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Urteil des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 52/10 Entscheidungsart: Urteil Entscheidung vom: 26.06.2012
Verfahrensart Kommunalverfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften
Schlagworte
Stichworte Urteil
Leitsatz Ohne
Fundstellen -
Sonstiges -
Zitiervorschlag VerfGSA, Urteil vom 26.06.2012 - LVG 52/10 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Urteil

in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 52/10

26.06.2012

{T:w e g e n}

des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Burgenlandkreis
und
des Zweiten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform,


{T:Tenor}

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


{T:T a t b e s t a n d}


Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ihre Auflösung und Eingemeindung in die Stadt
Weißenfels zum 01.09.2010 durch § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Neugliederung der
Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Burgenlandkreis
– GemNeuglG BLK – vom 08.07.2010 (GVBl. S. 413) sowie gegen Art. 1 § 9 Abs. 4 S. 1 und
2 des Zweiten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform – Gesetz zur Ausführung der
Gemeindegebietsreform (GebRefAusfG) – vom 08.07.2010 (GVBl. S. 406).


Die Beschwerdeführerin ist im Nordosten des Landkreises Burgenlandkreis gelegen. Sie war bis zu ihrer Auflösung selbständige Mitgliedsgemeinde der Verwaltungsgemeinschaft Saale- tal, der ursprünglich außerdem die Gemeinden Burgwerben, Goseck, Großkorbetha, Reich- ardtswerben, Schkortleben, Storkau, Tagewerben und Uichteritz angehörten. Im Norden und im Osten grenzt die Beschwerdeführerin an den Landkreis Saalekreis, im Süden und Westen an das Gebiet der ehemaligen Gemeinde Großkorbetha, die ebenfalls der Stadt Weißenfalls zugeordnet wurde. Von den Gemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal schloss die Gemeinde Goseck im Rahmen der durch das Erste Begleitgesetz zur Gemein- degebietsreform in Sachsen-Anhalt vom 14.02.2008 (GVBl. S. 40) eröffneten Phase für frei- willige Gemeindeneugliederungen mit Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Unstruttal eine Vereinbarung zur Bildung einer Verbandsgemeinde, die das Ministerium des Innern am 25.06.2009 genehmigte. Die Gemeinde Uichteritz schloss am 26.06.2009 einen Gebietsänderungsvertrag zur Eingemeindung in die Stadt Weißenfels, dem der Landkreis Burgenlandkreis am 10.08.2009 die Genehmigung erteilte. Die Beschwerdeführerin und die übrigen sechs Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal wurden durch das streitgegenständliche Gesetz zum 01.09.2010 aufgelöst und in die Stadt Weißenfels einge- meindet. Neben der Beschwerdeführerin haben die Gemeinden Großkorbetha und Burgwer- ben Verfassungsbeschwerde gegen ihre Eingemeindung in die Stadt Weißenfels erhoben (LVG 28/10 und 51/10).


Die Beschwerdeführerin sieht sich durch das GemNeuglG BLK in ihrem Selbstverwaltungs- recht verletzt.


Zum einen sei die Bürgeranhörung zu der beabsichtigten Neugliederung nicht ordnungsge- mäß durchgeführt worden.

Am 28.09.2009 sei im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal der Termin für die am 29.11.2009 geplante Bürgeranhörung zu der Frage „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Wengelsdorf in die Stadt Lützen (Hervorhebung durch das Gericht) eingemeindet wird?“ öf- fentlich bekannt gemacht worden. Hierbei sei auch der Text des Gesetzesentwurfes abge- druckt worden, der eine Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lützen vorge- sehen habe. Weiterhin sei darauf hingewiesen worden, dass der Gesetzestext und die Be- gründung zum Gesetzesentwurf bei der Verwaltungsgemeinschaft zur Einsicht während der allgemeinen Öffnungszeiten vorlägen.


Am 19.10.2009 sei im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal bekannt gemacht worden, dass am 29.11.2009 keine Bürgeranhörung zu einer Eingemeindung der Beschwer- deführerin in die Stadt Lützen stattfinde. Vielmehr finde am 20.12.2009 eine Bürgeranhörung zu der Frage „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Wengelsdorf in die Stadt Weißenfels (Her- vorhebung durch das Gericht) eingemeindet wird?“ statt. Dies sei damit begründet worden, §
2 Abs. 2 des Entwurfes des GemNeuglG BLK sehe nunmehr eine Gebietsänderung für die
Gemeinden Burgwerben, Großkorbetha, Reichardtswerben, Schkortleben, Storkau, Tage-



werben und die Beschwerdeführerin vor. Zugleich sei dargelegt worden, der Gesetzestext des Referentenentwurfes werde bekannt gemacht. Tatsächlich sei der Gesetzestext jedoch nicht im Amtsblatt veröffentlicht worden. Zudem sei im Zusammenhang mit der Bekanntma- chung des Termins der Bürgeranhörung am 20.12.2009 darauf hingewiesen worden, dass in den Text und die Begründung des Gesetzesentwurfes des GemNeuglG BLK bei der Verwal- tungsgemeinschaft während der allgemeinen Öffnungszeiten Einsicht genommen werden könne. Tatsächlich hätten bei der Verwaltungsgemeinschaft aber noch bis zum 28.10.2009 der Gesetzestext und die Begründung des Gesetzesentwurfes ausgelegen, wonach die Be- schwerdeführerin in die Stadt Lützen habe eingemeindet werden sollen. Der geänderte Ge- setzesentwurf über die Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Weißenfels und die entsprechende Gesetzesbegründung hätten erst ab dem 29.10.2009 ausgelegen. Eine öffentliche Bekanntmachung der Auswechslung der Unterlagen sei nicht erfolgt.


Aufgrund der unterbliebenen Veröffentlichung des Gesetzestextes im Amtsblatt der Verwal- tungsgemeinschaft sei nicht auszuschließen, dass interessierte Einwohner auf eine Einsicht in die Gesetzesunterlagen im Vertrauen darauf verzichtet hätten, der Gesetzestext werde noch wie angekündigt veröffentlicht. Zudem hätten ihre Einwohner sich nicht in zureichender Weise über das konkrete Neugliederungsvorhaben in seinen Grundzügen informieren kön- nen, da die Auswechslung der Gesetzesunterlagen nicht bekannt gemacht worden sei. Man- gels Bekanntmachung der Auswechslung der Gesetzesunterlagen hätten diejenigen Ein- wohner, welche bereits die Unterlagen zum Entwurf des Gesetzes zur Eingliederung in die Stadt Lützen eingesehen hätten, keine Veranlassung gehabt, noch einmal die ab dem
29.10.2009 ausliegenden Unterlagen zum aktuellen Gesetzesentwurf einzusehen.


Zum anderem habe der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht zutref- fend und umfassend ermittelt. Er habe keine Feststellungen dazu getroffen, dass die streit- gegenständliche Zwangszuordnung die Leistungsfähigkeit der aufnehmenden Stadt Weißen- fels als Mittelzentrum steigere und zur Lösung der Stadt-Umland-Problematik beitrage. In der Gesetzesbegründung habe zudem keine Erwähnung gefunden, dass die Entfernung zwi- schen ihr – der Beschwerdeführerin – und der Stadt Lützen lediglich 12 km betrage und da- mit geringer als die Entfernung zur Stadt Weißenfels (16 km) sei.


