Menu
menu

Urteil des Gerichtes

Entscheidungsvorblatt

Aktenzeichen: LVG 3/95 Entscheidungsart: Urteil Entscheidung vom: 22.02.1996
Verfahrensart Kommunalverfassungsbeschwerde
entscheidungserhebliche Vorschriften LSA-Verf Art. 2 Abs 4
LSA-Verf Art. 75 Nr 7
LSA-VerfGG § 55
LSA-VwGemVO 1994
LSA-AG-VwGO § 10
Schlagworte Gesetz - Verordnung - Gegenstand - Zuständigkeit - Kommunalverfassungs-streit - Reichweite - Bundesverfassungsgericht - Rechtsweg, Ausschöpfung
Stichworte Urteil
Leitsatz In Sachsen-Anhalt ist die Verfassungsbeschwerde nur gegen formelle Gesetze, nicht jedoch gegen untergesetzliche Rechtsvorschriften zulässig.
Fundstellen nicht veröffentlicht; vgl. Parallelentscheidung LVG 2/95 in LVerfGE 4, 401
Sonstiges Verordnungsrecht
Zitiervorschlag VerfGSA, Urteil vom 22.02.1996 - LVG 3/95 -,
www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de

Urteil

in dem Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren

LVG 3/95

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin wird als unzulässig verworfen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Erstattung von Auslagen findet nicht statt.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------


Tatbestand:

{RN:1}
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Wirksamkeit des Absatzes 1 des § 19 der Verordnung über die Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften - LSA-VwGemVO - vom 23. 03. 1994 (LSA-GVBl., S.495).

{RN:2}
1.-->Die Beschwerdeführerin ist eine knapp über 500 Einwohner zählende Gemeinde ...

{RN:3}
Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss am 24.05.1991 (LT-Drs. 1/16/442 B), die von ihm für notwendig gehaltene kommunale Gebietsreform durch freiwillige Zusammenschlüsse von Gemeinden unter 5.000 Einwohnern zu Verwaltungsgemeinschaften zu fördern. Die "untere hauptamtlich verwaltete kommunale Ebene" (Einheitsgemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft) müsse, um ausreichend leistungsfähig zu sein, an sich zehn Kräfte im gehobenen und / oder höheren Dienst beschäftigen, so dass aus verwaltungsökonomischen Gründen eigentlich eine Größenordnung von 10.000 bis 12.000 Einwohnern erforderlich sei. Da aber auch der Gesichtspunkt der Akzeptanz eine Rolle spiele, erscheine es sinnvoll, Einheiten zu bilden, die jedenfalls nicht weniger als 5.000 Einwohner haben.

{RN:4}
Das Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit (= Art. I des Gesetzes zur Neuordnung der kommunalen Gemeinschaftsarbeit und zur Anpassung der Bauordnung vom 09.10.1992 [LSA-GVBl., S. 730]), geändert durch Gesetz vom 04.02.1994 (LSA-GVBl., S. 164) - LSA-GKG -, sieht die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften durch öffentlich-rechtliche Vereinbarung vor (§ 3 Abs. 1 LSA-GKG). Diese bedürfen der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde (§ 4 Abs. 4 S. 1 LSA-GKG). Das Änderungsgesetz vom 04.02.1994 (Art. I des Gesetzes, LSA-GVBl., S. 164) ermächtigt das Ministerium des Innern, sofern derartige freiwillige öffentlich-rechtliche Vereinbarungen bis zum 31. 12. 1993 nicht zustande gekommen sind, durch Verordnung aus Gründen des öffentlichen Wohls nach Anhörung der Gemeinden auch gegen deren Willen Verwaltungsgemeinschaften zu bilden (§ 4a LSA-GKG).

{RN:5}
Diese Verordnung wurde mit Wirkung vom 31.03.1994 erlassen (§ 25 LSA-VwGemVO) und ordnete in § 19 Abs. 1 LSA-VwGemVO die Gemeinde Lagendorf der Verwaltungsgemeinschaft Diesdorf-Dähre zu.

{RN:6}
Die Beschwerdeführerin hat am 31.05.1994 im Wege der Normenkontrolle nach § 47 VwGO beim Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt beantragt, § 19 Abs. 1 LSA-VwGemVO für nichtig zu erklären. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 21.12.1994 - 2 K 6/94 - abgelehnt. Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nummer 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG eingelegt.

