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Urteil des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 18/94 Entscheidungsart: Urteil Entscheidung vom: 27.10.1994
Verfahrensart Verfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften LSA-Verf Art. 7 Abs 1
LSA-Verf Art. 8 Abs 1
LSA-Verf Art. 42 Abs 1
LSA-Verf Art. 75 Nr 6
LSA-Verf Art. 89
LSA-Verf Art. 91 Abs 2
LSA-VerfGG § 2 Nr 7
LSA-VerfGG § 41
LSA-VerfGG § 47
LSA-VerfGG § 49
LSA-VerfGG § 50
LSA-GO § 31
LSA-GO § 59 Abs 3
LSA-GO § 67
LSA-LKO § 31 Abs 4
LSA-LKO § 48 Abs 3
LSA-LKO § 56
Schlagworte Verfassungsrecht, verletztes - Ineligibilität - Unvereinbarkeit - Wahlrecht, passives - Gleichheitssatz, individueller - Gleichheitssatz, staatsbürgerlicher - Kommunalwahl - Verwandtschaft - Bürgermeister - Ratsmitgliedschaft - Teil-Nichtigkeit
Stichworte Urteil
Leitsatz 1. § 49 LSA-VerfGG verlangt nur die Angabe des verletzten Verfassungsrechts, nicht auch die Angabe einer bestimmten Verfassungsbestimmung. 2. Landesgesetzliche Regelungen von Unvereinbarkeiten in bezug auf die Ausübung kommunaler Mandate greifen unmittelbar i. S. des Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf in staatsbürgerliche Rechte ein. 3. Aus Art. 89 LSA-Verf, der auf Art. 42 Abs. 1 LSA-Verf verweist, ergibt sich in Verbindung mit dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 8 Abs. 1 LSA-Verf das subjektive Recht auf Gleichbehandlung im aktiven und passiven Wahlrecht zu kommunalen Körperschaften. Unmittelbar aus Art. 89 LSA-Verf und ergänzend aus Art. 42 Abs. 1 LSA-Verf folgt ferner, dass der Betroffene keine Einschränkungen hinnehmen muss, welche die "Allgemeinheit" der Kommunalwahl in verfassungswidriger Weise einschränken. 4. Die Landesverfassung enthält keine Regelungen darüber, dass Gemeinderäte oder Kreistagsmitglieder wegen ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zum Bürgermeister, Landrat oder zu Beigeordneten aus der Vertretungskörperschaft ausscheiden müssen. Eine solche "Unvereinbarkeit" lässt sich auch weder aus dem Wesen kommunaler Selbstverwaltung noch aus der historischen Entwicklung der Ausschlussgründe in Preußen oder im Land Sachsen-Anhalt oder in der Deutschen Demokratischen Republik herleiten. 5. Zum besonderen zwingenden Grund "Funktionsfähigkeit". 6. Zur Erstreckung der Nichtigkeits-Feststellung auf gleichartige gesetzliche Bestimmungen.
Fundstellen LVerfGE 2, 378 - NVwZ-RR 1995, 464
Sonstiges (Hauptsacheverfahren)
Zitiervorschlag VerfGSA, Urteil vom 27.10.1994 - LVG 18/94 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Urteil

in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 18/94

Tenor:

§ 59 Abs. 3 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-GO - vom 5.10.1993 (LSA-GVBl., S. 568), geändert durch Art. 4 Nr. 10 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164), ist nichtig.

Die Nichtigkeitsfeststellung wird auf § 67 Abs. 1 LSA-GO, geändert durch Art. 4 Nr. 15 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164), sowie auf § 48 Abs. 3 der Landkreisordnung des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-LKO - vom 5.10.1993 (LSA-GVBl., S. 598), geändert durch Art. 5 Nrn. 11, 13 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164), und auf § 56 Abs. 1 LSA-LKO, geändert durch Art. 5 Nr. 17 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164), erstreckt.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Die dem Beschwerdeführer entstandenen außergerichtlichen notwendigen Auslagen sind zu ersetzen.

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(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
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Tatbestand:

{RN:1}
Gegenstand des Verfahrens ist die in Sachsen-Anhalt für Ehegatten und Verwandte (Angehörige) festgelegte Unvereinbarkeit, gleichzeitig kommunale Ämter und kommunale Mandate wahrzunehmen.

{RN:2}
1.-->Ende des Jahres 1993 löste der Landesgesetzgeber die von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik beschlossene "Kommunalverfassung" - DDR-KommVfG - (Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der Deutschen Demokratischen Republik vom 17.5.1990 [DDR-GBl Teil I Nr. 28 S. 255], als Landesrecht für Sachsen-Anhalt übergeleitet durch Art. 9 Abs. 1 des Einigungsvertrags [BGBl 1990 II 885, DDR-GBl Teil I Nr. 64 S. 1627], hier zuletzt geändert durch Gesetz vom 3.2.1994 [LSA-GVBl., S. 164 <166>]) ab durch:
die Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt - LSA-GO - vom 5.10.1993 (LSA-GVBl., S. 568), geändert durch Gesetz vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164 [166]), und durch eine Landkreisordnung für das Land Sachsen-Anhalt - LSA-LKO - vom 5.10. 1993 (LSA-GVBl., S. 598), geändert durch Gesetz vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164 [170]).
Die neuen Vorschriften der Gemeinde- und Landkreisordnung traten zum 1.7.1994 in Kraft (§ 154 Satz 1 LSA-GO; § 75 LSA-LKO).

{RN:3}
In den beiden Kommunalverfassungsgesetzen finden sich folgende Regelungen:
{BS:}
a) in der Gemeindeordnung:
innerhalb der Bestimmungen über den Bürgermeister:

§ 59: Wählbarkeit, Hinderungsgründe
...
(3) Der Bürgermeister darf mit einem Gemeinderat nicht in einem familienrechtlichen Verhältnis als Ehegatte, Eltern, Kinder sowie Geschwister stehen. Besteht zwischen dem Bürgermeister oder Beigeordneten und einem Gemeinderat ein familienrechtliches Verhältnis im Sinne von Satz 1, so scheidet der Gemeinderat aus. Satz 1 steht auch einem Nachrücken in den Gemeinderat entgegen. Der Gemeinderat stellt die Hinderungsgründe fest.

innerhalb der Bestimmungen über Beigeordnete:

§ 67: Hinderungsgründe

(1) Beigeordnete dürfen mit einem Gemeinderat nicht in einem familienrechtlichen Verhältnis als Ehegatte, Eltern, Kinder sowie Geschwister stehen. § 59 Abs. 3 Satz 2 bis 4 findet entsprechende Anwendung.

(2) Beigeordnete dürfen weder miteinander noch mit dem Bürgermeister in einem familienrechtlichen Verhältnis nach Absatz 1 Satz 1 stehen oder als persönlich haftende Gesellschafter an derselben Handelsgesellschaft beteiligt sein. Entsteht ein solches Verhältnis zwischen dem Bürgermeister und einem Beigeordneten oder zwischen Beigeordneten, ist der Beigeordnete, im übrigen der an Dienstjahren Jüngere, in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

b) in der Landkreisordnung:
innerhalb der Bestimmungen über den Landrat:

§ 48: Wählbarkeit, Hinderungsgründe
...
(3) Der Landrat darf mit einem Mitglied des Kreistages nicht in einem familienrechtlichen Verhältnis als Ehegatte, Eltern, Kinder sowie Geschwister stehen. Besteht zwischen dem Landrat und einem Mitglied des Kreistages ein familienrechtliches Verhältnis im Sinne von Satz 1, so scheidet das Mitglied des Kreistages aus. Satz 1 steht auch einem Nachrücken in den Kreistag entgegen. Der Kreistag stellt die Hinderungsgründe fest.

innerhalb der Bestimmungen über Beigeordnete:

§ 56: Hinderungsgründe

(1) Beigeordnete dürfen mit einem Mitglied des Kreistages nicht in einem familienrechtlichen Verhältnis als Ehegatte, Eltern, Kinder sowie Geschwister stehen. § 47 Abs. 3 Satz 2 bis 4 findet entsprechende Anwendung.

(2) Beigeordnete dürfen weder miteinander noch mit dem Landrat in einem familienrechtlichen Verhältnis nach Absatz 1 Satz 1 stehen oder als persönlich haftende Gesellschafter an derselben Handelsgesellschaft beteiligt sein. Entsteht ein solches Verhältnis zwischen dem Landrat und einem Beigeordneten oder zwischen Beigeordneten, ist der Beigeordnete, im übrigen der an Dienstjahren Jüngere, in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

{RN:4}
Die für Mitglieder der Gemeindevertretung geltende Regelung über das (konkrete) Mitwirkungsverbot lautet:

§ 31: Mitwirkungsverbot
(1) Wer ehrenamtlich tätig ist, darf bei Angelegenheiten nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung ihm selbst, seinem Ehegatten, seinen Verwandten bis zum dritten oder Verschwägerten bis zum zweiten Grade oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen besonderen Vorteil oder Nachteil bringen kann. Dies gilt nicht, wenn er an der Entscheidung der Angelegenheit lediglich als Angehöriger einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe beteiligt ist, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden.
(2) Wer in einer Angelegenheit in anderer als öffentlicher Eigenschaft ein Gutachten abgegeben hat oder sonst tätig geworden ist, darf bei dieser Angelegenheit nicht in ehrenamtlicher Tätigkeit beratend oder entscheidend mitwirken. Das gleiche gilt für denjenigen, der
-->1. bei einer natürlichen oder juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts oder einer Vereinigung gegen Entgelt beschäftigt ist, oder
-->2. bei einer juristischen Person oder bei einem nichtrechtsfähigen Verein als Mitglied des Vorstandes, des Aufsichtsrates oder eines vergleichbaren Organs tätig ist, sofern er diesem Organ nicht als Vertreter der Gemeinde angehört, oder
-->3. Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ist, wenn die unter Nummern 1 bis 3 Bezeichneten ein wirtschaftliches oder besonderes persönliches Interesse an der Erledigung der Angelegenheit haben.
(3) Lehrer dürfen nicht mitwirken, wenn über Angelegenheiten der Schulträgerschaft der Schule, an der sie tätig sind, beraten oder entschieden wird.
{BE:}
...