Zudem beruhe ihre zwangsweise Zuordnung zur Stadt Weißenfels auf einer fehlerhaften
Abwägung. So habe der Gesetzgeber nicht die Möglichkeit ihrer Eingemeindung in die nur
3,5 km entfernte Stadt Bad Dürrenberg erwogen. Des Weiteren habe der Gesetzgeber die Tatsachen, die für ihre Eingemeindung in die Stadt Lützen sprächen, nicht in die Abwägung eingestellt. Dabei bestünden zwischen ihr und der Stadt Lützen örtliche Verbundenheiten durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Abwasserzweckverband Saale-Rippachtal und die im Vergleich zu der Stadt Weißenfels kürzere Entfernung. Demgegenüber seien mit der Stadt Weißenfels bis auf eine Busverbindung keine nennenswerten Verflechtungen vorhan- den. In der Begründung des ursprünglichen Gesetzesentwurfes sei eine Eingemeindung in die Stadt Lützen noch als alternativlos dargestellt worden. Zwar habe sie zu der Stadt Lützen nur über die ebenfalls der Stadt Weißenfels zugeordnete Gemeinde Großkorbetha eine räumliche Verbindung. Jedoch sei auch die Zuordnung der Gemeinde Großkorbetha zur Stadt Weißenfels verfassungswidrig. Insbesondere leide die Anhörung der Bürger der Ge- meinde Großkorbetha ebenfalls unter den dargestellten Mängeln.



Der Gesetzgeber habe zudem nicht hinreichend erwogen, ob aus den Gemeinden der ehe- maligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal eine Einheitsgemeinde habe gebildet werden können, auch wenn diese mit insgesamt 7.353 Einwohnern die im Ersten Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform hierfür vorgesehene Regeleinwohnerzahl von 10.000 Einwohnern und auch die bei einer besonderen geografischen Lage zulässige Mindesteinwohnerzahl von
8.000 Einwohnern unterschreiten würde. Vorliegend sei eine besondere geografische Lage gegeben, da die ehemalige Verwaltungsgemeinschaft Saaletal an den Landkreis Saalekreis grenze und von der Stadt Weißenfels sowie anderen Verwaltungsgemeinschaften umgeben sei. Das Erste Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform lasse auch eine geringfügige Un- terschreitung der Mindesteinwohnerzahlen zu. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu der diesbezüglich normierten Ausnahmeregelung solle eine Unterschreitung bei Verbandsge- meinden zwar nur 5 v. H. betragen. Daraus folge aber, dass in begründeten Fällen auch eine höhere Unterschreitung – hier 8 v. H. – möglich sei, zumal hier nicht die Bildung einer Ver- bands-, sondern einer Einheitsgemeinde in Rede stehe. Auch andere im Land Sachsen- Anhalt gebildete Einheitsgemeinden unterschritten die Mindesteinwohnerzahl von 8.000
Einwohnern um mehr als 5 v. H. Dies betreffe die Einheitsgemeinden Arendsee mit 7.606
Einwohnern, Arnstein mit 7.738 Einwohnern, Elbe-Parey mit 7.402 Einwohnern, Falkenstein mit 5.942 Einwohnern, die Hansestadt Havelberg mit 7.220 Einwohnern, Hecklingen mit
7.685 Einwohnern sowie Nienburg mit 7.242 Einwohnern. Den sich daraus im Hinblick auf
die hier streitgegenständliche Neugliederung ergebenden Entscheidungsspielraum habe der Gesetzgeber ungenutzt gelassen, indem er die Möglichkeit der Bildung einer Einheitsge- meinde aus den Gemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal unter Hin- weis auf die Unterschreitung der gesetzlichen Mindesteinwohnerzahlen ausgeschlossen ha- be. Die Bildung einer Einheitsgemeinde aus den Mitgliedsgemeinden der ehemaligen Ver- waltungsgemeinschaft Saaletal entspräche auch dem gesetzlichen Leitbild der Gemeinde- gebietsreform. Sie sei überdies ein milderes Mittel gegenüber der angegriffenen Zuordnung zur Stadt Weißenfels, da die zugeordneten Gemeinden bereits in Verwaltungsangelegenhei- ten zusammengearbeitet hätten und insoweit gewachsene Verflechtungsbeziehungen be- stünden.


Des Weiteren werde sie, die Beschwerdeführerin, durch § 9 Abs. 4 S. 1 und 2 GebRefAusfG
in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt.


§ 9 Abs. 4 S. 1 und 2 GebRefAusfG lautet:


„Wird ein Ortschaftsrat nach § 7 Abs. 1 [GebRefAusfG] oder nach § 86 Abs. 1a der Gemein- deordnung gebildet, wählt dieser aus seiner Mitte eine oder mehrere Personen, die dem Ge- meinderat der aufnehmenden Gemeinde bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl angehören. Wurde kein Ortschaftsrat gewählt oder ein Ortschaftsrat nach § 7 Abs. 2 [GebRefAusfG] ge- bildet, wählt der Gemeinderat der einzugemeindenden Gemeinde vor seiner Auflösung aus den Mitgliedern des Gemeinderates eine oder mehrere Personen, die dem Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl angehören.“

Diese Regelung verstoße gegen das Demokratiegebot des Art. 89 der Landesverfassung. Sie ermögliche es, den Ortsbürgermeister bzw. den Bürgermeister als Mitglied des Gemein- derates der aufgelösten Gemeinde anstelle eines Ortschafts- bzw. Gemeinderates in den Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde zu entsenden. Nur der Gemeinderat sei aber



Vertreter der Einwohner der Gemeinde im Sinne von Art. 89 der Landesverfassung. Der Bürgermeister werde zwar ebenfalls in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und ge- heimer Wahl von den Einwohnern der Gemeinde gewählt, aber lediglich als Organ, welches die Gemeindeverwaltung leite. Im Falle seiner Entsendung in den Gemeinderat der aufneh- menden Gemeinde könne er die Einwohner der aufgenommenen Gemeinde daher nicht in einer dem Demokratiegebot hinreichend Rechnung tragenden Weise repräsentieren.


Die Beschwerdeführerin beantragt,


§ 2 Abs. 2 S. 1 und 2 des Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land
Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Burgenlandkreis für unvereinbar mit Art. 2
Abs. 3 und Art. 87 Abs. 1 der Landesverfassung zu erklären,

und § 9 Abs. 4 S. 1 und 2 des Gesetzes zur Ausführung der Gemeindegebietsreform für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 Abs. 1 der Landesverfassung zu erklä- ren, soweit hiernach die Möglichkeit besteht, dass ein Ortsbürgermeister bzw. ein Bürgermeister in den Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde entsandt wird.


Die Landesregierung tritt den formellen Bedenken der Beschwerdeführerin an der Verfas- sungsmäßigkeit des streitgegenständlichen Neugliederungsgesetzes im Wesentlichen mit der Begründung entgegen, aufgrund der im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal vom 19.10.2009 bekannt gemachten neuen Anhörungsfrage sei für jeden Bürger, der vor dem 29.10.2009 Einsicht in die bis zu diesem Zeitpunkt noch ausliegenden Gesetzesunter- lagen über eine Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lützen genommen ha- be, erkennbar, dass es sich insoweit nicht um die Unterlagen zu dem Gesetzesentwurf ge- handelt habe, der Gegenstand der späteren Bürgeranhörung vom 20.12.2009 gewesen sei.