{RN:7}
Diese hat die 1. Kammer des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 25.03.1995 - 2 BvR 400/95 - nicht zur Entscheidung angenommen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Beschwerdeführerin gegen § 19 Abs. 1 LSA-VwGemVO nach Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf in Verbindung mit §§ 2 Nr. 8, 51 LSA-VerfGG Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt erheben könne. Diese Frage sei bisher durch das Landesverfassungsgericht nicht geklärt. Aus dem Wortlaut der Landesverfassung ergebe sich nicht eindeutig, dass unter dem Begriff "Landesgesetze", deren Überprüfung mit der Landesverfassung dem Landesverfassungsgericht nach Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf in Verbindung mit §§ 2 Nr. 8, 51 LSA-VerfGG übertragen ist, nur förmliche Gesetze zu verstehen seien und somit dem Landesverfassungsgericht die Zuständigkeit für die Überprüfung von untergesetzlichen Verordnungen - Gesetzen im materiellen Sinne - fehle. Daher sei es der Beschwerdeführerin zumutbar, vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst eine Klärung durch das Landesverfassungsgericht herbeizuführen.

{RN:8}
Der mit Gründen versehene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde der Beschwerdeführerin am 28.03.1995 bekanntgegeben. Die Verfassungsbeschwerde ist beim Landesverfassungsgericht am 13.04.1995 eingegangen.

{RN:9}
2.-->Die Beschwerdeführerin meint, dass die Jahresfrist, innerhalb deren die Verfassungsbeschwerde nach Inkrafttreten der LSA-VwGemVO gemäß §§ 48, 51 Abs. 2 LSA-VerfGG nur eingelegt werden könne, gewahrt sei. Durch die Einleitung des Normenkontrollverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt im Mai 1994 sei die Verjährungsfrist unterbrochen worden.

{RN:10}
Die Beschwerdeführerin beantragt,
für den Fall, dass das Landesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde für verfristet halte, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

{RN:11}
Sie sei nach dem Wortlaut der Landesverfassung davon ausgegangen, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Verordnungen zum Landesverfassungsgericht nicht gegeben sei. Auf diese Möglichkeit sei sie erst durch die in ihrer Sache am 24.03.1995 ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen worden. Es sei ihr aber innerhalb von 6 Tagen bis zum Ablauf der Jahresfrist nach Inkrafttreten der Verordnung am 31.03.1995 nicht möglich gewesen, den nötigen Rechtsrat einzuholen und die Verfassungsbeschwerde umfassend zu begründen.

{RN:12}
In der Sache selbst meint die Beschwerdeführerin, § 19 Abs. 1 LSA-VwGemVO verletze sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 2 Abs. 3, 87 Abs. 1 LSA-Verf. So diene die Zuordnung der Beschwerdeführerin zur Verwaltungsgemeinschaft Diesdorf - Dähre nicht den Gründen des öffentlichen Wohls. Der Sachverhalt sei nicht ausreichend ermittelt und die Abwägung der für und gegen den Zusammenschluss sprechenden Gründe nicht in der gebotenen Weise erfolgt. Auch sei das Anhörverfahren fehlerhaft gewesen.

{RN:13}
Sie beantragt sinngemäß,
festzustellen, dass § 19 Abs. 1 der Verordnung über die Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften vom 23.03.1994 (LSA-GVBl., S. 495) sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 2 Abs. 3, 87 Abs. 1 LSA-Verf verletzt und daher nichtig ist.

{RN:14}
3.-->Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat in seiner 29.Sitzung am 26.10.1995 beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben.

{RN:15}
4.-->Die Landesregierung tritt der Rechtsauffassung der Antragstellerin entgegen. Sie meint, die kommunale Verfassungsbeschwerde könne nur gegen förmliche Gesetze erhoben werden.

{RN:16}
Ferner halte sich § 19 Abs. 1 LSA-VwGemVO im Rahmen der Ermächtigung des § 4a LSA-GKG. Einziges Kriterium für den Zusammenschluss der Gemeinden sei der Gesichtspunkt des "öffentlichen Wohls". Nach dem Leitbild des in § 76 LSA-GO niedergelegten Grundsatzes sollten Gemeinden unter 5.000 Einwohnern keine eigenen Verwaltungen behalten. Davon gebe es zwar Ausnahmen: So seien die kleinsten Gemeinden mit zugestandener eigener Verwaltung H. mit 3.639 und W. mit 3.215 Einwohnern. Wenn dort die Voraussetzungen für eine eigene Verwaltung noch gegeben seien, sei dies bei der deutlich kleineren Antragstellerin mit rund 500 Einwohnern zu verneinen.

