff.).
Am 20.12.2007 führte der Ausschuss für Inneres in seiner 32. Sitzung die zweite öffentliche Anhörung zu dem Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform sowie zu den beiden Änderungsanträgen durch. Die Einladungen an die Anzuhörenden waren mit Schreiben vom 14.12.2007 versandt worden. Dabei war darauf hingewiesen worden, dass auch eine schriftliche Stellungnahme bis zum 07.01.2008 eingereicht werden könne, von welcher Möglichkeit zwei Anzuhörende Gebrauch machten. An der Anhörung selbst nahmen der Gutachter Wiegand, Vertreter kommunaler Spitzenverbände, der Sprecher der Volksinitiative Sachsen-Anhalt 2011 sowie Bürgermeister und Repräsentanten von Verwaltungsgemeinschaften teil (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der Öffentliche Sitzung am 20. 12.2007).
Am 10.01.2008 erörterte der Ausschuss für Inneres den Entwurf des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform sowie die beiden Änderungsanträge auf der Grundlage einer vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages (GBD) erstellten Synopse mit Empfehlungen zu einer Reihe von Vorschriften. Weiter lagen dem Ausschuss Stellungnahmen des Landkreistages und des Städte- und Gemeindebundes vor. Während die Änderungsanträge der Fraktion DIE LINKE abgelehnt wurden, beschloss der Ausschuss die Artikel 1 bis 8 sowie die Gesetzesüberschrift auf der Grundlage der Synopse des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes. Er empfahl dem Landtag, den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss erarbeiteten Fassung anzunehmen (LTg.- Ausschuss für Inneres, 5. Wahlperiode, Protokoll der Sitzung am 10. 01. 2008, S. 9 ff. sowie LTg.-Drs. 5/1078).
Am 24.01.2008 führte der Landtag eine dritte Beratung des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres durch. Vertreter der Oppositionsfraktionen rügten wiederum das Gesetzgebungsverfahren. Nachdem ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE ( LTg.-Drs, LSA 5/1096) abgelehnt worden war, stimmte das Plenum der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres zu. In namentlicher Abstimmung wurde das Gesetz mit 55 gegen 32 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen angenommen (LTg.- Plenarprotokoll 5/33 vom 24.01.2008, S. 2175 ff).
Das am 24.01.2008 beschlossene Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform wurde am 20.02.2008 im Gesetzblatt des Landes Sachsen-Anhalt verkündet und trat am 21.02.2008 in Kraft (GVBI LSA 2008, S.40 ff.).
{RN:4}
Die Beschwerdeführerin hat am 24. Juli 2008 vor dem Landesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren eingeleitet.
{RN:5}
Zur Begründung trägt sie vor, sie selbst sei durch den Landtag, den Antragsgeger zu 1), in ihren Rechten als Oppositionsfraktion auf Chancengleichheit sowie Mitwirkung und Kontrolle verletzt. Entsprechende Rechte ergäben sich für sie aus Art. 48 i.V.m. 41, 47,51 LVerf i.V.m. §§ 2, 13,14,23,36 GO-LTg-LSA.
Diese Verletzung sei durch den Verlauf des Gesetzgebungsverfahren erfolgt. Sie könne dies rügen, auch wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst schon Gegenstand anderer, nämlich kommunaler Verfassungsbeschwerden sei.
{RN:6}
Auch könne sie als Teil des Landtages in Prozeßstandschaft dessen Rechte gegenüber anderen Verfassungsorganen geltend machen. Insoweit rüge sie die Verletzung der Informationsrechte des Landtages aus Art. 62 Abs. 1 S. 1, Art. 77 LVerf durch die Landesregierung, die Antragsgegnerin zu 2).
{RN:7}
Ihr Feststellungsbegehren sei fristgerecht nach § 36 Abs. 3 LVerfGG-LSA und zwar sowohl wenn man auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt am 20. Februar 2008 abstelle als auch dann, wenn man auf den Zeitpunkt des Normbeschlusses am 24. Januar 2008 abstelle.
{RN:8}
Im Einzelnen seien mit den gerügten Verhaltensweisen das Prinzip der Ermöglichung von Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten der parlamentarischen Opposition in Gestalt der FDP und damit Art. 48 LVerf verletzt worden:
{RN:9}
Während des Gesetzgebungsverfahrens seien notwendige Anhörungen nach Art. 90 S. 2 LVerf unterblieben. Diese seien Teil eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens, dessen Einhaltung der parlamentarischen Kontrolle durch die Oppositionsfraktionen unterliege.
Weder seien alle Anzuhörenden angehört worden noch seien die Anhörungen im Innenausschuss, soweit sie erfolgt seien, nach den für Anhörungen entwickelten Grundsätzen vorgenommen worden.
Sie habe keine eigenen Benennungen von Betroffenen, Bürgermeistern und Verwaltungsleitern vornehmen können, um deren Anhörung zu veranlassen. Von einem eigenen Antrag auf Anhörung bestimmter Personen habe sie abgesehen, weil dieser voraussichtlich mehrheitlich abgelehnt worden wäre.
Bei der Anhörung im Ausschuss für Inneres am 29.11.2007 sei den Beteiligten erstmals ein Entwurf eines beabsichtigten Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen ohne Begründung vorgelegt worden, mit dem aufgrund dessen keine fundierte Auseinandersetzung möglich gewesen sei. Aufgrund der in ihrer Substanz wesentlichen Änderungen hätte ein neuer Anhörungstermin bestimmt werden müssen, um den Anzuhörenden ausreichend Gelegenheit zu geben, sich darauf einzulassen.
{RN:10}
Der Änderungsentwurf der Regierungsfraktionen zum Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform sei weder in den zuständigen Ausschuss für Inneres noch in das Plenum des Landtages ordnungsgemäß eingebracht worden. Es sei weder ein spezifischer Änderungsantrag erfolgt noch sei dieser Antrag mit einer entsprechenden Begründung versehen worden.
