Beschluss des Gerichtes
Entscheidungsvorblatt
Aktenzeichen: LVG 8/94 | Entscheidungsart: Beschluss | Entscheidung vom: 31.05.1994 |
Verfahrensart | Verfassungsbeschwerde | |
entscheidungserhebliche Vorschriften |
LSA-Verf Art. 2 Abs 1 LSA-Verf Art. 5 Abs 1 LSA-Verf Art. 21 Abs 4 LSA-Verf Art. 75 Nr 6 LSA-Verf Art. 90 LSA-VerfGG § 2 Nr 7 LSA-VerfGG § 21 Abs 1 LSA-VerfGG § 32 DDR-KommVfG § 13 DDR-KommVfG § 79 |
|
Schlagworte | Gebietsreform - Anhörung - Beschwer - Recht, eigenes - Verfahrensgesetz | |
Stichworte | Beschluss | |
Leitsatz | Bürger können das Kreisgebietsreformgesetz nicht deshalb angreifen, weil ihre Anhörung unterblieben ist. | |
Fundstellen | nicht veröffentlicht | |
Sonstiges | Zulässigkeit | |
Zitiervorschlag |
VerfGSA, Beschluss vom
31.05.1994 - LVG 8/94 -, www.verfassungsgericht-sachsen-anhalt.de |
Beschluss
in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
LVG 8/94
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Gründe:
{T:I.}
{RN:1}
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen das Gesetz zur Kreisgebietsreform vom 13.07.1993 (LSA-GVBl. S. 352), inzwischen geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 03.02.1994 (LSA-GVBl. S. 164, 171) - LSA-KrsGebRefG -, soweit § 15 die Bildung des Burgenlandkreises betrifft; sie begehrt ferner, den Vollzug dieser Bestimmung sowie die Kreistags- und Landratswahlen in diesem Gebiet im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen.
{RN:2}
Sie rügt die Verletzung von Art. 90 und Art. 5 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 15.07.1992 (LSA-GVBl. S. 600) - LSA-Verf - und macht insoweit geltend:
{RN:3}
Die durch Art. 90 S. 2 LSA-Verf geforderte Anhörung sei unterblieben. Dies habe die Unwirksamkeit der Kreisgebietsreform zur Folge, soweit sie selbst betroffen sei. Unabhängig davon, ob ein Anhörungsgesetz erforderlich sei, liege ein Verfassungsverstoß vor, weil sie jedenfalls nicht angehört worden sei.
{RN:4}
Wie sich aus der Papenburg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe, fehle es an einer ausreichenden Informationsgrundlage, welche der Gesetzgeber schaffen müsse, wenn die Einwohner nicht angehört würden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine rechtzeitige Anhörung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
{RN:5}
Wäre sie, die Beschwerdeführerin, angehört worden, so hätte sie sich gegen den Zusammenschluss der Kreise Nebra und Naumburg mit Zeitz gewendet und wäre für die Selbständigkeit von Zeitz eingetreten. Außerdem rege sie an, vor einer Kreisneuordnung eine Länderneugliederung vorzunehmen und dabei Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu einem Bundesland zu vereinigen. Die Alternativen zum Burgenlandkreis seien nicht erörtert worden.
{RN:6}
Durch die Reformgesetzgebung werde ihr, der Beschwerdeführerin, die durch den Wohnsitz begründete Mitgliedschaft im Landkreis Zeitz entzogen; sie werde gegen ihren Willen dem Burgenlandkreis zugeordnet. Eine solche Zwangsmitgliedschaft sei nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung möglich. Das sei aber wegen des Verstoßes gegen Art. 90 S. 2 LSA-Verf nicht der Fall. Deshalb sei zugleich ihr Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 LSA-Verf) verletzt.
{RN:7}
Die Anhörungspflicht habe sich schließlich aus dem Grundsatz rechtlichen Gehörs ergeben.
{RN:8}
Die Verfassungsbeschwerde sei ihrem Umfang nach nicht eingeschränkt. Auch die Wahl- und Anhörungsrechte könnten geltend gemacht werden.
{RN:9}
Die einstweilige Anordnung sei geboten, weil die Nichtigkeitserklärung nach Durchführung der Wahl mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen werde.
