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Beschluss des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 180/08 Entscheidungsart: Beschluss Entscheidung vom: 15.09.2009
Verfahrensart Verfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften
Schlagworte
Stichworte Beschluss
Leitsatz ohne
Fundstellen -
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Beschluss vom 15.09.2009 - LVG 180/08 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Beschluss

in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 180/08

Beschluss vom 15.09.2009
(Verletzung von Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 und 3 LVerf LSA durch gesetzgeberisches Unterlassen)


Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.


{T:G r ü n d e}

{T:I.}


Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass der Landesgesetzgeber es unterlässt, ein Gesetz zu verabschieden, mit dem eine Rehabilitierung ihres Großvaters und Vaters möglich werden würde.

Der Großvater und der Vater der Beschwerdeführerin waren Eigentümer des 531,33 ha großen landwirtschaftlichen Rittergutes Rabe in Brachstedt im ehemaligen Landkreis Saalkreis gewesen. Als sog. Großgrundbesitzer wurden sie auf der Grundlage von Art. 2 Nr. 3 der Bodenreformverordnung der Provinz Sachsen am 03.09.1945 entschädigungslos enteignet. Ihr Rittergut wurde restlos an Neubauern aufgeteilt.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Vorfahren seien im Zuge eines Kreisverweises auch aufgefordert worden, binnen weniger Stunden Haus und Hof zu verlassen. Eine Rückkehr sei ihnen unter Strafdrohung verboten worden. Die Kreis- und die Landesbodenkommission hätten sie dadurch als Naziverbrecher, bzw. Verbrecher gegen den Frieden diffamiert. Sie seien im Rahmen des Klassenkampfes nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer von den damaligen Machthabern missbilligten Klasse gemaßregelt worden und nicht wegen individueller Schuld. Auch habe es sich bei den Maßnahmen nicht in erster Linie um eine Sozialisierung durch - wenn auch entschädigungslose - Enteignung gehandelt, sondern um ein Vorgehen gegen die Angehörigen der Klasse der sog. Großgrundbesitzer. Damit seien an ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also schweres Unrecht unter Verletzung ihres Grundrechts auf Menschenwürde verübt worden. Wenn und solange diese nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren aus der Welt geschafft würden, dauerte die Grundrechtsverletzung an.

Da die Fachgerichte, gestützt auf den Wortlaut der Vorschriften, eine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ablehnten und auch Vermögensunrecht über das Ausgleichleistungsgesetz selbst bei seiner Wiedergutmachung den Makel Nazi- bzw. Kriegsverbrecher zu sein, nicht von ihnen nehmen könne, bestehe ein Anspruch auf gesetzgeberisches Tätigwerden. Dieses müsse mangels Bundeszuständigkeit durch das Land Sachsen-Anhalt geschehen. Es bestehe ein verfassungsrechtlich gebotener gesetzgeberischer Handlungsauftrag, und wenn das Landesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde verwerfe, bestehe eine Rechtsschutzlücke.

Demzufolge rügte die Beschwerdeführerin ursprünglich die Verletzung von Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt – LVerf – i.V.m. Art. 25 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), Art. 7 Abs. 1 und 3 LVerf durch gesetzgeberisches Unterlassen und beantragte,

dem Landtag des Landes Sachsen-Anhalt aufzugeben, innerhalb einer ins Ermessen
des Gerichts gestellten Frist ein Rehabilitierungsgesetz zu verabschieden, welches
bei den ausschließlich wegen ihres sozialen Status’ während der sowjetischen Besatzung durch die Organe der Provinz Sachsen bzw. des Landes Sachsen-Anhalt verfolgten Personen die Feststellung ermöglicht, dass diese das Opfer einer politischen Verfolgung waren und welches vorsieht, dass sämtliche Sanktionen einschließlich der Vermögenseinziehung aufgehoben werden, wobei sich die vermögensrechtlichen Rechtsfolgen dieser Aufhebung gem. § 1 Abs. 7 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) nach diesem Gesetz zu beurteilen haben.

Mittlerweile hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 14.12.2008 – 2 BvR 2338/07 – (NJW 2009, 1805 f.) entschieden, dass gesetzgeberisches Unterlassen nur bei völliger Untätigkeit des Gesetzgebers gerügt werden könne. Habe der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die nach Ansicht des Beschwerdeführers verfassungswidrig ist, weil sie beispielsweise nur bestimmte Personenkreise begünstigt, so sei die Verfassungsbeschwerde allein gegen diese gesetzliche Vorschrift zulässig. Die Rüge gesetzgeberischen Unterlassens setze ferner voraus, dass ein Beschwerdeführer sich auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen könne, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenze. Nach diesen Grundsätzen könne nicht in zulässiger Weise mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden, der Gesetzgeber habe es unterlassen, die Frage einer Restitution und Rehabilitierung von Betroffenen der Boden- und Industriereform in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 zu regeln. Im Hinblick darauf hat die Beschwerdeführerin ihren Antrag sowie ihre Begründung umgestellt.

