Urteil des Gerichtes
Entscheidungsvorblatt
Aktenzeichen: LVG 43/10 | Entscheidungsart: Urteil | Entscheidung vom: 31.08.2011 |
Verfahrensart | Kommunalverfassungsbeschwerde | |
entscheidungserhebliche Vorschriften | ||
Schlagworte | ||
Stichworte | Urteil | |
Leitsatz | 1. Die fehlerhafte Durchführung der in Art. 90 Satz 2 LVerf angeordneten Anhörung betroffener Einwohner ist ein Verstoß gegen das durch Art. 2 Abs. 3 und 87 LVerf garantierte kommunale Selbstverwaltungsrecht. Es muss sichergestellt sein, dass die Abstimmungsberechtigten vor der Anhörung in zumutbarer Weise Kenntnis von dem Neugliederungsvorhaben und seiner Begründung erhalten. Diese Informationspflicht des Gesetzgebers kann nicht durch Informationen aus anderen Quellen ersetzt werden. 2. Eine solche Information durch Auslegung des Gesetzesentwurfs und seiner Begründung muss so rechtzeitig erfolgen, dass jeder Abstimmungsberechtigte nicht nur Kenntnis nehmen, sondern die Information auch bedenken und ggf. mit anderen diskutieren kann. Dies ist bei einer Auslage von lediglich 13 Kalendertagen nicht in ausreichendem Maße gewährleiistet. 3. Die Nichtigkeit der Eingemeindung und Auflösung einer Gemeinde hat zur Folge, dass auch die vorherige Verwaltungsgemeinschaft teilweise fortbesteht. | |
Fundstellen | - | |
Sonstiges | - | |
Zitiervorschlag |
VerfGSA, Urteil vom
31.08.2011 - LVG 43/10 -, www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de |
Urteil
in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren
LVG 43/10
31.08.2011
{T:wegen}
{T:des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt}
{T:betreffend den Landkreis Jerichower Land,}
{T:Tenor:}
§ 1 des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Jerichower Land vom 08.07.2010 (GVBl. S. 415) verletzt, soweit dessen Regelungen die Beschwerdeführerin betreffen, sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung und ist insoweit nichtig.
Die weitergehende Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Land Sachsen-Anhalt hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu einem Drittel zu erstatten.
{T:Tatbestand :}
Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, § 1 des Ge-setzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Jerichower Land vom 08.07.2010 – GemNeuglG JL – (GVBl. S. 415) sei nichtig, hilfsweise unvereinbar mit Art. 2 Abs. 3, Art. 87 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt – LVerf – vom 16.07.1992 (GVBl. S. 600 ff.). Sie ist ferner der Auffassung, dass § 7 Abs. 1 S. 2 und § 8 i.V.m § 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 und 2 des Gesetzes zur Ausführung der Gemeindegebietsreform – GebRefAusfG – vom 08.07.2010 (GVBl. S. 406 ff.) nichtig, hilfsweise unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 – 3, Art. 87 Abs. 1, Art. 89 LVerf sind.
Die angegriffene Vorschrift des § 1 GemNeuglG JL lautet wie folgt:
§ 1 Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming
Die Gemeinden Schopsdorf und Stresow werden in die Stadt Möckern eingemeindet. Die einge-meindeten Gemeinden werden aufgelöst. Für die Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming gilt § 2 Abs. 5 Satz 1 des Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetzes.
Die angegriffenen Vorschriften der §§ 7 Abs. 1 S. 1 und S. 2, 8, 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 des GebRefAusfG lauten wie folgt:
§ 7 Ortschaftsverfassung
(1) Fassen Gemeinden vor ihrer Auflösung einen Beschluss nach § 86 Abs. 1a der Gemeinde-ordnung, bilden die bisherigen Gemeinderäte der einzugemeindenden oder an der Gemeinde-neubildung beteiligten Gemeinden für den Rest der Wahlperiode die Ortschaftsräte. Für den eh-renamtlichen Bürgermeister der aufzulösenden Gemeinden gilt § 58 Abs. 1b der Gemeindeord-nung. […]
§ 8 Wahlen
(1) Soweit in diesem Gesetz oder einem Gesetz über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt keine besonderen Regelungen getroffen sind, finden auf Wahlen für Gebietsän-derungen nach den Gesetzen über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt die Regelungen der Gemeindeordnung, des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt sowie der Kommunalwahlordnung für das Land Sachsen-Anhalt Anwendung.
(2) Die Neuwahl des Gemeinderates erfolgt nach den Maßgaben des XI. Teils des Kommunal-wahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt.
(3) Soweit aufgrund der Bildung von Einheitsgemeinden ein Bürgermeister oder eine Bürgermeis-terin neu zu wählen ist, erfolgt die Wahl nach den Maßgaben des XI. Teils des Kommunalwahlge-setzes für das Land Sachsen-Anhalt.
§ 9 Erweiterung des Gemeinderates in aufnehmenden Gemeinden
(1) Findet bei gesetzlichen Eingemeindungen eine Neuwahl des Gemeinderates nicht statt, wird bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl der Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde im Ver-hältnis zur Einwohnerzahl der eingemeindeten Gemeinde, mindestens jedoch um ein Gemeinde-ratsmitglied erweitert. Die Zahl der Mitglieder des Gemeinderates der aufnehmenden Gemeinde erhöht sich entsprechend.
(4) Wird ein Ortschaftsrat nach § 7 Abs. 1 oder nach § 86 Abs. 1a der Gemeindeordnung gebil-det, wählt dieser aus seiner Mitte eine oder mehrere Personen, die dem Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl angehören. […]
Die Beschwerdeführerin sieht in diesen Vorschriften einen ungerechtfertigten Eingriff in ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung und rügt eine fehlerhafte Anhörung im Ge-setzgebungsverfahren. Die Anhörung ihrer Einwohner am 27.09.2009 sei nicht ord-nungsgemäß durchgeführt worden. Erst am 14.09.2009 sei in den Schaukästen darauf hingewiesen worden, dass der Gesetzentwurf zur Neugliederung nebst dessen amtli-cher Begründung in den Räumlichkeiten der Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming in Möckern und in deren Außenstelle in Küsel eingesehen werden könne. Zu diesem Zeitpunkt hätten bereits sieben Briefwähler ohne Kenntnis des kon-kreten Gesetzentwurfs abgestimmt. Dieses mache die Anhörung fehlerhaft. Darüber hinaus sei durch den zu kurzen Aushang und die zu kurze Zeit der Auslegung des Ge-setzentwurfs § 13 Abs. 1 der Hauptsatzung der Beschwerdeführerin verletzt worden. Es sei ferner verfahrensfehlerhaft, dass der Gesetzentwurf mit seiner Begründung nicht in Schopsdorf selbst habe eingesehen werden können. Auch hätten die Einwohner zu den Änderungen des Entwurfs des Zweiten Begleitgesetzes erneut angehört werden müssen.
Die Beschwerdeführerin ist weiterhin der Auffassung, § 1 GemNeuglG JL sei schon deshalb verfassungswidrig, weil ihre Eingemeindung in die Stadt Möckern nicht durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Der Gesetzgeber habe den Sachverhalt, den er seiner gesetzgeberischen Entscheidung zugrunde gelegt habe, nicht ordnungs-gemäß ermittelt und habe darüber hinaus eine fehlerhafte Abwägungsentscheidung getroffen. So fehle es am Nachweis, dass sie selbst wie auch das im Land bestehende Modell der Verwaltungsgemeinschaft nicht in der Lage gewesen seien, den Anforde-rungen an eine moderne Selbstverwaltung zu entsprechen. Die Schaffung einer groß-flächigen Einheitsgemeinde sei weder erforderlich noch geeignet gewesen, um das Ziel des Gesetzgebers, leistungsfähige Gemeinden zu bilden, zu erreichen. Sie habe einen geordneten Haushalt; ihre Eingemeindung verschlechtere die wirtschaftliche Nutzung kommunaler Einrichtungen, behindere ehrenamtliches Engagement und sei unverhält-nismäßig. Die demographischen Annahmen des Gesetzgebers träfen auf sie nicht zu. Ihre Eingemeindung in die Stadt Möckern sei auch deshalb fehlerhaft, weil Alternativen einer anderweitigen Zuordnung nicht geprüft worden seien. So sei eine Eingemeindung in die Stadt Genthin nicht erwogen worden. Bei der Neugliederungsentscheidung habe der Gesetzgeber zudem den Gleichheitssatz nicht hinreichend beachtet.