Die Änderungen der letzten Fassung des Gesetzes in der Sitzung des Ausschusses für Inneres am 10. Januar 2008 hätten ebenfalls Rechte der Oppositionsfraktionen verletzt. Durch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages seien in einer Art Schlussredaktion zahlreiche Formulierungsänderungen vorgenommen worden, die teilweise auch inhaltlichen Charakter gehabt hätten. Den Oppositionsfraktionen seien diese Änderungen nicht eigens unterbreitet worden. Vielmehr sei nur - ohne Beauftragung durch den Innenausschuss – durch den GBD eine Synopse erstellt worden. Da sie an den redaktionellen wie inhaltlichen Änderungen des Gesetzentwurfs nicht beteiligt worden sei, habe die Oppositionsfraktion FDP ihre verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Kontrollrechte am Gesetzgebungsverfahren nicht wahrnehmen können.
{RN:11}
Ihre Oppositionsrechte auf Mitwirkung und Kontrolle aus Art. 48 LVerf seien weiterhin dadurch verletzt worden, dass bereits vor Inkrafttreten des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform die Gemeinden aufgefordert worden seien, sich im Sinne des Leitbildes zu verändern, auch soweit es die Gründung von Verbandsgemeinden anbelangt, wofür die gesetzliche Grundlage noch gefehlt habe. Diese faktische Vorverlagerung der Gebietsänderung durch die Förderung von Zusammenschlüssen zu einer Verbandsgemeinde am Landtag vorbei stelle auch einen Verstoß gegen Art. 90 LVerf dar.
{RN:12}
Mit den weiteren nach ihrer Ansicht verfassungswidrigen Vorgängen seien die Kontrollrechte der Opposition und damit wiederum Art. 48 LVerf verletzt worden:
{RN:13}
Eine zweite vollständige Lesung, wie es die Verfassung und die Geschäftsordnung des Landtags als Mindestbefassung mit einem Gesetzentwurf verlangten, habe beim Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform nicht stattgefunden. Dies beruhe auf den Änderungen, die als Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen zuerst im Entwurf und sodann wiederum verändert in den eigentlichen Anträgen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden seien. Dabei habe es sich um wesentliche Änderungen gehandelt. Somit habe eine zweite „richtige“ nach Parlamentsrecht ordnungsgemäße Lesung nicht stattgefunden, in welcher das gesamte Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung wie in seinen späteren, oft mehrfach geänderten Einzelbestimmungen hätte behandelt werden sollen.
Die Zeiträume zur Vorbereitung auf Ausschuss- und Plenarsitzungen seien - insbesondere aufgrund der Änderungsanträge - zu kurz gewesen. In der letzten Sitzung des Innenausschusses sei wieder ein „nagelneuer Gesetzentwurf“ vorgelegt worden. Dann sei fünfzehn Minuten nicht debattiert, sondern abgestimmt worden.
{RN:14}
Eine inhaltliche Beratung des gesamten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform und seiner einzelnen Bestimmungen sei nicht vorgenommen worden. In keiner der Lesungen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform, auch nicht in der abschließenden, sei es zu einer eingehenden Einzelberatung der Bestimmungen des Gesetzes gekommen. Eine solche umfassende Beratung habe von der FDP-Fraktion als Oppositionsfraktion nicht durchgesetzt werden können.
{RN:15}
Die Mitwirkungs- und Einflußnahmemöglichkeiten ebenso wie die Kontrollrechte der Oppositionsfraktion der FDP seien unter Verletzung von Art. 48 LVerf dadurch nicht gewahrt worden, dass zum geänderten Gesetzentwurf 5/902 i.V.m. Drs.5/1028 kein neuer Gesetzesbeschluss ergangen sei. Dies habe gegen § 34 Abs. 4 i.V.m. § 33 Abs. 2 S. 1 GO-LTg-LSA verstoßen.
{RN:16}
Ein weiterer Verstoß gegen Art. 48 LVerf liege darin, dass die amtliche Begründung des Gesetzes Lücken aufweise, indem wichtige Vorschriften nicht eigens und nicht in der gebotenen Ausführlichkeit begründet würden.
{RN:17}
Eine Verletzung von Art. 48 LVerf durch Mißachtung des Vertrauensprinzips der parlamentarischen Opposition und des Gebots der Verfassungsorgantreue bestehe in folgendem:
{RN:18}
Wesentliche Gesetzesmaterialien seien nicht in das laufende Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden. Es sei im Gesetzgebungsverfahren nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die letzte Reform der Verwaltunsgemeinschaften noch nicht evaluiert wurde, obwohl eine Evaluierung wesentliche und für das Gesetzgebungsverfahren entscheidende Aufschlüsse über Wert und Unwert dieser Gemeindeverbandsform hätte geben können. Hierdurch und durch den stillschweigenden Austausch des von der Landesregierung durch das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt beauftragten IWH/MLU-Gutachtens durch das FH-Harz-Gutachten seien die Rechte der Opposition aus Art. 48 LVerf verletzt worden.
{RN:19}
Die Informationsrechte des Landtages gegenüber der Landesregierung und deren korrespondierende Informationspflicht aus Art. 62, 77 LVerf seien durch die bereits unter RN 9 angesprochenen Vorgänge verletzt worden.
