Menu
menu

Urteil des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 2/11 Entscheidungsart: Urteil Entscheidung vom: 26.06.2012
Verfahrensart Kommunalverfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften
Schlagworte
Stichworte Urteil
Leitsatz Ohne
Fundstellen -
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Urteil vom 26.06.2012 - LVG 2/11 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Urteil

in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 2/11

26.06.2012

{T:w e g e n}

des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Harz
und
des Zweiten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform,

{T:Tenor}

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


{T:T a t b e s t a n d}

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ihre Auflösung und Eingemeindung in die Stadt
Thale zum 01.09.2010 durch § 2 des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im
Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Harz – GemNeuglG HZ – vom 08.07.2010 (GVBl. S. 414) sowie gegen Art. 1 § 9 Abs. 4 S. 1 des Zweiten Begleitgesetzes zur Gemein- degebietsreform – Gesetz zur Ausführung der Gemeindegebietsreform (GebRefAusfG) – vom 08.07.2010 (GVBl. S. 406).

Die Beschwerdeführerin ist im Landkreis Harz gelegen. Sie war seit dem 01.01.2004 bis zu ihrer Auflösung selbständige Mitgliedsgemeinde der Verwaltungsgemeinschaft Thale, der ursprünglich neben der Beschwerdeführerin und der Stadt Thale als Trägergemeinde die Gemeinden Neinstedt und Weddersleben angehörten. Im Nordosten grenzt die Beschwerde- führerin an die Mitgliedsgemeinde Harsleben der Verbandsgemeinde Vorharz, im Osten an das Mittelzentrum Stadt Quedlinburg, im Süden an den Ortsteil Warnstedt der Stadt Thale und im Westen an die Stadt Blankenburg (Harz). Von den Mitgliedsgemeinden der Verwal- tungsgemeinschaft Thale vereinbarten die Gemeinden Neinstedt und Weddersleben im Rahmen der durch das Erste Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt vom 14.02.2008 (GVBl. S. 40) eröffneten Phase für freiwillige Gemeindeneugliederungen mit der Stadt Thale ihre Eingemeindung in die Stadt Thale. Die Beschwerdeführerin schloss mit der Stadt Thale nach dem Ende der Freiwilligkeitsphase der Gemeindegebietsreform am
8./12.12.2009 einen Gebietsänderungsvertrag über ihre Eingemeindung in die Stadt Thale, den das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt als nicht genehmigungsfähig erachtete.

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch das GemNeuglG HZ in ihrem Selbstverwaltungs- recht verletzt.

Sie habe zu der beabsichtigten Neugliederung erneut angehört werden müssen, nachdem eine freiwillige Eingemeindung in die Stadt Thale gescheitert sei. Sie sei zwar mit Schreiben des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 04.09.2009 auch zu einer möglichen gesetzlichen Zuordnung zur Stadt Thale angehört worden. Sie habe sich unter dem 18.12.2009 mit einer Eingemeindung in die Stadt Thale aber nur einverstanden gezeigt, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt für eine freiwillige Eingemeindung unter bestimmten ver- traglich vereinbarten Eingemeindungsbedingungen entschieden habe. Sie sei in ihrer damaligen Stellungnahme davon ausgegangen, ihre gesetzliche Zuordnung sei daher nicht erfor- derlich. Da die Eingemeindung in die Stadt Thale nicht wie vereinbart zustande gekommen sei, habe sich vor der gesetzlichen Zuordnung der ihrer ursprünglichen Willensbildung zugrunde liegende Sachverhalt und damit ihre Interessenlage geändert. Der Gesetzgeber habe nur durch eine erneute Anhörung ermitteln können, ob die Zuordnung zu der Stadt Thale nach dem Scheitern einer freiwilligen Eingemeindung tatsächlich noch ihrem Willen entspro- chen habe. Zwar sei sie am 06.05.2010 durch den Landtagsausschuss für Inneres erneut angehört worden. Hierbei habe sie sich gegen eine gesetzliche Zuordnung zur Stadt Thale ausgesprochen, welche die Bedingungen der nicht verwirklichten Eingemeindungsvereinba- rung unberücksichtigt lasse. Es fehle jedoch an einem Nachweis dafür, dass ihr geänderter Standpunkt in die Abwägung des Gesetzgebers eingeflossen sei. Die Gesetzesbegründung verhalte sich hierzu nicht. Es sei daher davon auszugehen, dass allein ihre frühere, durch das Scheitern einer freiwilligen Eingemeindung überholte Stellungnahme vom 18.12.2009 Eingang in die Abwägung gefunden habe. Damit beruhe die Abwägung auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage. In diesem Zusammenhang sei auch zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nicht die Gründe für das Scheitern einer freiwilligen Eingemeindung in die Stadt Thale ermittelt habe. Diese seien aber ausschlaggebend für die Beurteilung der Frage, ob sie – die Beschwerdeführerin – auch ohne die kommunalaufsichtlich beanstandeten Rege- lungen des mit der Stadt Thale geschlossenen Gebietsänderungsvertrages mit einer Eingemeindung in die Stadt Thale einverstanden sei. Mangels Kenntnis der Gründe für das Scheitern einer freiwilligen Eingemeindung in die Stadt Thale habe der Gesetzgeber auch nicht in seine Erwägungen einstellen können, ob nicht einige der Bedingungen der Eingemeindungs- vereinbarung auch bei einer gesetzlichen Zuordnung hätten umgesetzt werden können.

Außerdem verletze das angegriffene Neugliederungsgesetz sie in ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht, da die Entsendungsregelung in § 9 Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG, wel- che als unmittelbare Folge ihrer Auflösung zur Anwendung gelange, ihrerseits nicht dem Gemeinwohl entspreche.