Die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1 und S. 2 und des § 8 i.V.m. § 9 Abs. 1
GebRefAusfG würden sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 2 Abs. 3, 87 Abs. 1 LVerf beeinträchtigen. Der von ihr delegierte Gemeinderat werde unter Verletzung der Volkssouveränität nur mittelbar durch ihren Ortschaftsrat gewählt, weshalb dessen demokratische Legitimation nicht ausreichend sei. Die ange-griffenen Regelungen verstießen gegen die Wahlgrundsätze des Art. 89 LVerf und schränkten das Demokratieprinzip ohne ausreichende Rechtfertigung in unzulässiger Weise ein. Die angeordnete Erweiterung des Gemeinderats der Stadt Möckern miss-achte willkürlich die bei der letzten Kommunalwahl getroffene Wahlentscheidung und verstoße gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Der von ihr in den Ge-meinderat der aufnehmenden Gemeinde Stadt Möckern entsandte Vertreter habe zu-dem keine demokratische Legitimation durch die Bürger der aufnehmenden Stadt
Möckern, aus der der Großteil der Einwohner der neuen Einheitsgemeinde komme.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, nach der Eingemeindung von einer Neuwahl des Gemeinderats abzusehen und stattdessen einen mit einer minderen Legitimation aus-gestatteten Vertreter der Beschwerdeführerin in den Gemeinderat der Stadt Möckern zu entsenden, sei ferner unverhältnismäßig. Es habe sich stattdessen bei den von ei-ner Neugliederung betroffenen Gemeinden eine Verbindung von Kommunalwahlen mit der im März 2011 abgehaltenen Landtagswahl angeboten. Der jetzige Zeitraum von ca. 42 Monaten zwischen Wirksamwerden der Neugliederung und der nächsten allge-meinen Kommunalwahl sei unangemessen lang und mit dem Demokratieprinzip und den Wahlrechtsgrundsätzen nicht vereinbar.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
1.§ 1 GemNeuglG JL, soweit dessen Regelungen die Gemeinde Schopsdorf betreffen, für nichtig,
hilfsweise für unvereinbar mit der Garantie des kommunalen Selbstver-waltungsrechts aus Art. 2 Abs. 3, Art. 87 Abs. 1 LVerf zu erklären.
2. § 7 Abs. 1 S.1 und S. 2 GebRefAusfG für nichtig,
hilfsweise für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Unmittelbarkeit der Kommunalwahl aus Art. 2 Abs. 1 – 3, Art. 87 Abs. 1, Art. 89 LVerf zu erklären.
3. § 8 i.V.m. § 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG für nichtig,
hilfsweise für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Unmittelbarkeit der Kommunalwahl aus Art. 2 Abs. 1 – 3, Art. 87 Abs. 1, Art. 89 LVerf zu erklären.
4.die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin anzu-ordnen.
Die Landesregierung hat zur Verfassungsbeschwerde durch die Schriftsätze vom 03.12.2010 und 24.06.2011 Stellung genommen.
Sie hält die Verfassungsbeschwerde nur hinsichtlich des Antrags zu 1. für zulässig, im Übrigen für nicht zulässig.
Hinsichtlich des Antrags zu 2. sei die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da der Inhalt der Beschwerdeschrift keine substantiierte Begründung einer möglichen Rechtsverlet-zung erkennen lasse und es der Beschwerdeführerin auch nicht gestattet sei, etwaige Rechte ihrer Mandatsträger als eigene geltend zu machen.
Auch der Antrag zu 3. sei nicht hinreichend begründet worden. Es werde aus dem In-halt der Beschwerdeschrift nicht hinreichend klar, wessen Rechte die Beschwerdefüh-rerin hier geltend mache. Sollte sie Rechte ihres Bürgermeisters oder des Gemeinde-rats geltend machen wollen, sei ihr dies versagt. Soweit sie Wahlrechte ihrer Einwoh-ner geltend machen wolle, stünden diese nicht ihr sondern den wahlberechtigten Bür-gerinnen und Bürgern zu.
Der Antrag zu 1. sei unbegründet. Die Anhörung der Einwohner sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Zwar seien der Gesetzentwurf nebst Begründung nur für eine kurze Zeit in Räumlichkeiten der Verwaltungsgemeinschaft ausgelegt worden. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mö-ckern und deren Begründung sei den Einwohnern der Beschwerdeführerin aber hinrei-chend bekannt gewesen. So habe bereits in der freiwilligen Phase eine Bürgerbefra-gung zur möglichen Eingliederung in die Stadt Möckern stattgefunden. Über die ge-plante Neugliederung sei zudem ausführlich in den Medien berichtet worden. Die Ge-setzentwürfe mit der dazugehörenden Begründung seien jederzeit auf der Homepage des Ministeriums abrufbar gewesen. Aufgrund dieser Informationsquellen hätten die Einwohner der Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zu der be-absichtigten Neugliederung eine Meinung zu bilden. Dass eine solche Meinungsbil-dung auch erfolgt sei, zeige die – mit über 81 % – hohe Beteiligung an der Anhörung.
Die Regelung des § 1 GemNeuglG JL stelle keinen willkürlichen Eingriff in das Selbst-verwaltungsrecht der Beschwerdeführerin dar und sei durch Gemeinwohlgründe ge-rechtfertigt.
Selbst wenn der Antrag zu 3. als zulässig erachtet werde, verstießen die Regelungen des § 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG nicht gegen das die kommunale Selbst-verwaltung ausgestaltende Demokratiegebot. Die angegriffenen Regelungen stellten einen sachgerechten Kompromiss zwischen der Beachtung der Wahlrechtsgrundsätze und dem Repräsentationsgebot dar und würden für die Übergangszeit bis zur nächsten allgemeinen Kommunalwahl eine ausreichend demokratisch legitimierte Repräsentati-on der Einwohner der Beschwerdeführerin gewährleisten.
Der Landtag hat sich nicht geäußert.
{T:E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:}
Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich des Antrags zu 2. unzulässig; hinsichtlich des Antrags zu 3. kann dahinstehen, ob dieser Antrag bereits nicht zulässig ist, da er in jedem Fall unbegründet ist. Hinsichtlich des Antrags zu 1. ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet.
{RN:1}
Die mit dem Antrag zu 2. erhobene Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Be-schwerdeführerin hat zu diesem Antrag keine Tatsachen vorgetragen, die eine eigene Beschwer als möglich erscheinen lassen. Sie behauptet, durch § 7 Abs. 1 S. 1 und 2 GebRefAusfG in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 bis 3, Art. 87 Abs. 1 und Art. 89 LVerf verletzt zu sein. Zwar wird Art. 89 LVerf nicht als rügefähiges Recht in Art. 75 LVerf, §§ 2 Nr. 8, 51 Abs. 1 Landesverfassungsgerichtsgesetz – LVerfGG – vom 23.08.1993 (GVBl. S. 441 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.11.2009 (GVBl. S. 525 f.), genannt. Das Demokratiegebot ist jedoch bei der organisatorischen Ausgestaltung der Zusammensetzung des Gemeinderats zu berücksichtigen, weil es das verfassungs-rechtliche Bild der Selbstverwaltung mitbestimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, [242]). Über ihre bloße Behauptung hinaus hat die Beschwerdeführerin keine Tatsachen vorgetragen, die eine eigene Beschwer als mög-lich erscheinen lassen. Sie hat insbesondere nicht dargetan, wie die von ihr selbst ein-geführte Ortschaftsverfassung zu einer Beeinträchtigung des Demokratiegebots führen soll. Die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 1 und 2 GebRefAusfG ermöglicht den bisherigen Gemeinderäten und dem Bürgermeister bis zum Ende der Wahlperiode als Ortschafts-räte tätig zu sein. Diese Regelung gewährt damit Rechte, die im Fall der Auflösung ei-ner Gemeinde für diese ansonsten nicht bestünden. Insofern fehlt es an einer Be-schwer. Die für den „neuen Ortsteil Schopsdorf“ eingeführte Ortschaftsverfassung könnte allenfalls Rechte der aufnehmenden Stadt Möckern beeinträchtigen. Diese Rechte kann die Beschwerdeführerin jedoch nicht geltend machen (vgl. LVerfG, Urt. v. 16.06.2011 – LVG 41/10 –, RdNr. 5 des Internetauftritts).
{RN:2}
Die Beschwerdeführerin ist zudem nicht befugt, etwaige Rechte ihres Bürgermeisters oder ihrer Gemeinderäte stellvertretend oder als eigene Rechte geltend zu machen. Das Recht zur Erhebung einer kommunalen Verfassungsbeschwerde besteht nur dann und so weit, als durch eine gesetzgeberische Maßnahme in die Selbstverwaltungsga-rantie einer Gemeinde selbst eingegriffen wird. Etwaige Rechte ihres Bürgermeisters oder ihres Gemeinderats gehören nicht zu der Organisationshoheit der Beschwerde-führerin und damit nicht zu ihrer Selbstverwaltungsgarantie. Die Beschwerdeführerin ist deshalb im Hinblick auf die Rechte ihres Bürgermeisters oder ihrer Gemeinderäte nicht selbst betroffen und deswegen nicht beschwerdebefugt (vgl. zuletzt LVerfG, Urt. v. 16.06.2011 – LVG 41/10 –, http:/lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de, RdNr. 6 des Internet-auftritts; Beschl. v. 28.06.2010 – LVG 3/10 –, RdNr. 3 des Internetauftritts). Aus dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht folgt auch kein allgemeiner Anspruch der Ge-meinde auf verfassungskonformes Handeln des Gesetzgebers (vgl. LVerfG, Urt. v. 10.05.2011 – LVG 47/10, RdNr. 2 a.E. des Internetauftritts).