Art. 62 Abs. 1 S. 1 LVerf beinhalte die Pflicht zur rechtzeitigen Unterrichtung des Landtags und seiner Mitglieder bzw. Fraktionen über die Vorbereitung von Gesetzen. Diese Pflicht werde durch die §§ 1 ff. LIG konkretisiert. Aus diesen Vorschriften resultiere nicht allein die Pflicht zu einer umfassende und ausreichende Vorbereitungszeit wahrenden Information im vorparlamentarischen Verfahren, sondern gemäß Art. 77 LVerf in Verbindung mit dem Statusrecht der Landtagsabgeordneten und im Erst-Recht-Schluss auch ihrer Organe auch im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren. Konkret bedeute dies, dass die informationsverpflichtete Landesregierung dort, wo im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens eine Anhörung nur unzureichend stattgefunden habe oder nicht stattzufinden drohe, zu eigenem Handeln verpflichtet sei, was sie hier unterlassen habe.
{RN:20}
Die Verfahrensbeteiligten stellen folgende Anträge:
Die Antragstellerin beantragt,
1. festzustellen, dass der Antragsgegner zu 1) die Rechte der Antragstellerin als Oppositionsfraktion und Teil des Landtags aus Art. 48 Abs. 2 i.V.m. Art. 47, 41 LVerf i.V.m. §§ 2, 13, 14, 23 - 34, 36 GO-LTg-LSA dadurch verletzt hat, dass er das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform v. 21.02.2008 (GVBl.-LSA 2008, S. 40) beschloss und verkündete, ohne die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Antragstellerin durch verfahrensfehlerfreie Anhörungen und deren ordnungsgemäße Vorbereitung, ohne Verstoß gegen das Zwei-Lesungs-Prinzip des Art. 77 Abs. 3 LVerf, ohne fehlerhafte Gesetzesberatungen, ohne nicht ordnungsgemäße Einbringung von Änderungsentwürfen während des Gesetzgebungsverfahrens und ohne deren mangelhafte Erörterung, ohne einen fehlerhaften Gesetzesbeschluss, ohne eine unvollständige Gesetzesbegründung und schließlich ohne eine fehlende gesetzliche Grundlage der Verbandsgemeinde zu Beginn der sog. „Freiwilligenphase" hinreichend zu achten und zu wahren und
2. festzustellen, dass der Antragsgegner zu 2) die Rechte des Landtags aus Art. 62 Abs. 1 und Art. 77 LVerf, vor und während eines Gesetzgebungsverfahrens durch die Landesregierung rechtzeitig und umfassend über den Gesetzesentwurf informiert zu werden, dadurch verletzt hat, dass er nicht für eine ordnungsgemäße Anhörung der vom Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform v. 21.02.2008 (GVBl.-LSA 2008, S. 40) Betroffenen gesorgt hat sowie die von ihm in Auftrag gegebene gutachterliche Grundlage des Gesetzesentwurfs (Rosenfeld/Kluth, Zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt vom 19.06.2007) ohne Erörterung im Landtag verwarf und durch ein weder von ihm beauftragtes noch offen in das Gesetzgebungsverfahren eingeführtes Gutachten (Wiegand/Grimberg, Ist die Einheitsgemeinde wirtschaftlicher als die Verwaltungsgemeinschaft oder die Verbandsgemeinde? vom 25.05.2007) ersetzte.
Der Antragsgegner zu 1) beantragt,
den Antrag zu 1) abzulehnen.
Die Antragsgegnerin zu 2) beantragt,
den Antrag zu 2) als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise zurückzuweisen.
{RN:21}
Der Antragsgegner zu 1) macht geltend, die Antragstellerin könne sich nicht auf die behauptete Verletzung der in Art. 90 Satz 2 LVerf vorgesehenen Anhörung der von einer Gebietsänderung betroffenen Kommunen und Einwohner berufen, eben so wenig wie auf die behauptete Verletzung von Vorschriften der Geschäftsordnung des Landtages.
Im übrigen sei der Antrag zum größten Teil unzulässig, da verfristet, nämlich soweit er sich auf Vorgänge beziehe, die vor dem Zeitraum von sechs Monaten vor Antragseinreichung beim Landesverfassungsgericht lägen, also vor dem 24. Januar 2008.
{RN:52}
Soweit er zulässig sei, sei der Antrag aber nicht begründet. Das Recht der Antragstellerin als Oppositionsfraktion auf Chancengleichheit begründe schon kein subjektives Recht darauf, dass der Landtag alle Rechtmäßigkeitsanforderungen eines Gesetzgebungsverfahrens beachte. Im weiteren verkenne die Antragstellerin auch den normativen Gehalt des Art. 77 Abs. 3 LVerf. Aus dem Zwei-Lesungs-Prinzip ergebe sich kein Verbot, während des Gesetzgebungsverfahrens den Inhalt der geplanten gesetzlichen Regelungen zu verändern.
Abgesehen davon, dass die Antragstellerin die behauptete Verletzung kommunaler Anhörungsrechte nicht rügen könne, lägen derartige Verletzungen auch gar nicht vor. Unbeschadet der Verfristung der entsprechenden Rüge, sei der Vorwurf, sie habe keine anzuhörenden Bürgermeister oder Verwaltungsamtsleiter benennen können, schon deshalb unbegründet, weil sie gar nicht behaupte, dass sie einen diesbezüglichen Antrag gestellt oder Wunsch geäußert habe, welcher abgelehnt worden sei. Alle im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgenommenen Änderungen seien sowohl ordnungsgemäß eingebracht als auch beraten und erörtert worden. Statt nur in zwei Lesungen sei der Gesetzesentwurf sogar in drei Lesungen behandelt worden. Auch verbiete die Vorschrift des Art. 77 Abs. 3 LVerf nicht, Änderungen in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen solange diese nicht den Gegenstand des Gesetzentwurfes an sich austauschten.
Die Vorwürfe gegen den Antragsgegner zu 1) wegen der Inhalte der Beratung im Plenum seien schon deswegen unbegründet, weil es Ausfluss des freien Mandats der Mitglieder des Landtages sei, welche Beiträge sie bei der Beratung eines Gesetzentwurfes leisten wollten. Soweit die Antragstellerin behaupte, dass zum geänderten Gesetzentwurf kein neuer Gesetzesbeschluss ergangen sei, treffe dies nicht zu.