{RN:5}
Hierauf verweist § 31 Abs. 4 LSA-LKO für die Kreistagsmitglieder.

{RN:6}
2.-->Grundlagen der Beratungen für die Ursprungsfassung der neuen Gemeindeordnung waren Entwürfe einerseits der CDU-F.D.P.-Koalition (LT-Drs. 1/2222) und andererseits der PDS (LT-Drs. 1/1142). Die Beratungen im Landtagsausschuss für Inneres legten den Entwurf der Koalition zugrunde.

{RN:7}
§ 39 Abs. 2 hatte dort die Fassung:
Ehegatten, Eltern und Kinder sowie Geschwister dürfen nicht gleichzeitig dem Gemeinderat angehören. ...

{RN:8}
§ 56 Abs. 3 hatte im Koalitionsentwurf die Fassung:
Besteht zwischen einem Bürgermeister oder Beigeordneten und einem Gemeinderat ein familienrechtliches Verhältnis im Sinne von § 39 Abs. 2 Satz 1, so scheidet der Gemeinderat aus. ...

{RN:9}
Bei den Beratungen des Ausschusses für Inneres zu § 39 Abs. 2 hielt dessen Vorsitzender (Abg. Jeziorsky) für fraglich, ob die Wählbarkeit von Ehepartnern und Familienangehörigen eingeschränkt werden könne; der Abg. Engel verwies auf die Möglichkeit, die Familienmitglieder könnten auf getrennten Listen kandidieren, was die Vorschrift zweifelhaft mache; der Abg. Lukowitz hielt Familienmitglieder in der Regel für befangen; der Abg. Buchholz wies auf das Problem eheähnlicher Gemeinschaften hin; der Abg. Becker hielt für notwendig, der Gefahr vorzubeugen, dass etwa ein kleiner Gemeinderat durch mehrere Familienmitglieder wesentlich oder gar maßgeblich bestimmt werde. Der Ausschuss stellte dann in dieser 46. Sitzung vom 3.9.1992 die Entscheidung zunächst zurück und bat den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst sowie das Ministerium des Innern um eine rechtliche Prüfung (Niederschrift über diese Sitzung, S. 18).

{RN:10}
Die auch auf § 39 Abs. 2 verweisende Fassung des § 56 billigte der Ausschuss und änderte nur die Regelung zum Lebensalter (Niederschrift über die 47. Sitzung des Ausschusses für Inneres vom 4.9.1992, S. VIII/3 f).

{RN:11}
In der 60. Sitzung des Ausschusses für Inneres am 24.3.1993 wurde die Unvereinbarkeitsregelung des § 39 erneut diskutiert. Sie wurde jedenfalls in kleinen Gemeinden für notwendig gehalten (Abg. Becker, Abg. Dr. Sitte), teilweise unabhängig hiervon (Abg. Buchholz). Als Größenbegrenzung war die Einwohnerzahl von 5.000 im Gespräch (Abg. Dr. Sitte). Andererseits wurde der starre Ausschluss kritisiert und eine Einigungsmöglichkeit erwogen (Abg. Dr. Püchel). Bedenken wegen denkbarer unterschiedlicher politischer Auffassung zwischen den Eltern und Kindern (Abg. Dr. Sitte) sowie das Problem eheähnlicher Gemeinschaften (Abg. Engel) wurden erneut erörtert (Niederschrift über diese Sitzung, S. 22 ff).

{RN:12}
Zu § 56 diskutierte der Ausschuss in seiner 65. Sitzung am 9.6.1993 lediglich die Altersbegrenzungen für das Bürgermeisteramt (Niederschrift über diese Sitzung, S. 8 f).

{RN:13}
Die Empfehlung des Ausschusses für Inneres (LT-Drs. 1/2798 v. 1.7.1993) schloss im § 39 Abs. 2 Satz 1 nur Ehegatten von der gleichzeitigen Mitgliedschaft im Gemeinderat aus, sah für den Kollisionsfall in den folgenden Sätzen eine Einigungsklausel und ersatzweise die Anknüpfung an die höhere Stimmenzahl bzw. an einen Losentscheid vor. Als § 40 Abs. 4 wurde eine Regelung für den Nachrückfall vorgesehen, und § 56 Abs. 3 des Entwurfs blieb unverändert.

{RN:14}
Dieser Vorschlag wurde nicht Gesetz, weil der Änderungsantrag der Koalition (LT-Drs. 1/2846) angenommen wurde, § 39 Abs. 2 ganz zu streichen. Den so veränderten § 39 beschloss das Plenum dann mit Mehrheit (LT-StenBer 1/50 v. 8.7.1993, S. 5952). Es zog daraus allerdings für § 56 des Entwurfs keine Konsequenzen und nahm diese Bestimmung unverändert an (LT-StenBer 1/50, S. 5954).

{RN:15}
Die Gesetz gewordene Ursprungsfassung des § 59 Abs. 3 Satz 1 LSA-GO a. F. bezog sich deshalb auf einen § 40 Abs. 2 LSA-GO a. F., der in Wahrheit der aufgerückte § 39 Abs. 3 des Koalitionsentwurfs gewesen war, während die Regelung, auf die er sich hatte beziehen sollen, gestrichen worden war.

{RN:16}
Die Beratungen zur Landkreisordnung verliefen parallel zu denen der Gemeindeordnung (vgl. insoweit zum Verfahren lediglich: LT-Drs. 1/1442 [PDS-Entwurf], 1/1470 [Koalitionsentwurf], 1/2797 [Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres], 1/2851 [Änderungsantrag der Koalition]; LT-StenBer 1/50 v. 8.7.1993 [S 5913 ff: zweite Lesung von Gemeinde- und Landkreisordnung]).

{RN:17}
Die Gesetz gewordene Ursprungsfassung der Landkreisordnung verwies im § 47 Abs. 3 [für den Landrat] und im § 56 [für Beigeordnete] auf § 29 Abs. 2; dort war allerdings - wie in der Gemeindeordnung - die Unvereinbarkeitsregelung gestrichen worden.

{RN:18}
Die Novelle vom 3.2.1994 enthält sowohl Änderungen der damals - vor dem 1.7.1994 - noch gültigen Kommunalgesetze (Kommunalverfassung = Art. 2 [GVBl 1994, S. 166], Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit = Art. 1 [ab S. 164]) als auch - anpassend - der jetzigen, aber damals noch nicht in Kraft gewesenen Kommunalgesetze (Gemeindeordnung = Art. 4 [ab S. 166], Landkreisordnung = Art. 5 [ab S. 170]). Sie ging insoweit über die Vorstellungen der ursprünglichen Regierungsvorlage hinaus, welche nur die Anpassung des geltenden Rechts vorgesehen hatte (vgl. LT-Drs. 1/2567).

{RN:19}
Wesentliche Vorarbeiten leistete - vor allem für die Änderungen der Gemeinde- und der Landkreisordnung - eine vom Landtagsausschuss für Inneres eingesetzte Arbeitsgruppe aus den Fraktionsassistenten von CDU und SPD, Angehörigen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtags sowie Mitarbeitern des Ministeriums des Innern (zum Beschluss über die Einsetzung dieser Gruppe vgl. Niederschrift über die 70. Sitzung des Ausschusses für Inneres vom 29.9.1993, S. 20, 22 f).

{RN:20}
Die Vorschläge der Arbeitsgruppe für die hier maßgeblichen Vorschriften (vgl. Niederschrift über die 75. Sitzung des Ausschusses für Inneres am 8.12.1993, Anlage 2, S. 2 f [§ 59 GO-ÄndEntw], Anlage 4, S. 3 f [§§ 47, 56 LKO-ÄndEntw]) übernahm der Ausschuss als Beschlussempfehlung (LT-Drs. 1/3256 v. 9.12.1993, dort Art. 4 Nrn. 10, 15 [= Gemeindeordnung] und Art. 5 Nrn. 11, 13, 17 [= Landkreisordnung]).

{RN:21}
Der als Drucksache Nr. 1/3297 (v. 16.12.1993) vorgelegte und vom Abgeordneten Kley eingebrachte (LT-StenBer 1/56 v. 16.12.1993, S. 6626 f) Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der F.D.P. schlug die Gesetz gewordenen Änderungen zu §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; 59 Abs. 1 S. 3 der Gemeindeordnung vor; wegen der dabei verlangten Änderung zum Absatz 1 des § 59 nahm der Änderungsantrag die Empfehlungen des Ausschusses für Inneres zu § 59 Abs. 3 nur unter neuen Ordnungsbuchstaben auf, ohne sie inhaltlich zu verändern.

{RN:22}
Die schriftliche Begründung (LT-Drs. 1/3297, S. 2) befasst sich deshalb wie die spätere mündliche im Plenum (Abg. Kley, F.D.P., LT-StenBer 1/56 v. 16.12.1993, S. 6626 [6627]) ausschließlich mit dem eigenen Änderungsbegehren.

{RN:23}
In der vom Abgeordneten Engel beantragten namentlichen Abstimmung (LT-StenBer 1/56 v. 16.12.1993, S. 6625, 6630) nahm das Plenum den Änderungsantrag der LT-Drs. 1/3297 mit 48 gegen 40 Stimmen bei vier Enthaltungen an.

{RN:24}
Die Empfehlungen des Ausschusses für Inneres zur Landkreisordnung wurden mit Mehrheit angenommen (LT-StenBer 1/56 v. 16.12.1993, S. 6633 [Art. 5]).

{RN:25}
3.-->Der Beschwerdeführer gehört aufgrund der Kommunalwahl vom 12.6. 1994 dem Gemeinderat ... an, einer Gemeinde von weniger als 1.000 Einwohnern (vgl. Anlage zu § 33 Satz 3 des Gesetzes zur Kreisgebietsreform vom 13.7.1993 [LSA-GVBl., S. 351], geändert durch Gesetz vom 3.2.1994 [LSA-GVBl., S. 164], dort unter Nr. 16: Landkreis Weißenfels). Seine Mutter ist Bürgermeisterin derselben Gemeinde. Der Beschwerdeführer und seine Mutter sind Mitglieder verschiedener politischer Parteien.