{RN:3}
Hinsichtlich des Antrages zu 3. ist bereits fraglich, ob die Beschwerdeführerin in ei-genen Rechten verletzt ist. Dies kann dahinstehen, weil die Regelungen zur Entsen-dung von Mitgliedern des Gemeinderats der aufgelösten Gemeinde in den Gemeinde-rat der aufnehmenden Gemeinde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstan-den sind. Entsprechend hat das Landesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 20.01.2011 (LVerfG, Urt. v. 20.01.2011 – LVG 22/10 –, Leitsatz 3 des Internetauftritts) entschieden: „Ordnet der Gesetzgeber für den Fall der Eingemeindung kleinerer Ge-meinden keine Neuwahlen an, so muss ihm aus dem Blickwinkel des Art. 89 LVerf zu-gebilligt werden, dass er sich anstelle des bloßen Unterlassens von Neuwahlen für ei-ne Zwischenlösung in Gestalt einer Entsenderegelung entscheidet, mit der er vermei-det, dass sich die neu hinzugekommenen Einwohner im Gemeinderat selbst nicht rep-räsentiert sehen. Er erreicht damit zumindest einen Zustand, der dem Verfassungsge-bot des Art. 89 LVerf näher kommt als es völlige Untätigkeit wäre. Dass er damit das Verfassungsgebot nicht vollkommen verwirklicht, kann für eine Übergangszeit hinge-nommen werden.“ Dies gilt unverändert.
{RN:4}
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, § 1 GemNeuglG JL verletze sie in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 3‚ Art. 87 Abs. 1 - 3 LVerf (Antrag zu 1.), ist die kommu-nale Verfassungsbeschwerde zulässig.
{RN:5}
Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung über die kommunale Verfas-sungsbeschwerde berufen (vgl. dazu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 227, [245 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 1/94 –, LVerfGE 2, 273, [289 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 4/94 –, LVerfGE 2, 323, [334 f.]).
{RN:6}
Soweit eine Verletzung des durch Art. 2 Abs. 3 und 87 LVerf garantierten Selbstverwal-tungsrechts behauptet wird, handelt es sich um eine kommunale Verfassungsbe-schwerde im Sinne des Art. 75 Nr. 7 LVerf und der §§ 2 Nr. 8, 51 LVerfGG. Diese Be-stimmungen berechtigen die Kommunen, gegen Eingriffe in ihr Selbstverwaltungsrecht durch ein Landesgesetz das Landesverfassungsgericht anzurufen. Nach § 51 Abs. 1 LVerfGG können Kommunen die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erhe-ben, durch ein Landesgesetz in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf verletzt zu sein. Gemäß § 51 Abs. 2 LVerfGG gelten die Vorschriften der §§ 48 bis 50 LVerfGG entsprechend. Nach § 49 LVerfGG sind in der Begründung der Verfassungsbeschwerde, welche nach § 16 Abs. 1 S. 2 LVerfGG erforderlich ist, das Recht, das verletzt sein soll, und die Gesetzesvorschrift, durch die sich die Be-schwerdeführerin unmittelbar verletzt sieht, zu bezeichnen. Die Zulässigkeit einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt voraus, dass die Be-schwerdeführerin selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffenen Rechts-normen in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt ist (BVerfG, Urt. v. 15.10.1985 – 2 BvR 1808/82, 2 BvR 1809/82, 2 BvR 1810/82 –, BVerfGE 71, 25, [34 ff.]; BVerfG, Beschl. v. 19.11.2002 – 2 BvR 329/97 –, BVerfGE 107, 1 [8]; Magen, in:
Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 91 RdNr. 18). Die angegriffene Norm greift unmittelbar und gegenwärtig in das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin ein, ohne dass es eines weiteren an-greifbaren Umsetzungsakts bedarf. Durch die angegriffene Regelung wird sie unmittel-bar in ihrer rechtlichen Existenz aufgelöst.
{RN:7}
Die sonstigen formellen Bestimmungen sind eingehalten; insbesondere ist die Jahresfrist des § 48 LVerfGG gewahrt.
{RN:8}
Hinsichtlich des Antrags zu 1. hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. § 1 Gem-NeuglG JL ist, soweit dessen Regelungen die Beschwerdeführerin betreffen, unter Ver-letzung der Landesverfassung zustande gekommen und deshalb insoweit nichtig.
{RN:9}
Die fehlerhafte Durchführung der in Art. 90 S. 2 LVerf vor einer Änderung des Gemeindegebiets angeordneten „Anhörung der betroffenen Einwohner“ ist ein Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Ausgestaltung durch die Landesver-fassung.
{RN:10}
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf garantiert Gemeinden, dass ihr Gebietsbestand nur nach vorheriger Anhörung und ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls verändert werden darf und sie nur in diesem Rahmen aufgelöst werden dürfen (LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, RdNr. 98 des Inter-netauftritts m.w.N.). Art. 90 S. 2 LVerf gestaltet einen Teilaspekt dieser Garantie aus, indem er bestimmt, dass das Nähere, insbesondere zur Anhörung der betroffenen Kommunen und Einwohner, durch ein Gesetz geregelt wird. Die dieser Vorgabe fol-genden einfachgesetzlichen Regelungen sind insoweit Teil der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie und können im Verfahren vor dem Landesverfassungsge-richt als verletzt gerügt werden (vgl. LVerfG, Beschl. v. 20.12.2010 – LVG 36/10 –, II. des Internetauftritts; VerfGBbg, Beschl. v. 16.10.2003 – VfGBbg 67/03 –, S. 4 der Ur-teilsgründe und Urt. v. 29.08.2002 – VfgBbg 15/02 –, S. 12 der Urteilsgründe m.w.N., beide Entscheidungen in www.verfassungsgericht.brandenburg.de; StGH BW, Urt. v. 25.04.1975 – GR 6/74 –, DÖV 1975, 500 [501 f.] und Urt. v. 06.02.1976 – GR 66/74 –, DÖV 1976, 245 [246 f.]). Kommunale Selbstverwaltung bedeutet dabei nicht zuletzt auch Mitwirkung und Beteiligung an der Meinungsbildung „vor Ort“ sowie „Aktivierung der Beteiligung für ihre heimatlichen Angelegenheiten ... mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“ (BVerfG, Beschl. v. 12.07.1960 – 2 BvR 373, 442/60 –, BVerfGE 11, 266 [275 f.] m.w.N.).
{RN:11}
Die der Vorgabe des Art. 90 S. 2 LVerf folgenden einfachgesetzlichen Regelungen fin-den sich in § 17 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt – GO LSA – in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2009 (GVBl. S. 383 f.), zuletzt ge-ändert durch § 30 Abs. 1 StiftungsG LSA vom 20.01.2011 (GVBl. S. 14), sowie in § 55 des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt – KWG LSA – in der Fas-sung der Bekanntmachung vom 27.02.2004 (GVBl. S. 92 ff.), zuletzt geändert durch Art. 5 BegleitG zur Gemeindegebietsreform vom 14.02.2008 (GVBl. S. 40, [48]). Nach § 17 Abs. 2 S. 3 GO LSA müssen bei Änderungen der Gemeindegrenzen durch Ge-setz gegen den Willen der beteiligten Gemeinden neben den betroffenen Gemeinden auch die Bürger gehört werden, die in dem unmittelbar betroffenen Gebiet wohnen. Gemäß § 55 S. 2 KWG LSA finden auf die Durchführung der Anhörung der Bürger bei Gebietsänderungen nach der GO LSA die Bestimmungen für die Wahl des Bürger-meisters und des Landrats mit Ausnahme der §§ 50 bis 53 KWG LSA entsprechende Anwendung. Weitere Anforderungen an die Durchführung der Bürgeranhörung erge-ben sich aus der auf der Grundlage des § 68 Abs. 1 KWG LSA erlassenen Kommu-nalwahlordnung für das Land Sachsen-Anhalt – KWO LSA – vom 24. Februar 1994 (GVBl. S. 338 ff., ber. S. 435), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.02.2009 (GVBl. S. 54 ff.).
{RN:12}
Diese Vorschriften, wie auch die Verfassung selbst, enthalten keine Bestimmungen über die Bekanntgabe des gebietsändernden Gesetzentwurfs nebst dessen Begrün-dung. Die Hauptsatzung der Gemeinde Schopsdorf findet auf den Aushang und die Auslegung keine Anwendung. Bei Gebietsänderungen gegen den Willen der Gemein-den sind die Verwaltungsgemeinschaften für die Durchführung der Anhörung zuständig (vgl. LVerfG, Urt. v. 16.06.2011 – LVG 41/10 –, RdNr. 20 des Internetauftritts m.w.N.), für die das Ortschaftsrecht nicht gilt.