Sie rügt nunmehr die Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 sowie aus Art. 7 Abs. 1 und 3 LVerf durch das gesetzgeberische Unterlassen des Landtages von Sachsen-Anhalt, analog den Ländern der ehemaligen Westzonen einschließlich Berlin - West ein Gesetz zum Abschluss der Entnazifizierung zu verabschieden, welches es ermöglichen würde, den von den zuständigen Bodenkommissionen gegen den Großvater der Beschwerdeführerin Herrn Paul Günther Rabe erhobenen Schuldvorwurf in einem justizförmigen Verfahren zu überprüfen und förmlich aufheben zu lassen (Rehabilitierung), sowie als Folgeentscheidung auch die an den Schuldvorwurf anknüpfenden Sühnemaßnahmen aufheben zu lassen, wobei das Gesetz einen Rechtsfolgenverweis auf § 1 Abs. 7 VermG enthalten solle. Zur Begründung verweist sie u.a. darauf, dass sie nicht zum Gegenstand ihrer Verfassungsbeschwerde mache, dass die Bodenreform als solche ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sei. Vielmehr hätten die im formellen Gewand der Bodenreform von den Bodenkommissionen der Provinz Sachsen gegen den Großvater der Bf. erhobenen Schuldvorwürfe dazu geführt, dass dieser seine Heimat zwangsweise habe verlassen müssen und sein gesamtes Hab und Gut verloren habe. Sie bewerte die Bodenreform als eine Maßnahme zur strukturellen Entnazifizierung. Daher ziehe sie eine Parallele zur Praxis der Spruchkammern und der Bodenreform in den westlichen Besatzungszonen und halte es für geboten, die Einzelfälle unter Anlegung rechtsstaatlicher Maßstäbe zu überprüfen, was in den Westzonen und deren Nachfolgeländern jeweils durch Abschlussgesetze zur Entnazifizierung möglich gewesen sei, hier jedoch mangels eines solchen Gesetzes nicht.

Sie habe ein subjektives Recht auf Verabschiedung eines Gesetzes, welches die Überprüfung des gegen ihren Großvater durch die zuständigen Bodenkommissionen erhobenen Schuldvorwurfes ermögliche. Sie leite dies her aus Art. 5 Abs. 1 LVerf, weil sie als Erbeserbin ihrer verstorbenen Schwiegermutter (gemeint wohl: ihres verstorbenen Großvaters) ein eigenes berechtigtes Interesse an der Überprüfung des gegen diese (gemeint wohl: diesen) erhobenen Schuldvorwurfs habe, um nach der Rehabilitierung die dann zwingend aus § 1 Abs. 7, Abs. 8 lit. a 2. HS VermG entstehenden Restitutionsansprüche geltend machen zu können. Weiterhin leite sie es her aus Art. 7 Abs. 1 LVerf, weil das allein gesetzgebungsbefugte Land Sachsen-Anhalt anders als nach dem In-Kraft-Treten des Grundgesetzes die Länder der ehemaligen Westzonen einschließlich Berlin-West eine solche Rehabilitierungsmöglichkeit nicht einräume.

Sie beantragt,

1) dem Landtag von Sachsen-Anhalt aufzugeben, innerhalb einer ins Ermessen des Senats gestellten Frist analog den Ländern der ehemaligen westlichen Besatzungszonen Deutschlands einschließlich Berlin - West ein Gesetz zum Abschluss der Entnazifizierung zu verabschieden.
2) Das Gesetz muss vorsehen, dass der von Entnazifizierungs-, Boden- oder Sequesterkommissionen gegen den Großvater sowie den Vater der Bf. erhobene Schuldvorwurf in justizförmiger Weise überprüft werden kann; sollte die Überprüfung ergeben, dass dem Betroffenen kein individuell zurechenbares schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann, welches seine Einstufung als Hauptschuldiger oder Belasteter gemäß den Kriterien des Gesetzes Nr. 10 bzw. der Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrates rechtfertigen könnte, ist er förmlich zu rehabilitieren.
3) Das Gesetz muss ferner vorsehen, dass alle an den Schuldvorwurf angeknüpften Sühnemaßnahmen, insbesondere Inhaftierung, Internierung, Kreisverweis und Vermögenseinziehung, aufgehoben werden.
4) Für den Fall, dass eine Vermögenseinziehung aufgehoben wird, muss das Gesetz eine Rechtsfolgenverweisung auf § 1 Abs. 7 des Vermögensgesetzes enthalten.

Die Landesregierung hat durch das Ministerium des Innern zu dem ursprünglichen Antrag Stellung genommen und hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Anders als im Bundesverfassungsrecht gewähre das Landesverfassungsrecht keine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen.