Schließlich liege keine Unvollständigkeit der Gesetzesbegründung des am 24. Januar 2008 beschlossenen Gesetzes vor, denn auch der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sei ausführlich begründet worden.
{RN:53}
Die Antragsgegnerin zu 2) hält den gegen sie gerichteten Antrag für unzulässig. Insoweit mangele es der Antragstellerin bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis, denn es obliege allein dem Landtag, sich in jedem Gesetzgebungsverfahren Gewissheit über den für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu verschaffen, mithin habe er erforderliche Anhörungen gegebenenfalls selbst durchzuführen und die so ermittelten Grundlagen zum Gegenstand seiner Abwägung zu machen.
Für Ihren Antrag liege kein Rechtsschutzbedürfnis vor, denn sie hätte sowohl als Fraktion den Ältestenrat des Landtages mit ihrem Anliegen befassen können wie auch ihre einzelnen Abgeordneten die Kontrollrechte aus Art. 52, 53 und 56 LVerf hätten in Anspruch nehmen können.
Die Antragstellerin habe die sechsmonatige Frist zur Antragstellung des Art. 36 Abs. 3 LVerf nicht eingehalten. Soweit sie auf den Gesetzesbeschluss des Landtages abstelle, könne darin als dem Handeln eines anderen Verfassungsorgans keine Verletzung von Pflichten der Landesregierung gesehen werden.
Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gegenüber dem Antragsgegner zu 1), dem Landtag, durch die Antragsgegnerin zu 2). die Landesregierung, könne die Antragstellerin nicht geltend machen, da nicht ersichtlich sei, im Verhältnis zu welchem anderen Verfassungsorgan hier eine Ungleichbehandlung des Antragsgegners zu 1) vorliegen können sollte.
{RN:54}
Eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des Landtages durch die Landesregierung liege nicht vor, da diese die ihr aus Art. 62 Abs. 1 LVerf bzw. nach Art. 77 Abs. 2 LVerf in Verbindung mit dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue zukommenden Informationspflichten erfüllt habe, insbesondere durch die Information über den Referentenentwurf, durch die Auseinandersetzung mit beiden vorliegenden Gutachten in der Begründung des Gesetzentwurfes der Landesregierung und durch ein Schreiben an den Präsidenten des Landtages.
Die Landesregierung habe die beiden von ihr in ihre Überlegungen einbezogenen Gutachten bekannt gegeben und damit zur Erörterung gestellt. Auf den weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens im Landtag, insbesondere darauf, was dort im allgemeinen und im speziellen erörtert werde, könne sie keinen Einfluss nehmen.
Dadurch, dass das Ministerium des Innern als oberste Kommunalaufsichtsbehörde die Gemeinden über die bevorstehende Gemeindegebietsreform und die Inhalte des Leitbildes nach dem Beschluss der Landesregierung informierte und auf die benötigten Zeiträume für freiwillige Zusammenschlüsse hinwies, könnten Rechte des Landtages nicht verletzt worden sein. Insbesondere sei nicht angeregt worden, tatsächliche Gemeindezusammenschlüsse , die erst nach dem Inkrafttreten des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform eine Rechtsgrundlage gehabt hätten, schon vorher vorzunehmen. Solche seien auch tatsächlich nicht erfolgt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
{RN:54}
Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung über die „Organklage“ berufen. Beide Anträge sind als sog. „Organklagen“ statthaft . Die Antragstellerin macht mit dem Antrag zu 1) eine denkbare Verletzung ihrer Verfassungsrechte geltend. Mit dem Antrag zu 2) rügt sie in zulässiger Prozeßstandschaft die Verletzung von Verfassungsrechten des Antragsgegners zu 1) durch die Antragsgegnerin zu 2). Die übrigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit sind erfüllt , mit Ausnahme der Einhaltung der Frist für eine Organklage. Deshalb erweisen sich die Anträge als teilweise verfristet . Soweit der Antrag zu 1) nicht unzulässig ist, erweist er sich mangels Verfassungsverstoßes als nicht begründet .
{RN:55}
Die Befugnis des Landesverfassungsgerichts, über das Begehren der Antragstellerin zu entscheiden, folgt aus Art. 75 Nr. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt (LVerf).
{RN:56}
Es handelt sich um einen „Organstreit“ i. S. des Art. 75 Nr. 1 LVerf und § 2 Nr. 2 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - LVerfGG LSA-. An diesem können der Antragsgegner zu 1) nach § 35 Nr. 1 LVerfGG LSA und die Antragstellerin nach § 35 Nr. 3 LVerfGG LSA als „Fraktion“, also als ein von der Verfassung selbst mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Landtags (Art. 47 LVerf), i. S. des § 2 Nr. 2 LVerfGG LSA beteiligt sein. Die mögliche Beteiligtenstellung der Antragsgegnerin zu 2) ergibt sich aus § 35 Nr. 2 LVerfGG LSA.
Soweit § 36 Abs. 1 LVerfGG LSA auf verfassungsrechtliche „Zuständigkeiten“ und nicht auf Verfassungsrechte abstellt kommt dieser Formulierung keine andere, insbesondere keine weitergehende Bedeutung zu als der der in § 2 Nr. 2 LVerfGG LSA und in Art. 75 Nr. 1 LVerf verwandten Formulierung „Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten“.