{RN:13}
Für die ordnungsgemäße Anhörung der Einwohner ist ein Verfahren erforderlich, das wirksam genug ist, um dem Zweck der Bürgeranhörung zu entsprechen. Zweck der Anhörung ist es, dem Gesetzgeber ein authentisches Meinungsbild der Einwohner zur geplanten Gebietsänderung zu verschaffen. Hierfür muss sicher gestellt sein, dass die Äußerungsberechtigten vor der Anhörung in zumutbarer Weise tatsächlich Kenntnis von dem Neugliederungsvorhaben erhalten können. Die Information der Äußerungsbe-rechtigten muss dabei so rechtzeitig erfolgen, dass eine sachgerechte Meinungsbil-dung möglich ist (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 01.03.2001, – VerfGH 20/00 –, RdNr. 78 m.w.N. – juris; vgl. zur notwendigen Information von Kommunen bei Anhörungen: LVerfG LSA, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 227 [255] m.w.N.). Hierbei müssen die Einwohner der von der Gebietsänderung betroffenen Gemeinde in der La-ge sein, alle Argumente sorgfältig abwägen zu können, die für und gegen die geplante Neugliederungsmaßnahme sprechen. Um sich eine fundierte Meinung bilden zu kön-nen, müssen die betroffenen Einwohner dabei zwar nicht von allen Einzelheiten, zu-mindest aber vom wesentlichen Inhalt des Gebietsänderungsvorhabens und seiner Begründung Kenntnis erlangen können (vgl. für die Information von Kommunen bei Anhörungen: BVerfG, Beschl. v. 17.01.1979 – 2 BvL 6/76 –, BVerfGE 50, 195 [203]; Beschl. v. 12.05.1992 – 2 BvR 470, 650, 707/90 –, BVerfGE 86, 90 [107 f.]; StGH BW, Urt. v. 14.02.1975 – Gesch.Reg. Nr. 11/74 –, ESVGH 25, 1 [26]; VerfGH NW, Urt. v. 24.04.1970 – VGH 13/69 –, OVGE 26, 270 [274 f]).
{RN:14}
Dies ist vorliegend nicht in einem ausreichenden Maße gewährleistet worden. Die Aus-legung des Gesetzentwurfs nebst dessen Begründung von lediglich 13 Tagen gewähr-leistet keine so rechtzeitige Informationsmöglichkeit der Äußerungsberechtigten, dass – neben der Einsichtnahme in den Gesetzentwurf und seine Begründung – noch eine sachgerechte Meinungsbildung möglich war. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach der Ankündigung im Schaukasten der Beschwerdeführerin am 14.09.2009, nach der der Gesetzentwurf nebst Begründung in Möckern und in der Außenstelle der Verwal-tungsgemeinschaft in Küsel eingesehen werden könne, lediglich noch 9 Arbeitstage zur Einsichtnahme in den Gesetzentwurf zur Verfügung standen. Dieser Zeitraum reicht für eine sachgerechte Meinungsbildung nicht aus. Dazu ist nicht alleine die Kenntnisnahme der Information genügend. Vielmehr muss eine Diskussion über das Vorhaben mit der möglichen Reflexion der eigenen und abweichender Meinungen an-derer möglich sein. Dies ist bei einer Auslage von lediglich 13 Tagen nicht in einem ausreichenden Maße gewährleistet.
{RN:15}
Auch durch andere Informationsquellen ist dies nicht in hinreichendem Maße gewähr-leistet worden. Zwar hatte bereits in der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform am 24.02.2008 eine Bürgerbefragung zur möglichen Eingemeindung der Beschwerde-führerin in die Stadt Möckern stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt stand jedoch die Be-gründung, die zu einer zwangsweisen Neugliederung der Beschwerdeführerin und de-ren Zuordnung zur Stadt Möckern geführt hat, noch nicht im Einzelnen fest.
{RN:16}
Auch die von der Landesregierung in ihrer Stellungnahme ins Feld geführte Pressebe-richterstattung über das Neugliederungsvorhaben ist nicht geeignet, eine ausreichende Information der Äußerungsberechtigten zu gewährleisten. Sie enthält nur eine sehr verkürzte und vom Gesetzgeber nicht autorisierte Darstellung des Vorhabens und eine rudimentäre Wiedergabe der Begründung des Gesetzentwurfs. Der Gesetzgeber kann es nicht allein der örtlichen Medienberichterstattung überlassen, über den Gesetzent-wurf nebst dessen Begründung zu informieren. Der Bürger, der sich eine von der Pres-seberichterstattung unabhängige Meinung bilden will, muss die Möglichkeit erhalten, in zumutbarer Weise Dokumente einsehen zu können, die den Willen des Gesetzgebers authentisch wiedergeben.
{RN:17}
Auch die von der Landesregierung in ihrer Stellungnahme ins Feld geführte Veröffentli-chung des Gesetzentwurfs auf der Homepage des Ministeriums stellt keine ausrei-chende Informationsmöglichkeit dar. So ist von amtlicher Seite auf den Link, unter dem der Gesetzentwurf abgerufen werden konnte, weder in den Aushängen noch an ande-rer Stelle hingewiesen worden. Insoweit hing für den Abstimmungsberechtigten die Möglichkeit der Informationsverschaffung von dessen Recherchefähigkeiten im Internet ab. Dies stellt kein ordnungsgemäßes Verfahren des Gesetzgebers zur Gewährung der von Verfassungs wegen gebotenen Möglichkeit zur Information dar. Zudem verfügen auch in der heutigen Zeit noch Teile der Bevölkerung weder über einen ständigen In-ternetzugang noch über die entsprechenden Kenntnisse, um über dieses Medium an die gewünschten Informationen zu gelangen. Der Gesetzgeber hat für alle eine recht-zeitige Möglichkeit zur Information bereitzustellen.
Diesem Erfordernis ist, wie dem erkennenden Gericht aus der Vielzahl der anderen kommunalen Verfassungsbeschwerden bekannt ist, in anderen Verwaltungsgemein-schaften durch die parallele Ankündigung der Bürgerbefragung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme des Gesetzentwurfs (nebst dessen Begründung) in den Räumlichkeiten der Verwaltungsgemeinschaft auch entsprochen worden.
{RN:18}
Ob die Bürgerinnen und Bürger eine andere oder differenziertere Meinung zu dem Neugliederungsvorhaben gebildet hätten, wenn der Referentenentwurf über einen län-geren Zeitraum zur Einsichtnahme ausgelegen hätte, ist unerheblich. Die von der Lan-desregierung in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des erkennenden Gerichts (LVerfG, Urt. v. 13.06.2006 – LVG 14/05, LVerfGE 17, 437) betraf das Anhö-rungsrecht einer Gebietskörperschaft (hier eines Kreises) zu einer geplanten Gebiets-änderung. Dies ist mit dem Anhörungsrecht der Bürgerinnen und Bürger des von einer Gebietsänderung betroffenen Gebiets schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Ge-bietskörperschaften in ihren Stellungnahmen nicht auf die bloße Bejahung oder Ver-neinung der Anhörungsfrage beschränkt waren, sondern im Anhörungsverfahren eine differenzierte, weitere Gesichtspunkte umfassende Stellungnahme abgeben konnten. Im Fall der Anhörung einer Gebietskörperschaft kann daher grundsätzlich verlangt werden darzulegen, welche weiteren Aspekte, die in der Anhörung nicht vorgetragen werden konnten, noch Berücksichtigung hätten finden sollen. Dies ist aber bei der An-hörung der von der Gebietsänderung betroffenen Bürgerinnen und Bürger grundlegend anders. Sie sind darauf beschränkt, eine positive, eine negative oder gar keine Äuße-rung zu der geplanten Gebietsänderung abzugeben. Insoweit können einzelne Aspekte oder Argumente nur ihr Abstimmungsverhalten insgesamt ändern, wobei deren Ge-wicht bei der Entscheidung im Einzelfall kaum nachzuvollziehen ist. Das erkennende Gericht ist daher in Übereinstimmung mit den Entscheidungen anderer Landesverfas-sungsgerichte (vgl. StGH Bad.- Württ., Urt. v. 06.02.1976 – GR 66/74 –, DÖV 1976, 245, [247] und Urt. v. 25.04.1975 – GR 6/74 –, DÖV 1975, 500 [502]; VerfGBbg, Beschl. v. 16.10.2003 – VfGBbg 67/03 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de) der Auffassung, dass das verfassungsmäßige Anhörungsrecht nicht dadurch geschwächt werden darf, dass seine Verletzung nur im Falle der Kausalität für die angegriffene Maßnahme rechtserheblich wäre. Zu dieser Überlegung zwingt gerade auch der Um-stand, dass fast nie mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln sein wird, wie die Äuße-rungsberechtigten und in deren Folge der Gesetzgeber im Fall der ordnungsgemäßen Anhörung (möglicherweise anders) entschieden hätten.
In diesem Zusammenhang ist auch die von der Landesregierung angeführte hohe Be-teiligung der Abstimmungsberechtigten an der Bürgeranhörung ohne Belang. Insoweit kann ebenfalls nicht geklärt werden, aus welchen Motiven die Äußerungsberechtigten an der Wahl teilgenommen haben oder ihr dennoch fern geblieben sind und weiterhin, aus welchen Motiven sie für oder gegen die geplante Neugliederungsmaßnahme ge-stimmt haben. Allein aus der hohen Wahlbeteiligung ist kein Rückschluss darauf zuläs-sig, dass diejenigen, die von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch gemacht haben, sich ausreichend informieren konnten. Es kann auch sein, dass diese trotz unzureichender Information abgestimmt haben, um die Bedeutung der Entscheidung durch eine hohe Beteiligung zu dokumentieren und um von ihren demokratischen Möglichkeiten über-haupt Gebrauch zu machen. Unter diesen Umständen ist jedenfalls nicht ausreichend klar, dass der von der Verfassung mit Art. 90 S. 2 LVerf intendierte Zweck der Anhö-rung, dem Gesetzgeber ein authentisches Meinungsbild der betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu der geplanten Gebietsänderung zu verschaffen, in ausreichendem Ma-ße gewährleistet ist. Dies begründet einen Verfassungsverstoß.