{RN:26}
Der Beschwerdeführer hat am 22.7.1994 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt die Verletzung seines passiven Wahlrechts durch § 59 Abs. 3 der Gemeindeordnung.

{RN:27}
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
§ 59 Abs. 3 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVBl., S. 568) i. d. F. des Art. 4 Nr. 10 des Gesetzes vom 3.2.1994 (LSA-GVBl., S. 164) für nichtig zu erklären.

{RN:28}
4.-->Landtag und Landesregierung hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

{RN:29}
4.1-->Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat in Parallelverfahren am 10.6.1994 und am 7.7.1994 mitgeteilt, Stellungnahmen in den laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wegen Unvereinbarkeiten würden nicht abgegeben, weil dies bei Wahrung des einzuhaltenden Verfahrens mit Rücksicht auf die auslaufende Legislaturperiode nicht mehr möglich sei.

{RN:30}
4.2-->Die Landesregierung (Ministerium des Innern) hat sich am 22.9.1994 wie folgt geäußert:

{RN:31}
Das Bundesverfassungsgericht habe Unvereinbarkeitsregelungen und sogar den faktischen Ausschluss von der Wahrnehmung kommunaler Mandate für zulässig gehalten, wenn anders Interessenkollisionen nicht zu verhindern seien. Sinn und Zweck der vom Beschwerdeführer beanstandeten Regelung sei die Vermeidung von "Vettern- und Cliquenwirtschaft"; diese Gefahr bestehe besonders in kleinen Gemeinden. In Sachsen-Anhalt hätten von 1.300 Gemeinden mehr als eintausend weniger als 1.000 Einwohner. Für den Neuaufbau sei besonders wichtig, dass jeglicher "böse Schein" vermieden werde; bei den Beratungen habe den Abgeordneten ein Beispiel vor Augen gestanden, in welchem fünf von sieben Mitgliedern der Gemeindevertretung einer Familie angehört hätten, weil die bislang geltende Kommunalverfassung dies nicht ausgeschlossen habe. Die getroffene Regelung sei unerlässlich, zumal konkrete Verhinderungen auf der Grundlage des Mitwirkungsverbots von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen würden.

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Entscheidungsgründe:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (1) und begründet (2).

{RN:32}
1.-->Das Landesverfassungsgericht ist zur Entscheidung berufen (1.1). Der Beschwerdeführer kann sich auf die Verletzung staatsbürgerlicher Rechte stützen (1.2), in welche die beanstandete gesetzliche Vorschrift auch unmittelbar eingreift (1.3). Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt (1.4).

{RN:33}
1.1-->Es handelt sich um eine allgemeine Verfassungsbeschwerde i. S. des Art. 75 Nr. 6 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-Verf - vom 16.7.1992 (LSA-GVBl., S. 600) und der §§ 2 Nr. 7; 47 ff des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - LSA-VerfGG - vom 23.8.1993 (LSA-GVBl., S. 441), geändert durch Gesetz vom 14.6.1994 (LSA-GVBl., S. 700). Ohne Bedeutung ist, ob und in welchem Umfang auch eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht mit der Erwägung möglich wäre, das passive Wahlrecht könne (auch) aus [Art. 3 mit] Art. 28 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG - hergeleitet werden; denn das Landesverfassungsgericht ist jedenfalls berufen, über - gleichlautendes - Landesverfassungsrecht zu urteilen: Art. 89 LSA-Verf verlangt für die Kommunen - das sind nach Art. 87 Abs. 1 LSA-Verf Gemeinden und Landkreise - eine Vertretung, die aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgegangen ist.

{RN:34}
Die Bestimmungen über die allgemeine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und §§ 90 ff des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - BVerfGG - i. d. F. d. Bek. v. 11.8.1993 [BGBl I 1473]) schließen die Kontrolle durch das Landesverfassungsgericht nicht aus; § 90 Abs. 3 BVerfGG lässt vielmehr ausdrücklich neben der bundesrechtlichen auch eine landesrechtliche Verfassungsbeschwerde zu, die ausschließlich Landesrecht beurteilt.

{RN:35}
Das dem Bundesverfassungrecht entsprechende Landesverfassungsrecht, welches hier die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht begründet, wird auch nicht durch Art. 31 GG verdrängt. Das hat das Landesverfassungsgericht bereits für die Garantie kommunaler Selbstverwaltung - Art. 28 Abs. 2 GG im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf - anerkannt (vgl. Urt. v. 31.5.1994 - LVG 2/93 -, S. 22; - LVG 1/94 -, S. 20). Gleiches gilt für Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG im Verhältnis zu Art. 89 LSA-Verf; denn auch die Bestimmungen des Art. 28 Abs. 1 GG enthalten Vorgaben für die Landesorganisation (vgl. für alle: Pieroth in Jarass / Pieroth, GG, 2. Aufl., Art. 28 RdNrn. 2, 4; BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 - 2 BvF 3/89 -, BVerfGE 83, 60 [71]). Art. 89 LSA-Verf setzt dies für die Wahlen in den Kommunen um.

{RN:36}
Für die Grundrechtsbestimmungen - hier für den Gleichheitssatz nach Art. 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 LSA-Verf - gilt: Art. 31 GG verdrängt insoweit nur mit Bundesrecht kollidierendes Landesverfassungsrecht, nicht aber den Grundrechten inhaltsgleiche Regelungen (vgl. Art. 142 GG). Art. 142 GG gilt auch für Grundrechte, die ein Bundesland erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes geschaffen hat (allg. Ansicht; vgl. etwa Jarass in Jarass / Pieroth, a. a. O., Art. 142 RdNr. 1; Mahnke, Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 75 RdNr. 22).

{RN:37}
1.2-->Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die beanstandete Vorschrift mit dem sich aus Art. 89 LSA-Verf ergebenden "passiven" Wahlrecht vereinbar ist. Hierbei handelt es sich um ein "staatsbürgerliches" Recht i. S. des Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf und des § 2 Nr. 7 LSA-VerfGG. Umfasst sind "politische Mitwirkungsrechte", insbes. die von der Volkssouveränität vorausgesetzten Wahlrechte (vgl. insoweit auch Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 LSA-Verf; wie hier: Mahnke, LSA-Verf, Art. 8 RdNr. 3, Art. 75 RdNr. 19; vgl. für das Bundeswahlrecht z. B.: BVerfG, Beschl. v. 21.6. 1988 - 2 BvR 638/84 -, BVerfGE 78, 350 [357]).

{RN:38}
Das staatsbürgerliche Recht auf Gleichbehandlung im aktiven und passiven Wahlrecht folgt landesverfassungsrechtlich für Kommunalwahlen aus Art. 89 LSA-Verf i. V. m. Art. 8 Abs. 1 LSA-Verf.

{RN:39}
Art. 89 LSA-Verf verlangt in den Kommunen zwingend Volksvertretungen, die nach den Grundsätzen des Art. 42 Abs. 1 LSA-Verf gewählt worden sind. Art. 89 LSA-Verf enthält damit zugleich das subjektive Recht auf Teilhabe an Kommunalwahlen, wie es sich für die Landtagswahl aus Art. 42 Abs. 1 LSA-Verf ergibt. Dass diese Rechte "formal gleich" allen Teilnehmern an Wahlen zustehen, folgt aus dem Grundsatz gleicher Wahl (Art. 42, 89 LSA-Verf) sowie zusätzlich aus Art. 8 Abs. 1 LSA-Verf. Soweit Art. 8 Abs. 1 LSA-Verf gleiche staatsbürgerliche Rechte einräumt, handelt es sich um einen Sonderfall des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 7 Abs. 1 LSA-Verf).
Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlgleichheit (vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 17.1.1961 - 2 BvR 547/60 -, BVerfGE 12, 73 [76]; Beschl. v. 27.10.1964 - 2 BvR 319/61 -, BVerfGE 18, 172 [180]; Beschl. [Teil-Entscheidung] v. 21.1.1975 - 2 BvR 193/74 -, BVerfGE 38, 326 [335]; [Schluss-]Urt. v. 5.11.1975 - 2 BvR 193/74 -, BVerfGE 40, 296 [317 f] <"Diäten-Urteil">; Beschl. v. 4.4.1978 - 2 BvR 1108/77 -, BVerfGE 48, 64 [79, 81], Beschl. v. 7.4.1981 - 2 BvR 1210/80 -, BVerfGE 57, 43 [54]; Beschl. v. 6.10.1981 - 2 BvR 384/81 -, BVerfGE 58, 177 [188]; Beschl. v. 12.12.1991 - 2 BvR 562/91 -, BVerfGE 85, 148 [157]).

{RN:40}
Der oben vorgenommenen Ableitung subjektiver Rechte direkt aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 89 LSA-Verf - als Sonderfall des Art. 7 Abs. 1 LSA-Verf - steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht stets nur auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG abstellt und die Wahlgleichheit als dessen Unterfall behandelt (vgl. etwa: BVerfGE 58, 177 [188]). Ursache hierfür ist allein, dass - anders als bei der landesrechtlichen Verfassungsbeschwerde nach Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf - die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG nur auf die Verletzung von Grundrechten oder ausdrücklich erwähnten Rechten gestützt werden kann; dort sind aber staatsbürgerliche Rechte nicht genannt.

{RN:41}
Da (auch) das subjektive (Kommunal-)Wahlrecht bereits durch Art. 8 Abs. 1 und Art. 89 LSA-Verf als Sonderfall des Gleichheitsgrundsatzes garantiert wird, ist der Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 7 Abs. 1 LSA-Verf nicht mehr erforderlich.

{RN:42}
Unmittelbar aus Art. 89 und ergänzend aus Art. 42 Abs. 1 LSA-Verf folgt ferner, dass der Beschwerdeführer keine Einschränkungen hinnehmen muss, welche die "Allgemeinheit" der Kommunalwahl in verfassungswidriger Weise einschränken.

{RN:43}
1.3-->Die gesetzliche Bestimmung greift in das passive Wahlrecht des Beschwerdeführers unmittelbar i. S. des Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf und der §§ 2 Nr. 7; 47 LSA-VerfGG ein.