Die Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Weißenfels beruhe auch auf tragfähigen Gründen des Gemeinwohls. Die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin sei nicht gesichert gewesen. Ein Zusammenschluss mit den anderen Mitgliedsgemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal hätte keine dem Reformleitbild gerecht wer- dende Neugliederungslösung dargestellt. Ziel der streitgegenständlichen Zuordnung sei nicht die Stärkung der Leistungsfähigkeit der Stadt Weißenfels, sondern die Überwindung der Kleingliedrigkeit der Strukturen im nördlichen Burgenlandkreis, die dem Leitbild leistungsfä- higer Gemeindestrukturen widerspreche. Mit 917 Einwohnern zum maßgeblichen Stichtag habe die Beschwerdeführerin nicht als leistungsfähig angesehen werden können. Die nach dem Austritt der Gemeinden Goseck und Uichteritz am Ende der freiwilligen Phase der Ge- meindegebietsreform verbliebenen Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft hätten mit insgesamt 7.353 Einwohnern die bei einer besonderen geografischen Lage ausnahms- weise ausreichende Mindesteinwohnerzahl von 8.000 Einwohnern nicht nur geringfügig un- terschritten. Der Gesetzgeber habe in seine Erwägungen ebenfalls eingestellt, dass während der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform zwischen den Mitgliedsgemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal mit ihren insgesamt 9.918 Einwohnern zum maßgeblichen Stichtag keine einvernehmliche leitbildgerechte Neugliederung habe erreicht werden können. Bei dieser Sachlage habe der Gesetzgeber der übergreifenden Situation im Bereich der angrenzenden Stadt Weißenfels eine besondere Bedeutung beimessen dürfen. Insoweit sei berücksichtigt worden, dass die Gemeinden Burgwerben und Tagewerben und



damit mehr als ein Viertel der Einwohnerschaft der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal erhebliche Stadt-Umland-Verflechtungen mit dem Mittelzentrum Weißenfels aufwie- sen. Der Gesetzgeber habe bei seiner Entscheidung auch berücksichtigt, dass sich die Ge- meinden Storkau, Reichardtswerben und Schkortleben zwischenzeitlich für ihre Eingliede- rung in die Stadt Weißenfels ausgesprochen hätten.


Soweit in der ursprünglichen Fassung des Gesetzesentwurfs eine Zuordnung der Beschwer- deführerin zur Stadt Lützen als alternativlos angesehen worden sei, beruhe dies auf der be- sonderen räumlichen Lage der Beschwerdeführerin im Norden des Burgenlandkreises. Die Beschwerdeführerin habe innerhalb des Landkreises nur eine gemeinsame Grenze zur Ge- meinde Großkorbetha. Diese habe ihrerseits gegen Ende der freiwilligen Phase der Gemein- degebietsreform gemeinsam mit der Gemeinde Schkortleben beabsichtigt, sich mit der Stadt Lützen zusammenzuschließen. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten sei zu diesem Zeit- punkt lediglich eine gemeinsame Eingemeindung der Beschwerdeführerin mit der Gemeinde Großkorbetha in die Stadt Lützen möglich gewesen. Dies habe sich dadurch geändert, dass sich eine deutliche Mehrheit der Bürger der Gemeinde Großkorbetha in einer am 27.09.2009 durchgeführten Bürgeranhörung gegen eine Eingemeindung in die Stadt Lützen ausgespro- chen hätten und der Gemeinderat der Gemeinde Großkorbetha infolgedessen die Absicht zum Abschluss eines Gebietsänderungsvertrages mit der Stadt Lützen aufgegeben habe.


Soweit die kommunale Verfassungsbeschwerde sich gegen § 9 Abs. 4 S. 2 GebRefAusfG richte, sei sie bereits unzulässig. Die Beschwerdeführerin sei von dieser Regelung nicht be- troffen. Die Regelung erfasse die Konstellation, in der kein Ortschaftsrat gewählt oder nach
§ 7 Abs. 2 GebRefAusfG gebildet worden sei. Die Beschwerdeführerin habe jedoch ihren ehemaligen Gemeinderat und ihre Bürgermeisterin in einen Ortschaftsrat überführt und an- schließend entsprechend der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Vorgaben des
§ 9 Abs. 4 S. 1 GebRefAusfG die Ortsbürgermeisterin aus der Mitte ihres Ortschaftsrates in
den Stadtrat der Stadt Weißenfels entsandt.


Der Landtag hat sich zu dem Verfahren nicht geäußert.