Hilfsweise rüge sie die fehlende Beschwerdebefugnis. Ein kein subjektives öffentliches Recht auf gesetzgeberisches Handeln könne schon deshalb nicht aus der Landesverfassung abgeleitet werden, weil der Landesgesetzgeber mangels Gesetzgebungskompetenz gar nicht tätig werden dürfe. In der Sache behaupte die Beschwerdeführerin zwar nun, ein Entnazifizierungsabschlussgesetz anzustreben, wolle aber in Wirklichkeit materiellrechtlich eine Ergänzung der Rehabilitierungsgesetzgebung des Bundes durch das Land.

Weiter sei eine Verletzung eigener Grundrechte der Beschwerdeführerin aus der Landesverfassung durch die gerügte Unterlassung offensichtlich nicht möglich. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht dargetan.

Der Landtag hat keine Stellungnahme abgegeben.

{T:II.}
{RN:1}
Die gegen gesetzgeberisches Unterlassen gerichtete Verfassungsbeschwerde ist auch mit ihrer geänderten Antragstellung unzulässig und deshalb zu verwerfen. Dies erfolgt entsprechend § 21 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz - LVerfGG vom 23.08.1993 (GVBl. LSA S. 441) durch einstimmigen Beschluss ohne mündliche Verhandlung.
Die Beschwerdeführerin möchte mit ihrer Verfassungsbeschwerde erreichen, dass der Landesgesetzgeber ein Gesetz zum Abschluss der Entnazifizierung analog den Ländern der ehemaligen Westzonen Deutschlands einschließlich Berlin-West verabschiedet. Sie ist der Ansicht, das diesbezügliche gesetzgeberische Unterlassen des Landtages von Sachsen-Anhalt verletzte ihren Großvater in seinem postmortalen Persönlichkeitsrecht aus Art. 4 Abs. 1 LVerf. Ob sie als Enkelin berechtigt sei, diese Rechte für ihren verstorbenen Großvater in rechtsanaloger Anwendung des § 361 Abs. 2 Strafprozeßordnung – StPO geltend zu machen, könne dahingestellt bleiben, da sie selbst jedenfalls in ihren Rechten aus Art. 5 Abs. 1 LVerf sowie aus Art. 7 Abs. 1 und 3 LVerf verletzt sei.
{RN:2}
Die durch Art. 75 Nr. 6 LVerf in Verbindung mit §§ 47 ff. LVerfGG geregelte Verfassungsbeschwerde ist anders als die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Geltendmachung der Verletzung in Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten durch ein Landesgesetz beschränkt. Dass sie sich nicht in gleicher Weise auf die Geltendmachung der Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten durch gesetzgeberisches Unterlassen des Landesgesetzgebers erstreckt, ist Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts (LVerfG, Beschl. v. 13.01.2009, LVG 10/08 – www.lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de). Hieran wird festgehalten, denn schon der Wortlaut der zitierten Vorschriften legt nahe, dass nur gesetzgeberisches Tun, nämlich der Erlass eines - förmlichen - Landesgesetzes zulässiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht sein kann (LVerfG, Beschl. v. 02.03.2003, - LVG 9/03 -, Rdnr. 12 f. – www.lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de).
{RN:3}
Der Verfassungsgeber von Sachsen-Anhalt hat bewusst die Individualverfassungsbeschwerde auf die Fälle der unmittelbaren Beeinträchtigung von Grundrechten durch förmliches Landesgesetz beschränkt. Nur in den Fällen, in denen Landesgesetze ohne Zwischenschaltung weiterer Maßnahmen der Exekutive in Grundrechte eingreifen, sollte der direkte Weg zum Landesverfassungsgericht eröffnet werden. Damit ging man davon aus, auf Landesebene einen wirksamen und umfassenden Rechtsschutz gegenüber grundrechtsbeschränkenden Landesgesetzen zu gewährleisten. In allen anderen Fällen, in denen die Anwendung des Gesetzes auf konkretisierende Maßnahmen der Exekutive angewiesen ist, steht dem Bürger nach Art. 21 Abs. 1 LVerf gerichtlicher Rechtsschutz gegenüber diesen Akten offen. Dieser schließt im Wege der konkreten Normenkontrolle gemäß Art 75 Nr. 5 LVerf auch die Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen des Verwaltungshandelns auf ihre Vereinbarkeit mit der Landesverfassung ein LVerfG, Beschl. v. 13.01.2009, LVG 10/08, a.a.O.). Dass auch die Fälle von vor dem Bundesverfassungsgericht mit der Individualverfassungsbeschwerde angreifbarem gesetzgeberischem Unterlassen von Art. 75 Nr. 6 LVerf nicht erfasst sind, stellt keine Rechtsschutzlücke dar. Da in diesen Fällen der bestehende Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht in Anspruch genommen werden kann, gibt es keinen Grund, über den deutlich auf eine Beschränkung auf positives gesetzgeberisches Handeln verweisenden Wortlaut hinauszugehen.


{T:III.}

Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 LVerfGG.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (Absatz 1). Gründe für die Anordnung der Erstattung der notwendigen Auslagen der erfolglos gebliebenen Beschwerdeführerin sind nicht ersichtlich (Abs. 2 und 3).
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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.