------------------------------------------------------------

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

{RN:17}
1.-->Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie sich gegen eine Rechtsverordnung - § 19 Abs. 1 der Verordnung über die Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften - LSA-VwGemVO - vom 23.3.1994 (LSA-GVBl., S. 495) - richtet. Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf lässt die Verfassungsbeschwerde aber nur gegen formelle Gesetze, nicht jedoch gegen untergesetzliche Rechtsvorschriften zu (Pestalozza LKV 1994, 11, 14; a.A. Mahnke, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Textausgabe mit Erläuterungen 1993, Art. 75 RdNr. 27, der ohne nähere Begründung die Auffassung vertritt, unter "Landesgesetz" im Sinne des Art. 75 Nr.7 LSA-Verf seien nicht nur formelle, sondern auch materielle Gesetze zu verstehen).
Damit fehlt es an der Zuständigkeit des angerufenen Landesverfassungsgerichts.

{RN:18}
1.1-->Der Begriff "Gesetz" wird in der Rechtssprache in einem doppelten Sinne verwandt (vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch Stichwort "Gesetz"):
{LS:}
{L:Zum einen ist hierunter das Gesetz im formellen Sinne zu verstehen, d.h. jeder Beschluss der zur Gesetzgebung zuständigen Organe, der in einem verfassungsmäßig vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren ergeht.}

{L:Zum anderen werden hierunter alle allgemeinen Vorschriften verstanden, die rechtsverbindlich die Rechte und Pflichten des Einzelnen oder die Einrichtungen und Zuständigkeiten der Rechtsgemeinschaft selbst begründen, ausgestalten, ändern oder aufheben (Gesetz im materiellen Sinn).}
{LE:}

{RN:19}
Der konkrete Wortsinn des Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf erschließt sich aus dem Zusammenhang mit Art. 75 Nr. 3 LSA-Verf (der abstrakten Normenkontrolle) und Art. 75 Nr. 5 LSA-Verf (der konkreten Normenkontrolle). Die Landesverfassung unterscheidet innerhalb des Art. 75 LSA-Verf zwischen dem "Landesrecht" und den "Landesgesetzen". Unter "Landesrecht" sind alle Normen des Landes zu verstehen, also Gesetze im formellen Sinn ebenso wie im materiellen Sinn (vgl. zum parallelen Bundesrecht: statt vieler Jarass / Pieroth, GG, 3. Aufl. 1995, Art. 93 RdNr. 18).

{RN:20}
Bei der abstrakten Normenkontrolle ist unter "Landesgesetz" nur das formelle Gesetz gemeint. Dies hängt damit zusammen, dass nur die Verfassungsgerichte das sogenannte Verwerfungsmonopol in bezug auf förmliche Gesetze haben. Die Fachgerichte sind infolge ihrer Bindung an die Verfassung und das Gesetz - Art. 2 Abs. 4 LSA-Verf, Art. 20 Abs. 3 GG - zur Prüfung der Gültigkeit der anzuwendenden Normen verpflichtet. Halten sie Vorschriften, auf die es bei der Entscheidung ankommt, für rechtswidrig, weil sie gegen die Verfassung verstoßen, so dürfen sie sie nicht anwenden. Von diesem Grundsatz macht Art. 100 GG für förmliche Gesetze des Bundes und Art. 75 Nr. 5 LSA-Verf für förmliche Landesgesetze eine Ausnahme. Kommt es nach Auffassung des Fachgerichts auf die Gültigkeit eines formellen Gesetzes an, so hat es das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundes- bzw. Landesverfassungsgerichts einzuholen (daher kommt auch Mahnke, a. a. O., Art. 75 RdNr. 16, zu dem Schluss, dass Art. 75 Nr. 5 LSA-Verf sich nur auf die Vorlagepflicht in bezug auf förmliche Gesetze bezieht).