-----------------------------------------------------
{T:II.}
{RN:10}
Das Landesverfassungsgericht hält die Verfassungsbeschwerde einstimmig für offensichtlich unbegründet und entscheidet über sie deshalb ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 21 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - Landesverfassungsgerichtsgesetz - <LSA-VerfGG> LSA-GVBl. S. 441).
{RN:11}
1.-->Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Eine Verletzung in staatsbürgerlichen Rechten unmittelbar durch das Gesetz (Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf, § 2 Nr. 7 LSA-VerfGG) erscheint immerhin möglich, wenn mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen wäre, dass sie ein Recht auf Anhörung aus Art. 90 S. 2 LSA-Verf hätte. Bereits diese denkbare Verletzung reicht für die Zulässigkeit aus.
{RN:12}
2.-->Die erhobenen Rügen sind indessen offenkundig nicht begründet.
{RN:13}
Art. 90 S. 2 LSA-Verf ist nicht verletzt. Art. 90 LSA-Verf zeigt lediglich die Schranken auf, die Inhalt der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf sind, ohne eigene Rechte für Bürger zu gewähren. Nach allgemeiner Auffassung verlangt die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nicht nur, dass es Kommunen überhaupt im Staatsaufbau des Landes gibt, sondern der einzelnen Kommune ist auch garantiert, dass ihr Gebietsbestand nur nach vorheriger Anhörung und ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls verändert und dass sie nur in diesem Rahmen aufgelöst werden darf (BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 - 2 BvR 165/75 -, BVerfGE 50, 50f; Beschl. v. 12.05.1992 - 2 BvR 470, 650, 707/90 -, BVerfGE 86, 90, 107; StGH BW, Urt. v. 14.02.1975 - GeschRegNr. 11/74 -, ESVGH 25, 1, 10, 25 = NJW 1975, 1205 ff; NdsStGH, Urt. v. 14.02.1979 - StGH 2/77 - NdsStGHE 2, 1, 145 = OVGE 33, 497, 498; VfGH NW, Urt. v. 04.08.1972 - VfGH 9/71 -, OVGE 28, 291, 292; VfGH RP, Urt. v. 17.04.1969 -, VGH 2/69 -, DVBl. 1969, 799, 800 f; Urt. v. 05.05.1969 - VGH 36/69 -, DVBl. 1970, 780-, Urt. v. 22. 12.1969 - VGH 43/69 -, DVBl. 1970, 785, 787; VfGH des Saarlandes, Urt. v. 28.06.1974 -Lv 8/74 -, DVBl. 1975, 35; vgl. zu Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf auch: Mahnke, Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, 1993, Art. 2 RdNr. 15; Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, 1994, Art. 2 RdNr. 5; LVerfG LSA, Urt. v. 31.05.1994 - LVG 2/93 und 1/94 - ). Wenn Art. 90 LSA-Verf inhaltsgleich diese Begriffe verwendet, stellt er lediglich fest, dass dieses Ergebnis der Rechtsprechung auch Inhalt der landesverfassungsrechtlichen Garantie sein soll (LVerfG LSA, a. a. O.).
{RN:14}
Eigenständige Rechte gewährt die Vorschrift nicht. Für die Kommunen, um deren Gebiet es bei Gesetzen nach Art. 90 LSA-Verf geht, ergibt sich das bereits daraus, dass Art. 90 LSA-Verf in den Rechtsschutzvorschriften des Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf und des § 2 Nr. 8 LSA-VerfGG nicht genannt ist. Können aber die betroffenen Kommunen keine besonderen Anhörrechte aus Art. 90 S. 2 LSA-Verf herleiten, so gilt dies gleichermaßen für die Einwohner, die nur neben den Kommunen aufgeführt sind.
{RN:15}
Die Bürger können sich auch nicht auf die durch Art. 90 S. 2 LSA-Verf lediglich wiederholten Rechte aus Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf berufen; denn diese schützen nur die Kommunen und nicht die Bürger.
{RN:16}
Darüber hinaus verlangt das Anhörungsgebot für Gebietsänderung auf der Kreisebene nicht, dass die Bürger oder Einwohner des betroffenen Gebiets zu hören sind. Art. 90 S. 2 LSA-Verf überlässt dem Gesetzgeber vielmehr, das Nähere durch einfaches Gesetz zu regeln, und zwar auch, soweit es um Anhörungen geht, und dabei auch, ob und in welchem Umfang er nur betroffene Kommunen oder auch die dort wohnenden Bürger beteiligt.