{RN:19}
Die Nichtigkeit der Eingemeindung und Auflösung der Beschwerdeführerin hat zur Folge, dass § 1 S. 3 GemNeuglG JL i.V.m. § 2 Abs. 5 S. 1 GemNeuglGrG insoweit keine Wirkung entfaltet. Der Fortbestand der Beschwerdeführerin hat zur Folge, dass auch die Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming insoweit reduziert auf die Stadt Möckern als Trägergemeinde und die Beschwerdeführerin fortbesteht.
{RN:20}
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Die kommunale Verfas-sungsbeschwerde bleibt hinsichtlich der Anträge zu 2. und 3. erfolglos, sodass lediglich eine teilweise Erstattung der notwendigen Auslagen angeordnet wird (§ 32 Abs. 3 LVerfGG).
« zurück{T:wegen}
{T:des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt}
{T:betreffend den Landkreis Jerichower Land,}
{T:Tenor:}
§ 1 des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Jerichower Land vom 08.07.2010 (GVBl. S. 415) verletzt, soweit dessen Regelungen die Beschwerdeführerin betreffen, sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung und ist insoweit nichtig.
Die weitergehende Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Land Sachsen-Anhalt hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu einem Drittel zu erstatten.
{T:Tatbestand :}
Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, § 1 des Ge-setzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Jerichower Land vom 08.07.2010 – GemNeuglG JL – (GVBl. S. 415) sei nichtig, hilfsweise unvereinbar mit Art. 2 Abs. 3, Art. 87 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt – LVerf – vom 16.07.1992 (GVBl. S. 600 ff.). Sie ist ferner der Auffassung, dass § 7 Abs. 1 S. 2 und § 8 i.V.m § 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 und 2 des Gesetzes zur Ausführung der Gemeindegebietsreform – GebRefAusfG – vom 08.07.2010 (GVBl. S. 406 ff.) nichtig, hilfsweise unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 – 3, Art. 87 Abs. 1, Art. 89 LVerf sind.
Die angegriffene Vorschrift des § 1 GemNeuglG JL lautet wie folgt:
§ 1 Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming
Die Gemeinden Schopsdorf und Stresow werden in die Stadt Möckern eingemeindet. Die einge-meindeten Gemeinden werden aufgelöst. Für die Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming gilt § 2 Abs. 5 Satz 1 des Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetzes.
Die angegriffenen Vorschriften der §§ 7 Abs. 1 S. 1 und S. 2, 8, 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 des GebRefAusfG lauten wie folgt:
§ 7 Ortschaftsverfassung
(1) Fassen Gemeinden vor ihrer Auflösung einen Beschluss nach § 86 Abs. 1a der Gemeinde-ordnung, bilden die bisherigen Gemeinderäte der einzugemeindenden oder an der Gemeinde-neubildung beteiligten Gemeinden für den Rest der Wahlperiode die Ortschaftsräte. Für den eh-renamtlichen Bürgermeister der aufzulösenden Gemeinden gilt § 58 Abs. 1b der Gemeindeord-nung. […]
§ 8 Wahlen
(1) Soweit in diesem Gesetz oder einem Gesetz über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt keine besonderen Regelungen getroffen sind, finden auf Wahlen für Gebietsän-derungen nach den Gesetzen über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt die Regelungen der Gemeindeordnung, des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt sowie der Kommunalwahlordnung für das Land Sachsen-Anhalt Anwendung.
(2) Die Neuwahl des Gemeinderates erfolgt nach den Maßgaben des XI. Teils des Kommunal-wahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt.
(3) Soweit aufgrund der Bildung von Einheitsgemeinden ein Bürgermeister oder eine Bürgermeis-terin neu zu wählen ist, erfolgt die Wahl nach den Maßgaben des XI. Teils des Kommunalwahlge-setzes für das Land Sachsen-Anhalt.
§ 9 Erweiterung des Gemeinderates in aufnehmenden Gemeinden
(1) Findet bei gesetzlichen Eingemeindungen eine Neuwahl des Gemeinderates nicht statt, wird bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl der Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde im Ver-hältnis zur Einwohnerzahl der eingemeindeten Gemeinde, mindestens jedoch um ein Gemeinde-ratsmitglied erweitert. Die Zahl der Mitglieder des Gemeinderates der aufnehmenden Gemeinde erhöht sich entsprechend.
(4) Wird ein Ortschaftsrat nach § 7 Abs. 1 oder nach § 86 Abs. 1a der Gemeindeordnung gebil-det, wählt dieser aus seiner Mitte eine oder mehrere Personen, die dem Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl angehören. […]
Die Beschwerdeführerin sieht in diesen Vorschriften einen ungerechtfertigten Eingriff in ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung und rügt eine fehlerhafte Anhörung im Ge-setzgebungsverfahren. Die Anhörung ihrer Einwohner am 27.09.2009 sei nicht ord-nungsgemäß durchgeführt worden. Erst am 14.09.2009 sei in den Schaukästen darauf hingewiesen worden, dass der Gesetzentwurf zur Neugliederung nebst dessen amtli-cher Begründung in den Räumlichkeiten der Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming in Möckern und in deren Außenstelle in Küsel eingesehen werden könne. Zu diesem Zeitpunkt hätten bereits sieben Briefwähler ohne Kenntnis des kon-kreten Gesetzentwurfs abgestimmt. Dieses mache die Anhörung fehlerhaft. Darüber hinaus sei durch den zu kurzen Aushang und die zu kurze Zeit der Auslegung des Ge-setzentwurfs § 13 Abs. 1 der Hauptsatzung der Beschwerdeführerin verletzt worden. Es sei ferner verfahrensfehlerhaft, dass der Gesetzentwurf mit seiner Begründung nicht in Schopsdorf selbst habe eingesehen werden können. Auch hätten die Einwohner zu den Änderungen des Entwurfs des Zweiten Begleitgesetzes erneut angehört werden müssen.
Die Beschwerdeführerin ist weiterhin der Auffassung, § 1 GemNeuglG JL sei schon deshalb verfassungswidrig, weil ihre Eingemeindung in die Stadt Möckern nicht durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Der Gesetzgeber habe den Sachverhalt, den er seiner gesetzgeberischen Entscheidung zugrunde gelegt habe, nicht ordnungs-gemäß ermittelt und habe darüber hinaus eine fehlerhafte Abwägungsentscheidung getroffen. So fehle es am Nachweis, dass sie selbst wie auch das im Land bestehende Modell der Verwaltungsgemeinschaft nicht in der Lage gewesen seien, den Anforde-rungen an eine moderne Selbstverwaltung zu entsprechen. Die Schaffung einer groß-flächigen Einheitsgemeinde sei weder erforderlich noch geeignet gewesen, um das Ziel des Gesetzgebers, leistungsfähige Gemeinden zu bilden, zu erreichen. Sie habe einen geordneten Haushalt; ihre Eingemeindung verschlechtere die wirtschaftliche Nutzung kommunaler Einrichtungen, behindere ehrenamtliches Engagement und sei unverhält-nismäßig. Die demographischen Annahmen des Gesetzgebers träfen auf sie nicht zu. Ihre Eingemeindung in die Stadt Möckern sei auch deshalb fehlerhaft, weil Alternativen einer anderweitigen Zuordnung nicht geprüft worden seien. So sei eine Eingemeindung in die Stadt Genthin nicht erwogen worden. Bei der Neugliederungsentscheidung habe der Gesetzgeber zudem den Gleichheitssatz nicht hinreichend beachtet.
Die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1 und S. 2 und des § 8 i.V.m. § 9 Abs. 1
GebRefAusfG würden sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 2 Abs. 3, 87 Abs. 1 LVerf beeinträchtigen. Der von ihr delegierte Gemeinderat werde unter Verletzung der Volkssouveränität nur mittelbar durch ihren Ortschaftsrat gewählt, weshalb dessen demokratische Legitimation nicht ausreichend sei. Die ange-griffenen Regelungen verstießen gegen die Wahlgrundsätze des Art. 89 LVerf und schränkten das Demokratieprinzip ohne ausreichende Rechtfertigung in unzulässiger Weise ein. Die angeordnete Erweiterung des Gemeinderats der Stadt Möckern miss-achte willkürlich die bei der letzten Kommunalwahl getroffene Wahlentscheidung und verstoße gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Der von ihr in den Ge-meinderat der aufnehmenden Gemeinde Stadt Möckern entsandte Vertreter habe zu-dem keine demokratische Legitimation durch die Bürger der aufnehmenden Stadt
Möckern, aus der der Großteil der Einwohner der neuen Einheitsgemeinde komme.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, nach der Eingemeindung von einer Neuwahl des Gemeinderats abzusehen und stattdessen einen mit einer minderen Legitimation aus-gestatteten Vertreter der Beschwerdeführerin in den Gemeinderat der Stadt Möckern zu entsenden, sei ferner unverhältnismäßig. Es habe sich stattdessen bei den von ei-ner Neugliederung betroffenen Gemeinden eine Verbindung von Kommunalwahlen mit der im März 2011 abgehaltenen Landtagswahl angeboten. Der jetzige Zeitraum von ca. 42 Monaten zwischen Wirksamwerden der Neugliederung und der nächsten allge-meinen Kommunalwahl sei unangemessen lang und mit dem Demokratieprinzip und den Wahlrechtsgrundsätzen nicht vereinbar.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
1.§ 1 GemNeuglG JL, soweit dessen Regelungen die Gemeinde Schopsdorf betreffen, für nichtig,
hilfsweise für unvereinbar mit der Garantie des kommunalen Selbstver-waltungsrechts aus Art. 2 Abs. 3, Art. 87 Abs. 1 LVerf zu erklären.