{RN:44}
Dem steht nicht entgegen, dass vorgesehen ist, die Unvereinbarkeit förmlich festzustellen (§ 59 Abs. 3 Satz 4 LSA-GO); denn nicht diese Feststellung bewirkt, dass der von ihr Betroffene (künftig) ausgeschlossen wird, sondern bereits das Gesetz selbst erklärt die gleichzeitige Ausübung der Mandate unter Angehörigen (von Anfang an) für unvereinbar und verdrängt bereits durch § 59 Abs. 3 Sätze 2 und 3 LSA-GO einen der Beteiligten. Der Feststellung kommt lediglich deklaratorische Bedeutung zu.

{RN:45}
Diese Auslegung des Merkmals der "Unmittelbarkeit" in den landesrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen (Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf, §§ 2 Nr. 7; 47 LSA-VerfGG) deckt sich mit derjenigen des Bundesverfassungsgerichts zu der bundesrechtlichen Fristenbestimmung (vgl. insoweit § 93 Abs. 1, 3 BVerfGG).

{RN:46}
Das Bundesverfassungsgericht hat die auf die Verletzung des passiven Wahlrechts gestützten Verfassungsbeschwerden stets als unmittelbar gegen das Gesetz gerichtet angesehen (so vor allem: BVerfGE 12, 73 [76]; 18, 172 [180]; 38, 326 [335]; 48, 64 [79]; 57, 43 [55]; 58, 177 [189]).

{RN:47}
Dabei hat es ausdrücklich darauf verwiesen, die Feststellungen und sonstigen Maßnahmen im Rahmen des Wahlverfahrens seien keine "Vollzugsakte der Verwaltung" (BVerfGE 48, 64 [80]; 57, 43 [55]; 58, 177 [190]).
Auch der Hessische Staatsgerichtshof hat eine entsprechende Verfassungsbeschwerde als unmittelbar gegen das Wahlgesetz gerichtet behandelt (HessStGH, Urt. v. 7.1.1970 - P.St. 539 -, ESVGH 20, 206 [206 f]).

{RN:48}
Die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands (§ 59 Abs. 3 Satz 1 LSA-GO) sind im Fall des Beschwerdeführers erfüllt.

{RN:49}
1.4-->Die Beschwerde ist auch im übrigen zulässig.

{RN:50}
Die (einfach-gesetzliche) Vorschrift ist genannt, durch welche sich der Beschwerdeführer verletzt fühlt. Auch das Verfassungsrecht, welches er für beeinträchtigt hält, ist ausreichend bezeichnet. Hierfür ist nicht erforderlich, auf einen konkreten Artikel der Landesverfassung zu verweisen; denn § 49 LSA-VerfGG verlangt nur die Angabe des Rechts, das verletzt sein soll. Dem ist genügt, wenn sich der Beschwerdeführer auf sein (passives) "Wahlrecht" beruft. Ob das verletzte Recht aus der Verfassung abgeleitet werden kann und welche Bestimmungen einschlägig sind, ist mitunter - wie in diesem Fall - nicht ganz einfach zu ermitteln, so dass die über den Wortlaut des § 49 LSA-VerfGG hinausgehende und durch dessen Zweck nicht gebotene Auslegung als unverhältnismäßig nicht in Betracht kommt, weil sie die Rechtsverfolgung unnötig erschweren würde.

{RN:51}
Die Jahresfrist des § 48 LSA-VerfGG ist eingehalten.

{RN:52}
2.-->Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Entsprechend dem Kontrollauftrag des Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf stellt das Landesverfassungsgericht nach § 50 LSA-VerfGG i. V. m. § 41 LSA-VerfGG die Nichtigkeit der gesetzlichen Bestimmung fest, die gegen die Landesverfassung verstößt (2.1). Da die Verfassungsbeschwerde erfolgreich ist, kann das Landesverfassungsgericht andere Vorschriften für nichtig erklären (§ 41 Satz 2 LSA-VerfGG), welche gleichfalls und aus demselben Grund verfassungswidrige Regelungen treffen (2.2).

{RN:53}
2.1-->§ 59 Abs. 3 Satz 1 LSA-GO und die aus seinen Voraussetzungen abgeleiteten Rechtsfolgen der übrigen Sätze des § 59 Abs. 3 LSA-GO verstoßen gegen die Grundsätze der "Allgemeinheit" und der "Gleichheit" von kommunalen Wahlen (2.1.1). Die vom Landesgesetzgeber in Anspruch genommene Abweichung ist nicht durch die Landesverfassung gedeckt (2.1.2).

{RN:54}
2.1.1-->Aus dem Wesen des Wahlrechts als eines "politischen Grundrechts" (BVerfG, Urt. v. 5.4.1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 [242]) und seiner historischen Entwicklung zum "Demokratisch-Egalitären" hin (BVerfG, Beschl. v. 11.10.1972 - 2 BvR 912/71 -, BVerfGE 34, 81 [98]) folgt, dass die Wahlgrundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl durch ihren formalen Charakter gekennzeichnet und darin vom allgemeinen Gleichheitssatz unterschieden sind (BVerfGE 34, 81 [98]). Der Grundsatz der Allgemeinheit verbietet, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen auszuschließen (BVerfG, Beschl. v. 23.10.1973 - 2 BvC 3/73 -, BVerfGE 36, 139 [141]; Beschl. v. 7.10.1981 - 2 BvC 2/81 -, BVerfGE 58, 202 [205]). Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verlangen, dass jedem das staatsbürgerliche Recht in formal möglichst gleicher Weise zusteht (BVerfGE 34, 81 [98]; 36, 139 [141]). Dem Gesetzgeber bleibt wegen dieser Formalisierung nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen, die jeweils eines besonderen rechtfertigenden zwingenden Grunds bedürfen (BVerfG, Beschl. v. 6.5. 1970 - 2 BvR 158/70 -, BVerfGE 28, 220 [225]; BVerfGE 34, 81 [99]; 78, 350 [357 f]).

{RN:55}
Diese - überwiegend zum aktiven Wahlrecht entwickelten - Grundsätze gelten auch für das passive Wahlrecht (vgl. hierzu z. B.: BVerfGE 12, 73 [77]; 48, 64 [81]; 57, 43 [56]; 58, 177 [190 f]). Sie beanspruchen Beachtung nicht nur für die Wahlen zu den Vertretungskörperschaften des Staats, sondern wegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 89 LSA-Verf gerade auch im kommunalen Bereich (vgl. insoweit auch die Beispiele bei BVerfGE 48, 64 [81]; 57, 43 [56]; 58, 177 [190 f]). Das Bundesverfassungsgericht hat sie als allgemeine Rechtsgrundsätze behandelt und auch auf Wahlen angewendet, die zum Bereich des öffentlichen Rechts zu rechnen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.3.1982 - 2 BvL 1/81 -, BVerfGE 60, 162 [167 f] <Personalvertretungswahlen>; Beschl. v. 22.10. 1985 - 1 BvL 44/83 -, BVerfGE 71, 81 [94 f] <Arbeitnehmerkammern in Bremen>).

{RN:56}
2.1.2-->Mandatsträger als Verwandte und Verschwägerte anderer Amtsträger auszuschließen, ist weder durch die Verfassung ausdrücklich zugelassen (2.1.2.1) noch durch einen zwingenden Grund geboten (2.1.2.2).

{RN:57}
2.1.2.1-->Art. 89 LSA-Verf enthält in seinem Wortlaut keine Ermächtigung, "Vettern- und Cliquenwirtschaften" zu unterbinden.

{RN:58}
Auch Art. 42 LSA-Verf, auf dessen Grundsätze Art. 89 LSA-Verf inhaltlich Bezug nimmt, bietet dafür seinem Wortlaut nach keine Grundlage.
Absatz 2 lässt nur Einschränkungen zu, welche Wohnsitz und Lebensalter betreffen, und Absatz 3 gestattet dem einfachen Landesgesetzgeber, das Entstehen der Wahlrechte von einer bestimmbaren Dauer der Ansässigkeit abhängig zu machen.

{RN:59}
Art. 42 Abs. 3 Satz 1 LSA-Verf ermächtigt den Gesetzgeber zwar, "das Nähere" durch Gesetz zu regeln; diese Bestimmung stellt die Wahlgrundsätze des Absatzes 1 aber nicht etwa unter einen "Gesetzesvorbehalt". Das ergibt sich aus einem Vergleich dieser Bestimmung mit Art. 38 Abs. 3 GG, dem sie nachgebildet ist. Die Regelung des Bundes bei der Auslegung der Landesverfassung mit zu berücksichtigen, ist schon deshalb geboten, weil Art. 28 Abs. 1, 2 GG verlangt, die staatliche Organisation in den Ländern entsprechend den Grundsätzen des Art. 20 GG zu ordnen und für die Kommunen Volksvertretungen vorzusehen, die entsprechend den staatlichen Vertretungen gebildet sind.

{RN:60}
Die Ermächtigung des Art. 38 Abs. 3 GG wird teilweise nur als sog. "Regelungsvorbehalt" angesehen (Pieroth in Jarass / Pieroth, GG, 2. Aufl., Art. 38 RdNr. 21; v. Münch, GG, 2. Aufl., Bd. 2, Art. 38 RdNr. 67), der dem Gesetzgeber zwar gestattet, das Wahlverfahren zu bestimmen, nicht aber die Wahlgrundsätze in Frage zu stellen. Für die "Allgemeinheit" und "Gleichheit" der Wahl wird die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allgemein gebilligt, Einschränkungen seien nur zulässig, soweit die Verfassung diese vorsehe oder soweit ein sachlich zwingender Grund bestehe (vgl. etwa: Achterberg / Schulte in v. Mangoldt / Klein, GG, 3. Aufl., Bd. 6, Art. 38 RdNrn. 119, 128 ff; v. Münch, a. a. O., Art. 38 RdNrn. 7 ff; Pieroth, a. a. O., Art. 38 RdNr. 18).

{RN:61}
Schließlich ermächtigt Art. 91 Abs. 2 LSA-Verf weder dazu, die gleichzeitige Mitgliedschaft Angehöriger in den Vertretungskörperschaften zu unterbinden, noch dazu, Angehörige von gleichzeitigen Mandaten in einerseits der Vertretungskörperschaft und andererseits dem Repräsentations- oder Verwaltungsorgan auszuschließen. Art. 91 Abs. 2 LSA-Verf erfasst - wie Art. 137 Abs. 1 GG - nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nur die Fälle, in welchen Unvereinbarkeiten zwischen "Amt" und "Mandat" bei derselben Person bestehen.