{RN:57}
Die Antragstellerin kann aus der Antragsbefugnis in einem Organstreitverfahren – anders als dies bei einem abstrakten Normenkontrollverfahren der Fall ist – als Verfahrenspartei nicht eine gleichsam „objektive Klärung der Rechtslage“ verlangen. Die Zulässigkeit des Antrags setzt vielmehr voraus, dass die „Verletzung in eigenen Rechten“ wenigstens möglich erscheint. Das ist für den bundesverfassungsrechtlichen Organstreit ohne weiteres anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 09.02.1982, - 2 BvK 1/81 -, BVerfGe 60, 53 [63]) und gilt auch für den Organstreit nach Landesverfassungsrecht (LVerfG, Urteil vom 22.02.1996, - LVG 8/95 -, LVerfGE 3, 261 [269]). Dies ergibt sich nicht nur aus der Landesverfassungsnorm des Art. 75 Nr. 1 LVerf sonder diese Zulässigkeitsvoraussetzung ergibt sich notwendig schon aus dem Wesen des Organstreits als eines kontradiktorischen Verfassungsstreits (BVerfG, a.a.O.).
Als solches „eigenes“ Recht, dass durch eine gegenwärtige Maßnahme verletzt sein könnte, kommt hier das ihr durch Art. 48 Abs. 2 LSA-Verf und durch den allgemeinen Gleichheitssatz garantierte Recht auf „Chancengleichheit“ (vgl. hierzu LVerfG a.a.O., 270) in Betracht. Dass eine solche Rechtsverletzung möglich erscheint, reicht für die Zulässigkeit des Antrages 1) aus.
{RN:58}
Die Antragstellerin handelt mit ihrem Antrag 2) in Prozeßstandschaft für den Antragsgegner zu 1). Sie ist als Fraktion ein Organteil, eine nach der Geschäftsordnung ständig vorhandene Gliederung des Landtages. Sie ist als solche berechtigt, Rechte des Landtages selbst geltend zu machen,. Die ausdrückliche gesetzliche Zulassung hierfür findet sich in § 36 Abs. 1 LVerfGG LSA.
{RN:59}
Die Antragsschrift erfüllt die formellen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 LVerfGG LSA.
Die Bezeichnung des Art. 48 LVerf als verletzte Verfassungsnorm im Antrag 1) reicht auch dann aus, wenn tatsächlich nicht diese, sondern nur der allgemeine Gleichheitssatz verletzt sein sollte; denn § 36 Abs. 2 LVerfGG LSA verlangt nur die Bezeichnung der „Vorschrift, die verletzt sein soll“, und lässt damit ausreichen, dass die Anwendung dieser Bestimmung über-haupt in Erwägung zu ziehen ist.
Ebenso reicht im Antrag 2) die Bezeichnung der Artikel 62 und 77 LVerf als verletzte Normen aus.
{RN:60}
Die Anträge im Organstreitverfahren sind jedoch unzulässig soweit sie sich gegen den Antragsgegner zu 1) richten und Vorgänge rügen, die vor der 33. Sitzung des Landtages am 24. Januar 2008 liegen. Insoweit sind sie mangels Einhaltung der Sechsmonatsfrist des § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA verfristet (1.6.2.). Die Rüge der Verletzung des Art. 90 LVerf wäre unabhängig davon unzulässig (1.6.3.) Verfristet ist auch insgesamt der gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichteten Antrag (1.7.1.). Es bedarf keiner Erörterung, ob die Anträge - ihre Zulässigkeit unterstellt - auch unbegründet wären.
{RN:61}
Gemäß § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA muss der Antrag zur Einleitung des Organstreitverfahrens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden. Die landesverfassungsrechtliche Regelung entspricht der des § 64 Abs. 3 BVerfGG, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vergleichend herangezogen werden muss. Ebenso wie im Bundesverfassungsrecht ist diese Frist eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können (zur dortigen Rechtslage: Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, Rdn. 150 zu §§ 63,64; st. Rspr., z.B. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20.01.1999, - 2 BvG 2/95 -, BVerfGE 99, 361 [366] m.w.N.). Mit dieser Ausschlussfrist sollen im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 13.06.1989, - 2 BvE 1/88 -, BVerfGE 80, 188 [210]).
Sowohl der Antrag 1) als auch der Antrag 2) sind am 24. Juli 2008 bei dem Landesverfassungsgericht eingegangen. Damit fallen nur Maßnahmen oder Unterlassungen des Antragsgegners zu 1) in die gesetzliche sechs-Monats-Frist, die am 24. Januar oder später erfolgt sind. Maßnahmen oder Unterlassungen von ihm vor dem 24. Januar 2008 können mit den verfahrensgegenständlichen Anträgen wegen Verfristung nicht mehr gerügt werden. Am 24. Januar 2008 erfolgte die dritte Beratung des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform unter namentlicher Abstimmung über den Gesetzentwurf. Nur Verstöße im Zusammenhang damit können Rügegegenstand dieses Verfahrens sein. Zu Recht weist der Antragsgegner zu 1) darauf hin, dass sich demgegenüber die Antragstellerin nicht auf einen unmittelbaren Zusammenhang der von ihr im Einzelnen gerügten Verfahrensverstöße mit dem Gesetzesbeschlusss berufen kann. Zwar besteht ein Zusammenhang zwischen dem vorherigen Geschehen in Vorbereitung des Gesetzesbeschlusses und diesem selbst. Dies ändert aber nichts daran, dass eventuelle Verfahrensverstöße ob durch Maßnahmen oder Unterlassen begangen jeweils für sich genommen die Frist des § 36 Abs. 3 LVerfGG LSA in Lauf setzen. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist als gesetzlicher Ausschlussfrist ist im Organstreitverfahren ebenso wenig zulässig wie im Verfahren über Verfassungsbeschwerden (zu § 64 Abs. 3 BVerfGG: BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17.10.1968, - 2 BvE 2/67 -, BVerfGE 24, 252 [258]).