{RN:21}
Wenn nun der Verfassungsgesetzgeber in Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf bei der hier in Rede stehenden kommunalen Verfassungsbeschwerde den Begriff "Landesgesetz" wählt, ist dieser im engeren Sinn auszulegen, nämlich dass hierunter nur förmliche Gesetze zu verstehen sind. Es sind keine Gründe erkennbar, dass der wortgleiche Begriff "Landesgesetz" in Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf anders als in Nr. 5 zu verstehen ist.

{RN:22}
1.2-->Das Bundesverfassungsgericht legt in ständiger Rechtsprechung den Begriff "Gesetz" in Art. 93 Nr. 4b GG indessen dahin aus, dass hierunter Gesetze im materiellen Sinn zu verstehen seien (BVerfG, Beschl. v. 24.06.1969 - 2 BvR 446/64 -, BVerfGE 26, 228, 236; Beschl. v. 15.10.1985 - 2 BvR 1808/82 u.a. -, BVerfGE 71, 25, 34; Beschl. v. 23.06.1987 - 2 BvR 826/83 -, BVerfGE 76, 107, 114; ebenso: Jarass / Pieroth, a. a. O., Art. 93 RdNr. 56; Maunz in Maunz / Dürig / Herzog, GG, Bd. IV Lief. 1 - 30, 1993, Art. 93 RdNr. 82; Meyer in: von Münch, GG, Bd. 3, 2.Aufl. 1983, Art. 93 RdNr. 66; Heinze BayVBl. 1970, 7, 9; Schmidt-Bleibtreu DVBl. 1967, 597, 598).

{RN:23}
Beschwerdegegenstand der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Nr. 4b GG sind danach alle Rechtsnormen des Bundes- und Landesrechts, die Außenwirkung gegenüber Gemeinden haben und ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) berühren. Damit können Landesverordnungen im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Nr. 4b GG neben der verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht nach § 47 VwGO zusätzlich auch durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden.

{RN:24}
Die Auslegung des Gesetzesbegriffs in Art. 93 Nr. 4b GG durch das Bundesverfassungsgericht ist jedoch für das Landesverfassungsgericht für die des Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf nicht bindend (so zu Recht für das baden-württembergische Landesrecht StGH BW, Urt. v. 09.08.1977, ESVGH 27, 185, 188) und von der Sache her auch nicht geboten:

{RN:25}
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ersten Entscheidung (BVerfGE 26, 228) die Einbeziehung von Rechtsverordnungen unter den Begriff "Gesetz" in Art. 93 Nr. 4b GG damit begründet, dass anderenfalls "eine mit dem Sinn des Gesetzes unvereinbare Lücke im Rechtsschutz" entstünde. Dies traf im konkreten Fall deshalb zu, weil das Land, in dem die antragstellende Kommune liegt, von der Ermächtigung des § 47 VwGO, der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle, keinen Gebrauch gemacht hatte. Ohne die Zulassung der kommunalen Verfassungsbeschwerde hätte die Gemeinde in der Tat keine rechtliche Möglichkeit besessen, gegen die sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG unmittelbar beeinträchtigende Verordnung gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen.

{RN:26}
In Sachsen-Anhalt steht den Kommunen aber das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zur Verfügung. Dadurch, dass das Oberverwaltungsgericht die Gültigkeit von Rechtsverordnungen im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde gerade auch im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen hat, genießen die Kommunen ausreichenden Rechtsschutz. Das Rechtsstaatsgebot (Art. 2 Abs. 1 LSA-Verf) erfordert es nicht, dass darüber hinaus auch noch zusätzlich eine verfassungsgerichtliche Kontrolle stattfinden müsse (StGH BW ESVGH 27, 185, 188).

{RN:27}
1.3-->Der Landesgesetzgeber hat erkennbar auch keinen "doppelten Rechtsschutz" mit der Einführung des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht neben der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf vor dem Landesverfassungsgericht gewollt:

{RN:28}
So sah das Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - LSA-AG-VwGO - vom 28.01.1992 (LSA-GVBl., S. 36) ursprünglich nur die Überprüfung von Satzungsrecht im Wege der Normenkontrolle vor dem Oberverwaltungsgericht vor (§ 10 LSA-AG-VwGO a.F.).