{RN:62}
Art. 91 Abs. 2 LSA-Verf kann weder erweiternd noch entsprechend auf Fälle angewendet werden, in welchen zwischen Amt und Mandat nur "familiäre Beziehungen" bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Art. 137 Abs. 1 GG eindeutig und unwidersprochen den abschließenden Charakter dieser Regelung betont und deshalb in bezug auf "Amt" und "Mandat" keine "ungeschriebenen Inkompatibilitäten" anerkannt (BVerfGE 38, 326 [336]; 48, 64 [82]; 57, 43 [57 f]; 58, 177 [191]).

{RN:63}
2.1.2.2-->Ein "zwingender" besonderer Grund für die beanstandete Regelung lässt sich weder aus den Besonderheiten des Kommunalrechts (2.1.2.2.1) noch aus dem Gesichtspunkt der "Funktionsfähigkeit" der kommunalen Körperschaften (2.1.2.2.2) gewinnen.

{RN:64}
2.1.2.2.1-->Die Berechtigung, "Vettern- und Cliquenwirtschaft" auszuschließen, kann nicht aus den Besonderheiten der kommunalen Selbstverwaltung hergeleitet werden.
Allerdings wird der Hauptunterschied der kommunalen Selbstverwaltung zur staatlichen Organisation darin gesehen, dass die Mandatsträger herkömmlich eine andere Stellung haben als Abgeordnete. So wird ihre Tätigkeit in der Regel als "ehrenamtlich" verstanden (so insbes. BVerfGE 48, 64 [89]; vgl. auch Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 261 f; Gern, Sächsisches Kommunalrecht, RdNrn. 378 ff), ihnen Verschwiegenheit auferlegt und verboten, an der Beratung von Gegenständen mitzuwirken, die ihnen oder ihren Angehörigen unmittelbare Vor- bzw. Nachteile bringen (Gönnenwein, a. a. O., S. 266 [268]; Gern, a. a. O., RdNr. 381). Von diesen Grundsätzen geht auch das Kommunalrecht in Sachsen-Anhalt aus:

{RN:65}
§§ 36 Abs. 1 und 42 Abs. 1 LSA-GO sowie § 31 Abs. 1 LSA-LKO sehen die Tätigkeit in der Vertretungskörperschaft jeweils als Ehrenamt an. § 30 Abs. 2 LSA-GO verpflichtet die Mitglieder des Gemeinderats deshalb zur Verschwiegenheit, und § 31 LSA-GO verbietet die Mitwirkung bei "Interessenkollisionen"; diese Regelungen nimmt die Landkreisordnung in Bezug (§ 31 Abs. 4 LSA-LKO).

{RN:66}
Ähnlich wie § 31 Abs. 1 LSA-GO bei der konkreten "Interessenkollision" auch "Verwandtschaften" und "Schwägerschaften" in die Regelung einbezieht, haben vor allem Bayern und Baden-Württemberg solche Beziehungen zusätzlich zum Anlass für abstrakte "Unvereinbarkeiten" genommen. So sind Ehegatten und Verwandte in Bayern sowohl davon ausgeschlossen, gleichzeitig dem Gemeinderat anzugehören, als auch, gleichzeitig Gemeinderat und Erster Bürgermeister zu sein (Art. 31 Abs. 3 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern i. d. F. d. Bek. vom 14.6.1972 - BayGO -, zitiert nach Sammelblatt, Jahrg. 1972, S. 1622 [1627]). Die Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (v. 25.7.1955 - BW-GO - [zitiert nach SBl. 1955, 1003]) erstreckt die konkreten Regelungen über "Interessenkollisionen" für selbst ehrenamtlich Tätige auf deren Ehegatten, Verlobte, Verwandte in gerader sowie in der Seitenlinie bis zum dritten Grad und auf Verschwägerte bis zum zweiten Grad (§ 18 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BW-GO), schließt diesen Personenkreis von der gleichzeitigen Mitgliedschaft in der Vertretungskörperschaft aus (§ 29 Abs. 2 BW-GO) und verbietet zusätzlich die gleichzeitige Tätigkeit als Gemeinderat, Bürgermeister und Beigeordneter (§ 29 Abs. 4 BW-GO).

{RN:67}
Diese Regelungen hält Meyer (in Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Kap. 5 § 27 B III, S. 63 [70]) in ihrer Pauschalität für verfassungswidrig, weil die faktischen Wählbarkeitshindernisse jedenfalls in dieser Allgemeinheit der sozialen Wirklichkeit nicht mehr Rechnung trügen.

{RN:68}
Der Staatsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg (Urt. v. 10.7.1981 - GR 2/80 -, ESVGH 31, 167 [169]) hat die dortige Landesregelung für verfassungsgemäß gehalten, weil sie an eine alte Tradition des Kommunalverfassungsrechts anknüpfe, die insbes. mit Vorschriften aus Württemberg von 1822 sowie aus Baden von 1831 belegt wird.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die in seinem Land geltende Regelung gleichfalls für verfassungsgemäß gehalten (BayVfGH, Entschdg. v. 21.7.1976 - Vf. 16-V-74 -, VGHE n. F. 29 II 143 [148] = BayVBl 1976, 751 [752]), einerseits auf seine frühere Rechtsprechung verwiesen und andererseits unentschieden gelassen, ob das "Verbot der Vetternwirtschaft" in Städten und großen Landgemeinden noch gerechtfertigt sei. Sein früheres Erkenntnis (BayVfGH, Entschdg. v. 25.7.1961 - Vf. 99-VII-60 -, VGH n. F. 14 II 77 ff) hingegen hatte das "Verbot der Vetternwirtschaft" als den "triftigen Grund" angesehen, die Grundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl einzuschränken; dafür würdigt diese Entscheidung nicht nur die bayerische Gesetzgebung zwischen 1818 und 1927 sowie die Deutsche Gemeindeordnung von 1935, sondern leitet auch aus dem preußischen Kommunalrecht ab, dass herkömmliche Gründe für diese Einschränkung sprächen (BayVfGH, VGHE n. F. 14 II 77 [82 f]).

{RN:69}
Dieser historischen Ableitung kann - jedenfalls für die früher preußischen Landesteile - nicht gefolgt werden; das belegt die Entwicklung. Bei dieser Würdigung früherer Vorschriften ist zwischen solchen zu unterscheiden, welche nur Beziehungen zwischen Verwandten und Verschwägerten innerhalb des Magistrats (bzw. zwischen Bürgermeister und Schöffen) oder nur innerhalb der gewählten Volksvertretung betreffen, und solchen, welche dieses Verhältnis zwischen Mitgliedern der Vertretungskörperschaft und Mitgliedern der "Verwaltung" (Magistrat, Bürgermeister) regeln.

{RN:70}
Die "Ordnung für sämmtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazu gehöriger Instruktion, Behuf der Geschäftsführung der Stadtverordneten in ihren Versammlungen. Vom 19ten November 1808" (Pr-GS, S. 324) - Steinsche Städteordnung - (= - StO-08 -) verbot nur innerhalb des Magistrats verwandtschaftliche sowie Schwägerschafts-Beziehungen bis zum dritten Grad (§ 150 StO-08) und traf keine Bestimmung für die Mitgliedschaft in der Stadtverordnetenversammlung. Die Steinsche Städteordnung, die nur im nördlichen Teil der ehemaligen Provinz Sachsen Geltung gehabt haben kann, weil der südliche, das "Herzogthum Sachsen", erst infolge des Friedensvertrags vom 18.5.1815 (Pr-GS, S. 53) hinzugekommen und als neuer Regierungsbezirk organisiert worden war (vgl. § 1 der "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden. Vom 30ten April 1815" [Pr-GS, S. 85] sowie die Anlage hierzu), ist einerseits durch ihren Kompromisscharakter gekennzeichnet und lässt andererseits deutliche Reserven der Krone gegenüber der örtlichen Autorität erkennen. In diesem Zusammenhang ist auch § 150 StO-08 zu würdigen, so dass nicht als Zufall erscheinen kann, wenn lediglich für den Magistrat, nicht aber für "das Parlament" Unvereinbarkeiten für "Familienverbände" geschaffen worden waren: Durch § 1 StO-08 behält sich der Staat (= die königliche staatliche Verwaltung) alle Rechte vor, "soweit nicht in der gegenwärtigen Ordnung auf eine Theilnahme an der Verwaltung ausdrücklich Verzicht geleistet ist". Die Stadtverordnetenversammlung darf "gefaßte Beschlüsse" nicht "mit öffentlicher Autorität selbst zur Ausführung bringen", sondern hierzu ist allein der Magistrat befugt "und haftet dafür, dass nichts gegen den Staat und gegen die Gesetze ausgeführt werde" (§ 127 StO-08).

{RN:71}
Motiv für § 150 StO-08 dürfte deshalb weniger die Sorge um die "Sauberkeit der Verwaltung" als vielmehr die Furcht vor der Entstehung örtlicher "Parallel-Autoritäten" gewesen sein.

{RN:72}
Die Steinsche Städteordnung, die gemeinhin als Beginn kommunaler Selbstverwaltung verstanden wird, verfiel alsbald wegen der von den Ständen gegen sie erhobenen Einwände einer "Revision": Mit "Allerhöchster Kabinetsorder, vom 17ten März 1831., wegen Einführung der Städte-Ordnung" (Pr-GS, S. 9) wurde eine "Revidirte Städte-Ordnung für die Preußische Monarchie" (Pr-GS, S. 10) - revStO - verkündet, die entsprechend der Darstellung in der Präambel insbesondere in den neuen preußischen Gebietsteilen in Kraft gesetzt werden sollte.

