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Beschluss des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 6/09 Entscheidungsart: Beschluss Entscheidung vom: 15.09.2009
Verfahrensart Kommunalverfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften
Schlagworte
Stichworte Beschluss
Leitsatz ohne
Fundstellen -
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Beschluss vom 15.09.2009 - LVG 6/09 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Beschluss

in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 6/09

Beschluss vom 15.09.2009
(wegen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform)

Die Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; außerge-richtliche Kosten werden nicht erstattet.

{T:Gründe:}

{T:I.}

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen „alle Bestimmungen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform (,‚Gesetz über die Grundsätze der Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt“ [Gemeindeneugliederungs – Grundsätzegesetz – GemNeuglGrG -]) vom 14.02.2008 (GVBl. LSA, S. 40), soweit sie die Abschaffung oder Verdrängung der übrigen Landesrechtsnormen zur Bildung und Genehmigungsfähigkeit von Verwaltungsgemeinschaften oder Gemeindegrößen mit mindestens 10.000 Einwohnern statt einer Verwaltungsgemeinschaft nach dem Trägermodell betreffen“.
Der Verfassungsbeschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Zuge der Wiedervereinigung wurde die Kommunalverwaltung in den neuen Ländern neu aufgebaut und strukturiert. Bereits mit dem Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17.05.1990 (Kommunalverfassung - KomVerf, GBl. DDR I, S. 255) war den Gemeinden die Erfüllung der Selbstverwaltungsaufgaben übertragen worden. Die Gemeinden hatten nunmehr das Recht und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit die Pflicht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln (Art. 2 Abs. 1 KomVerf). Um in Sachsen-Anhalt die Verwaltungskraft der überwiegend kleinen Gemeinden zu stärken, hatte der Landtag mit Beschluss vom 24.05.1991 die Landesregierung beauftragt, im Vorfeld einer dringend notwendigen kommunalen Gebietsreform, freiwillige Gemeindezusammenschlüsse oder Verwaltungsgemeinschaften zu fördern (LTg.-Drs 1/16/442 B). Mit dem Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 09.10.1992 (GVBI LSA S. 730, im Folgenden GKG-LSA) wurde das Recht der Verwaltungsgemeinschaft umfassend neu geregelt und das Übergangsrecht der DDR-Kommunalverfassung insoweit abgelöst. Gemäß § 3 Abs. 1 GKG-LSA konnten benachbarte Gemeinden zur Stärkung ihrer Verwaltungskraft eine Verwaltungsgemeinschaft bilden, wenn diese die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderliche Leistungsfähigkeit aufwies (§ 4 Abs. 1 S. 1 GKG-LSA). Hiervon war nach der gesetzlichen Regelung in § 4 Abs. 1 S. 2 GKG-LSA regelmäßig auszugehen, wenn die Einwohnerzahl der Mitgliedsgemeinden 5.000 erreichte. Mit § 4a GKG-LSA, der durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 03.02.1994 (GVBl. LSA S.164) eingeführt wurde, wurde das Ministerium des Innern ermächtigt, aus Gründen des öffentlichen Wohls durch Verordnung Gemeinden, die nicht über eine hinreichende Verwaltungskraft verfügten, zu einer leistungsfähigen Verwaltungsge-meinschaft zusammenzufassen oder sie einer solchen zuzuordnen. Von dieser Ermächti-gung machte das Ministerium des Innern durch die Verordnung über die Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften vom 23.03.1994 (GVBl. LSA S. 495) Gebrauch. Mit dem Gesetz zur Maßstabsvergrößerung der Verwaltungsgemeinschaft vom 13.11.2003 (GVBl. LSA S. 318) wurde die Mindesteinwohnerzahl einer Verwaltungsgemeinschaft von 5.000 auf 10.000 Einwohner verdoppelt.