{T:E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e}


Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen § 2 Abs. 2 GemNeuglG BLK richtet, zulässig, aber unbegründet. Soweit sie sich gegen § 9 Abs. 4 S. 1 und 2
GebRefAusfG richtet, hat sie jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
{RN:1}
Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde berufen (vgl. dazu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: LVerfG, Urt. v. 31.05.1994
– LVG 2/93 –, LVerfGE 2, 227, [245 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 1/94 –, LVerfGE 2, 273, [289 f.]; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 4/94 –, LVerfGE 2, 323, [334 f.]). Soweit – wie hier von der Beschwerdeführerin – eine Verletzung des durch Art. 2 Abs. 3 und 87 LVerf garantierten Selbstverwaltungsrechts behauptet wird, handelt es sich um eine kommunale Verfassungs- beschwerde im Sinne des Art. 75 Nr. 7 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt
– LVerf – vom 16.07.1992 (GVBl. S. 600) und der §§ 2 Nr. 8, 51 des Gesetzes über das
Landesverfassungsgericht – LVerfGG – vom 23.08.1993 (GVBl. S. 441), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.11.2009 (GVBl. S. 525). Diese Bestimmungen berechtigen Kommunen
(Gemeinden und Landkreise), gegen Eingriffe in ihr Selbstverwaltungsrecht durch ein Gesetz das Landesverfassungsgericht anzurufen.
{RN:2}
Die Zulässigkeit einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt voraus, dass die Beschwerdeführerin selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffenen Rechtsnormen in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt ist (vgl. entsprechend zur Rechtslage nach dem BVerfGG BVerfG, Beschl. v. 15.10.1985 – 2 BvR 1808/82 u.a. –, BVerfGE 71, 25 [34 ff.]; Beschl. v. 19.11.2002 – 2 BvR 329/97 –, BVerfGE 107, 1 [8]; Magen, in Um- bach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 91, RdNr. 18). Dies ist hier der Fall. Das angegriffene Gesetz greift gegenwärtig in das Selbst- verwaltungsrecht der Beschwerdeführerin ein, ohne dass es eines weiteren angreifbaren Umsetzungsaktes bedarf. Die Beschwerdeführerin wird durch § 2 Abs. 2 GemNeuglG BLK unmittelbar in ihrem Bestand aufgelöst.
{RN:2}
Gemäß § 51 Abs. 2 LVerfGG finden außerdem die Vorschriften der §§ 48 bis 50 auf kommu- nale Verfassungsbeschwerden entsprechende Anwendung. Die sich daraus ergebenden formellen Anforderungen sind eingehalten; insbesondere ist die Jahresfrist des § 48
LVerfGG gewahrt.
{RN:3}
Die kommunale Verfassungsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. § 2 Abs. 2 Gem- NeuglG BLK ist mit Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf vereinbar.
Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 2 Abs. 3, Art. 87 LVerf steht Veränderungen des Gebietsbestandes einzelner Gemeinden nicht entgegen. Sie gewährleistet zwingend nur den Bestand von Gemeinden überhaupt, d.h. institutionell, nicht aber den Fortbestand jeder ein- zelnen, historisch gewachsenen Gemeinde (Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II,
7. Aufl. 2010, § 96, RdNr. 49, 54). Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammen-
schlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebietsänderungen von Gemeinden beeinträchti- gen den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Selbstverwaltung grundsätzlich nicht. Zum Inhalt des verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung gehört jedoch, dass Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörper- schaften zulässig sind (BVerfG, Beschl. v. 12.05.1992 – 2 BvR 470/90 u.a. –, BVerfGE 86,
90 [107] zu dem mit Art. 2 Abs. 3, Art. 87 LVerf inhaltsgleichen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, a.a.O., § 96, RdNr. 115 f.).
{RN:4}
Bei strukturellen Neugliederungen ist dem Gesetzgeber ein politischer Gestaltungsspielraum eingeräumt, der nach ständiger Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts nur eine eingeschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle des von einer betroffenen Gemeinde im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde angegriffenen Neugliederungsgesetzes zulässt (vgl. auch Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, a.a.O., § 96, RdNr. 117). Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung ist danach nicht, ob es andere und besse- re Alternativen zu der streitgegenständlichen Neugliederung gegeben hat. Das Landesver- fassungsgericht überprüft die getroffene Maßnahme vielmehr lediglich darauf, ob der Ge- setzgeber den für seine Regelung maßgeblichen Sachverhalt zutreffend ermittelt, dem Ge- setz zugrunde gelegt hat und ob er die im konkreten Fall angesprochenen Gemeinwohlgrün- de sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwä-
gung eingestellt hat. Auf der Grundlage eines in dieser Weise ermittelten Sachverhalts und der Gegenüberstellung der daraus folgenden verschiedenen – oft gegenläufigen – Belange ist der Gesetzgeber befugt, sich letztlich für die Bevorzugung eines Belangs (oder mehrerer Belange) und damit notwendig zugleich für die Zurückstellung aller anderen betroffenen Ge- sichtspunkte zu entscheiden. Soweit Ziele, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers in Rede stehen, hat das Landesverfassungsgericht darauf zu achten, ob diese offensichtlich oder eindeutig widerlegbar sind oder ob sie den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ord- nung widersprechen (zum Ganzen: LVerfG, Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 19 ff. des Internetauftritts; Urt. v. 31.05.1994 – LVG 1/94 –, LKV 1995, 75 [79 f.]; Urt. v. 25.06.2007
– LVG 8/06 –, RdNr. 75 des Internetauftritts; ebenso BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 – 2 BvR
165/75 –, BVerfGE 50, 50 [51] zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG).
{RN:5}
Das Landesverfassungsgericht hat auch zu prüfen, ob die angegriffene gesetzgeberische Neugliederungsmaßnahme den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt und frei von willkürli- chen Erwägungen ist. Allerdings kommt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur in seiner durch legislatorische Beurteilungs- und Prognosespielräume relativierten Geltungskraft zur Anwendung (Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht,
2003, S. 186 ff.). Hat der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurtei- lung des erreichbaren Materials orientiert, so ist seine Prognose im Hinblick auf Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahme, aber auch hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – abgesehen von Fällen evident fehlsamer Einschätzung – als inhaltlich vertretbar anzusehen (zum Ganzen LVerfG, Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 23 ff. des Inter- netauftritts m.w.N.).
{RN:6}
Gemessen an diesen Anforderungen wird der von der Beschwerdeführerin angegriffene
§ 2 Abs. 2 GemNeuglG BLK der Selbstverwaltungsgarantie der Art. 2 Abs. 3, 87 LVerf ge- recht.
{RN:7}
Der Gesetzgeber hat dem verfassungsrechtlich bestehenden Anhörungsgebot Genüge getan.
Das kommunale Selbstverwaltungsrecht aus Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf garan- tiert Gemeinden, dass ihr Gebietsbestand nur nach vorheriger Anhörung und ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls verändert werden darf und sie nur in diesem Rahmen aufge- löst werden dürfen (LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, RdNr. 98 des Internetauftritts m.w.N.). Art. 90 S. 2 LVerf gestaltet einen Teilaspekt dieser Garantie aus, indem er be- stimmt, dass das Nähere, insbesondere zur Anhörung der betroffenen Kommunen und Einwohner, durch ein Gesetz geregelt wird. Die dieser Vorgabe folgenden einfachgesetzlichen Regelungen sind insoweit Teil der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie und können im Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht als verletzt gerügt werden (vgl. LVerfG, Urt. v. 31.08.2011 – LVG 43/10 –, RdNr. 10 des Internetauftritts m.w.N.). Entsprechende Regelungen finden sich in § 17 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen- Anhalt – GO LSA – in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.08.2009 (GVBl. S. 383) sowie in § 55 des Kommunalwahlgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt – KWG LSA – in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.02.2004 (GVBl. S. 92), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.02.2008 (GVBl. S. 40). Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 GO LSA müssen bei Änderungen der Gemeindegrenzen durch Gesetz gegen den Willen der beteiligten Gemeinden