{RN:17}
Dem Gesetzgeber wird insbesondere gestattet, nach der Ebene der Gebietsreform abzustufen; denn die Verfassung stellt auf die Anhörung der "Betroffenen" ab (LVerfG LSA, Urt. v. 31.05.1994 - LVG 2/93, 1/94 -).
{RN:18}
Die Gebietsänderungen einerseits von Landkreisen und andererseits von Gemeinden wirken sich auf die Kommunen und die Einwohner unterschiedlich stark aus. Unmittelbar betroffen sind bei Eingriffen auf der Gemeindeebene die Gemeinde, um deren Gebiet es sich handelt, und die Einwohner, welche in dieser Gemeinde bzw. in diesem Gebiet leben. Die Änderung von Kreisgebietsgrenzen hingegen betrifft unmittelbar neben dem Landkreis, um dessen Territorium es geht, nur die Gemeinden, welche dem jeweiligen Gemeindeverband "Landkreis" angehören, und die Einwohner dieser Gemeinden nur mittelbar dadurch, dass ihre Gemeinde anders zugeordnet wird.
{RN:19}
Diese Differenzierung verstößt auch nicht gegen das Demokratiegebot der Verfassung (Art. 2 Abs. 1 LSA-Verf); denn diese lässt Formen repräsentativer neben solchen unmittelbarer Demokratie zu (vgl. Art. 2 Abs. 2, Art. 80, 81, 89 LSA-Verf). Dies gilt gerade auch für Kommunen; denn Art. 89 LSA-Verf schreibt - die bundesrechtliche Vorgabe des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG wiederholend - vor, dass ein Repräsentativorgan zu wählen ist, sofern nicht - dies aber nur bei Gemeinden - die Versammlung der Bürger an deren Stelle tritt.
{RN:20}
Art. 2 Abs. 2 LSA-Verf sieht keine Wertung der Verfassung für einen übergreifend rechtlich zu beachtenden Vorrang von Bürgervoten vor denen des Vertretungsorgans vor (vgl. dazu auch: Reich, LSA-Verf, Art. 2 RdNr. 1, S. 51: "Demokratie"). Aus der Definition des Begriffs "Kommune" durch Art. 87 Abs. 1 LSA-Verf (= Gemeinden und Landkreise) lässt sich für Art. 90 S. 2 LSA-Verf nicht herleiten, dass das Anhörungsverfahren für Gebietsänderungen der Landkreis- und der Gemeindeebene die gleichen Beteiligten zu berücksichtigen hätte-, denn die Bestimmung differenziert nach der Bedeutung der "Betroffenheit".
{RN:21}
Die Entstehungsgeschichte bestätigt diese Auslegung. Der Entwurf der SPD-Fraktion zu Art. 71, der sich mit den Gebietsänderungen beider Stufen befasste, sah nur für die Gemeindegebiete eine zusätzlich Beteiligung der "Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete" vor (Absatz 2 Satz 2) und enthielt keine Regelung über die Anhörung der Kommunen im übrigen (Absätze 2 und 3).
{RN:22}
Die Regelungen einerseits des § 79 Abs. 1 der DDR-Kommunalverfassung vom 17.05.1990 (DDR-GBl. Teil I, Nr. 28, S. 255), inzwischen zuletzt geändert durch Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 03.02.1994 (LSA-GVBl. S. 164, 166) KommVfG - für Gebietsänderungen bei Landkreisen (Anhörung nur der betroffenen Landkreise und Gemeinden) und andererseits des § 13 KommVfG (Anhörung der betroffenen Gemeinden und der Bürger/innen) sind mit Art. 90 S. 2 LSA-Verf vereinbar.
