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Beschluss des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 17/94 Entscheidungsart: Beschluss Entscheidung vom: 11.07.1994
Verfahrensart Verfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften GG Art. 137 Abs 1
LSA-Verf Art. 89
LSA-Verf Art. 91 Abs 2
LSA-VerfGG § 31 Abs 1
LSA-LKO § 29 Abs 1 Nr 2
Schlagworte Anordnung, einstweilige - Gesetzesvollzug - Aussetzung, vorläufige - Amt - Mandat - Unvereinbarkeit - Ineligibilität - Wählbarkeit
Stichworte Beschluss
Leitsatz Einstweilige Anordnung: Vorläufige Aussetzung der die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat regelnden Gesetzesbestimmung wegen Gleichheitswidrigkeit
Fundstellen nicht veröffentlicht
Sonstiges (vorläufiger Rechtsschutz)
Zitiervorschlag VerfGSA, Beschluss vom 11.07.1994 - LVG 17/94 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Beschluss

in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 17/94

Tenor:

Der Vollzug des § 29 Absatz 1 Nummer 2 der Landkreisordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVBl., S. 598) i. d. F. des Art. 5 Nr. 7 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164 [170]) wird vorläufig ausgesetzt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Dem Antragsteller werden die notwendigen Auslagen erstattet, die für dieses Anordnungsverfahren entstanden sind.

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(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
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Gründe:

{T:I}

{RN:1}
Der Beschwerdeführer ist ... im Regierungspräsidium ... Er ist in den Kreistag ... gewählt.

{RN:2}
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt er u. a., § 29 Abs. 1 Nr. 2 LSA-LKO verletze ihn in seinem Wahlrecht. Bereits zuvor hatte er mit Schriftsätzen vom 27.6.1994 und vom 1.7.1994 um einstweiligen Rechtsschutz gebeten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfassungsbeschwerde sowie auf die genannten Schriftsätze Bezug genommen.

{RN:3}
§ 29 Abs. 1 Nr. 2 LSA-LKO schließt für alle Beamten und Angestellten der Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises sowie für Mitarbeiter mit Leitungsfunktionen bei der übergeordneten Kommunalaufsichtsbehörde (und beim Landesrechnungshof) aus, dass sie zugleich Mitglieder des Kreistags sein können; Nr. 1 derselben Bestimmung bezieht sich auf Mitarbeiter der Kreisverwaltung oder von Einrichtungen, auf welche der Kreis Einfluss hat.

{RN:4}
Mit Beschluss vom 10.6.1994 - LVG 14/94 - hat das Landesverfassungsgericht den Vollzug von Bestimmungen der Gemeindeordnung vorläufig ausgesetzt, in welchen die Unvereinbarkeit einer Tätigkeit in der Kreisverwaltung mit dem Bürgermeisteramt einer kreisgehörigen Gemeinde festgelegt ist; auf diese Entscheidung sowie auf §§ 40, 59 LSA-GO wird verwiesen.

{RN:5}
Der Minister des Innern hat sich am 7.7.1994 geäußert; auf seine Stellungnahme wird Bezug genommen.

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{T:II}

{RN:6}
Der Beschluss beruht auf § 31 Abs. 1 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes vom 23.8.1993 (LSA-GVBl., S. 441) - LSA-VerfGG -; Gegenstand des Antrags ist nach dem Schriftsatz vom 1.7.1994 nur noch der Vollzug des § 29 der Landkreisordnung - LSA-LKO -, nachdem das Innenministerium den Beschluss vom 10.6.1994 - LVG 14/94 - zum Anlass .genommen hat, klarzustellen, dass die Unvereinbarkeitsvorschriften der Gemeindeordnung zunächst nicht praktiziert werden.

{RN:7}
Als schwerwiegender Nachteil i. S. dieser Vorschrift hat zu gelten, dass der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die Bedeutung seiner hauptberuflichen Tätigkeit im Regierungspräsidium gezwungen sein könnte, die Wahl zum Mitglied des Kreistags nicht anzunehmen, ohne diese Ent-Scheidung später rückgängig machen zu können, falls sich die Verfassungswidrigkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 LSA-LKO in seiner gegenwärtigen Fassung herausstellen sollte. Umgekehrt kann er seine Entscheidung für Amt oder Mandat jederzeit noch treffen, wenn sich die Verfassungsbeschwerde als unbegründet erweisen sollte oder wenn der Gesetzgeber bei Änderung der Vorschriften eine Regelung trifft, die den Antragsteller erneut vor die Frage stellt, dem Kreistag anzugehören oder seinen Beruf weiter auszuüben.