Sowohl nach § 36 Abs. 3 LVerfGG als auch nach § 64 Abs. 3 BVerfGG muss ein Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens sechs Monate nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist gestellt werden.
In der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts wird als Zeitpunkt an dem die Frist des § 64 Abs- 3 BVerfGG zu laufen beginnt, immer derjenige angesehen, an dem die Rechte des Antragstellers erstmals möglicherweise beeinträchtigt werden. Insbesondere werden nicht erst später auftretende konkrete Auswirkungen dieser Beeinträchtigung, beispielsweise die tatsächliche Anwendung der 5%-Klausel des Kommunalwahlrechtes auf eine Partei, für den Fristbeginn herangezogen. Vielmehr ist in solchen Fällen eines fortdauernden Unterlassens auf den Zeitpunkt der endgültigen Weigerung zur Vornahme der geschuldeten Handlung abzustellen (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08.03.2001, - 2 BvK 1/97 -, BVerfGE 103, 164). Wollte man dies anders sehen, würde dies im Ergebnis auch die Rechtssicherheitsfunktion des § 64 Abs. 3 BVerfGG unterlaufen, da dann ein jederzeitiger Neubeginn der Frist möglich wäre. Entscheidend ist die erstmalige aktuelle Betroffenheit bei Verletzung durch aktives Tun oder die erstmalige Erkenntnis der Nichtvornahme bei Unterlassen. Diese Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich z.B. in seiner Entscheidung vom 13.06.1989 (a.a.O.), da hier erst dann die Frist zu laufen begann, als die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslöste. Diese Konsequenz zeigt sich auch bei Entscheidungen über ein Unterlassen des Antragsgegners (z.B. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17.12.1985, - 2 BvE 1/85 -, BVerfGE 71, 299 [304]). Durchgehend wurde auf den Zeitpunkt abgestellt, indem klar wurde, dass der Antragsgegner die begehrte Maßnahme nicht durchführen werde (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28.07.1955, - BvH 1/54 -, BVerfGE 4, 250 [269]; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11.04.1967, - 2 BvG 1/62 -, BVerfGE 21, 312 [319]; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats, - 2 BvE 1/03 -, NJW 2008, 2018 [2019]). Soweit für den Fristlauf auf den Erlass gesetzlicher Vorschriften abgestellt wird, womit die Sechsmonatsfrist mit der Verkündung des Gesetzes zu laufen beginnt, handelt es sich um Fälle, in denen erst und gerade die gesetzliche Regelung die Rechte des Antragstellers verletzt, also die unmittelbare rechtliche Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers schon durch den Erlass der Vorschriften z.B. eines Wahlgesetzes bei einer Partei besteht, weil ein Wahlgesetz unmittelbar den verfassungsrechtlichen Status einer Partei betrifft (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17.10.1968, - 2 BvE 2/67 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23.01.1995, - 2 BvE 6/7/94 -, BVerfGE 92, 80 [89]; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08.03.2001, - 2 BvK 1/97 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08.06.2004, - 2 BvE 1/04 -, NVwZ 2004, 1224). Auch die Rechtsprechung zum erneuten Fristbeginn, wenn eine bestehende Norm erst durch eine Gesetzesänderung eine neue und nunmehr verfassungswidrige Bedeutung gewinnt (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26.10.2004, -2 BvE 1,2/02 -, BVerfGE 111, 382) fügt sich in diese Linie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nahtlos ein, weil auch sie auf den Zeitpunkt abstellt, in dem der Träger einer subjektiven Rechtsposition erstmals beschwert worden ist.
Das Landesverfassungsgericht wendet dieselben Grundsätze auf die Auslegung des § 36 Abs. 3 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes an. Dabei sei noch einmal hervorgehoben, dass die Antragstellerin mittels ihrer Antragsbefugnis im Organstreitverfahren nicht eine gleichsam „objektive Klärung der Rechtslage“ verlangen und erreichen kann. Sie kann nur die Verletzung in eigenen Rechten rügen, wie oben unter 1.3. dargestellt. Solche Verletzungen behauptet sie aber durch einzelne Handlungen, bzw. Unterlassungen im Gesetzgebungsverfahren. Dass sie in eigenen Rechten durch das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt an sich verletzt sein könnte ist weder ersichtlich noch behauptet sie es selbst. Wenn aber die einzelnen - nach Meinung der Antragstellerin ihre Rechte verletzenden - Handlungen oder Unterlassungen maßgeblich sind, ist auch auf den Zeitpunkt ihrer Vornahme, bzw. ihres Unterlassens abzustellen. Dafür sprechen der Wortlaut des § 36 Abs. 3 LVerfGG sowie der Sinn der Regelung, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Rechtssicherheit zu schaffen.
{RN:62}
Der Antrag ist, soweit er einen Verstoß gegen das Gebot, betroffene Kommunen und Einwohner anzuhören (Art. 90 LVerf) rügt, auch deshalb unzulässig, weil dieses Recht keines der Antragstellerin sein kann, sie somit insoweit nicht rügebefugt ist. Dies sind nur die betroffenen Gemeinden und Einwohner.
{RN:63}
Die Ausführungen oben unter 1.6.2. zugrunde gelegt erweist sich der in an sich zulässiger Prozessstandschaft für den Antragsgegner zu 1), den Landtag, gegen die Antragsgegnerin zu 2), die Landesregierung, gestellte Antrag zu 2) insgesamt als verfristet, denn die Antragstellerin selbst trägt in keiner Weise vor, dass etwa die Landesregierung auf den Verlauf der am 24. Januar 2008 erfolgten Beratung im Landtag und auf die dann dort erfolgte Abstimmung irgendeinen unzulässigen Einfluss genommen hätte, bzw. welches pflichtwidrige Unterlassen in diesem Zusammenhang von ihr begangen worden sein soll.