2. § 7 Abs. 1 S.1 und S. 2 GebRefAusfG für nichtig,
hilfsweise für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Unmittelbarkeit der Kommunalwahl aus Art. 2 Abs. 1 – 3, Art. 87 Abs. 1, Art. 89 LVerf zu erklären.
3. § 8 i.V.m. § 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG für nichtig,
hilfsweise für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Unmittelbarkeit der Kommunalwahl aus Art. 2 Abs. 1 – 3, Art. 87 Abs. 1, Art. 89 LVerf zu erklären.
4.die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin anzu-ordnen.
Die Landesregierung hat zur Verfassungsbeschwerde durch die Schriftsätze vom 03.12.2010 und 24.06.2011 Stellung genommen.
Sie hält die Verfassungsbeschwerde nur hinsichtlich des Antrags zu 1. für zulässig, im Übrigen für nicht zulässig.
Hinsichtlich des Antrags zu 2. sei die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da der Inhalt der Beschwerdeschrift keine substantiierte Begründung einer möglichen Rechtsverlet-zung erkennen lasse und es der Beschwerdeführerin auch nicht gestattet sei, etwaige Rechte ihrer Mandatsträger als eigene geltend zu machen.
Auch der Antrag zu 3. sei nicht hinreichend begründet worden. Es werde aus dem In-halt der Beschwerdeschrift nicht hinreichend klar, wessen Rechte die Beschwerdefüh-rerin hier geltend mache. Sollte sie Rechte ihres Bürgermeisters oder des Gemeinde-rats geltend machen wollen, sei ihr dies versagt. Soweit sie Wahlrechte ihrer Einwoh-ner geltend machen wolle, stünden diese nicht ihr sondern den wahlberechtigten Bür-gerinnen und Bürgern zu.
Der Antrag zu 1. sei unbegründet. Die Anhörung der Einwohner sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Zwar seien der Gesetzentwurf nebst Begründung nur für eine kurze Zeit in Räumlichkeiten der Verwaltungsgemeinschaft ausgelegt worden. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Mö-ckern und deren Begründung sei den Einwohnern der Beschwerdeführerin aber hinrei-chend bekannt gewesen. So habe bereits in der freiwilligen Phase eine Bürgerbefra-gung zur möglichen Eingliederung in die Stadt Möckern stattgefunden. Über die ge-plante Neugliederung sei zudem ausführlich in den Medien berichtet worden. Die Ge-setzentwürfe mit der dazugehörenden Begründung seien jederzeit auf der Homepage des Ministeriums abrufbar gewesen. Aufgrund dieser Informationsquellen hätten die Einwohner der Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zu der be-absichtigten Neugliederung eine Meinung zu bilden. Dass eine solche Meinungsbil-dung auch erfolgt sei, zeige die – mit über 81 % – hohe Beteiligung an der Anhörung.
Die Regelung des § 1 GemNeuglG JL stelle keinen willkürlichen Eingriff in das Selbst-verwaltungsrecht der Beschwerdeführerin dar und sei durch Gemeinwohlgründe ge-rechtfertigt.
Selbst wenn der Antrag zu 3. als zulässig erachtet werde, verstießen die Regelungen des § 9 Abs. 1 und Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG nicht gegen das die kommunale Selbst-verwaltung ausgestaltende Demokratiegebot. Die angegriffenen Regelungen stellten einen sachgerechten Kompromiss zwischen der Beachtung der Wahlrechtsgrundsätze und dem Repräsentationsgebot dar und würden für die Übergangszeit bis zur nächsten allgemeinen Kommunalwahl eine ausreichend demokratisch legitimierte Repräsentati-on der Einwohner der Beschwerdeführerin gewährleisten.
Der Landtag hat sich nicht geäußert.
{T:E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:}
Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich des Antrags zu 2. unzulässig; hinsichtlich des Antrags zu 3. kann dahinstehen, ob dieser Antrag bereits nicht zulässig ist, da er in jedem Fall unbegründet ist. Hinsichtlich des Antrags zu 1. ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet.
{RN:1}
Die mit dem Antrag zu 2. erhobene Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Be-schwerdeführerin hat zu diesem Antrag keine Tatsachen vorgetragen, die eine eigene Beschwer als möglich erscheinen lassen. Sie behauptet, durch § 7 Abs. 1 S. 1 und 2 GebRefAusfG in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 bis 3, Art. 87 Abs. 1 und Art. 89 LVerf verletzt zu sein. Zwar wird Art. 89 LVerf nicht als rügefähiges Recht in Art. 75 LVerf, §§ 2 Nr. 8, 51 Abs. 1 Landesverfassungsgerichtsgesetz – LVerfGG – vom 23.08.1993 (GVBl. S. 441 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.11.2009 (GVBl. S. 525 f.), genannt. Das Demokratiegebot ist jedoch bei der organisatorischen Ausgestaltung der Zusammensetzung des Gemeinderats zu berücksichtigen, weil es das verfassungs-rechtliche Bild der Selbstverwaltung mitbestimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.10.1994 – 2 BvR 445/91 –, BVerfGE 91, 228, [242]). Über ihre bloße Behauptung hinaus hat die Beschwerdeführerin keine Tatsachen vorgetragen, die eine eigene Beschwer als mög-lich erscheinen lassen. Sie hat insbesondere nicht dargetan, wie die von ihr selbst ein-geführte Ortschaftsverfassung zu einer Beeinträchtigung des Demokratiegebots führen soll. Die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 1 und 2 GebRefAusfG ermöglicht den bisherigen Gemeinderäten und dem Bürgermeister bis zum Ende der Wahlperiode als Ortschafts-räte tätig zu sein. Diese Regelung gewährt damit Rechte, die im Fall der Auflösung ei-ner Gemeinde für diese ansonsten nicht bestünden. Insofern fehlt es an einer Be-schwer. Die für den „neuen Ortsteil Schopsdorf“ eingeführte Ortschaftsverfassung könnte allenfalls Rechte der aufnehmenden Stadt Möckern beeinträchtigen. Diese Rechte kann die Beschwerdeführerin jedoch nicht geltend machen (vgl. LVerfG, Urt. v. 16.06.2011 – LVG 41/10 –, RdNr. 5 des Internetauftritts).
{RN:2}
Die Beschwerdeführerin ist zudem nicht befugt, etwaige Rechte ihres Bürgermeisters oder ihrer Gemeinderäte stellvertretend oder als eigene Rechte geltend zu machen. Das Recht zur Erhebung einer kommunalen Verfassungsbeschwerde besteht nur dann und so weit, als durch eine gesetzgeberische Maßnahme in die Selbstverwaltungsga-rantie einer Gemeinde selbst eingegriffen wird. Etwaige Rechte ihres Bürgermeisters oder ihres Gemeinderats gehören nicht zu der Organisationshoheit der Beschwerde-führerin und damit nicht zu ihrer Selbstverwaltungsgarantie. Die Beschwerdeführerin ist deshalb im Hinblick auf die Rechte ihres Bürgermeisters oder ihrer Gemeinderäte nicht selbst betroffen und deswegen nicht beschwerdebefugt (vgl. zuletzt LVerfG, Urt. v. 16.06.2011 – LVG 41/10 –, http:/lverfg.justiz.sachsen-anhalt.de, RdNr. 6 des Internet-auftritts; Beschl. v. 28.06.2010 – LVG 3/10 –, RdNr. 3 des Internetauftritts). Aus dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht folgt auch kein allgemeiner Anspruch der Ge-meinde auf verfassungskonformes Handeln des Gesetzgebers (vgl. LVerfG, Urt. v. 10.05.2011 – LVG 47/10, RdNr. 2 a.E. des Internetauftritts).
{RN:3}
Hinsichtlich des Antrages zu 3. ist bereits fraglich, ob die Beschwerdeführerin in ei-genen Rechten verletzt ist. Dies kann dahinstehen, weil die Regelungen zur Entsen-dung von Mitgliedern des Gemeinderats der aufgelösten Gemeinde in den Gemeinde-rat der aufnehmenden Gemeinde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstan-den sind. Entsprechend hat das Landesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 20.01.2011 (LVerfG, Urt. v. 20.01.2011 – LVG 22/10 –, Leitsatz 3 des Internetauftritts) entschieden: „Ordnet der Gesetzgeber für den Fall der Eingemeindung kleinerer Ge-meinden keine Neuwahlen an, so muss ihm aus dem Blickwinkel des Art. 89 LVerf zu-gebilligt werden, dass er sich anstelle des bloßen Unterlassens von Neuwahlen für ei-ne Zwischenlösung in Gestalt einer Entsenderegelung entscheidet, mit der er vermei-det, dass sich die neu hinzugekommenen Einwohner im Gemeinderat selbst nicht rep-räsentiert sehen. Er erreicht damit zumindest einen Zustand, der dem Verfassungsge-bot des Art. 89 LVerf näher kommt als es völlige Untätigkeit wäre. Dass er damit das Verfassungsgebot nicht vollkommen verwirklicht, kann für eine Übergangszeit hinge-nommen werden.“ Dies gilt unverändert.