Die derzeit regierungstragenden Parteien des Landes Sachsen-Anhalt vereinbarten in der Koalitionsvereinbarung vom 24.04.2006 die Bildung einheitlicher leistungsfähiger Gemeinde-strukturen. Dabei verständigten sich beide Parteien auf das Ziel, im Rahmen einer Freiwilligkeitsphase bis zu den Kommunalwahlen 2009 flächendeckend Einheitsgemeinden zu bilden. Komme es dazu nicht, solle noch im Laufe dieser Legislaturperiode die gesetzliche Einführung von Einheitsgemeinden zum 01.07.2011 vorgenommen werden. Zur Begleitung des Prozesses der flächendeckenden Bildung von Einheitsgemeinden verständigten sich die Koalitionspartner zudem darauf, in enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzen-verbänden ein Leitbild zu erarbeiten.
Am 19.10.2006 beauftragte der Landtag die Landesregierung (LTg.-Drs. 5/11/298 B) mit der Erstellung eines Leitbildes sowie am 17.11.2006 damit, Eckwerte für eine leistungsfähige Gemeindestruktur zu erarbeiten (LTg.-Drs. 5/11/355 B). Die von der Landesregierung erarbeiteten Eckwerte lagen im Dezember 2006 vor und hatten die Bildung von Einheitsgemeinden zum Gegenstand. Am 30.03.2007 verständigte sich die Regierungskoalition darauf, in der freiwilligen Phase der Gebietsreform 2009 neben Einheitsgemeinden auch die Bildung von Verbandsgemeinden als Ausnahmemodell zu ermöglichen. Bereits am 26.01.2007 beschloss der Landtag (LTg.-Drs. 5478, B.v.26.01.2007) die Landesregierung zu beauftragen, ein unabhängiges Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften einzuholen. Der Gutachtenauftrag wurde dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für öffentliches Recht, erteilt. Der Abschlussbericht der Gutachter, datiert vom 19.06.2007, mit dem Titel „Zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt“ wurde am 26.06.2007 auf der Homepage des Innenministeriums veröffentlicht. Das Gutachten kam im Wesentlichen zu folgenden Handlungsempfehlungen:
„Die allgemeine Empfehlung geht dahin, die heutigen Verwaltungsgemeinschaften durch Einheitsgemeinden oder durch Verbandsgemeinden zu ersetzen.
Die Darstellung der Untersuchungsergebnisse hat deutlich gemacht, dass alle drei Gemeindestrukturmodelle ihre spezifischen Vor- und Nachteile aufweisen.
Vor dem Hintergrund dieses Befundes ist festzuhalten, dass es von der Gewichtung der einzelnen Bewertungskriterien durch die politischen Entscheidungsträger abhängt, welchem Modell im Rahmen der rechtlich gesetzten Bedingungen der Vorzug gegeben werden sollte. Unter den Bedingungen des Status quo könnte eine Entscheidung zugunsten der heutigen Verwaltungsgemeinschaften dazu angetan sein, die für diese Verwaltungsform ermittelten Effizienz- und Effektivitätsvorteile zu erhalten. Allerdings sprechen die für die Zukunft erwarteten Veränderungen gegen dieses Modell. Bei einer abschließenden Gewichtung der Kosten und Nutzen der Gemeindestrukturmodelle sollten die wesentlichen Herausforderungen berücksichtigt werden, vor welchen die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt in der Zukunft stehen wird. Der demographische Wandel wird ohne massive Zuwanderung zu einer weiteren Entleerung des Landes führen. Verbunden mit dem demographischen Wandel, aber auch als Folge der Regelungen des Solidarpakts II und der EU-Beihilfen, wird der finanzielle Rahmen für das Land zunehmend eingeengt werden. Es liegt auf der Hand, dass entsprechende Reaktionen vor allem in einer deutlichen weiteren Zentralisation von Einrichtungen der Punkt-Infrastruktur (Kindertages-stätten, Schulen, Sport- und Kultureinrichtungen) bestehen müssen, die in Zukunft in den kleineren Orten immer weniger ausgelastet sein werden. Die Durchführung einer solchen Konzentration, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unbedingt geboten erscheint, kann nur durch eine starke kommunale Verwaltung erfolgen (wenn nicht ein „Staatskommissar“ eingesetzt werden soll). Eine entsprechende Kraft fehlt den heutigen Verwaltungs-gemeinschaften. Demgemäß können nur Einheitsgemeinden oder Verbandsgemeinden dazu in der Lage sein, entsprechende harte Einschnitte zu realisieren. Die Fallstudien haben gezeigt, dass auch in Einheitsgemeinden die Konzentration von Infrastruktureinrichtungen keineswegs leicht durchzusetzen ist. Vor dem Hintergrund der mit den Fallstudien bestätigten Vorteile dezentraler Entscheidungen auf der Ortsebene und des erwarteten höheren Integrationswertes der Verbandsgemeinden