neben den betroffenen Gemeinden auch die Bürger gehört werden, die in dem unmittelbar betroffenen Gebiet wohnen. Gemäß § 55 S. 2 KWG LSA finden auf die Durchführung der Anhörung der Bürger bei Gebietsänderungen nach der GO LSA die Bestimmungen für die Wahl des Bürgermeisters und des Landrates mit Ausnahme der §§ 50 bis 53 KWG LSA ent- sprechende Anwendung. Weitere Anforderungen an die Durchführung der Bürgeranhörung ergeben sich aus der auf der Grundlage des § 68 Abs. 1 KWG LSA erlassenen Kommunal- wahlordnung für das Land Sachsen-Anhalt – KWO LSA – vom 24.02.1994 (GVBl. S. 338), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.02.2009 (GVBl. S. 54), vgl. § 1 S. 2 KWO LSA. Die vorgenannten Vorschriften, wie auch die Verfassung selbst, enthalten jedoch keine Best- immungen über die Bekanntgabe des gebietsändernden Gesetzentwurfes nebst dessen Be- gründung.
{RN:8}
Für die ordnungsgemäße Anhörung der Einwohner ist ein Verfahren erforderlich, das wirk- sam genug ist, um dem Zweck der Bürgeranhörung zu entsprechen. Zweck der Anhörung ist es, dem Gesetzgeber ein authentisches Meinungsbild der Einwohner zur geplanten Gebiets- änderung zu verschaffen. Hierfür muss sicher gestellt sein, dass die Äußerungsberechtigten vor der Anhörung in zumutbarer Weise tatsächlich Kenntnis von dem Neugliederungsvorha- ben erhalten können. Die Information der Äußerungsberechtigten muss dabei so rechtzeitig erfolgen, dass eine sachgerechte Meinungsbildung möglich ist (vgl. ThürVerfGH, Urt. v.
01.03.2001, – VerfGH 20/00 –, RdNr. 78 m.w.N. – juris). Hierbei müssen die Einwohner der von der Gebietsänderung betroffenen Gemeinde in der Lage sein, alle Argumente sorgfältig abwägen zu können, die für und gegen die geplante Neugliederungsmaßnahme sprechen. Um sich eine fundierte Meinung bilden zu können, müssen die betroffenen Einwohner dabei zwar nicht von allen Einzelheiten, zumindest aber vom wesentlichen Inhalt des Gebietsände- rungsvorhabens und seiner Begründung Kenntnis erlangen können (vgl. zur Information von Kommunen bei Anhörungspflichten: LVerfG, Urt. v. 31.05.1994 – LVG 2/93 –, LVerfGE 2,
227 [255] m.w.N.; siehe weiter BVerfG, Beschl. v. 17.01.1979 – 2 BvL 6/76 –, BVerfGE 50,
195 [203]; Beschl. v. 12.05.1992 – 2 BvR 470, 650, 707/90 –, BVerfGE 86, 90 [107 f.]; StGH BW, Urt. v. 14.02.1975 – Gesch.Reg. Nr. 11/74 –, ESVGH 25, 1 [26]; VerfGH NW, Urt. v.
24.04.1970 – VGH 13/69 –, OVGE 26, 270 [274 f]). Das LVerfG hat insoweit bereits ent- schieden, dass jedenfalls eine Auslegung des Gesetzentwurfs nebst dessen Begründung für lediglich 13 Tage den äußerungsberechtigten Bürgern der von einer Gebietsänderung be- troffenen Gemeinde keine so rechtzeitige Informationsmöglichkeit gewährleistet, dass – ne- ben der Einsichtnahme in den Gesetzentwurf und seine Begründung – noch eine sachge- rechte Meinungsbildung bis zum Termin der Bürgeranhörung möglich ist (vgl. LVerfG, Urt. v.
31.08.2011 – LVG 43/10 –, RdNr. 14 ff. des Internetauftritts). Hier liegt der Fall anders.
{RN:9}
Die Bürger der Beschwerdeführerin sind zu der in Rede stehenden Gebietsänderung angehört worden. Ebenso hat im Gesetzgebungsverfahren eine Anhörung der Beschwerde- führerin zu der beabsichtigten Maßnahme stattgefunden.
{RN:10}
Die Bürgeranhörung ist nicht bereits deshalb fehlerhaft, weil der Gesetzestext zu der von der Beschwerdeführerin angegriffenen Neugliederung nicht im Amtsblatt der Verwaltungsge- meinschaft Saaletal öffentlich bekannt gemacht worden ist. Von Verfassungs wegen ist eine solche Veröffentlichung nicht geboten. Die Bürger der Beschwerdeführerin haben vor der Anhörung in zumutbarer Weise tatsächlich Kenntnis von dem Neugliederungsvorhaben er- halten können, auch wenn der insoweit maßgebliche Gesetzestext entgegen der Ankündigung im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal vom 19.10.2009 später nicht im Amtsblatt abgedruckt worden ist. Für die Bürger der Beschwerdeführerin war durch den im Amtsblatt vom 19.10.2009 erfolgten Abdruck der in der Bürgeranhörung am 20.12.2009 ge- stellten Frage „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Wengelsdorf in die Stadt Weißenfels ein- gemeindet wird?“ ohne Weiteres ersichtlich, was Inhalt des (geänderten) Gesetzesentwurfes ist. Außerdem hat der Gesetzestext nach dem Vorbringen der Landesregierung ab dem 19.10.2009 – dem Tag der öffentlichen Bekanntmachung des neuen Anhörungstermins und der Anhörungsfrage – im gemeinsamen Verwaltungsamt der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal ausgelegen.
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Die Durchführung der Bürgeranhörung zu der streitgegenständlichen Neugliederungsent- scheidung begegnet auch nicht unter dem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich durchgreifen- den Beanstandungen, dass nach der am 19.10.2009 erfolgten öffentlichen Bekanntmachung des neuen Anhörungstermins und der geänderten Anhörungsfrage noch bis zum 28.10.2009 die Unterlagen zu dem ursprünglichen – nunmehr nicht mehr aktuellen – Gesetzesentwurf in der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal ausgelegen haben, der noch eine Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Lützen vorsah. Für an den Gründen des Gesetzgebers für die beabsichtigte Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Weißenfels interessierte Bürger war jedenfalls aufgrund der am 19.10.2009 öffentlich bekannt gegebenen unmissver- ständlichen Frage zur Bürgeranhörung unschwer erkennbar, dass die bis zum 28.10.2009 ausgelegten Gesetzesunterlagen nicht mehr aktuell gewesen sind. Zwischen der Auslegung der aktuellen, die Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Weißenfels betreffen- den Gesetzesmaterialien am 29.10.2009 und dem Termin der Bürgeranhörung am
20.12.2009 lagen noch knapp zwei Monate. In dieser Zeit wäre es interessierten Bürgern der Beschwerdeführerin mit zumutbarem Aufwand möglich gewesen, in die „richtigen“ Geset- zesunterlagen Einblick zu nehmen und sich eine sachgerechte Meinung zu dem beabsichtig- ten geänderten Gesetzesvorhaben zu bilden. Im Übrigen hat die Bürgermeisterin der Be- schwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, die Auslegung der richtigen Gesetzesentwurfsunterlagen habe sich in der Gemeinde herumgesprochen.
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Die Auflösung der Beschwerdeführerin und ihre Eingemeindung in die Stadt Weißenfels sind auch in materieller Hinsicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
{RN:13}
Der Gesetzgeber hat den für die streitgegenständliche Gebietszuordnung erhebli- chen Sachverhalt umfassend ermittelt. Die der angegriffenen Entscheidung zugrunde geleg- ten Tatsachen sind in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 5/2405, S. 54-108) dargestellt. Ent- gegen der Auffassung der Beschwerdeführerin musste der Gesetzgeber keine Feststellun- gen dazu treffen, dass die angegriffene Zuordnung die Leistungsfähigkeit der Stadt Weißen- fels als Mittelzentrum steigert und zur Lösung einer Stadt-Umland-Problematik beiträgt. Es ist ausreichend, dass der Gesetzgeber bei seiner Neuzuordnungsentscheidung vom Beste- hen enger Verflechtungsbeziehungen zwischen den Gemeinden Burgwerben und Tagewer- ben, die wie die Beschwerdeführerin Mitgliedsgemeinden der ehemaligen Verwaltungsge- meinschaft Saaletal gewesen sind, und dem Mittelzentrum Weißenfels ausgegangen ist. Diese Annahmen des Gesetzgebers sind nicht offensichtlich fehlerhaft (vgl. LVerfG, Urt. v.