{RN:29}
Mit dem Inkrafttreten der Landesverfassung am 16.07.1992 (LSA-GVBl., S. 600) wurde die kommunale Verfassungsbeschwerde zum - noch zu bildenden Landesverfassungsgericht - eingeführt. Mit der Verabschiedung des Landesverfassungsgerichtsgesetzes vom 23.08.1993 (LSA-GVBl., S. 441) wurde in § 55 LSA-VerfGG § 10 LSA-AG-VwGO neu gefasst und dem Oberverwaltungsgericht nunmehr auch die Zuständigkeit zur Normenkontrolle von Verordnungen nach § 47 VwGO übertragen.

{RN:30}
Hätte damit ein weiterer Rechtsweg zum Oberverwaltungsgericht nach § 47 VwGO neben dem zum Landesverfassungsgericht eröffnet werden sollen, dann hätte es nahegelegen, auch die Frage zu klären, ob beide Rechtsschutzmöglichkeiten gleichzeitig in Anspruch genommen werden könnten - was zu divergierenden Entscheidungen in derselben Sache führen könnte -, oder ob die kommunale Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtsweges im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zulässig sein sollte.

{RN:31}
So ermächtigt Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG den Bundesgesetzgeber, für die bundesrechtliche Verfassungsbeschwerde vorzusehen, dass sie erst zulässig ist, wenn zuvor der Weg zu den Fachgerichten beschritten worden ist und die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft worden sind. Damit wird vermieden, dass zeitgleich der Rechtsweg zu den Fachgerichten und zum Bundesverfassungsgericht beschritten werden kann und in derselben Sache von einander abweichende Entscheidungen ergehen können. Von der Ermächtigung des Grundgesetzes hat der Bundesgesetzgeber in § 90 Abs. 2 BVerfGG Gebrauch gemacht.

{RN:32}
Eine entsprechende Ermächtigung sieht die Landesverfassung des Landes Sachsen-Anhalt nicht vor. Hätte der Landesverfassungsgeber neben der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle zusätzlich auch die verfassungsgerichtliche Überprüfung von Rechtsverordnungen im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde gewollt, wäre aber eine Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG entsprechende Ermächtigung erforderlich gewesen, um zu verhindern, dass es zu unterschiedlichen Entscheidungen über die Wirksamkeit der Verordnung kommen kann. Aus dem Fehlen einer solchen Vorschrift ist der Schluss zu ziehen, dass auch der Verfassungsgeber den Rechtsweg aufteilen wollte und nur die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von förmlichen Gesetzes dem Landesverfassungsgericht vorbehält, während die Entscheidung über die Gültigkeit der untergesetzlichen Rechtsvorschriften - und damit von Verordnungen - abschließend dem Oberverwaltungsgericht übertragen ist (Pestalozza LKV 1994, 11, 14; auch nach baden - württembergischem Landesverfassungsrecht ist die kommunale Verfassungsbeschwerde nur gegen förmliche Gesetze zulässig, vgl. StGH BW ESVGH 27, 185).

{RN:33}
So weist denn auch die Regierungsbegründung zum Entwurf des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht (LT-Drs 1/1980, S. 40) darauf hin, dass § 56 (= § 55 LSA-VerfGG) eine "Lücke" schließe, die sich daraus ergebe, dass die Verfassungsbeschwerde auf die Überprüfung "formellen Gesetzesrechts" beschränkt sei. In die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO in Verbindung mit § 10 LSA-AG-VwGO solle daher die Möglichkeit der unmittelbaren Prüfung von Rechtsverordnungen einbezogen werden.

{RN:34}
2.-->Da es schon an der Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts fehlt und aus diesem Grunde die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen ist, kommt es auf die weiteren von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Fragen, ob die Antragsfrist nach §§ 51 Abs. 2, 48 LSA-VerfGG eingehalten worden ist, oder ob ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 33 Abs. 2 LSA-VerfGG in Verbindung mit § 60 VwGO gegeben ist, nicht mehr an.

{RN:35}
3.-->Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei (§ 32 Abs. 1 LSA-VerfGG).
Da die Verfassungsbeschwerde in der Sache keinen Erfolg hat, kommt eine Erstattung von Auslagen nicht in Betracht (§§ 32 Abs. 3, 33 Abs. 2 LSA-VerfGG i. V. m. § 154 VwGO).
« zurück

Das Gericht

Der Sitz des Landesverfassungsgerichts ist Dessau-Roßlau.