im Vergleich zu den Einheitsgemeinden ließe erwarten, dass entsprechende Entscheidungen durch die Verbandsgemeinden eher die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger finden könnten. Auch um die in den Haupteilen der Studie ausführlich dargelegten Effizienz- und Effektivitätsvorteile der heutigen Verwaltungsgemeinschaften so weit wie möglich zu erhalten, kann in dem Modell der Verbandsgemeinde eine vorteilhafte Lösung für jene Teilräume des Landes gesehen werden, für welche die Nachteile des Modells der Einheitsgemeinde sehr hoch bewertet werden. Die Gutachter erwarten, dass durch die Verbandsgemeinden viele der heute nachweisbaren Effizienz- und Effektivitätsvorteile der Verwaltungsgemeinschaften auch für die Zukunft in einem zunehmend äußerst dünn besiedelten Raum gesichert werden können. Zweifellos bringt die Verbandsgemeinde gegenüber den heute praktizierten Gemeindemodellen Mehrkosten (höhere Aufwendungen für Mandatsträger) mit sich. Zugleich ist aber auch mit entlastenden Effekten zu rechnen, die sich jedoch nicht so leicht quantifizieren lassen wie die Aufwendungen für Mandatsträger. Wenn die Nachteile von Verwaltungsgemeinschaften vermieden, zugleich aber ihre zuvor dargestellten Vorzüge erhalten werden sollen, kann im Modell der Verbandsgemeinde eine insgesamt vorteilhafte Lösung gesehen werden. Indem Aufgabenbereiche, bei denen die Verwaltungsgemeinschaften nach dem vorliegenden empirischen Befund Effizienz- und Effektivitätsdefizite aufweisen, explizit der Ebene der Verbandsgemeinde zugewiesen werden, können diese Defizite ausgeglichen werden, ohne alle Vorteile der heutigen Verwaltungsgemeinschaften aufgeben zu müssen. Zudem bleibt auf der Ebene der Verbandsgemeinde die Anforderung der demokratischen Legitimation von zentralen Entscheidungen in Bezug auf die örtliche Gemeinschaft gewahrt.
Im Modell der Verwaltungsgemeinschaften stehen entsprechenden Verlagerungen von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises von den Mitgliedsgemeinden auf die Ebene der Verwaltungsgemeinschaft (auf das gemeinsame Verwaltungsamt) verfassungsrechtliche Anforderungen entgegen. Diesen Anforderungen kann durch die Überführung der Verwal-tungsgemeinschaften in demokratisch unmittelbar legitimierte Verbandsgemeinden Rechnung getragen werden. Der Verbandsgemeindeebene können Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auch per Gesetz übertragen werden. Bei der Wahl des zukünftigen Gemeindemodells ist auch zu bedenken, dass innerhalb der heutigen Verwaltungsgemeinschaften nur eine geringe Neigung zu entsprechenden „Hochzonungen“ von den Mitgliedsgemeinden auf die Ebene des Verwaltungsamtes gegeben ist. Die bisherigen Ausführungen in diesem Abschnitt gelten in erster Linie für die Verwaltungsgemeinschaften mit einem gemeinsamen Verwaltungsamt (A). Hinsichtlich der heutigen Verwaltungsgemeinschaften mit Trägerge-meinden (T) konnten im Vergleich zu den Einheitsgemeinden nur geringe Effizienz- und Effektivitätsunterschiede ermittelt werden. Verwaltungsgemeinschaften (T) finden sich heute in jenen Teilräumen des Landes, in denen ein wirtschaftlich und einwohnermäßig dominierender Zentraler Ort und einzelne eher ländlich strukturierte Gemeinden in unmittelbarer Nähe zueinander liegen; der Zentrale Ort fungiert dann als Trägergemeinde. In Anbetracht des empirischen Befundes wäre es durchaus möglich, die heutigen Verwaltungsgemeinschaften (T) zu erhalten. Wenn aber die heutigen Verwaltungsgemeinschaften (A) in Verbandsgemeinden oder Einheitsgemeinden umgeformt werden sollen, würde die Erhaltung des Modells der Verwaltungsgemeinschaften (T) dazu führen, dass zukünftig drei unterschiedliche Gemeindestruktur-Varianten in Sachsen-Anhalt bestünden. Dies ist vermutlich mit Unübersicht-lichkeiten und einer Aufblähung von Verwaltungsvorschriften verbunden. Demgemäß wäre zu überlegen, ob das Verbandsgemeindemodell für die Teilräume, in denen es heute Verwaltungsgemeinschaften (T) gibt, modifiziert werden könnte. Alternativ hierzu käme der Übergang zu Einheitsgemeinden in Frage“.