{RN:4}
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, § 1 GemNeuglG JL verletze sie in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 3‚ Art. 87 Abs. 1 - 3 LVerf (Antrag zu 1.), ist die kommu-nale Verfassungsbeschwerde zulässig.
{RN:5}
Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung über die kommunale Verfas-sungsbeschwerde berufen (vgl. dazu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 227, [245 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 1/94 –, LVerfGE 2, 273, [289 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 4/94 –, LVerfGE 2, 323, [334 f.]).
{RN:6}
Soweit eine Verletzung des durch Art. 2 Abs. 3 und 87 LVerf garantierten Selbstverwal-tungsrechts behauptet wird, handelt es sich um eine kommunale Verfassungsbe-schwerde im Sinne des Art. 75 Nr. 7 LVerf und der §§ 2 Nr. 8, 51 LVerfGG. Diese Be-stimmungen berechtigen die Kommunen, gegen Eingriffe in ihr Selbstverwaltungsrecht durch ein Landesgesetz das Landesverfassungsgericht anzurufen. Nach § 51 Abs. 1 LVerfGG können Kommunen die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erhe-ben, durch ein Landesgesetz in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf verletzt zu sein. Gemäß § 51 Abs. 2 LVerfGG gelten die Vorschriften der §§ 48 bis 50 LVerfGG entsprechend. Nach § 49 LVerfGG sind in der Begründung der Verfassungsbeschwerde, welche nach § 16 Abs. 1 S. 2 LVerfGG erforderlich ist, das Recht, das verletzt sein soll, und die Gesetzesvorschrift, durch die sich die Be-schwerdeführerin unmittelbar verletzt sieht, zu bezeichnen. Die Zulässigkeit einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt voraus, dass die Be-schwerdeführerin selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffenen Rechts-normen in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt ist (BVerfG, Urt. v. 15.10.1985 – 2 BvR 1808/82, 2 BvR 1809/82, 2 BvR 1810/82 –, BVerfGE 71, 25, [34 ff.]; BVerfG, Beschl. v. 19.11.2002 – 2 BvR 329/97 –, BVerfGE 107, 1 [8]; Magen, in:
Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 91 RdNr. 18). Die angegriffene Norm greift unmittelbar und gegenwärtig in das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin ein, ohne dass es eines weiteren an-greifbaren Umsetzungsakts bedarf. Durch die angegriffene Regelung wird sie unmittel-bar in ihrer rechtlichen Existenz aufgelöst.
{RN:7}
Die sonstigen formellen Bestimmungen sind eingehalten; insbesondere ist die Jahresfrist des § 48 LVerfGG gewahrt.
{RN:8}
Hinsichtlich des Antrags zu 1. hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. § 1 Gem-NeuglG JL ist, soweit dessen Regelungen die Beschwerdeführerin betreffen, unter Ver-letzung der Landesverfassung zustande gekommen und deshalb insoweit nichtig.
{RN:9}
Die fehlerhafte Durchführung der in Art. 90 S. 2 LVerf vor einer Änderung des Gemeindegebiets angeordneten „Anhörung der betroffenen Einwohner“ ist ein Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Ausgestaltung durch die Landesver-fassung.
{RN:10}
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf garantiert Gemeinden, dass ihr Gebietsbestand nur nach vorheriger Anhörung und ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls verändert werden darf und sie nur in diesem Rahmen aufgelöst werden dürfen (LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, RdNr. 98 des Inter-netauftritts m.w.N.). Art. 90 S. 2 LVerf gestaltet einen Teilaspekt dieser Garantie aus, indem er bestimmt, dass das Nähere, insbesondere zur Anhörung der betroffenen Kommunen und Einwohner, durch ein Gesetz geregelt wird. Die dieser Vorgabe fol-genden einfachgesetzlichen Regelungen sind insoweit Teil der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie und können im Verfahren vor dem Landesverfassungsge-richt als verletzt gerügt werden (vgl. LVerfG, Beschl. v. 20.12.2010 – LVG 36/10 –, II. des Internetauftritts; VerfGBbg, Beschl. v. 16.10.2003 – VfGBbg 67/03 –, S. 4 der Ur-teilsgründe und Urt. v. 29.08.2002 – VfgBbg 15/02 –, S. 12 der Urteilsgründe m.w.N., beide Entscheidungen in www.verfassungsgericht.brandenburg.de; StGH BW, Urt. v. 25.04.1975 – GR 6/74 –, DÖV 1975, 500 [501 f.] und Urt. v. 06.02.1976 – GR 66/74 –, DÖV 1976, 245 [246 f.]). Kommunale Selbstverwaltung bedeutet dabei nicht zuletzt auch Mitwirkung und Beteiligung an der Meinungsbildung „vor Ort“ sowie „Aktivierung der Beteiligung für ihre heimatlichen Angelegenheiten ... mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“ (BVerfG, Beschl. v. 12.07.1960 – 2 BvR 373, 442/60 –, BVerfGE 11, 266 [275 f.] m.w.N.).
{RN:11}
Die der Vorgabe des Art. 90 S. 2 LVerf folgenden einfachgesetzlichen Regelungen fin-den sich in § 17 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt – GO LSA – in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2009 (GVBl. S. 383 f.), zuletzt ge-ändert durch § 30 Abs. 1 StiftungsG LSA vom 20.01.2011 (GVBl. S. 14), sowie in § 55 des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt – KWG LSA – in der Fas-sung der Bekanntmachung vom 27.02.2004 (GVBl. S. 92 ff.), zuletzt geändert durch Art. 5 BegleitG zur Gemeindegebietsreform vom 14.02.2008 (GVBl. S. 40, [48]). Nach § 17 Abs. 2 S. 3 GO LSA müssen bei Änderungen der Gemeindegrenzen durch Ge-setz gegen den Willen der beteiligten Gemeinden neben den betroffenen Gemeinden auch die Bürger gehört werden, die in dem unmittelbar betroffenen Gebiet wohnen. Gemäß § 55 S. 2 KWG LSA finden auf die Durchführung der Anhörung der Bürger bei Gebietsänderungen nach der GO LSA die Bestimmungen für die Wahl des Bürger-meisters und des Landrats mit Ausnahme der §§ 50 bis 53 KWG LSA entsprechende Anwendung. Weitere Anforderungen an die Durchführung der Bürgeranhörung erge-ben sich aus der auf der Grundlage des § 68 Abs. 1 KWG LSA erlassenen Kommu-nalwahlordnung für das Land Sachsen-Anhalt – KWO LSA – vom 24. Februar 1994 (GVBl. S. 338 ff., ber. S. 435), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.02.2009 (GVBl. S. 54 ff.).
{RN:12}
Diese Vorschriften, wie auch die Verfassung selbst, enthalten keine Bestimmungen über die Bekanntgabe des gebietsändernden Gesetzentwurfs nebst dessen Begrün-dung. Die Hauptsatzung der Gemeinde Schopsdorf findet auf den Aushang und die Auslegung keine Anwendung. Bei Gebietsänderungen gegen den Willen der Gemein-den sind die Verwaltungsgemeinschaften für die Durchführung der Anhörung zuständig (vgl. LVerfG, Urt. v. 16.06.2011 – LVG 41/10 –, RdNr. 20 des Internetauftritts m.w.N.), für die das Ortschaftsrecht nicht gilt.
{RN:13}
Für die ordnungsgemäße Anhörung der Einwohner ist ein Verfahren erforderlich, das wirksam genug ist, um dem Zweck der Bürgeranhörung zu entsprechen. Zweck der Anhörung ist es, dem Gesetzgeber ein authentisches Meinungsbild der Einwohner zur geplanten Gebietsänderung zu verschaffen. Hierfür muss sicher gestellt sein, dass die Äußerungsberechtigten vor der Anhörung in zumutbarer Weise tatsächlich Kenntnis von dem Neugliederungsvorhaben erhalten können. Die Information der Äußerungsbe-rechtigten muss dabei so rechtzeitig erfolgen, dass eine sachgerechte Meinungsbil-dung möglich ist (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 01.03.2001, – VerfGH 20/00 –, RdNr. 78 m.w.N. – juris; vgl. zur notwendigen Information von Kommunen bei Anhörungen: LVerfG LSA, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 227 [255] m.w.N.). Hierbei müssen die Einwohner der von der Gebietsänderung betroffenen Gemeinde in der La-ge sein, alle Argumente sorgfältig abwägen zu können, die für und gegen die geplante Neugliederungsmaßnahme sprechen. Um sich eine fundierte Meinung bilden zu kön-nen, müssen die betroffenen Einwohner dabei zwar nicht von allen Einzelheiten, zu-mindest aber vom wesentlichen Inhalt des Gebietsänderungsvorhabens und seiner Begründung Kenntnis erlangen können (vgl. für die Information von Kommunen bei Anhörungen: BVerfG, Beschl. v. 17.01.1979 – 2 BvL 6/76 –, BVerfGE 50, 195 [203]; Beschl. v. 12.05.1992 – 2 BvR 470, 650, 707/90 –, BVerfGE 86, 90 [107 f.]; StGH BW, Urt. v. 14.02.1975 – Gesch.Reg. Nr. 11/74 –, ESVGH 25, 1 [26]; VerfGH NW, Urt. v. 24.04.1970 – VGH 13/69 –, OVGE 26, 270 [274 f]).