:§ 9 Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG lautet:

„Wird ein Ortschaftsrat nach § 7 Abs. 1 [GebRefAusfG] oder nach § 86 Abs. 1a der Gemein- deordnung gebildet, wählt dieser aus seiner Mitte eine oder mehrere Personen, die dem Ge- meinderat der aufnehmenden Gemeinde bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl angehören.“

Die angegriffene Zuordnung führe zu einem Defizit demokratischer Legitimation, da ihre Einwohner nicht an der Wahl des Gemeinderates der sie – die Beschwerdeführerin – auf- nehmenden Stadt Thale beteiligt gewesen seien. Die Regelung des § 9 Abs. 4 S. 1
GebRefAusfG trage dem nicht ausreichend Rechnung, da sie gegen das Demokratiegebot
des Art. 89 LVerf verstoße. Die Vorschrift ermögliche es, den Ortsbürgermeister bzw. den Bürgermeister als Mitglied des Gemeinderates der aufgelösten Gemeinde anstelle eines Ort- schafts- bzw. Gemeinderates in den Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde zu entsen- den. Nur der Gemeinderat sei aber Vertreter der Einwohner der Gemeinde im Sinne von Art. 89 LVerf. Der Bürgermeister werde zwar ebenfalls in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den Einwohnern der Gemeinde gewählt, aber lediglich als Organ, welches die Gemeindeverwaltung leite. Im Falle seiner Entsendung in den Gemein- derat der aufnehmenden Gemeinde könne er die Einwohner der aufgenommenen Gemeinde daher nicht in einer dem Demokratiegebot hinreichend Rechnung tragenden Weise reprä- sentieren. Fehle es dem Gemeinderat der aufnehmenden Stadt Thale an einer hinreichen- den demokratischen Legitimation, entspreche die angegriffene Zuordnung nicht mehr dem Gemeinwohl.


Die Beschwerdeführerin beantragt,


§ 2 S. 1 und 2 des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sach- sen-Anhalt betreffend den Landkreis Harz für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 3 und Art.
87 Abs. 1 der Landesverfassung zu erklären,
und § 9 Abs. 4 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Gemeindegebietsreform für un- vereinbar mit Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 Abs. 1 der Landesverfassung zu erklären, soweit hiernach die Möglichkeit besteht, dass ein Ortsbürgermeister bzw. ein Bürgermeister in den Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde entsandt wird.

Die Landesregierung tritt den formellen Bedenken der Beschwerdeführerin an der Verfas- sungsmäßigkeit des Neugliederungsgesetzes mit der Begründung entgegen, die Beschwer- deführerin sei mit Schreiben des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom
04.09.2009 zu der im Referentenentwurf für eine gesetzliche Neugliederung ursprünglich vorgesehenen Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg und zugleich alternativ zu einer mög- lichen Eingemeindung in die zukünftige Einheitsgemeinde Stadt Thale angehört worden. In einer ersten Äußerung am 30.11.2009 habe die Beschwerdeführerin auf das Ergebnis der am 29.11.2009 durchgeführten Bürgeranhörung verwiesen, wonach sich ein deutliches Vo- tum für eine Eingemeindung in die Stadt Thale und gegen eine Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg ergeben habe. Nunmehr könne ihr Gemeinderat einen bereits vorbereiteten und abgestimmten Entwurf einer Gebietsänderungsvereinbarung zur Eingemeindung in die Stadt Thale beschließen. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 18.12.2009 habe die Beschwerde- führerin sich eingehend mit dem zur Anhörung gestellten Referentenentwurf und dem Neu- gliederungsvorhaben auseinandergesetzt. Dabei habe sie sich gegen die nach diesem Ent- wurf vorgesehene Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg ausgesprochen und ausgeführt, sie müsse nach den gesetzlichen Neugliederungsgrundsätzen innerhalb der bestehenden Verwaltungsgemeinschaft der Stadt Thale zugeordnet werden. Hierbei habe die Beschwer- deführerin auf ihre langjährigen Verbundenheiten mit der Stadt Thale in einem Gemeinde- verband in der Zeit von 1973 bis 1992 sowie in der Verwaltungsgemeinschaft Thale seit Ja- nuar 2004 verwiesen. Außerdem habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, ihre in der Zeit von März 1994 bis Februar 2003 bestehende gemeinsame Zugehörigkeit mit Quedlinburg zu einer Verwaltungsgemeinschaft habe zu unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten zwi- schen beiden Gemeinden geführt, die in ihrer Einwohnerschaft noch heute fortwirkten. Auf- grund dieses Vorbringens der Beschwerdeführerin sei im Regierungsentwurf des angegriffe- nen Neugliederungsgesetzes von der bisher vorgesehenen Eingemeindung der Beschwer- deführerin in die Stadt Quedlinburg Abstand genommen und stattdessen eine Eingemein- dung in die Stadt Thale vorgesehen worden. Zudem habe die Beschwerdeführerin über ihren Bürgermeister am 06.05.2010 in der Anhörung vor dem Ausschuss für Inneres des Landta- ges von Sachsen-Anhalt ihre ablehnende Haltung gegenüber Zwangsneugliederungen im Allgemeinen und gegen die beabsichtige gesetzliche Zuordnung zur Stadt Thale zum Aus- druck gebracht. Aufgrund dieser Anhörungen habe der Gesetzgeber eine umfassende und zuverlässige Kenntnis von allen für die Zuordnung erheblichen Umständen und damit eine tragfähige Grundlage für eine am Gemeinwohl orientierte Abwägungsentscheidung erlangt.