{RN:73}
Die Funktion des Magistrats ist nun deutlicher als in der Steinschen Städteordnung umschrieben mit einerseits "Verwalter der Gemeine-Angelegenheiten" und andererseits "Organ der Staatsgewalt" (§ 84 revStO). § 86 revStO übernimmt dann die Einschränkungen für verwandtschaftliche und Schwägerschafts-Beziehungen bis zum dritten Grad innerhalb des Magistrats, lässt allerdings Ausnahmen zu: "jedoch kann die Regierung von diesem Hindernisse dispensiren". Der Stadtverordnetenversammlung kommt ausdrücklich ein Kontrollrecht zu (§ 126 Abs. 1 revStO). "Unvereinbarkeiten" im heutigen Sinn - Verwandtschaft und Schwägerschaft sind nicht genannt - schließen die Mitgliedschaft in der Vertretungskörperschaft nicht aus, sondern sind nur ein Grund, die durch § 128 revStO festgelegte Pflicht, das Stadtverordnetenamt zu übernehmen, im Einzelfall ablehnen zu können (§ 130 revStO).

{RN:74}
Mit der Ermächtigung des § 53 revStO, Statuten der Stadt könnten vorsehen, dass die Stadtverordneten in drei Klassen gewählt werden, ist bereits der Übergang zu dem Wahlrecht vollzogen, das auch in den kommunalen Körperschaften Preußens bis 1918 gelten soll.

{RN:75}
Es wird durch die "Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat. Vom 31. Januar 1850" (Pr-GS, S. 17) - PreußVerf-50 - für die Wahlen zur "Zweiten Kammer" (Abgeordnetenhaus) eingeführt (Art. 71 PreußVerf-50). Die Abgeordneten dieser Volks-Kammer werden im übrigen indirekt durch Wahlmänner bestimmt (Art. 72 PreußVerf-50). Die Verfassung enthält in einem besonderen Titel Bestimmungen über die Vertretung und Verwaltung in den Gemeinden, Kreisen, Bezirken und Provinzen und geht dabei "insbesondere" für die Gemeinden von einer "selbständigen Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staats" aus (Art. 105 Nr. 3 PreußVerf-50). Aussagen über Wahlgrundsätze für die Selbstverwaltungsorgane sind nicht getroffen.

{RN:76}
Die spätere Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871 (RGBl, S. 64) - RVerf-71 - kennt keine Bestimmungen über die Selbstverwaltung, statuiert aber das allgemeine und direkte Wahlrecht zum Reichstag (Art. 20 Abs. 1 RVerf-71).

{RN:77}
Für die Entwicklung im Kommunalrecht hingegen bleibt in Preußen allein dessen Verfassungslage maßgeblich.

{RN:78}
Außer der (einheitlichen) "Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat" vom 11.3.1850 (Pr-GS, S. 213) - GO-50 - und einer (einheitlichen) Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung (vom 11.3.1850 [Pr-GS, S. 251]) werden im wesentlichen partikulare Kommunalverfassungsgesetze erlassen - grundsätzlich unterschieden nach Rechten für "Städte" und "Gemeinden" -; für die Provinz Sachsen werden maßgeblich: die "Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie" vom 30.5.1853 (Pr-GS, S. 261) - StO-Ost -, die Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 13.12.1872 / 19.3.1881 (Pr-GS 1881, S. 179) - KrsO-Ost - sowie eine neue Provinzialordnung für denselben Gebietsumfang - ProvO-Ost - vom 29.6.1875 / 22.3.1881 (Pr-GS 1881, S. 233) und die "Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie" - LGO-Ost - vom 3.7.1891 (Pr-GS, S. 233).

{RN:79}
Zum erstenmal werden nunmehr Verwandtschaftshindernisse für die Vertretungskörperschaften geschaffen, wobei Vater und Sohn, teilweise zusätzlich auch Brüder nicht gleichzeitig tätig sein dürfen (vgl. §§ 15 Abs. 2, 73 Abs. 2 GO-50; § 17 Abs. 2 StO-Ost; § 53 Abs. 2 LGO-Ost).

{RN:80}
Erhalten bleiben die Hindernisse bei Verwandtschaft und Schwägerschaft innerhalb der kollegial verfassten Verwaltungen, der "Magistrate", wobei für die Grenzen der Unvereinbarkeit nach der Größe der Gemeinden unterschieden ist (vgl. insoweit § 28 Abs. 2 GO-50; § 30 Abs. 2 StO-Ost; § 75 Abs. 3 LGO-Ost; § 23 Abs. 2 KrsO-Ost).
Gleichfalls neu ist, dass Verwandte und Verschwägerte (nach Graden gestaffelt und von der Größe der Gemeinde abhängig) nicht gleichzeitig in der "Verwaltung" und in der "Vertretungskörperschaft" tätig sein können (vgl. dazu: §§ 28 Abs. 3; 87 Abs. 2 GO-50; § 30 Abs. 3 StO-Ost).

{RN:81}
Neben diesen generellen Regelungen bestehen "konkrete" Mitwirkungsverbote für Tätigkeiten in der Vertretung und in der Verwaltung (vgl. §§ 40, 100 GO-50; § 44 StO-Ost; §§ 122 Abs. 1; 139 KrsO-Ost; § 54 Abs. 1 ProvO-Ost; §§ 89 Abs. 3; 108 LGO-Ost).

{RN:82}
Auch die generellen Bestimmungen über das Verbot gleichzeitiger Tätigkeit von Angehörigen dürfen nicht isoliert gesehen werden, sondern sind in dem Zusammenhang mit dem durchgängig von Grundbesitz, Gewerbebetrieb oder Vermögen abhängigen Drei-Klassen-Wahlrecht zu würdigen (vgl. etwa: § 87 KrsO-Ost; §§ 5, 12 StO-Ost; §§ 41, 48, 50 LGO-Ost), wobei Vermögen und Grundbesitz der Ehefrauen und minderjährigen Kinder teilweise dem Vater angerechnet oder von ihm "vertreten" werden (vgl. etwa: § 5 Abs. 3 StO-Ost; §§ 41 Abs. 4; 46 Abs. 1 Nr. 2 LGO-Ost; § 97 Abs. 1 Nr. 7 KrsO-Ost), so dass von einer (feudalen) "Familienrepräsentation" der "Vaterstimme" gesprochen werden kann.

{RN:83}
Die Beurteilung dessen aber, was als historischer Grund gegenwärtig noch gelten darf - was also "tradiert" worden ist -, kann nicht vernachlässigen, dass diese aufgezeigte Entwicklung im 19. Jahrhundert in Preußen nach Ende des Weltkriegs von 1914 endgültig aufgegeben worden ist.

{RN:84}
Das "Gesetz, betreffend vorläufige Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts" vom 18.7.1919 (Pr-GS, S. 118) - GemVerfG-19 - ging für die Neuwahlen zum 31.8.1919 (§ 4 Abs. 1 GemVerfG-19) vom Grundsatz der allgemeinen und direkten Verhältniswahl aus (§§ 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 GemVerfG-19), hob durch § 10 GemVerfG-19 die Bestimmungen in sämtlichen Kommunalgesetzen Preußens auf, die Stadtverordneten verboten, zugleich dem Magistrat anzugehören, und bestimmte im § 9 Abs. 1 GemVerfG-19:

{RN:85}
Aufgehoben werden Bestimmungen der Gemeindeverfassungsgesetze, nach denen Verwandte oder Verschwägerte bestimmten Grades und Gesellschafter offener Handelsgesellschaften nicht zugleich Mitglieder der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung), des Gemeindevorstands (Magistrats) oder beider Körperschaften sein dürfen.

{RN:86}
Vorausgegangen waren im Reich der "Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk" vom 12.11.1918 (RGBl, S. 1303) mit dem Programm, alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sollten künftig nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des "proportionalen Wahlsystems" für alle mindestens zwanzig Jahre alten männlichen und weiblichen Personen vorgenommen werden, sowie die "Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz)" vom 30.11.1918 (RGBl, S. 1345), das diese Wahlgrundsätze in den §§ 1 und 2 niederlegte.

{RN:87}
"Die Verfassung des Deutschen Reichs" vom 11.8.1919 (RGBl, S. 1383) - "Weimarer Verfassung" - WV - - verpflichtete auf der Grundlage dieser Entwicklung die Länder zu "freistaatlichen Verfassungen" (Art. 17 Abs. 1 S. 1 WV) und zum Einhalten der neuen Wahlgrundsätze (Art. 17 Abs. 1 S. 2 WV). Außerdem verlangte die Verfassung des Zentralstaats, die durch Art. 127 WV die kommunale Selbstverwaltung garantierte, dass die Wahlgrundsätze des Art. 17 Abs. 1 S. 2 WV nicht nur für die Wahlen zu den Länderparlamenten, sondern auch zu den kommunalen Vertretungskörperschaften zu gelten hätten (Art. 17 Abs. 2 WV).

{RN:88}
Preußen hat diese Verpflichtung durch Art. 4 und 74 seiner "Verfassung des Freistaats Preußen" vom 30.11.1920 (Pr-GS, S. 543) - PreußVerf-20 - erfüllt. Art. 70 PreußVerf-20 garantiert erneut die kommunale Selbstverwaltung.

{RN:89}
Der "Aufruf der Preußischen Regierung an das preußische Volk" vom 13.11.1918 (Pr-GS, S. 187) hatte sich zudem in ausdrücklicher Abkehr vom "alten, reaktionären Preußen" zu einer "demokratischen Volksrepublik" bekannt und sich in diesem Zusammenhang für die "Demokratisierung aller Verwaltungskörperschaften" ausgesprochen.

{RN:90}
Die verfassungsrechtliche Literatur ist schon in der Weimarer Republik davon ausgegangen, die Umwälzung von 1918 habe neues Recht geschaffen (Anschütz, WV, 14. Aufl., 1933, Einl., S. 3 ff, unter Hinweis [S. 7 f] auf RGZ 99, 287; 100, 27; RGSt 53, 66; 54, 157; 56, 259 ff); Giese, WV, 4. Aufl., Einl., S. 21 ff). Bei den Wahlgrundsätzen der "Allgemeinheit" und "Gleichheit" wurden die Einschränkungen als verfassungsgemäß angesehen, die sich aus dem späteren Reichswahlgesetz vom 27.4.1920 (RGBl, S. 627) - RWahlG - ergaben, weil es mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen worden war (vgl. insoweit Art. 76 WV), so dass es Art. 17 Abs. 1 WV "authentisch interpretiert" habe (Anschütz, WV, Art. 17 Anm. 3 [S. 132]). Was das Reichswahlgesetz zuließ, galt auch als Rahmen für die bindende Verpflichtung aus Art. 17 Abs. 1 WV für die Länder (Anschütz, a. a. O., m. w. Nachw.).