Soweit sich die beiden Anträge als unzulässig erwiesen haben, bedarf es keiner, auch nicht hilfsweisen, Erörterungen darüber, ob sie bei unterstellter Zulässigkeit, auch unbegründet wären.
{RN:64}
Soweit sich der Antrag 1) gegen den Antragsgegner zu 1) richtet und Verfassungsverletzungen aus dem Geschehen in der 33. Sitzung des Landtages am 24. Januar 2008 behauptet, ist er zwar zulässig, jedoch unbegründet. Diesbezüglich behauptet die Antragstellerin, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gegen das in Art. 77 Abs. 3 LVerf vorgesehene und sodann in den §§ 25, 31 Abs. 2 GeschO LTg konkretisierte Zwei-Lesungs-Prinzip verstoßen worden sei (2.2.). Außerdem habe in keiner der Lesungen eine inhaltliche Beratung des gesamten Normtextes und seiner einzelnen Bestimmungen stattgefunden (2.3.). Zum geänderten Gesetzentwurf 5/902 i.V.m. Drs. 5/1028 sei kein neuer Gesetzesbeschluss ergangen (2.4.). Schließlich sei die amtliche Begründung des Gesetzes lückenhaft (2.5.). Sämtliche Rügen sind unbegründet.
{RN:65}
Die Landesverfassung schreibt vor, dass Gesetzentwürfe in mindestens zwei Beratungen, zwischen denen mindestens zwei Tage liegen müssen, zu behandeln sind. Das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform ist in drei Lesungen am 11. Oktober 2007, am 13. Dezember 2007 und am 24. Januar 2008 behandelt worden. In der zweiten Lesung, an deren Ende die Überweisung des Gesetzentwurfes und der gestellten Änderungsanträge an den Ausschuss für Inneres stand, was einstimmig beschlossen worden ist, sprachen sich Redner aller Parteien - auch die der Antragstellerin - für eine weitere Beratung aus und benutzten für diese den Ausdruck „3. Lesung“(LTg-Plenarprotokoll 5/31 v. 13.12.2007, S. 2063 ff.). Soweit die Antragstellerin meinen sollte, dass die inhaltlichen Veränderungen des Gesetzentwurfs durch die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen gewissermaßen einen Neubeginn des Gesetzgebungsverfahrens erfordert hätten, ist dies unzutreffend. Nur wenn durch die Änderungsanträge der Gegenstand des Gesetzentwurfes in der zweiten Beratung vollständig ausgetauscht worden wäre, könnte ein Verstoß gegen Art. 77 Abs. 3 LVerf erwogen werden, wobei selbst dann noch im konkreten Gesetzgebungsverfahren durch die dritte Lesung zwei Lesungen des veränderten Gesetzentwurfs erfolgt wären. Änderungen, selbst wesentlicher Art, reichen hingegen hierfür nicht aus. Schließlich gehört es zum Wesensmerkmal einer Befassung mit einem Gesetzentwurf durch das Parlament, dass dieses in Ausübung seines ihm - sofern nicht das Volk durch Volksentscheid selbst entscheidet - allein zukommenden Gesetzgebungsrechts (Art. 77 Abs. 1 LVerf) Änderungen beschließen kann und vielfach auch vornimmt. Erst wenn diese so weit gehen, dass dadurch der Gesetzesgegenstand ausgetauscht wird, vermag dies die Notwendigkeit eines Neubeginns des Gesetzgebungsverfahrens zu begründen. Dies war hier nicht der Fall. Tatsächlich hatten die Änderungsvorschläge nicht einen den Gesetzesgegenstand verändernden Charakter. Der Gesetzentwurf war geprägt durch die beabsichtigte Einführung von Einheitsgemeinden verbunden mit der Möglichkeit während der freiwilligen Phase teilweise auch Verbandsgemeinden zu bilden. Die Verwaltungsgemeinschaften sollten in eine der beiden Gemeindeformen überführt werden. An diesem Gegenstand des Gemeindegebiets¬reformgesetzes haben die Änderungsanträge nichts verändert. Sie beinhalteten Änderungen einzelner Detailregelungen. Dabei handelte es sich im wesentlichen um die Modifizierung der notwendigen Mindesteinwohnerzahlen und die Schaffung einer Möglichkeit, dass eine qualifizierte Mehrheit von Gemeinden und Einwohnern, die in der freiwilligen Phase eine Vereinbarung abschließen wollen, nicht durch einzelne Gemeinden darin gehindert werden können. Die Grundsätze der Neugliederung der gemeindlichen Ebene und die Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Mittelzentren sollte konkretisiert werden, ebenso wie der Zeitpunkt des Wirksamwerdens freiwilliger Vereinbarungen. Die Wahlperiode für Gemeinderäte, deren Gemeinden an der Bildung einer Verbandsgemeinde beteiligt sind, sollte um ein halbes Jahr verlängert werden. Weiterhin wurden Einzelheiten der Eigentumsübertragung an die Verbandsgemeinden behandelt. Der Termin für die Umstellung auf das neue kommunale Rechnungswesen sollte hinausgeschoben werden, um die Gemeinden zu entlasten (Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD, LTg-Drs. 5/1028 v. 13.12.2007).
Ob man diese Regelungen als wesentlich betrachtet oder nicht, kann dahinstehen, denn jedenfalls wird durch sie nicht der Gesetzesgegenstand ausgetauscht so dass nicht die Notwendigkeit bestand, das Gesetzgebungsverfahren neu beginnen zu lassen. Das für diese Notwendigkeit maßgebliche Kriterium kann angesichts der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments nur die Veränderung des Gesetzesgegenstandes sein. Im Rahmen dieser Kompetenz muss es dem Parlament hingegen erlaubt sein Änderungen auch wesentlicher Art an dem eingebrachten Gesetzentwurf im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu beschließen (so auch Bull, DVBl. 2006, 302 ff. in Anmerkung zu den Urteilen des LVerfG MV v. 7.7.2005 (LVerfG 8/04 und 7/04), DVBl. 2005, 1578 und 1597 (nur LS); a.A. offenbar Landesverfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern, LVerfG MV, Urteil vom 07.07.2005, - LVerfG 8/04 -, DVBl. 2005, 1578 ff.).