{RN:14}
Dies ist vorliegend nicht in einem ausreichenden Maße gewährleistet worden. Die Aus-legung des Gesetzentwurfs nebst dessen Begründung von lediglich 13 Tagen gewähr-leistet keine so rechtzeitige Informationsmöglichkeit der Äußerungsberechtigten, dass – neben der Einsichtnahme in den Gesetzentwurf und seine Begründung – noch eine sachgerechte Meinungsbildung möglich war. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach der Ankündigung im Schaukasten der Beschwerdeführerin am 14.09.2009, nach der der Gesetzentwurf nebst Begründung in Möckern und in der Außenstelle der Verwal-tungsgemeinschaft in Küsel eingesehen werden könne, lediglich noch 9 Arbeitstage zur Einsichtnahme in den Gesetzentwurf zur Verfügung standen. Dieser Zeitraum reicht für eine sachgerechte Meinungsbildung nicht aus. Dazu ist nicht alleine die Kenntnisnahme der Information genügend. Vielmehr muss eine Diskussion über das Vorhaben mit der möglichen Reflexion der eigenen und abweichender Meinungen an-derer möglich sein. Dies ist bei einer Auslage von lediglich 13 Tagen nicht in einem ausreichenden Maße gewährleistet.
{RN:15}
Auch durch andere Informationsquellen ist dies nicht in hinreichendem Maße gewähr-leistet worden. Zwar hatte bereits in der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform am 24.02.2008 eine Bürgerbefragung zur möglichen Eingemeindung der Beschwerde-führerin in die Stadt Möckern stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt stand jedoch die Be-gründung, die zu einer zwangsweisen Neugliederung der Beschwerdeführerin und de-ren Zuordnung zur Stadt Möckern geführt hat, noch nicht im Einzelnen fest.
{RN:16}
Auch die von der Landesregierung in ihrer Stellungnahme ins Feld geführte Pressebe-richterstattung über das Neugliederungsvorhaben ist nicht geeignet, eine ausreichende Information der Äußerungsberechtigten zu gewährleisten. Sie enthält nur eine sehr verkürzte und vom Gesetzgeber nicht autorisierte Darstellung des Vorhabens und eine rudimentäre Wiedergabe der Begründung des Gesetzentwurfs. Der Gesetzgeber kann es nicht allein der örtlichen Medienberichterstattung überlassen, über den Gesetzent-wurf nebst dessen Begründung zu informieren. Der Bürger, der sich eine von der Pres-seberichterstattung unabhängige Meinung bilden will, muss die Möglichkeit erhalten, in zumutbarer Weise Dokumente einsehen zu können, die den Willen des Gesetzgebers authentisch wiedergeben.
{RN:17}
Auch die von der Landesregierung in ihrer Stellungnahme ins Feld geführte Veröffentli-chung des Gesetzentwurfs auf der Homepage des Ministeriums stellt keine ausrei-chende Informationsmöglichkeit dar. So ist von amtlicher Seite auf den Link, unter dem der Gesetzentwurf abgerufen werden konnte, weder in den Aushängen noch an ande-rer Stelle hingewiesen worden. Insoweit hing für den Abstimmungsberechtigten die Möglichkeit der Informationsverschaffung von dessen Recherchefähigkeiten im Internet ab. Dies stellt kein ordnungsgemäßes Verfahren des Gesetzgebers zur Gewährung der von Verfassungs wegen gebotenen Möglichkeit zur Information dar. Zudem verfügen auch in der heutigen Zeit noch Teile der Bevölkerung weder über einen ständigen In-ternetzugang noch über die entsprechenden Kenntnisse, um über dieses Medium an die gewünschten Informationen zu gelangen. Der Gesetzgeber hat für alle eine recht-zeitige Möglichkeit zur Information bereitzustellen.
Diesem Erfordernis ist, wie dem erkennenden Gericht aus der Vielzahl der anderen kommunalen Verfassungsbeschwerden bekannt ist, in anderen Verwaltungsgemein-schaften durch die parallele Ankündigung der Bürgerbefragung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme des Gesetzentwurfs (nebst dessen Begründung) in den Räumlichkeiten der Verwaltungsgemeinschaft auch entsprochen worden.
{RN:18}
Ob die Bürgerinnen und Bürger eine andere oder differenziertere Meinung zu dem Neugliederungsvorhaben gebildet hätten, wenn der Referentenentwurf über einen län-geren Zeitraum zur Einsichtnahme ausgelegen hätte, ist unerheblich. Die von der Lan-desregierung in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des erkennenden Gerichts (LVerfG, Urt. v. 13.06.2006 – LVG 14/05, LVerfGE 17, 437) betraf das Anhö-rungsrecht einer Gebietskörperschaft (hier eines Kreises) zu einer geplanten Gebiets-änderung. Dies ist mit dem Anhörungsrecht der Bürgerinnen und Bürger des von einer Gebietsänderung betroffenen Gebiets schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Ge-bietskörperschaften in ihren Stellungnahmen nicht auf die bloße Bejahung oder Ver-neinung der Anhörungsfrage beschränkt waren, sondern im Anhörungsverfahren eine differenzierte, weitere Gesichtspunkte umfassende Stellungnahme abgeben konnten. Im Fall der Anhörung einer Gebietskörperschaft kann daher grundsätzlich verlangt werden darzulegen, welche weiteren Aspekte, die in der Anhörung nicht vorgetragen werden konnten, noch Berücksichtigung hätten finden sollen. Dies ist aber bei der An-hörung der von der Gebietsänderung betroffenen Bürgerinnen und Bürger grundlegend anders. Sie sind darauf beschränkt, eine positive, eine negative oder gar keine Äuße-rung zu der geplanten Gebietsänderung abzugeben. Insoweit können einzelne Aspekte oder Argumente nur ihr Abstimmungsverhalten insgesamt ändern, wobei deren Ge-wicht bei der Entscheidung im Einzelfall kaum nachzuvollziehen ist. Das erkennende Gericht ist daher in Übereinstimmung mit den Entscheidungen anderer Landesverfas-sungsgerichte (vgl. StGH Bad.- Württ., Urt. v. 06.02.1976 – GR 66/74 –, DÖV 1976, 245, [247] und Urt. v. 25.04.1975 – GR 6/74 –, DÖV 1975, 500 [502]; VerfGBbg, Beschl. v. 16.10.2003 – VfGBbg 67/03 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de) der Auffassung, dass das verfassungsmäßige Anhörungsrecht nicht dadurch geschwächt werden darf, dass seine Verletzung nur im Falle der Kausalität für die angegriffene Maßnahme rechtserheblich wäre. Zu dieser Überlegung zwingt gerade auch der Um-stand, dass fast nie mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln sein wird, wie die Äuße-rungsberechtigten und in deren Folge der Gesetzgeber im Fall der ordnungsgemäßen Anhörung (möglicherweise anders) entschieden hätten.
In diesem Zusammenhang ist auch die von der Landesregierung angeführte hohe Be-teiligung der Abstimmungsberechtigten an der Bürgeranhörung ohne Belang. Insoweit kann ebenfalls nicht geklärt werden, aus welchen Motiven die Äußerungsberechtigten an der Wahl teilgenommen haben oder ihr dennoch fern geblieben sind und weiterhin, aus welchen Motiven sie für oder gegen die geplante Neugliederungsmaßnahme ge-stimmt haben. Allein aus der hohen Wahlbeteiligung ist kein Rückschluss darauf zuläs-sig, dass diejenigen, die von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch gemacht haben, sich ausreichend informieren konnten. Es kann auch sein, dass diese trotz unzureichender Information abgestimmt haben, um die Bedeutung der Entscheidung durch eine hohe Beteiligung zu dokumentieren und um von ihren demokratischen Möglichkeiten über-haupt Gebrauch zu machen. Unter diesen Umständen ist jedenfalls nicht ausreichend klar, dass der von der Verfassung mit Art. 90 S. 2 LVerf intendierte Zweck der Anhö-rung, dem Gesetzgeber ein authentisches Meinungsbild der betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu der geplanten Gebietsänderung zu verschaffen, in ausreichendem Ma-ße gewährleistet ist. Dies begründet einen Verfassungsverstoß.
{RN:19}
Die Nichtigkeit der Eingemeindung und Auflösung der Beschwerdeführerin hat zur Folge, dass § 1 S. 3 GemNeuglG JL i.V.m. § 2 Abs. 5 S. 1 GemNeuglGrG insoweit keine Wirkung entfaltet. Der Fortbestand der Beschwerdeführerin hat zur Folge, dass auch die Verwaltungsgemeinschaft Möckern-Loburg-Fläming insoweit reduziert auf die Stadt Möckern als Trägergemeinde und die Beschwerdeführerin fortbesteht.
{RN:20}
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Die kommunale Verfas-sungsbeschwerde bleibt hinsichtlich der Anträge zu 2. und 3. erfolglos, sodass lediglich eine teilweise Erstattung der notwendigen Auslagen angeordnet wird (§ 32 Abs. 3 LVerfGG).