27.04.2012 – LVG 51/10 –, in dem die Gemeinde Burgwerben betreffenden kommunalen
Verfassungsbeschwerdeverfahren). Außerdem hat der Gesetzgeber zutreffend ermittelt, dass die für die Beschwerdeführerin bestehenden Zuordnungsalternativen aufgrund ihrer
besonderen geografischen Lage davon abhängen, wie die angrenzende Gemeinde Groß- korbetha zugeordnet wird. Die Beschwerdeführerin grenzt im Norden und im Osten an den Landkreis Saalekreis und hat allein über die südlich und westlich angrenzende Gemeinde Großkorbetha eine räumliche Anbindung an andere Teile des Burgenlandkreises. Ob der Gesetzgeber auf der Grundlage des von ihm ermittelten Sachverhalts annehmen durfte, dass die von der Beschwerdeführerin angegriffene Zuordnung zu einer Stärkung der Leis- tungsfähigkeit der Stadt Weißenfels als Mittelzentrum führt und zur Lösung einer Stadt- Umland-Problematik beiträgt, betrifft dagegen die Frage, ob die Abwägung der vom Gesetz- geber ermittelten Gemeinwohlbelange auf sachgerechten Erwägungen beruht.
{RN:14}
Überdies hat der Gesetzgeber seinen Überlegungen auch die Einwohnerzahlen der Be- schwerdeführerin sowie der übrigen Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saa- letal zugrunde gelegt, die im Rahmen der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform keine leitbildgerechten Gemeindestrukturen gebildet haben. Ebenso hat er die von der Be- schwerdeführerin angeführte geografische Lage sowohl der Beschwerdeführerin als auch der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal in seine Betrachtungen einbezogen. Welche Schluss- folgerungen der Gesetzgeber daraus gezogen hat, ist keine Frage der Ermittlung des für die Neuordnungsentscheidung relevanten Sachverhaltes, sondern der Abwägung der für und gegen die angegriffene Maßnahme sprechenden Gesichtspunkte.
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Die angegriffene Zuordnung der Beschwerdeführerin beruht auch auf tragfähigen Gründen des Gemeinwohls. Sie ist Bestandteil der landesweiten Gemeindegebietsreform zur Schaffung dauerhaft leistungsfähiger Gemeindestrukturen im Land Sachsen-Anhalt (vgl. Ge- setzesbegründung, LT-Drs. 5/2405, S. 5), für welche der Gesetzgeber im GemNeuglGrG ein Leitbild und einzelne Leitlinien aufgestellt hat. Das Landesverfassungsgericht hat diese den Rahmen des Reformprozesses bildenden Regelungen zur Verwirklichung der Ziele der lan- desweiten Gemeindegebietsreform verfassungsrechtlich nicht beanstandet, weil sie ihrer- seits auf tragfähige Gemeinwohlgesichtspunkte gestützt sind und den Anforderungen der Art. 2 Abs. 3, 87 LVerf entsprechen (vgl. LVerfG, Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 14 ff. des Internetauftritts). Die Zielvorstellungen des GemNeuglGrG und die dort normierten Kriterien für deren Umsetzung erlangen auch Bedeutung für die verfassungsrechtliche Beur- teilung der streitgegenständlichen konkreten Neugliederungsmaßnahme. Denn hat der Ge- setzgeber – wie hier mit dem GemNeuglGrG – ein Leitbild und einzelne Kriterien für eine das Land insgesamt umfassende Neuordnung festgelegt, ist er – will er nicht gegen das Willkür- verbot verstoßen – an die von ihm selbst gefundenen Maßstäbe gebunden (LVerfG, Urt. v.
31.05.1994 – LVG 1/94 –, LKV 1995, 75 [79] m.w.N.; Urt. v. 10.05.2011 – LVG 24/10 –, RdNr. 8 des Internetauftritts).
Ausgehend davon ist auch die von der Beschwerdeführerin angegriffene Zuordnungsent- scheidung als am Gemeinwohl orientiert anzusehen. § 2 Abs. 2 GemNeuglG BLK steht im Einklang mit dem vom Gesetzgeber zur Schaffung leistungsfähiger Gemeindestrukturen auf- gestellten Leitbild sowie den Leitlinien des GemNeuglGrG. Die Beschwerdeführerin hatte zu dem nach § 2 Abs. 10 GemNeuglGrG maßgeblichen Stichtag (31.12.2005) lediglich 917
Einwohner. Damit war sie als nicht selbständig leistungsfähig anzusehen. Nach § 2 Abs. 3
GemNeuglGrG sollen Einheitsgemeinden mindestens 10.000 Einwohner haben (Satz 1). In Landkreisen, in denen die durchschnittliche Bevölkerungsdichte weniger als 70 Einwohner je Quadratkilometer beträgt oder wenn eine besondere geografische Lage die Bildung einer
leistungsfähigen Einheitsgemeinde mit 10.000 Einwohnern ausschließt, sollen Einheitsge- meinden mindestens 8.000 Einwohner haben (Satz 2). Diese Mindesteinwohnerzahlen hat die Beschwerdeführerin deutlich unterschritten.
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Die vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung der für und gegen die Auflösung und Zuordnung der Beschwerdeführerin sprechenden Belange lässt ebenfalls keine verfas- sungsrechtlich zu beanstandenden Fehler erkennen.
Zunächst ist es als sachgerecht anzusehen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Abwägung nicht nur die neu zu gliedernden Mitgliedsgemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal losgelöst voneinander betrachtet, sondern zugleich die Verwaltungsge- meinschaft insgesamt in den Blick genommen hat (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs.
5/2405, S. 83 f., 107). Dies ist in Fällen, in denen – wie hier – ein struktureller Neugliede-
rungsbedarf in Bezug auf mehrere Gemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft besteht, auch geboten, weil Einheitsgemeinden nach dem vom Gesetzgeber aufgestellten Leitbild für die Neuordnung der Gemeindestrukturen im Land Sachsen-Anhalt und den Leitlinien des Gem- NeuglGrG vorrangig durch benachbarte Gemeinden derselben Verwaltungsgemeinschaft gebildet werden sollen (vgl. § 2 Abs. 2 GemNeuglGrG).
{RN:17}
Vorliegend hat der Gesetzgeber von der Bildung einer Einheitsgemeinde aus den Mitglieds- gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal jedoch abgesehen, da diese zum maß- geblichen Stichtag (31.12.2005) die § 2 Abs. 3 S. 1 und 2 GemNeuglGrG normierten Min- desteinwohnerzahlen unterschritten haben. Dabei durfte der Gesetzgeber seiner Betrach- tung allein die Einwohnerzahlen der Beschwerdeführerin sowie der Gemeinden Burgwerben, Großkorbetha, Reichardtswerben, Schkortleben, Storkau und Tagewerben – insgesamt
7.353 Einwohner – zugrunde legen. Zwar gehörten der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal ursprünglich auch die Gemeinden Goseck und Uichteritz an, mit denen die Verwaltungsge- meinschaft über insgesamt 9.940 Einwohner verfügt hat. Hiervon ausgehend wäre die Bil- dung einer Einheitsgemeinde aus den Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal grundsätzlich möglich gewesen, da § 2 Abs. 3 S. 3 GemNeuglGrG eine geringfügige Unter- schreitung der nach Satz 1 der Vorschrift maßgeblichen Einwohnerzahl zulässt, wenn Um- stände des Einzelfalls die Annahme rechtfertigen, dass eine dauerhafte Leistungsfähigkeit erreicht wird. Allerdings haben die Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saale- tal von der ihnen durch § 2 Abs. 2 GemNeuglGrG eingeräumten Möglichkeit, bis zum
30.06.2009 eine solche leitbildgerechte Struktur freiwillig durch Abschluss entsprechender
Gebietsänderungsvereinbarungen zu bilden, keinen Gebrauch gemacht, da sie kein Einver- nehmen über eine verwaltungsgemeinschaftsinterne Neugliederung haben erzielen können. Daraufhin haben die Gemeinden Goseck und Uichteritz gegen Ende der sog. Freiwilligkeits- phase der Gemeindegebietsreform Gebietsänderungsvereinbarungen mit Gemeinden ge- schlossen, die nicht der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal angehörten. Die Vereinbarung der Gemeinde Goseck mit Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Unstruttal über die Bildung einer Verbandsgemeinde ist vom Ministerium des Innern des Landes Sachsen- Anhalt unter dem 25.06.2009 genehmigt worden. Dem von der Gemeinde Uichteritz mit der Stadt Weißenfels geschlossenen Gebietsänderungsvertrag über eine Eingemeindung in die Stadt Weißenfels hat der Landkreis Burgenlandkreis unter dem 10.08.2009 die Genehmi- gung erteilt. Diese Genehmigungen sind bestandskräftig geworden, mit der Folge, dass der Gesetzgeber der von der Beschwerdeführerin angegriffenen Neugliederungsentscheidung