{RN:66}
Unbegründet ist der Antrag auch insoweit als gerügt wird, dass eine inhaltliche Beratung des gesamten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform und seiner einzelnen Bestimmungen nicht erfolgt sei. Die Plenarprotokolle der drei Sitzungen des Landtages weisen aus, dass sich alle im Landtag vertretenen Parteien jeweils zum Gesetzentwurf äußerten. Auch die Antragstellerin hat sich daran beteiligt. Dabei hat sie in keiner der drei Beratungen geltend gemacht, sie erhalte nicht ausreichend Gelegenheit, ihre Positionen vorzutragen. Im übrigen ist es nicht verfassungsrechtlich vorgegeben, welchen Umfang die Beratungen des Landtages haben müssen. Dies ist vielmehr eine politische Entscheidung der Mitglieder des Landtages. Es gibt keine verfassungsrechtliche Pflicht, jede einzelne Norm eines Gesetzentwurfes zu erörtern, selbst wenn § 31 GeschO LTg dies nahelegt. Die Geschäftsordnung des Landtages ist eine vorher festgelegte Absprache der Mitglieder des Landtages, wie zu verfahren ist. Der Landtag ist nicht gehindert, hiervon einvernehmlich abzuweichen. Die Mitglieder des Parlaments entscheiden selbst wie detailliert oder allgemein sie einen Gesetzentwurf erörtern und worauf sie den Schwerpunkt ihrer Argumentation legen. Im vorliegenden Fall weist das Plenarprotokoll 5/33 des Landtags vom 24.01.2008 aus, dass der Landtagspräsident das beabsichtigte Verfahren der Abstimmung mitteilte und sich dagegen kein Widerspruch erhob. Damit ist nicht erkennbar, wie durch das auch von der Antragstellerin unwidersprochen hingenommene Abstimmungsverhalten, ihre Oppositionsrechte in verfassungswidriger Weise verkürzt worden sein sollen.
{RN:67}
In der Schlussberatung am 24.01.2008, der 3. Lesung, lag dem Plenum der Gesetzentwurf in der zuletzt unter Einbeziehung der Änderungsanträge der KoaIitionsfraktionen und redaktioneller Überarbeitungen erstellten Fassung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages vom Ausschuss für Inneres mit einer Beschlussempfehlung dem Plenum überwiesenen Form vor. Hierüber wurde der Gesetzesbeschluss gefasst. Das Gesetz ist demzufolge ordnungsgemäß zustande gekommen.
{RN:68}
Sofern die Beschwerdeführerin schließlich die fehlende Begründung des GemNeuglGrG rügt, weist die Landesregierung zutreffend daraufhin, dass nach der Rspr. des erkennenden Gerichts und des Bundesverfassungsgerichts eine fehlende Gesetzesbegründung nicht zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führt. Aus materiellrechtlichen Bindungen des Gesetzgeberskönnen keine verfahrensrechtlichen Erfordernisse im Sinne spezifischer Begründungsanforderungen abgeleitet werden. Vielmehr kommt es nur darauf an, ob die gesetzgeberische Entscheidung im Ergebnis diesen Anforderungen genügt (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, z.B. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 27.05.1992, - 2 BvF 1, 2,/88, 1/89 und 1/90 -, BVerfGE 86, 148 [212]; st. Rspr. des Landesverfassungsgerichts, z.B. LVerfG, Urteil vom 31.05.1994, - LVG 1/94 -, LVerfGE 2, 273 [305 f]; LVerfG, Urteil vom 09.03.2007, - LVG 7/06 -, Rdn.65). Hieran wird festgehalten.
Für das GemNeuglGRG läßt sich eine besondere rein formelle Begründungspflicht auch nicht daraus herleiten, dass ein Gebietsänderungsbeschluss "planerische Elemente" (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12.05.1992, - 2 BvR 470, 650, 707/90 -. BVerfGE , 90 [108]) trägt; denn konkrete Gebietsänderungsbeschlüsse enthält des GemNeuglGRG nicht. Im übrigen gäbe es selbst dann keine formelle Begründungspflicht, wenn dies anders wäre. Soweit für Planungsergebnisse auch eine Planbegründung verlangt wird, beruht dies auf jeweils ausdrücklicher Anordnung und ergibt sich nicht schon aus dem Wesen des Planungsrechts. Solche Sondervorschriften finden sich allgemein für Planfeststellungsverfahren im Verwaltungsverfahrensrecht (§§ 72, 39 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes - VwVfG - und auf dieses bezugnehmend § 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Sachsen-Anhalt vom 18.8.1993 - VwVfG-LSA -) und speziell für die Satzungen des Bauplanungsrechts im § 9 Abs. 8 BauGB. Aus diesen - auf einfachem Gesetz beruhenden - Regelungen lässt sich kein Verfassungsrecht auf besondere formelle Begründung herleiten (LVerfG, Urt, v. 31.05.1994- - LVG 1/94, a.a.O.).
{RN:69}
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Das Organstreitverfahren bleibt in vollem Umfang erfolglos, so dass die Erstattung der Auslagen der Antragstellerin nach § 32 Abs. 2 LVerfGG nicht in Betracht kommt. Gründe im Sinne des § 32 Abs. 3 LVerfGG gleichwohl die Erstattung der Auslagen der Antragstellerin anzuordnen sind nicht ersichtlich.