{RN:23}
Die Anhörung der Bürger ist auch nicht vom Zweck der Anhörungsverpflichtung her geboten. Die Anhörungspflicht im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, welche Art. 90 S. 2 LSA-Verf in Bezug nimmt, will verhindern, dass die Kommunen zum Objekt staatlichen Handelns werden (BVerfGE 50, 195, 202), und hat die Funktion, sicherzustellen, dass der Gesetzgeber den für die (materielle) Gemeinwohl-Abwägung maßgeblichen Sachverhalt (verfahrensrechtlich) umfassend ermittelt (BVerfG, Beschl. v. 23.06.1987 - 2 BvR 826/83 -, BVerfGE 76, 107, 122). Das für die Anhörung einzuschlagende Verfahren liegt aber im Ermessen des Gesetzgebers; Fehler der Sachverhaltsermittlung kann nur rügen, wer in eigenen Rechten betroffen ist. Das sind bei Art. 90 S. 2 LSA-Verf die Kommunen, um deren Gebiet es geht.
{RN:24}
Art. 5 Abs. 1 LSA-Verf ist nicht verletzt. Die Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers ist mit der Verfassungsordnung vereinbar. Wie sich oben gezeigt hat, sind Anhörungsrechte aus Art. 90 S. 2 LSA-Verf nicht berührt.
{RN:25}
Auch wenn dieses Grundrecht - angesichts der Textgleichheit mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - die "allgemeine Handlungsfreiheit" schützen sollte und die "verfassungsmäßige Ordnung" gleichzusetzen wäre mit der (verfassungsmäßigen) "Rechtsordnung" (so offenbar: Reich, LSA-Verf, Art. 5 RdNr. 1, S. 65; Mahnke, LSA-Verf, Art. 5, RdNr. 9, unter Hinweis auf BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 BVerfGE 6, 32, 36, 37f), hat die Verfassungsbeschwerde ersichtlich keinen Erfolg. Die "verfassungsmäßige Rechtsordnung" verlangt nicht die Anhörung der Einwohner vor einer Kreisgebietsänderung, wie sich deutlich aus § 79 KommVfG ergibt.
{RN:26}
Das "rechtliche Gehör" nach Art. 21 Abs. 4 LSA-Verf ist nicht verletzt; diese Vorschrift betrifft nur einen Anspruch in gerichtlichen Verfahren.
{RN:27}
3.-->Angesichts der Entscheidung zur Hauptsache entfällt das Bedürfnis, den Streitfall vorläufig durch einstweilige Anordnung zu regeln (§ 31 Abs. 1 LSA-VerfGG). Der entsprechende Antrag der Beschwerdeführerin ist unzulässig geworden und hat sich erledigt.
{RN:28}
4.-->Die Kostenentscheidung folgt aus § 32 LSA-VerfGG.
Das Verfahren ist (gerichts-)kostenfrei (Absatz 1).
{RN:29}
Das gilt auch für die einstweilige Anordnung; denn es ist angesichts des offensichtlichen Ausgangs der Hauptsache nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Antrag hätte durchdringen müssen, wenn über die Verfassungsbeschwerde nicht sogleich entschieden worden wäre.
« zurückDie Verfassungsbeschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
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(Die grauen Ziffern über den Absätzen sind durchlaufende Absatznummern [Randnummern].)
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Gründe:
{T:I.}
{RN:1}
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen das Gesetz zur Kreisgebietsreform vom 13.07.1993 (LSA-GVBl. S. 352), inzwischen geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 03.02.1994 (LSA-GVBl. S. 164, 171) - LSA-KrsGebRefG -, soweit § 15 die Bildung des Burgenlandkreises betrifft; sie begehrt ferner, den Vollzug dieser Bestimmung sowie die Kreistags- und Landratswahlen in diesem Gebiet im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen.
{RN:2}
Sie rügt die Verletzung von Art. 90 und Art. 5 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 15.07.1992 (LSA-GVBl. S. 600) - LSA-Verf - und macht insoweit geltend:
{RN:3}
Die durch Art. 90 S. 2 LSA-Verf geforderte Anhörung sei unterblieben. Dies habe die Unwirksamkeit der Kreisgebietsreform zur Folge, soweit sie selbst betroffen sei. Unabhängig davon, ob ein Anhörungsgesetz erforderlich sei, liege ein Verfassungsverstoß vor, weil sie jedenfalls nicht angehört worden sei.
{RN:4}
Wie sich aus der Papenburg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe, fehle es an einer ausreichenden Informationsgrundlage, welche der Gesetzgeber schaffen müsse, wenn die Einwohner nicht angehört würden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine rechtzeitige Anhörung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
{RN:5}
Wäre sie, die Beschwerdeführerin, angehört worden, so hätte sie sich gegen den Zusammenschluss der Kreise Nebra und Naumburg mit Zeitz gewendet und wäre für die Selbständigkeit von Zeitz eingetreten. Außerdem rege sie an, vor einer Kreisneuordnung eine Länderneugliederung vorzunehmen und dabei Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu einem Bundesland zu vereinigen. Die Alternativen zum Burgenlandkreis seien nicht erörtert worden.