{RN:8}
Der Beschwerdeführer ist durch die gesetzliche Regelung unmittelbar betroffen; die Entscheidung des Gesetzgebers über Unvereinbarkeiten zwischen Wahlamt und Beruf entfaltet Vorwirkungen bereits zum Zeitpunkt der Kandidatenaufstellung für das politische Amt (LVerfG LSA, Beschl. v. 10.6.1994 - LVG 14/94 -, S. 3).

{RN:9}
An der Verfassungsmäßigkeit des gegenwärtigen § 29 Abs. 1 Nr. 2 LSA-LKO, der mit den ähnlichen Regelungen sowohl für den Kreistag (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 LSA-LKO) als auch für die Gemeindevertretung oder das Bürgermeisteramt (§§ 40, 59 LSA-GO) in Beziehung zu setzen ist, bestehen verfassungsrechtliche Bedenken.

{RN:10}
Art. 89 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-Verf - vom 16.7.1992 (LSA-GVBl., S. 600) verlangt entsprechend dem Gebot des Art. 28 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes - GG -, dass die Volksvertretung in den Kommunen aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgegangen ist. Ausnahmen hiervon sind entsprechend Art. 137 Abs. 1 GG nach Art. 91 Abs. 2 LSA-Verf nur insoweit zulässig, als die Wählbarkeit von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes sowie von Richtern durch Gesetz beschränkt werden kann.

{RN:11}
Wie das Bundesverfassungsgericht für die bundesrechtlichen Vorschriften klargestellt hat, ist der Gestaltungsraum des Gesetzgebers für Ausnahmeregelungen eng; grundsätzlich hat jeder Gemeindebürger, welcher die Grundvoraussetzungen der Wählbarkeit erfüllt, das Recht, sich wählen zu lassen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 4.4.1978 - 2 BvR 1108/77 -, BVerfGE 48, 64 [81]). Die Ausnahmeregelungen dürfen demnach nur den Zweck verfolgen, Interessenkollisionen auszuschließen, die mit anderen Mitteln nicht oder nur schwer zu vermeiden sind (BVerfGE 48, 64 [89]; BVerfG, Beschl. v. 6.10.1981 - 2 BvR 384/81 -, BVerfGE 58, 177 [193]). Unabhängig von dieser Zweckbestimmung dürfen sie in der Sache den Grundsatz der Wahlgleichheit nicht verletzen (BVerfGE 58, 177 [193]).

{RN:12}
Überwiegendes spricht dafür, diese bundesrechtlichen Grundsätze als bindenden Inhalt auch der Landesverfassung anzusehen.

{RN:13}
Dem Grundsatz der Wahlgleichheit genügen die Vorschriften der Gemeindeordnung nicht, weil die Differenzierungen des § 40 LSA-GO in der Sache gleiche Sachverhalte ungleich behandeln (LVerfG LSA, Beschl. v. 10.6.1994, S. 4 f).

{RN:14}
§ 29 Abs. 1 Nr. 2 LSA-LKO erstreckt den Hinderungsgrund - insoweit § 40 Abs. 1 Nr. 2 LSA-GO vergleichbar - auf alle Mitarbeiter (im Beamten- oder Angestellten-Verhältnis) der (unmittelbar übergeordneten) Kommunalaufsichtsstelle. Differenzierungen wie bei den höheren Kommunalaufsichtsbehörden oder wie in den Fällen der Einrichtungen oder abhängigen juristischen Personen (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 LSA-LKO) sind nicht vorgenommen.

{RN:15}
Ohne Bedeutung für das gegenwärtige Verfahren ist, ob der Gesetzgeber den Antragsteller als Mitarbeiter mit Leitungsfunktionen verfassungsgemäß ausschließen dürfte; denn das Landesverfassungsgericht kann die Unvereinbarkeitsbestimmungen nur einheitlich suspendieren, weil es dem (allerdings durch den Ausnahmecharakter der Verfassungsermächtigung eingeschränkten) Gestaltungsraum des Gesetzgebers obliegt, welche Grenze er zieht. Sie wird dort zu suchen sein, wo sich die jeweiligen Ein-Zielkonflikte nach § 31 Abs. 4 LSA-LKO und § 31 LSA-GO so häufen, dass eine generalisierende Lösung erforderlich erscheint.

{RN:16}
Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 LSA-VerfGG.
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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.