{RN:91}
Die Bestimmungen des Reichswahlgesetzes lassen indessen beim "passiven Wahlrecht" nur Einschränkungen wegen Entmündigungen, Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte (§ 2 Abs. 1 Nrn. 1, 2 RWahlG), bei Geistesschwäche und für Gefangene (§ 2 Abs. 2, 3 RWahlG) zu; bei nachträglich eintretenden Gründen dieser Art entfiel das Mandat (§ 5 RWahlG).

{RN:92}
Die Anordnung, die Wahlrechtsgrundsätze des Staates hätten auch für die Wahl der Volksvertretung in den Kommunen zu gelten, wird als entscheidender Schritt zur Beseitigung feudaler und ständestaatlicher Einflüsse zugunsten der egalitären Demokratie verstanden (Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 21; Faber in Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz, Art. 28 RdNr. 5 [S. 74]; Herzfeld, Demokratie und Selbstverwaltung in der Weimarer Epoche, S. 18; Werner Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 2. Aufl., S. 61 f, 64; Rebentisch in Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Bd. 1: Grundlagen, S.86 [88 f]). Auch das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich eine historische Entwicklung des Wahlrechts zum "Demokratisch-Egalitären" hin anerkannt (BVerfGE 34, 81 [98]).

{RN:93}
§ 9 Abs. 1 GemVerfG-19 hat vor diesem Hintergrund einen ganz bewussten "Traditionsbruch" bewirkt, zumal die Bestimmung bis 1933 nicht mehr revidiert worden war.

{RN:94}
Eine Wiederaufnahme der "früheren Tradition" lässt sich nicht mit den Bestimmungen Preußens und des Reichs nach dem 30.1.1933 belegen.

{RN:95}
Die Vorschriften des mit "Vom Schutze gegen Vetternwirtschaft und Eigennutz" überschriebenen 4. Abschnitts des "Gemeindeverfassungsgesetzes" vom 15.12.1933 (Pr-GS, 427) - GemVerfG-33 - brachten zwar erneut Unvereinbarkeitsvorschriften wegen verwandtschaftlicher und Schwägerschafts-Beziehungen unter den "Schulzen, Schöffen, Bürgermeistern und Beigeordneten" einer Gemeinde (§ 50 Abs. 1 GemVerfG-33), legten aber für die Mitglieder im Gemeinderat nur ein konkretes Mitwirkungsverbot fest (§ 51 GemVerfG-33). Ganz abgesehen davon soll bewusst nicht untersucht werden, ob jenes schon das "Führerprinzip" vorwegnehmende Gesetz, das dem Gemeinderat nur noch eine "beratende Funktion" beließ (vgl. §§ 5, 40, 43 GemVerfG-33), insgesamt oder nur teilweise mit der preußischen Verfassung unvereinbar gewesen wäre; denn das war seinerzeit ohne Bedeutung: Nachdem das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" - "Ermächtigungsgesetz" - vom 24.3.1933 (RGBl I, S. 141) die Reichsregierung durch Art. 1 und 2 ermächtigt hatte, Gesetze zu beschließen, die sogar von der Reichsverfassung abweichen durften, hatte die Reichsregierung durch §§ 1, 2 des "Vorläufigen Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" vom 31.3.1933 (RGBl I, S. 153) die Landesregierungen ermächtigt, Landesgesetze zu beschließen, welche gleichfalls von den Landesverfassungen abweichen konnten.

{RN:96}
§ 43 Abs. 1 S. 1 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30.1.1935 (RGBl I, S. 49) - DGO - schloss dann gleichfalls nur aus, dass bis zum dritten Grad Verwandte oder bis zum zweiten Grad Verschwägerte gleichzeitig Bürgermeister und Beigeordnete sein konnten, ohne bei solchen Beziehungen Unvereinbarkeiten auch für Ratsmandate zu regeln. Außerdem ließ § 43 Abs. 1 S. 2 DGO Ausnahmen für Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnern zu.

{RN:97}
Nach 1945 sind die auf dem Gebiet des durch Kontrollratsgesetz vom 25.2.1947 (vgl. ProvSAn-GABl 1947, Teil I, S. 49) aufgelösten Staats Preußen entstandenen Länder unterschiedlich verfahren:

{RN:98}
Die im Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone zunächst in Brandenburg und danach auch in der Provinz, dem späteren Land Sachsen-Anhalt als Landesrecht in Kraft gesetzte "Demokratische Gemeindeordnung" vom 5.10.1946 / 11.1.1947 (ProvSAn-GABl 1947, Teil I, S. 20) - DemGO - bekannte sich zu einer Volksvertretung, die aus geheimen, gleichen, und direkten Wahlen nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts hervorgehen sollte (§ 9 Abs. 1 DemGO), kannte aber keine generellen Ausschlussgründe, sondern legte nur ein konkretes Mitwirkungsverbot für Gemeindevertreter fest, das für deren Angehörige auch galt, wenn diese einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil haben konnten (§ 21 Satz 1 DemGO).

{RN:99}
Im Gebiet der Britischen Besatzungszone wurde die Deutsche Gemeindeordnung einheitlich und "länderübergreifend" für die ganze Zone revidiert (Verordnung Nr. 21 der Britischen Militärregierung vom 1.4.1946 [Amtsblatt der Militärregierung, No. 7, S. 127]) und als geänderte Anlage - revDGO - in Kraft gesetzt. §§ 6, 32 revDGO legten die "Führung der Gemeindeangelegenheiten" und die "Verwaltung" ausschließlich in die Hände des Gemeinderats, der die Gemeinde auch zu vertreten hatte (§ 37 Abs. 1 revDGO); dem Bürgermeister kam als einem Gleichen unter den Gemeinderäten nur der Vorsitz in diesem Gremium zu (§ 32 Abs. 2 revDGO). Vor diesem Hintergrund bestimmte § 38 Abs. 1 revDGO einerseits, das Amt des Bürgermeisters und seines Stellvertreters dürfe "in keinem Falle" durch einen Berufsbeamten verwaltet werden, und legte andererseits fest, der Bürgermeister dürfe auch mit dem Hauptgemeindebeamten nicht bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert sein (§ 44 revDGO). Im übrigen war nur unvereinbar, dass der Hauptgemeindebeamte selbst oder ein Gesellschafter oder Arbeitnehmer von ihm zugleich Kämmerer ist (§ 41 Abs. 1 revDGO).

{RN:100}
In der Folgezeit haben Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ebenso wenig wie Niedersachsen "familiäre Unvereinbarkeiten" derart geregelt, dass sie das Verhältnis zwischen Hauptverwaltungsbeamtem und Ratsmitgliedschaft generell berühren. § 22 Abs. 4 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein i. d. F. vom 2.4.1990 (SH-GVOBl, S. 159) - SH-GO - enthält wie § 26 Abs. 1 der Nieders. Gemeindeordnung i. d. F. vom 22.6.1982 (NdsGVBl, S. 229) - NGO - und § 23 Abs. 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen i. d. F. d. Bek. v. 13.8.1984 (GV-NW, S. 475) - NW-GO - nur das "konkrete", auf "Angehörige" ausgedehnte Mitwirkungsverbot bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, das auch für Mitglieder der Vertretungskörperschaft gilt. Schleswig-Holstein hat einen daran anknüpfenden Ausschlussgrund allein für Mitglieder des Magistrats untereinander geschaffen (§ 62 Abs. 2 SH-GO). Nordrhein-Westfalen verbietet die gleichzeitige Tätigkeit von solchen Angehörigen als Hauptverwaltungsbeamter (= Gemeindedirektor) und Beigeordneter (§ 50 NW-GO), und § 101 Abs. 3 NW-GO untersagt - der Tradition der revidierten Gemeindeordnung folgend (vgl. oben § 41 revDGO) - verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Kämmerer, Leiter des Rechnungsprüfungsamts, Kassenverwalter und Hauptverwaltungsbeamtem sowie Bürgermeister.

{RN:101}
§ 22 (DDR-)KommVfG regelte im Absatz 7 ausschließlich ein konkretes Mitwirkungsverbot.

{RN:102}
Dieser Befund widerlegt für Sachsen-Anhalt eine "Tradition", die Verwandte und / oder Verschwägerte hindert, gleichzeitig als Hauptverwaltungsbeamte und Mitglieder der Vertretungskörperschaft tätig zu sein. Allenfalls kann man für "herkömmlich" halten, dass konkrete Mitwirkungsverbote bestehen und dass diese dazu führen können, Verwandte und Verschwägerte innerhalb eines kollegialen Verwaltungsorgans der Kommune auszuschließen.

{RN:103}
Abgesehen davon kann verfassungsrechtlich nicht gebilligt werden, dass ein Bürgermeister das zu seiner Familie gehörende Ratsmitglied "verdrängt", weil dies einen nicht zulässigen völligen Ausschluss der Wählbarkeit bewirkt.

{RN:104}
Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seiner Rechtsprechung zu Art. 137 Abs. 1 GG, der Einschränkungen der Wählbarkeit durch die Verfassung selbst rechtfertigt, ständig betont, diese dürften die Wählbarkeit nicht ausschließen, sondern lediglich Unvereinbarkeiten festlegen (zuletzt: BVerfGE 48, 64 [88]; 57, 43 [67]; 58, 177 [192]). Daran hat das Gericht auch für den Kommunalbereich festgehalten, obgleich es hier einen "faktischen Ausschluss" der Wählbarkeit gebilligt hat (BVerfG, a. a. O.). Wesentliches Merkmal der Unvereinbarkeit im Verhältnis zur Unwählbarkeit ist aber auch hier, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, den Hinderungsgrund durch eigenes Verhalten zu beseitigen und dadurch seine Wählbarkeit (wieder-)herzustellen (BVerfG, a. a. O.).