Die angegriffene Zuordnungsentscheidung sei auch notwendig gewesen, da die Beschwer- deführerin mit lediglich 2.141 Einwohnern zum maßgeblichen Stichtag am 31.12.2005 nicht als leistungsfähig im Sinne des gesetzgeberischen Leitbildes der Gemeindegebietsreform habe angesehen werden können. Die Zuordnung zu der Stadt Thale als Trägergemeinde der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Thale sei leitbildgerecht, da nach dem Willen des Ge- setzgebers Einheitsgemeinden vorrangig aus den Mitgliedsgemeinden derselben Verwal- tungsgemeinschaft zu bilden seien. Von diesem Grundsatz ausgehend habe der Gesetzge- ber im Rahmen seiner Abwägung von einem Zusammenschluss der Beschwerdeführerin mit der Gemeinde Harsleben aus der benachbarten Verbandsgemeinde Vorharz und einer Zu- ordnung der Beschwerdeführerin zu der angrenzenden Stadt Blankenburg (Harz) Abstand genommen. Die ebenfalls erwogene Zuordnung der Beschwerdeführerin zu dem Mittelzent- rum Stadt Quedlinburg habe der Gesetzgeber auch deshalb abgelehnt, weil er insoweit kein Bedürfnis zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen gesehen habe. Nach dem Ergebnis
einer in den Jahren 2006/2007 durchgeführten Untersuchung der Stadt-Umland- Beziehungen zwischen Mittelzentren und angrenzenden Gemeinden habe die Beschwerde- führerin lediglich einen Punktwert von 15 bei insgesamt 100 zu vergebenden Punkten er- reicht. Mit diesem Wert habe sie in der Gesamtbetrachtung aller untersuchten Umlandge- meinden zu den Gemeinden mit nur schwach ausgeprägten räumlichen und strukturellen Verbindungen zum jeweiligen Mittelzentrum gehört. In diesem Zusammenhang habe der Gesetzgeber auch gesehen, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum von Mai 1994 bis Dezember 2003 gemeinsam mit der Stadt Quedlinburg der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Quedlinburg angehört habe und daher Verbindungen zur Stadt Quedlinburg im Bereich der Beschulung in Sekundar- und Förderschulen aufweise. Der Gesetzgeber habe diesen örtlichen Zusammenhängen jedoch weniger Bedeutung beigemessen als dem Ziel, die zwischen der Beschwerdeführerin und der Stadt Thale als Trägergemeinde der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Thale seit Anfang 2004 gewachsenen Verflechtungen und Syner- gien zu erhalten und fortzusetzen. Auch sei maßgeblich berücksichtigt worden, dass die Be- schwerdeführerin mit der Stadt Thale bereits einen – allerdings nicht uneingeschränkt ge- nehmigungsfähigen – Gebietsänderungsvertrag über eine freiwillige Eingemeindung ge- schlossen habe. Außerdem habe sich die Bürgerschaft der Beschwerdeführerin in der Anhö- rung am 29.11.2009 mit deutlichen Mehrheiten gegen eine Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg und für eine Eingemeindung in die Stadt Thale ausgesprochen.

Soweit die kommunale Verfassungsbeschwerde sich gegen § 9 Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG richte, sei sie bereits unzulässig. Die Beschwerdeführerin sei von dieser Regelung nicht be- troffen. Sie habe ausschließlich ehemalige Gemeinderäte in den Stadtrat der Stadt Thale entsandt, was sie selbst als verfassungskonform ansehe. Ihr Ortsbürgermeister sei auch nicht als Ersatzperson bestimmt worden, die ggf. in den Stadtrat nachrücken könnte. Unge- achtet dessen verletze die von der Beschwerdeführerin angegriffene Regelung nicht das Demokratiegebot, sondern beinhalte zur Verwirklichung des Gemeinwohlziels einer bürger- schaftlichen Beteiligung für eine Übergangszeit bis zur nächsten allgemeinen Kommunalwahl verfassungskonforme Ausnahmen von den Grundsätzen der Allgemeinheit und Unmittelbar- keit der Wahl.

Der Landtag hat sich zu dem Verfahren nicht geäußert.