{RN:6}
Durch die Reformgesetzgebung werde ihr, der Beschwerdeführerin, die durch den Wohnsitz begründete Mitgliedschaft im Landkreis Zeitz entzogen; sie werde gegen ihren Willen dem Burgenlandkreis zugeordnet. Eine solche Zwangsmitgliedschaft sei nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung möglich. Das sei aber wegen des Verstoßes gegen Art. 90 S. 2 LSA-Verf nicht der Fall. Deshalb sei zugleich ihr Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 LSA-Verf) verletzt.
{RN:7}
Die Anhörungspflicht habe sich schließlich aus dem Grundsatz rechtlichen Gehörs ergeben.
{RN:8}
Die Verfassungsbeschwerde sei ihrem Umfang nach nicht eingeschränkt. Auch die Wahl- und Anhörungsrechte könnten geltend gemacht werden.
{RN:9}
Die einstweilige Anordnung sei geboten, weil die Nichtigkeitserklärung nach Durchführung der Wahl mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen werde.
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{T:II.}
{RN:10}
Das Landesverfassungsgericht hält die Verfassungsbeschwerde einstimmig für offensichtlich unbegründet und entscheidet über sie deshalb ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 21 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - Landesverfassungsgerichtsgesetz - <LSA-VerfGG> LSA-GVBl. S. 441).
{RN:11}
1.-->Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Eine Verletzung in staatsbürgerlichen Rechten unmittelbar durch das Gesetz (Art. 75 Nr. 6 LSA-Verf, § 2 Nr. 7 LSA-VerfGG) erscheint immerhin möglich, wenn mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen wäre, dass sie ein Recht auf Anhörung aus Art. 90 S. 2 LSA-Verf hätte. Bereits diese denkbare Verletzung reicht für die Zulässigkeit aus.
{RN:12}
2.-->Die erhobenen Rügen sind indessen offenkundig nicht begründet.
{RN:13}
Art. 90 S. 2 LSA-Verf ist nicht verletzt. Art. 90 LSA-Verf zeigt lediglich die Schranken auf, die Inhalt der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf sind, ohne eigene Rechte für Bürger zu gewähren. Nach allgemeiner Auffassung verlangt die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nicht nur, dass es Kommunen überhaupt im Staatsaufbau des Landes gibt, sondern der einzelnen Kommune ist auch garantiert, dass ihr Gebietsbestand nur nach vorheriger Anhörung und ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls verändert und dass sie nur in diesem Rahmen aufgelöst werden darf (BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 - 2 BvR 165/75 -, BVerfGE 50, 50f; Beschl. v. 12.05.1992 - 2 BvR 470, 650, 707/90 -, BVerfGE 86, 90, 107; StGH BW, Urt. v. 14.02.1975 - GeschRegNr. 11/74 -, ESVGH 25, 1, 10, 25 = NJW 1975, 1205 ff; NdsStGH, Urt. v. 14.02.1979 - StGH 2/77 - NdsStGHE 2, 1, 145 = OVGE 33, 497, 498; VfGH NW, Urt. v. 04.08.1972 - VfGH 9/71 -, OVGE 28, 291, 292; VfGH RP, Urt. v. 17.04.1969 -, VGH 2/69 -, DVBl. 1969, 799, 800 f; Urt. v. 05.05.1969 - VGH 36/69 -, DVBl. 1970, 780-, Urt. v. 22. 12.1969 - VGH 43/69 -, DVBl. 1970, 785, 787; VfGH des Saarlandes, Urt. v. 28.06.1974 -Lv 8/74 -, DVBl. 1975, 35; vgl. zu Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf auch: Mahnke, Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, 1993, Art. 2 RdNr. 15; Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, 1994, Art. 2 RdNr. 5; LVerfG LSA, Urt. v. 31.05.1994 - LVG 2/93 und 1/94 - ). Wenn Art. 90 LSA-Verf inhaltsgleich diese Begriffe verwendet, stellt er lediglich fest, dass dieses Ergebnis der Rechtsprechung auch Inhalt der landesverfassungsrechtlichen Garantie sein soll (LVerfG LSA, a. a. O.).