Auf Antrag der FDP-Fraktion führte der Landtag am 14.05.2007 eine Debatte zum Thema „Konsequenzen der Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt“ durch. In der Begründung wies die FDP-Fraktion darauf hin, dass neben dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten ein weiteres Gutachten der Fachhochschule Harz mit dem Titel „Ist die Einheitsgemeinde wirtschaftlicher als die Verwaltungsgemeinschaft oder die Verbandsgemeinde?“ vorliege. In der Landtagsdebatte wurden von den Rednern aller Fraktionen und von der Landesregierung die vorliegenden Gutachten bewertet.
Nachdem die Landesregierung am 07.08.2008 die endgütige Fassung eines Leitbildes der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt beschlossen hatte, wurde dieses im Internet veröffentlicht. Im Leitbild wurden die Einwohnerzahl und die Bevölkerungsentwicklung im Land bis zum Jahr 2025 prognostiziert und die Zahl, die Struktur, die Aufgaben, die Leistungs- und Finanzkraft sowie die Verflechtungen der Gemeinden dargestellt. Darüber hinaus wurden auch die Realitäten des aktiven und des passiven Wahlrechts in den Gemeinden Sachsen-Anhalts dargelegt. Ebenso wurden die bisherigen Gebietsreformen, in den alten sowie in den neuen Bundesländern eingestellt. Anschließend wurden die Ziele und die wesentlichen Grundsätze der Reform dargestellt und im Einzelnen näher erläutert. Im Rahmen seiner Information über die bevorstehende Gemeindegebietsreform wies das Ministerium des Innern darauf hin, dass der Gesetzgeber das Leitbild noch normativ umsetzen müsse, freiwillige Reformschritte aber bereits möglich seien. Gemeinden könnten sich durch den Abschluss von Gebietsänderungsverträgen freiwillig zu Einheitsgemeinden zusammen-schließen, wenn sie über mindestens 8.000 Einwohner verfügten (§ 10 Abs. 1 S. 3 und § 17 Abs. 1 S. 5 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt - GO LSA a. F. -). Bei einem Zusammenschluss mehrerer Gemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft ohne Bildung einer Einheitsgemeinde sollte die größere Gemeinde als verwaltungsgemeinschaftsangehörige Gemeinde bestehen bleiben (§ 10 Abs. 1 S. 2 GO LSA a. F.). Ein Zusammenschluss zu einer Verbandsgemeinde durch Abschluss einer Verbandsgemeindevereinbarung war in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage noch nicht möglich. Im Leitbild zur Gemeindegebietsreform fand sich allerdings schon der Hinweis auf die Möglichkeit, dass Gemeinden, die einer Verwaltungsgemeinschaft nach dem Modell eines gemeinsamen Verwaltungsamtes angehörten und weitere Voraussetzungen erfüllten, als Ausnahme zur Einheitsgemeinde eine Verbandsgemeinde bilden könnten (Leitbild zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt, 2007, S. 110 f.). Am 02.10.2007 übersandte die Landesregierung dem Landtag den von ihr am gleichen Tag beschlossenen Entwurf eines Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform (LTg.-Drs. 5/902). Die erste Beratung des Entwurfs fand am 11.10.2007 im Landtag statt (LTg.-Plenarprotokoll 5/27, vom 11.10.2007, S. 1786 ff.). Am 24.01.2008 führte der Landtag eine weitere Beratung des Gesetzentwurfs auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres durch. In namentlicher Abstimmung wurde das Gesetz sodann angenommen. Das am 24.01.2008 beschlossene Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform wurde am 20.02.2008 im Gesetzblatt des Landes Sachsen-Anhalt verkündet und trat am 21.02.2008 in Kraft (GVBI. LSA, S. 40). In Art. 1 und 2 des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform sind die Grundsätze des Leitbildes in Gesetzesform umgesetzt worden.