{T:E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e}

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen § 2 S. 1 und 2 GemNeuglG HZ rich- tet, zulässig, aber unbegründet. Soweit sie sich gegen § 9 Abs. 4 S. 1
GebRefAusfG richtet, hat sie jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
{RN:1}
Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde berufen (vgl. dazu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: LVerfG, Urt. v. 31.05.1994
– LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 227, [245 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 1/94 –, LVerfGE 2, 273, [289 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 4/94 –, LVerfGE 2, 323, [334 f.]). Soweit – wie hier von der Beschwerdeführerin – eine Verletzung des durch Art. 2 Abs. 3 und 87 LVerf garantierten Selbstverwaltungsrechts behauptet wird, handelt es sich um eine kommunale Verfassungs- beschwerde im Sinne des Art. 75 Nr. 7 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt
– LVerf – vom 16.07.1992 (GVBl. S. 600) und der §§ 2 Nr. 8, 51 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht – LVerfGG – vom 23.08.1993 (GVBl. S. 441), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.11.2009 (GVBl. S. 525). Diese Bestimmungen berechtigen Kommunen (Gemeinden und Landkreise), gegen Eingriffe in ihr Selbstverwaltungsrecht durch ein Gesetz das Landesverfassungsgericht anzurufen.
{RN:2}
Die Zulässigkeit einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt voraus, dass die Beschwerdeführerin selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffenen Rechtsnormen in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt ist (BVerfG, Beschl. v. 15.10.1985 –
2 BvR 1808/82 u.a. –, BVerfGE 71, 25 [34 ff.]; Beschl. v. 19.11.2002 – 2 BvR 329/97 –,
BVerfGE 107, 1 [8]; Magen, in Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], Bundesverfassungsge- richtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 91, RdNr. 18). Dies ist hier der Fall. Das angegriffene Gesetz greift gegenwärtig in das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin ein, ohne dass es eines weiteren angreifbaren Umsetzungsaktes bedarf. Die Beschwerdeführerin wird durch
§ 2 S. 1 und 2 GemNeuglG HZ unmittelbar in ihrem Bestand aufgelöst.
{RN:3}
Gemäß § 51 Abs. 2 LVerfGG finden außerdem die Vorschriften der §§ 48 bis 50 auf kommu- nale Verfassungsbeschwerden entsprechende Anwendung. Die sich daraus ergebenden formellen Anforderungen sind eingehalten; insbesondere ist die Jahresfrist des § 48
LVerfGG gewahrt.
{RN:4}
Die kommunale Verfassungsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. § 2 S. 1 und 2
GemNeuglG HZ ist mit Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf vereinbar.
{RN:5}
Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 2 Abs. 3, Art. 87 LVerf steht Veränderungen des Gebietsbestandes einzelner Gemeinden nicht entgegen. Sie gewährleistet zwingend nur den Bestand von Gemeinden überhaupt, d.h. institutionell, nicht aber den Fortbestand jeder ein- zelnen, historisch gewachsenen Gemeinde (Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II,
7. Aufl. 2010, § 96, RdNr. 49, 54). Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammen- schlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebietsänderungen von Gemeinden beeinträchti- gen den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Selbstverwaltung grundsätzlich nicht. Zum Inhalt des verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung gehört jedoch, dass Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörper- schaften zulässig sind (BVerfG, Beschl. v. 12.05.1992 – 2 BvR 470/90 u.a. –, BVerfGE 86,
90 [107] zu dem mit Art. 2 Abs. 3, Art. 87 LVerf inhaltsgleichen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG;
Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, a.a.O., § 96, RdNr. 115 f.).
{RN:6}
Bei strukturellen Neugliederungen ist dem Gesetzgeber ein politischer Gestaltungsspielraum eingeräumt, der nach ständiger Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts nur eine eingeschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle des von einer betroffenen Gemeinde im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde angegriffenen Neugliederungsgesetzes zulässt (vgl. Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, a.a.O., § 96, RdNr. 117). Ge- genstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung ist danach nicht, ob es andere und bessere Alternativen zu der streitgegenständlichen Neugliederung gegeben hat. Das Landesverfas- sungsgericht überprüft die getroffene Maßnahme vielmehr lediglich darauf, ob der Gesetz- geber den für seine Regelung maßgeblichen Sachverhalt zutreffend ermittelt, dem Gesetz zugrunde gelegt hat und ob er die im konkreten Fall angesprochenen Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat. Auf der Grundlage eines in dieser Weise ermittelten Sachverhalts und der Gegenüberstellung der daraus folgenden verschiedenen – oft gegenläufigen – Belange ist der Gesetzgeber befugt, sich letztlich für die Bevorzugung eines Belangs (oder mehrerer Belange) und damit notwendig zugleich für die Zurückstellung aller anderen betroffenen Ge- sichtspunkte zu entscheiden. Soweit Ziele, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers in Rede stehen, hat das Landesverfassungsgericht darauf zu achten, ob diese offensichtlich oder eindeutig widerlegbar sind oder ob sie den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ord- nung widersprechen (zum Ganzen: LVerfG, Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 19 ff. des Internetauftritts; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 1/94 –, LKV 1995, 75 [79 f.]; Urt. v. 25.06.2007
– LVG 8/06 –, RdNr. 75 des Internetauftritts; ebenso BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 – 2 BvR
165/75 –, BVerfGE 50, 50 [51] zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG).
{RN:7}
Das Landesverfassungsgericht hat auch zu prüfen, ob die angegriffene gesetzgeberische Neugliederungsmaßnahme den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt und frei von willkürli- chen Erwägungen ist. Allerdings kommt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur in seiner durch legislatorische Beurteilungs- und Prognosespielräume relativierten Geltungskraft zur Anwendung (Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht,