{RN:14}
Eigenständige Rechte gewährt die Vorschrift nicht. Für die Kommunen, um deren Gebiet es bei Gesetzen nach Art. 90 LSA-Verf geht, ergibt sich das bereits daraus, dass Art. 90 LSA-Verf in den Rechtsschutzvorschriften des Art. 75 Nr. 7 LSA-Verf und des § 2 Nr. 8 LSA-VerfGG nicht genannt ist. Können aber die betroffenen Kommunen keine besonderen Anhörrechte aus Art. 90 S. 2 LSA-Verf herleiten, so gilt dies gleichermaßen für die Einwohner, die nur neben den Kommunen aufgeführt sind.
{RN:15}
Die Bürger können sich auch nicht auf die durch Art. 90 S. 2 LSA-Verf lediglich wiederholten Rechte aus Art. 2 Abs. 3 LSA-Verf berufen; denn diese schützen nur die Kommunen und nicht die Bürger.
{RN:16}
Darüber hinaus verlangt das Anhörungsgebot für Gebietsänderung auf der Kreisebene nicht, dass die Bürger oder Einwohner des betroffenen Gebiets zu hören sind. Art. 90 S. 2 LSA-Verf überlässt dem Gesetzgeber vielmehr, das Nähere durch einfaches Gesetz zu regeln, und zwar auch, soweit es um Anhörungen geht, und dabei auch, ob und in welchem Umfang er nur betroffene Kommunen oder auch die dort wohnenden Bürger beteiligt.
{RN:17}
Dem Gesetzgeber wird insbesondere gestattet, nach der Ebene der Gebietsreform abzustufen; denn die Verfassung stellt auf die Anhörung der "Betroffenen" ab (LVerfG LSA, Urt. v. 31.05.1994 - LVG 2/93, 1/94 -).
{RN:18}
Die Gebietsänderungen einerseits von Landkreisen und andererseits von Gemeinden wirken sich auf die Kommunen und die Einwohner unterschiedlich stark aus. Unmittelbar betroffen sind bei Eingriffen auf der Gemeindeebene die Gemeinde, um deren Gebiet es sich handelt, und die Einwohner, welche in dieser Gemeinde bzw. in diesem Gebiet leben. Die Änderung von Kreisgebietsgrenzen hingegen betrifft unmittelbar neben dem Landkreis, um dessen Territorium es geht, nur die Gemeinden, welche dem jeweiligen Gemeindeverband "Landkreis" angehören, und die Einwohner dieser Gemeinden nur mittelbar dadurch, dass ihre Gemeinde anders zugeordnet wird.
{RN:19}
Diese Differenzierung verstößt auch nicht gegen das Demokratiegebot der Verfassung (Art. 2 Abs. 1 LSA-Verf); denn diese lässt Formen repräsentativer neben solchen unmittelbarer Demokratie zu (vgl. Art. 2 Abs. 2, Art. 80, 81, 89 LSA-Verf). Dies gilt gerade auch für Kommunen; denn Art. 89 LSA-Verf schreibt - die bundesrechtliche Vorgabe des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG wiederholend - vor, dass ein Repräsentativorgan zu wählen ist, sofern nicht - dies aber nur bei Gemeinden - die Versammlung der Bürger an deren Stelle tritt.
{RN:20}
Art. 2 Abs. 2 LSA-Verf sieht keine Wertung der Verfassung für einen übergreifend rechtlich zu beachtenden Vorrang von Bürgervoten vor denen des Vertretungsorgans vor (vgl. dazu auch: Reich, LSA-Verf, Art. 2 RdNr. 1, S. 51: "Demokratie"). Aus der Definition des Begriffs "Kommune" durch Art. 87 Abs. 1 LSA-Verf (= Gemeinden und Landkreise) lässt sich für Art. 90 S. 2 LSA-Verf nicht herleiten, dass das Anhörungsverfahren für Gebietsänderungen der Landkreis- und der Gemeindeebene die gleichen Beteiligten zu berücksichtigen hätte-, denn die Bestimmung differenziert nach der Bedeutung der "Betroffenheit".