das Ausscheiden der Gemeinden Goseck und Uichteritz aus der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal zugrunde legen musste. Ob die den freiwilligen Gebietsänderungsvereinbarungen der Gemeinden Goseck und Uichteritz erteilten Genehmigungen angesichts der Folge, dass die übrigen Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal miteinander keine leitbildgerechten Strukturen mehr haben bilden können, rechtmäßig waren, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Das Landesverfassungsgericht ist nicht dazu berufen, einen Akt der Exekutive am Maßstab der Landesverfassung zu prüfen. Zulässiger Gegenstand der kom- munalen Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist lediglich ein förmliches Lan- desgesetz (vgl. Art. 75 Nr. 7 LVerf, §§ 2 Nr. 8, 51 Abs. 1 LVerfGG), hier § 2 Abs. 2 Gem- NeuglG BLK.
{RN:18}
Es bestand auch kein Anlass für den Gesetzgeber, von den im GemNeuglGrG festgelegten Mindesteinwohnerzahlen abzuweichen und eine Einheitsgemeinde aus den Gemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal ohne die Gemeinden Goseck und Uichteritz zu bilden.
Zwar lässt der Wortlaut des § 2 Abs. 3 S. 2 GemNeuglGrG („sollen“) erkennen, dass die dort genannte Mindesteinwohnerzahl von 8.000 für Einheitsgemeinden in Landkreisen, in denen die durchschnittliche Bevölkerungsdichte weniger als 70 Einwohner je Quadratkilometer be- trägt, oder wenn eine besondere geografische Lage die Bildung einer leistungsfähigen Ein- heitsgemeinde mit 10.000 Einwohnern ausschließt, keine absolut vorgegebene Größe dar- stellt. Nach § 2 Abs. 3 S. 3 GemNeuglGrG dürfen die nach den Sätzen 1 und 2 dieser Vor- schrift maßgeblichen Einwohnerzahlen geringfügig unterschritten werden, wenn Umstände des Einzelfalls die Annahme rechtfertigten, dass die dauerhafte Leistungsfähigkeit der neu gebildeten Einheitsgemeinde erreicht wird. Diese einfachgesetzliche Regelung entfaltet nach ihrer systematischen Stellung im GemNeuglGrG eine Bindungswirkung nur für die sog. Frei- willigkeitsphase der Gemeindegebietsreform, in der die Gemeinden die Gelegenheit hatten, im Wege freiwillig vereinbarter Gebietsänderungen leitbildgerechte Strukturen zu bilden. Für den Vollzug der Gemeindegebietsreform gegen den Willen einzelner Gemeinden bestimmt
§ 2 Abs. 9 GemNeuglGrG, dass Gemeinden, die – wie hier die Beschwerdeführerin und sechs weitere Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal – der Kommu- nalaufsicht bis zum 30.06.2009 keine genehmigungsfähige Vereinbarung über die Bildung einer Einheitsgemeinde oder einer Verbandsgemeinde vorgelegt haben, durch Gesetz zu Einheitsgemeinden zusammengeschlossen werden. Eine unmittelbare Anwendbarkeit der für die Freiwilligkeitsphase geltenden Maßstäbe des GemNeuglGrG auf die gesetzlichen Neu- gliederungsmaßnahmen sieht § 2 Abs. 9 GemNeuglGrG nicht vor. Das mit dem GemNeu- glGrG normierte Leitbild, welches insbesondere in den festgelegten Regelmindesteinwoh- nerzahlen zum Ausdruck kommt, und die Leitlinien für die das gesamte Land Sachsen- Anhalt umfassende Neuordnung der Gemeindestrukturen erlangen rechtliche Bedeutung für die gesetzliche Neugliederung vielmehr über die aus dem Gleichheitssatz und dem Rechts- staatsprinzip abzuleitende Selbstbindung des Gesetzgebers (Grundsatz der Systemgerech- tigkeit). Diese Selbstbindung setzt möglichen Abweichungen von dem festgelegten Leitbild und dem mit den Leitlinien aufgestellten System zur Umsetzung der Zielvorstellungen der landesweiten Gemeindegebietsreform deutlich weniger enge Grenzen als die einfachgesetz- liche Regelung des § 2 Abs. 3 S. 3 GemNeuglGrG. Der Gesetzgeber darf das von ihm ge- fundene System lediglich nicht willkürlich verlassen. Er ist somit nicht aus verfassungsrecht- lichen Gründen daran gehindert, aus sachlichen, grundsätzlich am Leitbild und den Leitlinien
der Reform ausgerichteten Erwägungen für einzelne Gemeinden eine Lösung zu finden, die den Rahmen der leitenden Gesichtspunkte dort verlässt, wo dies angebracht ist (vgl. zum Vorstehenden: LVerfG, – LVG 1/94 –, LKV 1995, 75 [79]; Urt. v. 21.04.2009 – LVG 12/08 –, RdNr. 46 des Internetauftritts; Urt. v. 16.06.2011 – LVG 49/10 –, RdNr. 22 f. des Internetauf- tritts; ThürVerfGH, Urt. v. 18.12.1996 – VerfGH 2/95 und 6/95 –, LVerfGE 5, 391 [422]).
{RN:19}
Allein daraus, dass der Gesetzgeber aus sachlichen Gründen von den von ihm gefundenen Maßstäben – hier der Mindesteinwohnerzahl für Einheitsgemeinden – abweichen darf, folgt indes kein Anspruch der betroffenen Gemeinden wie der Beschwerdeführerin darauf, dass der Gesetzgeber für sie eine vom gesetzgeberischen Leitbild und den Leitlinien des Gem- NeuglGrG abweichende Lösung findet. Der Gesetzgeber kann vielmehr aufgrund des ihm im Hinblick auf gemeindliche Neugliederungen zustehenden Gestaltungsspielraums anderen Neugliederungslösungen, die zur Umsetzung der Zielvorstellungen der landesweiten Ge- meindegebietsreform geeignet erscheinen, den Vorzug einräumen. So verhält es sich hier.
{RN:20}
Es ist sachgerecht, dass der Gesetzgeber bei der Frage, wie er die verbliebenen Gemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal einschließlich die Beschwerdeführerin in leistungsfähige Gemeindestrukturen überführen kann, auch die Situation im Bereich des an- grenzenden Mittelzentrums Weißenfels in seine Erwägungen einbezogen hat. Die Gemein- degebietsreform soll nicht nur in der Zukunft leistungsfähige Gemeindestrukturen schaffen, sondern auch einen Beitrag zur Lösung von Stadt-Umland-Problemen leisten, die aufgrund bestehender Verflechtungsbeziehungen zwischen Mittelzentren und den unmittelbar angren- zenden Gemeinden bestehen (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 GemNeuglGrG). Der Gesetzgeber ist prognostisch davon ausgegangen, dass die Eingemeindung der Beschwerdeführerin und der übrigen Gemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal, die in der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform keine leitbildgerechten Strukturen gebildet haben, in das Mittelzentrum Weißenfels zur Bewältigung bestehender Stadt-Umland-Probleme beiträgt. Er hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass im Rahmen von sowohl im Zeitraum
2001/2002 als auch zu Beginn des Jahres 2007 durchgeführten Untersuchungen der Stadt-
Umland-Verhältnisse im Land Sachsen-Anhalt enge Verflechtungsbeziehungen zwischen den Gemeinden Burgwerben und Tagewerben, die gemeinsam über mehr als ein Viertel der Einwohnerschaft der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal verfügten, und dem unmittelbar an diese Gemeinden angrenzenden Mittelzentrum Weißenfels festgestellt worden sind. Ob durch die Eingemeindung dieser Gemeinden sowie der übrigen Mitgliedsgemeinden der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Saaletal – einschließlich der Beschwerdeführerin – tatsächlich ein Beitrag zur Lösung bestehender Stadt-Umland-Probleme mit dem Mittelzent- rum Weißenfels geleistet wird, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Wie bereits ausge- führt, überprüft das LVerfG Wertungen des Gesetzgebers ebenso wie dessen Prognosen lediglich darauf, ob diese offensichtlich und eindeutig widerlegbar sind. Dies ist hier nicht der Fall. Die insoweit angestellten Erwägungen des Gesetzgebers sind zumindest nicht offen- sichtlich fehlerhaft.
{RN:21}
Der Gesetzgeber hat sich bei der von der Beschwerdeführerin angegriffenen Neugliede- rungsentscheidung zudem sachgerecht davon leiten lassen, dass die Gemeinden der Ver- waltungsgemeinschaft Saaletal keinen gemeinsamen Willen zur Schaffung einer Einheits- gemeinde haben bilden können. Zugleich hat er durch die gemeinsame Zuordnung der am Ende der Freiwilligkeitsphase verbliebenen Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemein-
schaft Saaletal zur Stadt Weißenfels die örtlichen Verbundenheiten und Verflechtungen be- rücksichtigt, die sich in der Vergangenheit zwischen diesen Gemeinden und deren Bürgern aufgrund der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Verwaltungsgemeinschaft entwickelt ha- ben.
{RN:22}