2003, S. 186 ff.). Hat der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurtei-
lung des erreichbaren Materials orientiert, so ist seine Prognose im Hinblick auf Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahme, aber auch hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – abgesehen von Fällen evident fehlsamer Einschätzung – als inhaltlich vertretbar anzusehen (zum Ganzen LVerfG, Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 23 ff. des Inter- netauftritts m.w.N.).
{RN:8}
Gemessen an diesen Anforderungen wird der von der Beschwerdeführerin angegriffene
§ 2 S. 1 und 2 GemNeuglG HZ der Selbstverwaltungsgarantie der Art. 2 Abs. 3, 87 LVerf gerecht.
{RN:9}
Der Gesetzgeber hat dem verfassungsrechtlich bestehenden Anhörungsgebot Genüge getan.
{RN:10}
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf garan- tiert Gemeinden, dass ihr Gebietsbestand nur nach vorheriger Anhörung und ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls verändert werden darf und sie nur in diesem Rahmen aufge- löst werden dürfen (LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, RdNr. 98 des Internetauftritts m.w.N.). Art. 90 S. 2 LVerf gestaltet einen Teilaspekt dieser Garantie aus, indem er be- stimmt, dass das Nähere, insbesondere zur Anhörung der betroffenen Kommunen und Ein- wohner, durch Gesetz geregelt wird. Hieraus folgt nicht, dass es für Eingriffe in den Gebiets- bestand von Gemeinden eines besonderen das Anhörungsverfahren regelnden Gesetzes bedarf (vgl. ausführlich hierzu bereits LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2,
227 [250 ff.]). Der Gesetzgeber kann das Anhörungsverfahren vielmehr nach seinem Ermes- sen ausgestalten. Sichergestellt sein muss allein, dass der Gesetzgeber dem Zweck der An- hörung genügen kann, die Interessenlage bei der betroffenen Gemeinde und ihrer Einwoh- ner zu ermitteln (vgl. etwa VerfGH NW, Urt. v. 24.04.1970 – VGH 13/69 –, OVGE 26, 270 [275]; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.04.1969 – VGH 2/69 –, DVBl. 1969, 799 [808]). Dadurch soll dem Gesetzgeber eine möglichst umfassende Kenntnis von allen für die Neugliederung erheblichen Umständen verschafft werden, so dass er alle Argumente sorgfältig abwägen kann, die für und gegen die Neugliederungsmaßnahme, insbesondere den neuen Gebietszuschnitt, sprechen. Um eine fundierte Stellungnahme abgeben zu können, müssen der betroffenen Gemeinde und ihren Bürgern zwar nicht alle Einzelheiten, zumindest aber der wesentliche Inhalt des Gebietsänderungsvorhabens und seiner Begründung bekannt sein (BVerfG, Beschl. v. 17.01.1979 – 2 BvL 6/76 –, BVerfGE 50, 195 [203]; Beschl. v. 12.05.1992 – 2 BvR 470, 650, 707/90 –, BVerfGE 86, 90 [107 f.]; StGH BW, Urt. v. 14.02.1075 – Gesch.Reg. Nr. 11/74 –, ESVGH 25, 1 [26]; NdsStGH, Urt. v. 14.02.1979 – StGH 2/77 –, a. a. O.; VerfGH NW, Urt. v. 24.04.1970 – VGH 13/69 –, OVGE 26, 270 [274 f]).
{RN:11}
Diese Anforderungen hat der Gesetzgeber vor Verabschiedung des von der Be- schwerdeführerin angegriffenen Neugliederungsgesetzes hinreichend beachtet. Die Bürger der Beschwerdeführerin sind am 29.11.2009 zu dem Referentenentwurf eines GemNeuglG HZ angehört worden. Dieser Entwurf sah in § 5 zwar noch die Auflösung der Beschwerde- führerin und ihre Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg vor. Gegenstand der Anhörung war aber nicht nur die Frage, ob die Bürger der Beschwerdeführerin die beabsichtigte Ein- gemeindung in die Stadt Quedlinburg befürworten. Zugleich wurden die Bürger der Be- schwerdeführerin zu einer möglichen Eingemeindung in die Stadt Thale angehört.
Das Ministerium des Innern hat der Beschwerdeführerin den vorgenannten Referentenent- wurf mit Schreiben vom 04.09.2009 übersandt und ihr Gelegenheit gegeben, sowohl zu der nach dem Entwurf beabsichtigten Eingliederung in die Stadt Quedlinburg als auch zu einer alternativ möglichen Eingemeindung in die künftige Einheitsgemeinde Stadt Thale Stellung zu nehmen. In dem Referentenentwurf waren die der zunächst beabsichtigten Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Quedlinburg zugrunde liegenden Erwägungen einschließ- lich möglicher Neugliederungsalternativen im Einzelnen wiedergegeben. Die Beschwerde- führerin hat mit Schreiben vom 30.11.2009 mitgeteilt, dass die Bürgeranhörung am
29.11.2009 ein deutliches Votum für eine Eingemeindung in die Stadt Thale ergeben habe.
Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Landesregierung hat sich die Be- schwerdeführerin mit einem weiteren Schreiben vom 18.12.2009 dahingehend geäußert, dass sie die nach dem Referentenentwurf vorgesehene Eingemeindung in die Stadt Qued- linburg als mit den Grundsätzen der Gemeindegebietsreform unvereinbar ansehe und sie ihrer Auffassung nach der künftigen Einheitsgemeinde Stadt Thale zugeordnet werden müs- se. Zudem hat der Ausschuss für Inneres der Beschwerdeführerin am 06.05.2010 nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hierbei hat sie ihre ablehnende Haltung gegen- über Zwangsneugliederungen im Allgemeinen und gegen die vorgesehene Eingemeindung in die Stadt Thale im Besonderen geltend gemacht, soweit diese nicht auf freiwilliger Grund- lage erfolge (vgl. Apr INN, 72. Sitzung am 06.05.2010, S. 109).
{RN:12}
Dass die Anhörungen der Beschwerdeführerin und ihrer Bürger zu der im Streit stehenden Neugliederung verfahrensfehlerhaft durchgeführt worden sind, hat weder die Beschwerde- führerin vorgetragen noch sind sonstige Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.
{RN:13}
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, sie vor der beabsichtigten Zwangszuordnung erneut anzuhören, nachdem eine freiwillige Ein- gemeindung in die Stadt Thale durch den Abschluss eines entsprechenden Gebietsände-
rungsvertrages gescheitert war. Mit den zuvor durchgeführten Anhörungen ist dem Sinn und Zweck der von Verfassungs wegen bestehenden Anhörungspflicht der von einer Neugliede- rung betroffenen Beschwerdeführerin hinreichend Rechnung getragen. Die Beschwerdeführerin hatte ausreichend Gelegenheit, dem Gesetzgeber ihre Auffassung zu der beabsichtigten Neugliederung darzulegen. Sie hat sich in den Anhörungen sowohl zu der zunächst be- absichtigten Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg als auch zu einer bereits im Referen- tenentwurf als möglich erachteten Eingemeindung in die Stadt Thale geäußert und auf diese Weise ihre Interessen und Belange in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Hierbei hat sie in der Anhörung durch den Ausschuss für Inneres am 06.05.2010 zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Eingemeindung in die Stadt Thale auf freiwilliger Grundlage durch den Abschluss eines entsprechenden Gebietsänderungsvertrages anstrebe.