{RN:105}
Dies ist bei der beanstandeten Regelung offenkundig ausgeschlossen; denn das Ratsmitglied wird immer und so lange ausgeschlossen, wie "sein Angehöriger" das Amt des Bürgermeisters wahrnimmt. Der so auf unbestimmte Dauer Verdrängte hat keinerlei Chance, seine Wählbarkeit aus eigener Kraft herbeizuführen, sondern ist davon abhängig, dass der Angehörige aus dem Amt ausscheidet.

{RN:106}
Ist eine solche wie die beanstandete Regelung aber schon undenkbar, wenn eine Verfassungsbestimmung ausdrücklich zur Einschränkung ermächtigt, dann kann sie beim Fehlen einer solchen Befugnis erst recht nicht hingenommen werden.

{RN:107}
Zu keinem anderen Ergebnis führt die Kritik eines Teils der Literatur am Ansatz des Bundesverfassungsgerichts, die nach Art. 137 Abs. 1 GG (eingeschränkt) auch "Unwählbarkeiten" für verfassungsgemäß hält (so etwa: v. Campenhausen in v. Mangoldt / Klein, GG, 3. Aufl., Bd. 14, Art. 137 RdNr. 9; Schlaich, Wählbarkeitsbeschränkungen für Beamte nach Art. 137 Abs. 1 GG und die Verantwortung des Gesetzgebers für die Zusammensetzung der Parlamente, AöR Bd. 105 (1980), S. 188 [213 ff]. Maunz in Maunz / Dürig, GG, Art. 137 RdNr. 15); denn dann müsste die Konsequenz jedenfalls als unverhältnismäßig erscheinen, dass es allein von einer anderen Person abhängt, ob das Wahlrecht wahrgenommen werden kann, während dem betroffenen Ausgeschlossenen jede Einflussmöglichkeit genommen ist.

{RN:108}
2.1.2.2.2-->Auch die "Funktionsfähigkeit" der kommunalen Vertretung ist kein tauglicher Gesichtspunkt, die Mitgliedschaft von "Angehörigen" des Bürgermeisters auszuschließen.

{RN:109}
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar aus einer solchen Erwägung heraus beim aktiven Wahlrecht die Sperrklausel von 5 % der Stimmen gebilligt (BVerfGE 1, 208 [247 ff]; 34, 81 [99 ff]); beim passiven Wahlrecht erschiene ein gleichartig gewichtiger Grund aber nur denkbar, wenn das durch "Verwandtschaft" oder "Schwägerschaft" auf Dauer konkret nach § 31 LSA-GO verhinderte Ratsmitglied faktisch überhaupt nicht mehr mitwirken könnte, weil der konkrete Ausschlussgrund dauernd wirksam wäre, so dass es dann kein verbleibendes Schutzinteresse mehr haben könnte, dem Rat anzugehören, und deshalb ein genereller Ausschluss von der Mitwirkung sachgerecht erschiene.

{RN:110}
Ob dieser Gedanke ausreicht, die Unwählbarkeit zu rechtfertigen, bleibt offen; denn die Voraussetzung ist schon nicht erfüllt.

{RN:111}
Selbst wenn man annehmen wollte, dass jede Art von "Kontrollentscheidung" je nach Ausgang des Ratsbeschlusses als konkreter Vor- oder Nachteil für den Bürgermeister anzusehen wäre, verblieben allein nach § 44 Abs. 3 LSA-GO noch ausreichend Tätigkeitsfelder, in welchen eine Kollision von Interessen zwischen Ratsmitglied und Bürgermeister nicht vorgezeichnet ist.

{RN:112}
Dem kann der Gesichtspunkt nicht entgegengehalten werden, gerade wegen der Besonderheiten im kommunalen Bereich und der denkbaren engen Interessenverflechtungen seien sogar faktische Ausschlüsse der Wählbarkeit zulässig (BVerfGE 48, 64 [89]; 57, 43 [67]; 58, 177 [193]); denn diese zu Art. 137 Abs. 1 GG gemachte Aussage soll begründen, dass der Normzweck dieser Verfassungsbestimmung gewahrt und der Grundsatz der Gewaltenteilung durchgesetzt werden kann (BVerfGE 48, 64 [84, 87, 89]; 57, 43 [62, 66 f]). Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht einschränkend gerade in diesem Zusammenhang betont, ein faktischer Ausschluss dürfe nicht in Betracht kommen, wenn und solange die konkreten Mitwirkungsverbote als ausreichende Sicherung anzusehen seien (BVerfGE 58, 177 [193], m. w. Nachw.).

{RN:113}
2.2-->Dass die Nichtigkeit nicht nur des § 59 Abs. 3 LSA-GO, sondern auch weiterer Regelungen festgestellt wird, beruht auf § 41 Satz 2 LSA-VerfGG. Die zusätzlich benannten Bestimmungen verstoßen aus den gleichen Gründen wie die vom Beschwerdeführer beanstandete Bestimmung gegen die Grundsätze der "Allgemeinheit" und der "Gleichheit" kommunaler Wahlen und schließen potentiell Mitglieder der Vertretungskörperschaften in der Gemeinde und im Landkreis von deren weiterer Tätigkeit aus.

{RN:114}
Das Landesverfassungsgericht kann seine Entscheidung auch auf die unten genannten Vorschriften der Landkreisordnung erstrecken; denn es handelt sich um "dasselbe Gesetz" i. S. des § 41 Satz 2 LSA-VerfGG. Das folgt aus dem Sinn der Regelung. Verhindert werden soll eine weitere Verfassungsbeschwerde mit dem gleichen Anliegen, bezogen auf eine andere Bestimmung mit demselben Inhalt. Aus Gründen der Verfahrensökonomie soll das Gericht den sicheren Ausgang dieser Parallelbeschwerde schon beim ersten Fall in Rechnung stellen können. Dass diesem Zweck nicht genügt werden kann, wenn der Anwendungsbereich auf das formal einheitliche Gesetz beschränkt bleibt, zeigt sich deutlich im Fall der kommunalrechtlichen Vorschriften. Allein von Zweckmäßigkeitsentscheidungen bei der Gesetzgebung hängt ab, ob die Bestimmungen für die Gemeinden und für die Landkreise wie bislang in einem einheitlichen Gesetz geregelt werden oder wie jetzt in zwei formal getrennten Gesetzen. Die Motive des Gesetzgebers sind dabei nicht notwendig dieselben wie der Regelungszweck des § 41 Satz 2 LSA-VerfGG.

{RN:115}
§ 67 Abs. 1 LSA-GO (in der Fassung des Änderungsgesetzes) unterscheidet sich von § 59 Abs. 3 LSA-GO, auf den er zudem verweist, allein dadurch, dass hier der Beigeordnete und dort der Bürgermeister Bezugspunkt für die Anknüpfung der "familiären Beziehungen" ist. Der Beigeordnete gehört wie der Bürgermeister zur "Verwaltung" der Gemeinde (vgl. bes. § 66 LSA-GO), und beide "verdrängen" das Mitglied des Gemeinderats.

{RN:116}
§ 48 Abs. 3 LSA-LKO (in der Fassung des Änderungsgesetzes; alte Benennung: § 47) trifft eine im Vergleich mit § 59 Abs. 3 LSA-GO identische Regelung, die sich von jener nur dadurch unterscheidet, dass hier der Landrat und dort der Bürgermeister - beide als die Hauptverwaltungsbeamten der jeweiligen Kommune - Bezugspunkt für die Anknüpfung der "familiären Beziehung" ist; in beiden Fällen wird der "Angehörige", welcher der Vertretungskörperschaft (Gemeinderat, Kreistag) angehört, "verdrängt".

{RN:117}
§ 56 Abs. 1 LSA-LKO (in der Fassung des Änderungsgesetzes) schließlich verhält sich zu der "Landratsregelung" in der Landkreisordnung wie die entsprechende Beigeordneten-Bestimmung der Gemeindeordnung zu der dortigen "Bürgermeisterregelung". Auch hier ist wie in der Gemeindeordnung auf die Hauptbestimmung (hier: der Landkreisordnung) verwiesen.

{RN:118}
Die jeweiligen Absätze der genannten Bestimmungen sind in vollem Umfang nichtig. Zu beanstanden ist zwar in erster Linie die "Anknüpfung" an die "familiären" Verhältnisse im jeweiligen Satz 1. Die daran anschließenden oder in Bezug genommenen Regelungen enthalten aber Folgerungen aus der verfassungswidrigen Grundaussage.

{RN:119}
Zur Klarstellung sei vermerkt:

{RN:120}
In die (erweiterte) Nichtigkeitsfeststellung ausdrücklich nicht einbezogen werden § 67 Abs. 2 LSA-GO n. F. (= § 67 [einziger Absatz] LSA-GO a. F.) und § 56 Abs. 2 LSA-LKO; denn diese Regelungen betreffen ausschließlich die Beziehungen zwischen Amtsträgern der "Verwaltung" der jeweiligen Kommune.

{RN:121}
Die historische Ableitung hat ergeben, dass zwischen den Verhältnissen innerhalb "kollegialer Verwaltungsorgane" der Kommunen oder der Vertretungen und der Ebene zwischen beiden Tätigkeiten unterschieden werden muss. Im übrigen gilt Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und ihm folgend Art. 89 LSA-Verf nur für die Wahlen zur Volksvertretung und erstreckt sich nicht auf die Wahl der Verwaltungsspitze.

{RN:122}
Soweit § 67 Abs. 2 LSA-GO und § 56 Abs. 2 LSA-LKO auf den jeweils für nichtig erklärten Absatz 1 derselben Bestimmung verweisen, bleibt der bisherige Regelungsgehalt für die Auslegung der erhalten gebliebenen Vorschrift bestehen. Dies bedarf nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts keiner ausdrücklichen Klarstellung in der Urteilsformel, weil der wegen anderer Zusammenhänge für nichtig erklärte Teil nur Anknüpfung für eine eigenständige Regelung mit besonderen Rechtsfolgen ist.

{RN:123}
3.-->Die Kostenfreiheit folgt aus § 32 Abs. 1 LSA-VerfGG.

{RN:124}
Dem Beschwerdeführer sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, weil er mit seiner Verfassungsbeschwerde in vollem Umfang durchdringt (§ 32 Abs. 2 LSA-VerfGG).
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Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.