Demgegenüber hatte der Gesetzgeber keinen Anlass, eine Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Lützen in seine Erwägungen einzubeziehen. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf für eine gesetzliche Neugliederung der ehemaligen Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Saaletal sei ihre Eingemeindung in die Stadt Lützen noch als alternativlos dargestellt worden, lag diesen Erwägungen des Gesetzgebers die von der Gemeinde Großkorbetha gegen Ende der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform bekundete Absicht zugrunde, eine Gebietsänderungsvereinbarung mit der Stadt Lützen zu schließen. Aufgrund ihrer be- sonderen räumlichen Lage hätte die Beschwerdeführerin der Gemeinde Großkorbetha durch eine entsprechende gesetzliche Zuordnung in die Stadt Lützen nachfolgen müssen. Die Be- schwerdeführerin besitzt allein über die Gemeinde Großkorbetha eine räumliche Anbindung an andere Gebietsteile des Burgenlandkreises. Ein freiwilliger Zusammenschluss der Ge- meinde Großkorbetha mit der Stadt Lützen ist jedoch nicht zustande gekommen. Der Ge- setzgeber hat zwar die Möglichkeit einer gesetzlichen Zuordnung der Gemeinde Großkor- betha zur Stadt Lützen erwogen, diese Neugliederungsmöglichkeit aber in Ausübung des ihm insoweit eingeräumten Gestaltungsspielraums aus sachlichen Erwägungen verworfen und den für eine Zuordnung der Gemeinde Großkorbetha zur Stadt Weißenfeld sprechenden sachlichen Erwägungen in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Vorrang vor anderen sich bietenden Zuordnungsmöglichkeiten eingeräumt (vgl. ausführlich hierzu LVerfG, Urt. v. 27.04.2012 – LVG 28/10 –). Damit bestand aber auch im Hinblick auf die Be- schwerdeführerin keine andere Zuordnungsmöglichkeit innerhalb des Burgenlandkreises als eine gemeinsame Eingemeindung mit der Gemeinde Großkorbetha in die Stadt Weißenfels.
{RN:23}
Insbesondere ist nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber eine Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Bad Dürrenberg als alterna- tive Möglichkeit zu der streitgegenständlichen Neugliederungsentscheidung ausgeschlossen hat. Nach § 2 Abs. 2 GemNeuglGrG sollen Einheitsgemeinden durch benachbarte Gemein- den desselben Landkreises gebildet werden. Diesen Grundsätzen hätte eine Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die zum Landkreis Saalekreis gehörende Stadt Bad Dürrenberg nicht entsprochen. Zwar schließt § 2 Abs. 2 GemNeuglGrG seinem Wortlaut nach („sollen“) die Zuordnung einer Gemeinde zu einer benachbarten Gemeinde eines anderen Landkrei- ses nicht gänzlich aus. Allerdings ist es angesichts des insoweit eröffneten Beurteilungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn dieser sich bei der konkreten Neugliederung aus sachgerechten Erwägungen für eine vor- rangige Umsetzung der für die Gemeindegebietsreform abstrakt formulierten Leitbilder und Leitlinien am Maßstab des gesetzlichen Regelfalls – hier Bildung von Einheitsgemeinden desselben Landkreises – entscheidet. Die Erwägungen, die der Gesetzgeber seiner ableh- nenden Haltung gegenüber der von der Beschwerdeführerin bevorzugten Zuordnung zur Stadt Bad Dürrenberg zugrunde gelegt hat sind sachgerecht. Die Landkreisstruktur ist erst
01.07.2007 neu gebildet worden. Infolgedessen sollten die Landkreisgrenzen unberührt blei-
ben (vgl. LT-Drs. 5/2405, S. 95; LVerfG, Urt. v. 31.08.2011 – LVG 45/10 –, RdNr. 19 des
Internetauftritts; Urt. v. 27.04.2012 – LVG 51/10 –).
{RN:24}
Lagen sachgerechte Erwägungen für eine Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Stadt Weißenfels anstelle der Bildung einer Einheitsgemeinde aus den am Ende der Freiwillig- keitsphase der Gemeindegebietsreform verbliebenen Gemeinden der Verwaltungsgemein- schaft Saaletal trotz Unterschreitens der im GemNeuglGrG festgelegten Mindesteinwohner- zahlen vor, greift auch der Hinweis der Beschwerdeführerin nicht durch, andere Einheitsge- meinden des Landes Sachsen-Anhalt unterschritten die Mindesteinwohnerzahl von 8.000
Einwohnern in einem vergleichbaren Umfang wie eine aus den verbliebenen Gemeinden der
Verwaltungsgemeinschaft Saaletal gebildete Einheitsgemeinde.
{RN:25}
Beruht die angegriffene Entscheidung des Gesetzgebers nach alledem auf einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung und Abwägung, ist der hiermit verbundene Ein- griff in das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin auch nicht unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit seiner hier – wie dargelegt – nur eingeschränkt zur Anwendung gelangenden Geltungskraft.
{RN:26}
Die Verfassungsbeschwerde bleibt auch insoweit erfolglos, als die Beschwerdeführerin sich gegen § 9 Abs. 4 S. 1 und 2 GebRefAusfG wendet.
Nach Art. 89 S. 1 LVerf muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmit- telbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Die existierende Ge- meindevertretung der die Beschwerdeführerin aufnehmenden Stadt Weißenfels entspricht diesen Anforderungen. Zwar ist der Gemeinderat der Stadt Weißenfels mangels Anordnung einer Neuwahl nach der erfolgten gesetzlichen Zuordnung mehrerer Gemeinden – darunter die Beschwerdeführerin – nicht von den Bürgern der hinzukommenden Gemeinden gewählt worden. Eine Repräsentation der Einwohner der aufgelösten Gemeinden im Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde wird aber dadurch herbeigeführt, dass dieser Gemeinderat nach § 9 Abs. 1 S. 1 GebRefAusfG im Verhältnis zur Einwohnerzahl der eingemeindeten Gemeinde, mindestens jedoch um ein Gemeinderatsmitglied – und zwar aus der Mitte der entweder in einen Ortschaftsrat überführten oder aufgelösten Gemeindevertretung (vgl. § 9
Abs. 4 GebRefAusfG) – erweitert wird.
Diese Entsenderegelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. LVerfG, Urt. v.
20.01.2011 – LVG 22/10).
{RN:27}
Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Entsenderegelung ergeben sich auch nicht dar- aus, dass § 9 Abs. 4 GebRefAusfG – zwar nicht ausdrücklich, aber doch im Ergebnis – die Entsendung des ehemaligen Bürgermeisters, beziehungsweise im Fall der Einführung einer Ortschaftsverfassung, des Ortsbürgermeisters in den Gemeinderat der aufnehmenden Ge- meinde zulässt. Insoweit wendet die Beschwerdeführerin ohne Erfolg ein, der Bürgermeister sei für die Repräsentation der Einwohner der aufgelösten Gemeinde nicht geeignet, da er funktionell nur Verwaltungsorgan und – anders als der Gemeinderat – nicht Volksvertretung sei. Für die Frage der hinreichenden demokratischen Legitimation des entsendeten Vertre- ters der aufgelösten Gemeinde ist entscheidend, ob diese Person unmittelbar von den wahl- berechtigten Bürgern der Gemeinde gewählt worden ist. Dies ist nach § 58 Abs. 1 S. 1 GO LSA im Hinblick auf den Bürgermeister ebenso wie nach § 37 Abs. 1 S. 1 GO LSA hinsicht- lich des Gemeinderates der Fall. Ungeachtet dessen ist der ehrenamtliche Bürgermeister –
worauf auch die Beschwerdeführerin hinweist – Teil des Gemeinderates, namentlich dessen
Vorsitzender (vgl. § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GO LSA). Wird er auf der Grundlage des § 9
Abs. 4 GebRefAusfG aus der Mitte des in einen Ortschaftsrat überführten oder anschließend aufgelösten Gemeinderats der gesetzlich zugeordneten Gemeinde in den Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde entsandt, nimmt er diese Aufgabe auch als Mitglied des Gemein- derates der aufgelösten Gemeinde und nicht lediglich – wie die Beschwerdeführerin meint – in seiner Funktion als Leiter der Gemeindeverwaltung (vgl. § 63 Abs. 1 GO LSA) wahr (so bereits LVerfG, Beschl. v. 20.01.2011 – LVG 80/10 –, RdNr. 8 des Internetauftritts; Urteil vom 27.04.2012 – LVG 51/10).
{RN:28}
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LVerfGG. Das Verfahren bleibt in vollem
Umfang erfolglos. Gründe im Sinne des § 32 Abs. 3 LVerfGG, gleichwohl die Erstattung der
Auslagen der Beschwerdeführerin anzuordnen, sind nicht ersichtlich.

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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.