{RN:14}
Mehr als die Möglichkeit der von einer Änderung ihres Gebietsbestandes betroffenen Ge- meinde, die aus ihrer Sicht für oder gegen die beabsichtigte Neugliederung sprechenden Gründe darzustellen, fordert die verfassungsrechtlich statuierte Anhörungspflicht nicht. Eine erneute Anhörung ist nur dann notwendig, wenn und soweit sich die für die Wertung notwen- digen Tatsachen oder die Ziele des Gesetzgebers so geändert haben, dass eine frühere An- hörung ins Leere geht, weil die betroffene Gemeinde zu den das neue Ziel tragenden Tatsa- chen noch nicht hat Stellung nehmen können (vgl. LVerfG, Urt. v. 13.06.2006 – LVG 14/05 –, RdNr. 43 des Internetauftritts; Urt. v. 25.06.2007 – LVG 8/06 –, RdNr. 69 des Internetauftritts; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 273 [299]). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Zu den Zeitpunkten ihrer Stellungnahmen waren der Beschwerdeführerin aufgrund des ihr über- sandten Referentenentwurfes die in Betracht gezogenen Möglichkeiten einer gesetzlichen Zuordnung zur Stadt Quedlinburg oder zur Stadt Thale bekannt. Sie hatte daher die Möglich- keit, die aus ihrer Sicht für die eine oder die andere Neugliederungsalternative sprechenden Gründe vorzutragen. Wie bereits dargestellt, hat sie hiervon auch Gebrauch gemacht. Allein der Umstand, dass nach dem Regierungsentwurf des GemNeuglG HZ, den der Gesetzgeber sich schließlich zu Eigen gemacht hat, die Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Tha- le und nicht mehr – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen – zur Stadt Quedlinburg er- folgen sollte, begründet keine wesentliche Änderung der dem Gesetzesvorhaben zugrunde liegenden Tatsachen und Ziele, die eine erneute Anhörung erforderlich werden ließ. Hier- durch ist lediglich zum Ausdruck gebracht worden, welcher der beiden der Beschwerdeführe- rin bekannten Neugliederungsmöglichkeiten letztlich der Vorrang eingeräumt werden soll. Diese noch durch Landesregierung vorgenommene Änderung des Gesetzesentwurfs ver- deutlicht vielmehr den – im vorliegenden Fall verwirklichten – Sinn und Zweck einer Anhö- rung der von einer Neugliederung betroffenen Gemeinden. Die Gemeinden sollen durch ihre Stellungnahme den Gesetzgeber in die Lage versetzen, abschließend die für und gegen die Neugliederungsmaßnahme sprechenden Argumente sorgfältig abzuwägen und ggf. von ei- ner zunächst in Aussicht genommenen Neugliederung Abstand zu nehmen und sich statt- dessen für eine andere zuvor ebenfalls erwogene Neugliederung zu entscheiden.
{RN:15}
Auch das Scheitern einer freiwilligen Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Thale begründet keine wesentliche Änderung des Gesetzesvorhabens, mit der Folge, dass die Beschwerdeführerin hätte erneut angehört werden müssen. Hierdurch hat sich vielmehr lediglich die Notwendigkeit ergeben, die bereits in Aussicht genommene gesetzliche Zuord- nung durchzuführen, die bereits in dem der Beschwerdeführerin zuvor bekannt gegebenen Referentenentwurf vorgesehen war. Welche zusätzlichen für seine Abwägungsentscheidung
bedeutsamen Erkenntnisse der Gesetzgeber bei einer erneuten Anhörung der Beschwerde- führerin hätte gewinnen können, hat die Beschwerdeführerin weder substantiiert vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Ungeachtet dessen war der Beschwerdeführerin jedenfalls bei der Anhörung durch den Ausschuss für Inneres des Landtages am 06.05.2010 bekannt, dass das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt den mit der Stadt Thale ge- schlossenen Gebietsänderungsvertrag als nicht genehmigungsfähig angesehen hat. Sie hat- te somit ausreichend Gelegenheit, weitere Gründe vorzutragen, die aus ihrer Sicht gegen eine gesetzliche Zuordnung zur Stadt Thale sprechen.
{RN:16}
Die Auflösung der Beschwerdeführerin und ihre Eingemeindung in die Stadt Thale sind auch in materieller Hinsicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
{RN:17}
Der Gesetzgeber hat den für die streitgegenständliche Gebietszuordnung erhebli- chen Sachverhalt umfassend ermittelt. Die der angegriffenen Entscheidung zugrunde geleg- ten Tatsachen sind in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 5/2406, S. 59-76) dargestellt. Ent- gegen der Auffassung der Beschwerdeführerin musste der Gesetzgeber nicht die Gründe ermitteln, aus denen eine genehmigungsfähige Gebietsänderungsvereinbarung zwischen ihr und der Stadt Thale über eine freiwillige Eingemeindung nicht zustande gekommen ist. Die hier in Rede stehende Neugliederung ist Bestandteil einer landesweiten Gemeindegebietsre- form zur Schaffung dauerhaft leistungsfähiger Gemeindestrukturen im Land Sachsen-Anhalt (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 5/2406, S. 4). Der Gesetzgeber hat hierfür ein mehrstufi- ges Verfahren vorgesehen. Im Rahmen der sog. Freiwilligkeitsphase der Gebietsreform hat- ten die Gemeinden die Gelegenheit, im Wege der freiwilligen Gebietsänderung leitbildge- rechte Strukturen nach Maßgabe der vom Gesetzgeber im Begleitgesetz zur Gemeindege- bietsreform – GemNeuglGrG – vom 14.02.2008 (GVBl. S. 40), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.05.2009 (GVBl. S. 238, 255), normierten Grundsätze der Neugliederung der Ge- meinden im Land Sachsen-Anhalt zu bilden. Gemeinden, die der Kommunalaufsicht bis zum