Mit seiner am 23.02.2009 erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend:
Durch Art. 1 § 1 und § 2 GemNeuglGrG werde er in seinem Grundrecht und grundrechtsgleichen Recht auf Abstimmung nach Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt – LVerf – vom 16.07.1992 (GVBl. LSA S. 600) in Bezug auf Art. 90 LVerf (Bürgeranhörung), des kommunalen Demokratiegebots und Kontinuität der Gleichheit der Wahl aus Art. 89 LVerf i.V.m. Art. 2 Abs. 2 LVerf in Bezug auf Art. 90 LVerf verletzt. Die beanstandeten Rechtsnormen des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform seien aufgrund eines nicht verfassungsgemäßen Gesetzgebungs-verfahrens zu Stande gekommen und verstießen gegen das Demokratieprinzip sowie den Gemeinwohlvorbehalt. Sie seien abwägungsfehlerhaft und unverhältnismäßig. Zudem würden sie grundsätzlich das Kontinuitätsrecht des Gemeindegebiets und damit das individuelle natürliche Stimmengewicht des Gemeindeeinwohners bei der Wahl und dem Wahlanspruch seiner gebietsbezogenen Einwohnervertretung nach Art. 89 LVerf beeinträchtigen. Ferner sei auch ein Verstoß gegen das kommunale Demokratiegebot (Art. 2 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 89 LVerf) gegeben. Die sogenannten freiwilligen Gebietsänderungsvereinbarungen seien vor dem Hintergrund des durch Art. 1 § 2 Abs. 9 GemNeuglGrG postulierten Zusammenschlusszwangs nach Ablauf der Freiwilligkeitsphase für den Abschluss entsprechender Vereinbarungen am 30.06.2009 nicht Ausdruck eines Verzichts auf die durch Art. 2 Abs. 3, 87 Abs. 1, Art. 90 S. 1 LVerf vermittelte Einrichtungsrichtungsgarantie, sondern einzig Reaktion auf die durch Gesetz vorgezeichnete zwangsweise Gebietsänderung. Er sei durch das GemNeuglGrG auch gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Die Grundrechtsverletzung wirke bereits durch die zwei Gebietsänderungsvereinbarungen der Stadt Staßfurt mit den Gemeinden Neundorf und Förderstedt als Ausfluss des Gesetzes. Die beiden Gebietsänderungsvereinbarungen seien als unter dem Landesrecht stehende Rechtsnormen keine Verwaltungs- oder Vollzugsakte, die mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht angegriffen werden könnten. Zwar könnten evtl. in einem Normenkontrollverfahren diese Gebietsänderungsvereinbarungen auf Vereinbarkeit mit Landesrecht überprüft werden. Das Normenkontrollgericht könne im Normenkontrollverfahren jedoch nicht präjudizierend wirkende Landesgesetze für verfassungswidrig erklären. Das Normenkontrollgericht könnte aber zu dem Schluss kommen, dass die Gebietsänderungsvereinbarungen mit dem Landesrecht nur deshalb vereinbar seien, weil er es unterlassen habe, gegen die seiner Meinung nach verfassungswidrigen Bestimmungen Beschwerde beim Landesverfassungsgericht zu erheben.
Das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform sei auch nicht mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit zu vereinbaren. Unter Zugrundelegung der Anzahl der Wahlberechtigten bei den letzten Gemeinde-/ Stadtratswahlen vom 13.06.2004 hätte er als Einzelbewerber vor dem Zusammenschluss in der Stadt Staßfurt ein individuelles Stimmengewicht von 1/20411.
Nach dem Zusammenschluss der Stadt Stassfurt mit der Gemeinde Neundorf habe er auf dem Gebiet der Stadt Staßfurt sprunghaft nur noch ein Stimmengewicht von 1/22490. Dieses Stimmengewicht von 4,45x10-5 sei kleiner als 4,9x10-5. Durch den Gebietszusammenschluss mit der Gemeinde Förderstedt verringere sich sein Stimmengewicht noch einmal abrupt auf 1/27873. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 03.07.2008 erstmals zum Begriff des Stimmengewichts bei Wahlen, dort zum negativen Stimmengewicht, Stellung bezogen. Stimmengewicht und Erfolgswahrscheinlichkeit seien danach Prüfkriterien für die Gleichheit der Wahl. Verfassungsrechtlich sei bisher ungeklärt, ob die abrupte Störung der (natürlichen) Kontinuität des Stimmengewichts und der Erfolgswahrscheinlichkeit durch staatlichen Eingriff, hervorgerufen durch Gebietsänderungen, einen grundrechtsgleichen Eingriff in die (gebietsbezogene) Gleichheit der Wahl darstelle.