{RN:21}
Die Entstehungsgeschichte bestätigt diese Auslegung. Der Entwurf der SPD-Fraktion zu Art. 71, der sich mit den Gebietsänderungen beider Stufen befasste, sah nur für die Gemeindegebiete eine zusätzlich Beteiligung der "Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete" vor (Absatz 2 Satz 2) und enthielt keine Regelung über die Anhörung der Kommunen im übrigen (Absätze 2 und 3).
{RN:22}
Die Regelungen einerseits des § 79 Abs. 1 der DDR-Kommunalverfassung vom 17.05.1990 (DDR-GBl. Teil I, Nr. 28, S. 255), inzwischen zuletzt geändert durch Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 03.02.1994 (LSA-GVBl. S. 164, 166) KommVfG - für Gebietsänderungen bei Landkreisen (Anhörung nur der betroffenen Landkreise und Gemeinden) und andererseits des § 13 KommVfG (Anhörung der betroffenen Gemeinden und der Bürger/innen) sind mit Art. 90 S. 2 LSA-Verf vereinbar.
{RN:23}
Die Anhörung der Bürger ist auch nicht vom Zweck der Anhörungsverpflichtung her geboten. Die Anhörungspflicht im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, welche Art. 90 S. 2 LSA-Verf in Bezug nimmt, will verhindern, dass die Kommunen zum Objekt staatlichen Handelns werden (BVerfGE 50, 195, 202), und hat die Funktion, sicherzustellen, dass der Gesetzgeber den für die (materielle) Gemeinwohl-Abwägung maßgeblichen Sachverhalt (verfahrensrechtlich) umfassend ermittelt (BVerfG, Beschl. v. 23.06.1987 - 2 BvR 826/83 -, BVerfGE 76, 107, 122). Das für die Anhörung einzuschlagende Verfahren liegt aber im Ermessen des Gesetzgebers; Fehler der Sachverhaltsermittlung kann nur rügen, wer in eigenen Rechten betroffen ist. Das sind bei Art. 90 S. 2 LSA-Verf die Kommunen, um deren Gebiet es geht.
{RN:24}
Art. 5 Abs. 1 LSA-Verf ist nicht verletzt. Die Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers ist mit der Verfassungsordnung vereinbar. Wie sich oben gezeigt hat, sind Anhörungsrechte aus Art. 90 S. 2 LSA-Verf nicht berührt.
{RN:25}
Auch wenn dieses Grundrecht - angesichts der Textgleichheit mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - die "allgemeine Handlungsfreiheit" schützen sollte und die "verfassungsmäßige Ordnung" gleichzusetzen wäre mit der (verfassungsmäßigen) "Rechtsordnung" (so offenbar: Reich, LSA-Verf, Art. 5 RdNr. 1, S. 65; Mahnke, LSA-Verf, Art. 5, RdNr. 9, unter Hinweis auf BVerfG, Urt. v. 16.01.1957 - 1 BvR 253/56 BVerfGE 6, 32, 36, 37f), hat die Verfassungsbeschwerde ersichtlich keinen Erfolg. Die "verfassungsmäßige Rechtsordnung" verlangt nicht die Anhörung der Einwohner vor einer Kreisgebietsänderung, wie sich deutlich aus § 79 KommVfG ergibt.
{RN:26}
Das "rechtliche Gehör" nach Art. 21 Abs. 4 LSA-Verf ist nicht verletzt; diese Vorschrift betrifft nur einen Anspruch in gerichtlichen Verfahren.
{RN:27}
3.-->Angesichts der Entscheidung zur Hauptsache entfällt das Bedürfnis, den Streitfall vorläufig durch einstweilige Anordnung zu regeln (§ 31 Abs. 1 LSA-VerfGG). Der entsprechende Antrag der Beschwerdeführerin ist unzulässig geworden und hat sich erledigt.
{RN:28}
4.-->Die Kostenentscheidung folgt aus § 32 LSA-VerfGG.
Das Verfahren ist (gerichts-)kostenfrei (Absatz 1).
{RN:29}
Das gilt auch für die einstweilige Anordnung; denn es ist angesichts des offensichtlichen Ausgangs der Hauptsache nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Antrag hätte durchdringen müssen, wenn über die Verfassungsbeschwerde nicht sogleich entschieden worden wäre.