30.06.2009 keine genehmigungsfähige Vereinbarung über die Bildung einer Einheitsgemein- de oder einer Verbandsgemeinde vorgelegt haben, werden nach § 2 Abs. 9 GemNeuglGrG – auch gegen ihren Willen – durch Gesetz zu Einheitsgemeinden zusammengeschlossen. Nach dem im GemNeuglGrG normierten Konzept des Gesetzgebers zur Durchführung der Gemeindegebietsreform kommt es somit allein darauf an, ob im Hinblick auf die einzelne Gemeinde zum Stichtag 30.06.2009 ein Zuordnungsbedarf besteht, weil diese Gemeinde bis zum vorgenannten Zeitpunkt nicht freiwillig leitbildgerechte Strukturen gebildet hat. Aus welchen Gründen für die betreffende Gemeinde – hier die Beschwerdeführerin – keine geneh- migungsfähige Gebietsänderungsvereinbarung zur freiwilligen Umsetzung des Leitbildes und der Leitlinien des GemNeuglGrG vorliegt, ist demgegenüber unbeachtlich. Entgegen der Auf- fassung der Beschwerdeführerin ist eine andere rechtliche Beurteilung auch nicht dadurch veranlasst, dass der Gesetzgeber bei Kenntnis der Gründe für das Scheitern ihrer freiwilligen Eingemeindung in die Stadt Thale eine gesetzliche Zuordnung unter Berücksichtigung der zwischen ihr und der Stadt Thale vereinbarten Bedingungen hätte in Erwägung ziehen kön- nen. Das GemNeuglGrG sieht für den Fall, dass freiwillige Gebietsänderungsvereinbarungen nicht zustande kommen oder nicht genehmigungsfähig sind, einen gesetzlichen Zusammen- schluss mit anderen Gemeinden und eine Auflösung der zugeordneten Gemeinden ohne inhaltliche Einschränkungen bzw. Bedingungen vor.
{RN:18}
Die angegriffene Zuordnung der Beschwerdeführerin beruht auch auf tragfähigen Gründen des Gemeinwohls. Wie bereits dargestellt, ist sie Bestandteil der landesweiten Ge- meindegebietsreform zur Schaffung dauerhaft leistungsfähiger Gemeindestrukturen im Land Sachsen-Anhalt, für welche der Gesetzgeber im GemNeuglGrG ein Leitbild und einzelne Leitlinien aufgestellt hat. Das Landesverfassungsgericht hat diese den Rahmen des Reform- prozesses bildenden Regelungen zur Verwirklichung der Ziele der landesweiten Gemeinde- gebietsreform verfassungsrechtlich nicht beanstandet, weil sie auf tragfähige Gemeinwohl- gesichtspunkte gestützt sind und den Gemeinwohlanforderungen der Art. 2 Abs. 3, 87 LVerf entsprechen (vgl. LVerfG, Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 14 ff. des Internetauf- tritts). Die Zielvorstellungen des GemNeuglGrG und die dort normierten Kriterien für deren Umsetzung erlangen auch Bedeutung für die verfassungsrechtliche Beurteilung der streitge- genständlichen konkreten Neugliederungsmaßnahme. Denn hat der Gesetzgeber – wie hier mit dem GemNeuglGrG – ein Leitbild und einzelne Kriterien für eine das Land insgesamt umfassende Neuordnung festgelegt, ist er – will er nicht gegen das Willkürverbot verstoßen – an die von ihm selbst gefundenen Maßstäbe gebunden (LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG
1/94 –, LKV 1995, 75 [79] m.w.N.; Urt. v. 10.05.2011 – LVG 24/10 –, RdNr. 8 des Internet- auftritts).
{RN:19}
Ausgehend davon ist auch die von der Beschwerdeführerin angegriffene Zuordnungsent- scheidung als am Gemeinwohl orientiert anzusehen. § 2 S. 1 und 2 GemNeuglG HZ steht im Einklang mit dem vom Gesetzgeber zur Schaffung leistungsfähiger Gemeindestrukturen auf- gestellten Leitbild sowie den Leitlinien des GemNeuglGrG. Die Beschwerdeführerin hatte zu dem nach § 2 Abs. 10 GemNeuglGrG maßgeblichen Stichtag (31.12.2005) lediglich 2.141
Einwohner. Damit war sie als nicht selbständig leistungsfähig anzusehen. Nach § 2 Abs. 3
GemNeuglGrG sollen Einheitsgemeinden mindestens 10.000 Einwohner haben (Satz 1). In Landkreisen, in denen die durchschnittliche Bevölkerungsdichte weniger als 70 Einwohner je Quadratkilometer beträgt oder wenn eine besondere geografische Lage die Bildung einer leistungsfähigen Einheitsgemeinde mit 10.000 Einwohnern ausschließt, sollen Einheitsge- meinden mindestens 8.000 Einwohner haben (Satz 2). Diese Mindesteinwohnerzahlen hat die Beschwerdeführerin deutlich unterschritten.
{RN:20}
Die vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung der für und gegen die Auflösung und Zuordnung der Beschwerdeführerin sprechenden Belange lässt ebenfalls keine verfas- sungsrechtlich zu beanstandenden Fehler erkennen.
{RN:21}
Der Gesetzgeber hat sich bei seiner Entscheidung über die Zuordnung der Beschwerdefüh- rerin zur Stadt Thale an dem im GemNeuglGrG normierten Leitbild der Gemeindegebietsreform und den zugehörigen einzelnen Kriterien orientiert. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, Abs. 2
GemNeuglGrG sollen Gemeinden, die – wie hier die Beschwerdeführerin – einer Verwal-
tungsgemeinschaft mit einer Trägergemeinde im Sinne von § 75 Abs. 3 der Gemeindeord- nung des Landes Sachsen-Anhalt – GO LSA – in der Fassung der Bekanntmachung vom
10.08.2009 (GVBl. S. 383, zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.11.2011 [GVBl. S. 814]) angehören, vorrangig in den Grenzen der Verwaltungsgemeinschaft zu Einheitsgemeinden zusammengeschlossen werden. Diesen Grundsatz hat der Gesetzgeber beachtet, indem er die Beschwerdeführerin der Stadt Thale zugeordnet hat. Die Stadt Thale war Trägergemeinde der Verwaltungsgemeinschaft Thale, der neben der Beschwerdeführerin ursprünglich auch die Gemeinden Neinstedt und Weddersleben angehört haben. Die beiden letztgenann-
ten Gemeinden haben sich bereits in der Freiwilligkeitsphase der Stadt Thale angeschlos- sen. Durch die nunmehr erfolgte gesetzliche Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Thale werden die örtlichen Verbundenheiten und Verflechtungen berücksichtigt, die sich in der Vergangenheit zwischen diesen ehemals selbständigen Gemeinden und deren Bürgern aufgrund der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Verwaltungsgemeinschaft entwickelt haben.
{RN:22}
Bei seinen Erwägungen hat der Gesetzgeber auch im Blick gehabt, dass die Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Thale an sich nicht erforderlich war, um die Leistungsfä- higkeit der aufnehmenden Stadt Thale sicherzustellen. Diese hatte mit ihrem Gebietsstand zum 01.01.2010 zu dem für Neugliederungen maßgeblichen Stichtag (31.12.2005) insge- samt 17.992 Einwohner und konnte auch ohne die Beschwerdeführerin als leitbildgerechte Gemeinde fortbestehen. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber im Rahmen seiner Abwägung auch andere Zuordnungsalternativen für die Beschwerdeführerin in den Blick genommen. Die Möglichkeiten eines Zusammenschlusses mit der Gemeinde Harsleben aus der benachbarten Verbandsgemeinde Vorharz oder einer Zuordnung der Beschwerdeführe- rin zur angrenzenden Stadt Blankenburg (Harz) hat er jedoch verworfen, da er hiermit von dem Grundsatz der Bildung von Einheitsgemeinden aus Gemeinden derselben Verwaltungsgemeinschaft abgewichen wäre und keine Gründe von solchem Gewicht vorgelegen haben, dass ein Abweichen vom gesetzgeberischen Leitbild und den Leitlinien des GemNeuglGrG gerechtfertigt wäre. Von einer ebenfalls in Betracht gezogenen Zuordnung der Beschwerdeführerin zum angrenzenden Mittelzentrum Quedlinburg hat der Gesetzgeber Abstand genommen, weil er gestützt auf eine in den Jahren 2006/2007 durchgeführten Untersuchung der Stadt-Umland-Beziehungen zwischen Mittelzentren und Umlandgemeinden davon ausgegangen ist, dass die Verflechtungsbeziehungen zwischen der Beschwerdeführerin und dem Mittelzentrum Quedlinburg nur schwach ausgeprägt sind und eine Eingemeindung der Beschwerdeführerin keinen bedeutsamen Beitrag zur Lösung von Stadt-Umland-Problemen (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 GemNeuglGrG) leisten wird. Die insoweit angestellten Erwägungen des Gesetzgebers sind zumindest nicht offensichtlich fehlerhaft und werden von der Beschwer- deführerin auch nicht infrage gestellt.