Der Beschwerdeführer beantragt,

Artikel 1 § 1, § 2 Abs. 1 bis Abs. 4, Abs. 5 S.1 bis 3, Abs. 6 bis Abs. 9 des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform vom 14.02.2008 (Gesetz über die Grundsätze der Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt (GemeindeneugliederungsGrundsätzegesetz - GemNeuglGrG); GVBI. LSA, S. 40) für nichtig, hilfsweise für unvereinbar mit Art. 8 Abs.1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 u. 2 in Bezug auf Art. 90 und für unvereinbar mit Art. 89 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt zu erklären und

die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers anzuordnen.

Die Landesregierung vertritt die Ansicht, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig.
Der Landtag hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Beschwerdeschrift des Beschwerdeführers vom 19.02.2009 verwiesen.


{T:II.}
{RN:1}
Das Landesverfassungsgericht hält die Verfassungsbeschwerde einstimmig für unzulässig. Es konnte daher gemäß § 21 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz – LVerfGG) vom 23.08.1993 (GVBl. LSA S. 441) über die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden.
{RN:2}
Eine Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht kann in zulässiger Weise nur erhoben werden, wenn der Beschwerdeführer geltend macht, durch ein (formelles) Landesgesetz unmittelbar in Grundrechten, grundrechtsgleichen oder staatsbürgerlichen Rechten verletzt zu sein (Art. 75 Nr. 6 LVerf; §§ 2 Nr. 7, 47 LVerfGG). Das Erfordernis der Unmittelbarkeit ist erfüllt, wenn bereits das angegriffene Gesetz in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirkt, die Betroffenheit des Beschwerdeführers also nicht erst vermittels eines weiteren Akts bewirkt wird, oder vom Ergehen eines solchen Akts abhängig ist. Darüber hinaus setzt die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 75 Nr. 6 LVerf voraus, dass der Beschwerdeführer nicht nur unmittelbar, sondern auch gegenwärtig und selbst in seinen Grundrechten betroffen ist (LVerfG, Beschl. v. 09.03.2007 – LVG 7/06 – http://www.lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de, RdNr. 48). Für Letzteres ist mehr als eine bloße Reflexwirkung erforderlich (BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 419/78 u. 1 BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 [320]). Im Fall der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz muss der Beschwerdeführer dem Grundsatz nach Normadressat sein. Dies ist der Fall, wenn aus der Norm für die Person des Beschwerdeführers unmittelbar Rechte oder Pflichten entstehen (vgl. LVerfG, Beschl. v. 28.01.2008 – LVG 2/08 – m.w.N., http: lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de).
Daran fehlt es dem Beschwerdeführer, soweit er sich durch Art. 1 und 2 des GemNeuglGrG in seinen Grundrechten verletzt sieht. Bei diesen Regelungen handelt es sich um staatliche Organisationsakte, deren Normadressat die Kommune als Rechtsträger der kommunalen Selbstverwaltung und nicht der einzelne Einwohner der Gemeinde ist. Nur für sie erwachsen aus den Art. 1 und 2 GemNeuglGrG unmittelbare Rechte oder Pflichten. Nach § 51 Abs. 1 LVerfGG können nur die Kommunen Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch ein Landesgesetz – hier: Art. 1 und 2 GemNeuglGrG – ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf verletzt zu sein (vgl. Urt. des Gerichts vom 21.04.2009 – LVG 12, 27, 56, 58, 71, 83, 87, 99 und 145/08 – m.w.N., www.lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de).
{RN:3}
Auf eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltung kann der Beschwerdeführer als einzelner Bürger der Stadt Staßfurt sich nicht berufen. Dem Beschwerdeführer gegenüber sind die Regelungen der Art. 1 und 2 GemNeuglGrG lediglich Rechtsreflexe. Zwar ist es auch denkbar, dass ein an einen anderen Normadressaten gerichtetes Gesetz zu direkten rechtlichen Nachteilen für den Beschwerdeführer führt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
{RN:4}
Soweit sich der Beschwerdeführer aufgrund der von der Stadt Staßfurt geschlossenen Gebietsänderungsverträge und dem damit verbundenen Anwachsen der Einwohnerzahl in seinem passiven Wahlrecht beeinträchtigt sieht, handelt es sich nicht um unmittelbare Folgen der Art. 1 und 2 GemNeuGlGrG, sondern allenfalls um Folgen des Abschlusses der Gebietsänderungsverträge. Ob die Vertragsparteien die Verträge im Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen der anstehenden Gebietsänderungen durch Art. 1 und 2 GemNeuglGrG geschlossen haben, kommt es nicht an. Entscheidend ist nicht die Motivation der Vertragsparteien, sondern durch welchen Rechtsakt die mögliche Beeinträchtigung unmittelbar bewirkt wird. Die veränderte Stimmengewichtung und Erfolgswahrscheinlichkeit im Rahmen des passiven Wahlrechts des Beschwerdeführers ist jedenfalls nicht unmittelbare Folge von Art. 1 und 2 GemNeuglGrG. „Dazwischengeschaltet“ ist noch der Abschluss des Gebietsänderungsvertrages. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, in einem möglichen fachgerichtlichen Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Gebietsänderungsverträge sei es dem Fachgericht verwehrt, die Verfassungsgemäßheit der Art. 1 und 2 GemNeuglGrG zu überprüfen, trifft dies ebenfalls nicht zu. Das Fachgericht wäre vielmehr verpflichtet, in einem solchen Verfahren die Frage der Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften zu prüfen. Sollte es ein Landesgesetz, auf dessen Gültigkeit es für seine Entscheidung ankommt, mit der Landesverfassung für unvereinbar halten, müsste es das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts einholen (Art. 75 Nr. 5 LVerf; §§ 2 Nr. 6, 42 LVerfGG).
{T:III.}
Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Ein Anspruch auf die Erstattung der außergerichtlichen Kosten besteht nicht, weil die Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist (§ 32 Abs. 2 LVerfGG). Umstände, die ausnahmsweise eine Anordnung nach § 32 Abs. 3 LVerfGG rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.