{RN:23}
Schließlich hat der Gesetzgeber dem Ergebnis der Anhörung der Bürger der Beschwerde- führerin Rechnung getragen. Diese haben sich mit großer Mehrheit gegen eine Eingemeindung in die Stadt Quedlinburg und für eine Eingemeindung in die Stadt Thale ausgesprochen. Auch die Beschwerdeführerin selbst hat deutlich gemacht, dass sie eine Eingemein- dung in die Stadt Quedlinburg ablehnt und an sich eine Eingemeindung in die Stadt Thale befürwortet. Sie hat mit der Stadt Thale bereits einen entsprechenden Gebietsänderungsver- trag geschlossen, der allerdings nicht durch die Kommunalaufsicht genehmigt worden ist. Dass die Beschwerdeführerin sich aber nur auf freiwilliger Grundlage und nicht durch Gesetz in die Stadt Thale eingemeinden lassen will, ist demgegenüber ohne rechtliche Bedeutung. Wie bereits dargestellt, ist für die materielle Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers allein maßgeblich, dass die Beschwerdeführerin zu erkennen gegeben hat, sie strebe grundsätzlich eine Eingemeindung in die Stadt Thale an. Dass die dahingehende Willensäußerung unter dem Vorbehalt der von der Beschwerdeführerin vertraglich mit der Stadt Thale vereinbarten Bedingungen gestanden hat, ist für die erforderliche Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers ohne Belang. Insoweit kommt es allein darauf an, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Zuordnungsentscheidung keine genehmigte Gebietsänderungsvereinbarung zur freiwilligen Bildung leitbildgerechter Gemeindestrukturen vorgelegt hat, ein kon- kreter Zuordnungsbedarf im Hinblick auf die Beschwerdeführerin gegeben war und die Beschwerdeführerin von den in Betracht gezogenen Zuordnungsmöglichkeiten – jedenfalls im Ergebnis – allein eine Eingemeindung in die Stadt Thale befürwortet hat.
{RN:24}
Beruht die angegriffene Entscheidung des Gesetzgebers nach alledem auf einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung und Abwägung, ist der hiermit verbundene Ein- griff in das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin auch nicht unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit seiner hier – wie dargelegt – nur eingeschränkt zur Anwendung gelangenden Geltungskraft.
{RN:25}
Die Verfassungsbeschwerde bleibt auch insoweit erfolglos, als die Beschwerdeführerin sich gegen § 9 Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG wendet.
Nach Art. 89 S. 1 LVerf muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmit- telbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Die existierende Ge- meindevertretung der die Beschwerdeführerin aufnehmenden Stadt Thale entspricht diesen Anforderungen. Zwar ist der Stadtrat der Stadt Thale mangels Anordnung einer Neuwahl nach der erfolgten Zwangszuordnung der Beschwerdeführerin nicht von den Bürgern der Beschwerdeführerin gewählt worden. Eine Repräsentation der Einwohner der aufgelösten Gemeinden im Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde wird aber dadurch herbeigeführt, dass dieser Gemeinderat nach § 9 Abs. 1 S. 1 GebRefAusfG im Verhältnis zur Einwohner- zahl der eingemeindeten Gemeinde, mindestens jedoch um ein Gemeinderatsmitglied – und zwar aus der Mitte der entweder in einen Ortschaftsrat überführten oder aufgelösten Ge- meindevertretung (vgl. § 9 Abs. 4 GemRefAusfG) – erweitert wird.
Diese Entsenderegelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. LVerfG, Urt. v.
20.01.2011 – LVG 22/10).
{RN:26}
Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Entsenderegelung ergeben sich auch nicht dar- aus, dass § 9 Abs. 4 GebRefAusfG – zwar nicht ausdrücklich, aber doch im Ergebnis – die Entsendung des ehemaligen Bürgermeisters beziehungsweise, namentlich im Fall der Ein- führung einer Ortschaftsverfassung, des Ortsbürgermeisters in den Gemeinderat der auf- nehmenden Gemeinde zulässt.
{RN:27}
Insoweit wendet die Beschwerdeführerin ohne Erfolg ein, der Bürgermeister sei für die Re- präsentation der Einwohner der aufgelösten Gemeinde nicht geeignet, da er funktionell nur Verwaltungsorgan und – anders als der Gemeinderat – nicht Volksvertretung sei. Für die Frage der hinreichenden demokratischen Legitimation des entsendeten Vertreters der aufge- lösten Gemeinde ist entscheidend, ob diese Person unmittelbar von den wahlberechtigten Bürgern der Gemeinde gewählt worden ist. Dies ist nach § 58 Abs. 1 S. 1 GO LSA im Hin- blick auf den Bürgermeister ebenso wie nach § 37 Abs. 1 S. 1 GO LSA hinsichtlich des Ge- meinderates der Fall. Ungeachtet dessen ist der ehrenamtliche Bürgermeister – worauf auch die Beschwerdeführerin hinweist – Teil des Gemeinderates, namentlich dessen Vorsitzender (vgl. § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GO LSA). Wird er auf der Grundlage des § 9 Abs. 4
GebRefAusfG aus der Mitte des in einen Ortschaftsrat überführten oder anschließend aufge- lösten Gemeinderats der gesetzlich zugeordneten Gemeinde in den Gemeinderat der auf-
nehmenden Gemeinde entsandt, nimmt er diese Aufgabe auch als Mitglied des Gemeindera- tes der aufgelösten Gemeinde und nicht lediglich – wie die Beschwerdeführerin meint – in seiner Funktion als Leiter der Gemeindeverwaltung (vgl. § 63 Abs. 1 GO LSA) wahr (so be- reits LVerfG, Beschl. v. 20.01.2011 – LVG 80/10 –, RdNr. 8 des Internetauftritts).
{RN:28}
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Das Verfahren bleibt in vollem
Umfang erfolglos. Gründe im Sinne des § 32 Abs. 3 LVerfGG, gleichwohl die Erstattung der
Auslagen der Beschwerdeführerin anzuordnen, sind nicht ersichtlich.

« zurück

Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.